Mit dem Netzwerk Gesunde Kinder (NGK) verfügt das Land Brandenburg – als einziges aller 16 Bundesländer – über ein flächendeckendes Angebot der familiären Gesundheitsförderung, dessen Effekte durch Reihenuntersuchung, wie z. B. einer erhöhten Impfquote bei Netzwerkkindern sowie einer erhöhten Inanspruchnahme kinderärztlicher Untersuchungen, messbar sind. Kernstück des NGK sind unbürokratische Hilfen und Unterstützungsleistungen durch Familienpatenschaften, ergänzt um Vernetzung und regionale Angebote zu Kompetenzentwicklung und Selbstorganisation von Familien.

Der vorliegende Beitrag skizziert Hintergründe, Methoden und Erkenntnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung durch die Berlin School of Public Health in 2018 und 2019. Dabei wird die Zufriedenheit mit den Netzwerkangeboten dargestellt, sowie Auskunft gegeben über Perspektiven Brandenburger Eltern auf ihre Bedarfe und Bedürfnisse in den ersten Jahren des Familienlebens.

Hintergrund

Das Netzwerk Gesunde Kinder Brandenburg

Das NGK ist eine seit dem Jahr 2006 flächendeckend in Brandenburg eingeführte Maßnahme der familiären Gesundheitsförderung. Ausgangspunkt waren Beobachtungen im Kinderklinikum Niederlausitz über den Rückgang der Inanspruchnahmen von Gesundheitsangeboten und zunehmenden Verunsicherungen von jungen Eltern in ihrer familiären Beziehungsgestaltung [3]. Ein daraus abgeleitetes Förderkonzept wurde als familien- und kinderpolitisches Programm „Die Brandenburger Entscheidung – Familien und Kinder haben Vorrang“ im Oktober 2005 durch die Landesregierung beschlossen. Auf Basis gemeinsamer Mindeststandards werden inzwischen 4700 Netzwerkfamilien an 38 Standorten von 1100 Netzwerkpaten in 21 Regionalnetzwerken betreut (Stand vom Juli 2019, [3]). Die Regionalnetzwerke werden getragen u. a. von regionalen Kinderkliniken, freien Trägern der Wohlfahrt, regionalen Gesundheits- und Jugendämtern und durch eine bei Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. angesiedelte Landeskoordinierungsstelle. Das Land Brandenburg unterstützt das NGK seit 2017 mit einem jährlichen Fördervolumen von 3.119.000 € [23].

Das Angebot adressiert alle Familien ab der Schwangerschaft bis zum 3. Lebensjahr der Kinder. Die ehrenamtlich engagierten und durch das Netzwerk geschulten Familienpatinnen und -paten stellen das Spezifikum und ein Alleinstellungsmerkmal des Netzwerks dar. Sie begleiten die Familien auf Wunsch während der Schwangerschaft und bis zum vollendeten 3. Lebensjahr des Kindes durch mindestens 10 Besuche im häuslichen Umfeld der Familien. Themen dieser Hausbesuche sind u. a. Bindungs- und Entwicklungsförderung, kindliche Interaktionen, Früherkennungsuntersuchungen, Impfungen, Ernährung, Unfallverhütung und Zahngesundheit. Eine komplette Übersicht der Themen ist in Tab. 1 gelistet. Ziel ist die Weitergabe von Erfahrungen und Wissen zu gesundheits- und entwicklungsfördernden Themen in vertrauter Umgebung sowie Informationen über regionale Angebote. In Einzelfällen stellt sich auch die Vermittlung der Familie in das professionelle System als Aufgabe, wobei entsprechende Strukturen keinesfalls ersetzt, sondern vielmehr durch salutogen orientierte Beratung und Unterstützung optional angebahnt werden sollen. Zudem werden den Eltern weitere Angebote unterbreitet, z. B. Elternbildungsangebote, Krabbelgruppen oder Frühstückstreffen. Sie dienen der Information über spezifische Themen, dem Austausch und der Vernetzung untereinander.

Tab. 1 Themen der 10 Hausbesuche [8]

Parallel dazu werden seit 2012/2013 die Gesundheitsdaten von Netzwerkkindern und Nichtnetzwerkkindern im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen erhoben und verglichen [8, 9]. Dabei zeigte sich, dass die Netzwerkkinder gesundheitlich profitieren, gemessen an den Indikatoren Inanspruchnahme der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen und Impfquote sowie einer höheren Quote an Kindern, die im Rahmen der Einschulungsuntersuchungen als „optimal versorgt“ eingestuft werden [8]. Im Gegensatz zu den quantitativ angelegten Untersuchungen war die Zielsetzung der hier vorgestellten wissenschaftlichen Begleitforschung, Bedarf- und Bedürfnislagen junger Eltern zu identifizieren sowie Wirkungen des Netzwerks aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer abzubilden [10].

Familiäre Gesundheitsförderung

Das Konzept der familiären Gesundheitsförderung [11, 12, 14] beschreibt einen (praktischen und theoretischen) Handlungs- und Arbeitsrahmen, der Qualitätsanforderungen für gesundheitsförderliche Aktivitäten aufzeigt. Diese sollten nutzerorientiert, d. h. „von der Familie her“ bzw. „vom Kind aus denken“ und an familiären Bedürfnissen und Bedarfen ausgerichtet sein. Die Orientierung an Nutzerinnen und Nutzern stellt eine zentrale Zukunftsanforderung an alle gesundheitlichen und sozialen Angebote dar mit dem Postulat, Sozial- und Gesundheitsleistungen nicht aus Sicht der Anbietenden zu konzipieren, sondern nachfrage- bzw. nutzerorientiert vorzuhalten [11].

Im NGK bietet es sich an, dass eine solche Nutzerorientierung auf Familien ausgerichtet wird, da diese als erste und unmittelbare Lebenswelt die primäre Sozialisationsinstanz der Kinder bilden.

Familiäre Gesundheitsförderung fokussiert neben Lebenswelten v. a. auf familiäre Lebensphasen und -lagen. Ziel ist die Darstellung und Identifikation von Bedarfen und Potenzialen der Prävention, jeweils spezifisch aus Sicht der Angebotsnutzenden für einzelne Lebensphasen, Lebenslagen und Lebenswelten [14].

„Doing Family“

Zur Analyse von sich ausdifferenzierenden Familienformen hat sich das familiensoziologische Konzept „Doing Family“ als Erklärungs- und Erkenntnismodell etabliert [20]. Das Konzept dient dazu, die Analyse des Datenmaterials theoretisch zugänglich zu machen und zu fundieren. Im Ergebnis kann dadurch das gewandelte Spektrum von Familienformen präzise beschrieben und die identifizierten Bedarfs- und Bedürfnislagen der Familien für die Weiterentwicklung der Angebots- und Netzwerkstrukturen genutzt werden.

Familien werden dabei nicht anhand formaler Aspekte (z. B. Eheschließung) definiert, sondern als private, generationenübergreifende Lebenszusammenhänge mit emotional verbindlichen Beziehungen, die sich über jeweils spezifische familiäre Routinen und Rituale konstituieren [12]. Entstanden ist der Begriff ursprünglich in Anlehnung an den sozialkonstruktivistischen Ansatz von Judith Butler zu „Doing Gender“ [5, 6]. Dem Begriff liegen praxistheoretische Konzepte zugrunde mit engen Bezügen zu Handlungstheorien (z. B. [16]). In diesem Sinne wird Familie als eine Praxis verstanden, an der unterschiedliche Akteurinnen und Akteure beteiligt sind und sich in ihrem Verhalten aneinander orientieren. Die Praxis (Tab. 2) folgt einem – meist impliziten – Lebensführungskonzept, das als Alltagsgestaltung vor dem Hintergrund ökonomischer, kultureller und sozialer Ressourcen analysiert werden kann. Lebensführung stellt dabei die aktive Leistung der Akteure dar und kann als Vermittlungsmechanismus zwischen Individuum und Gesellschaft betrachtet werden, der die Integration der Familienmitglieder in Gesellschaft und ihre Bereiche beschreibt [20]. Im Alltagshandeln entwickelt und verändert sich Lebensführung laufend, sodass es nicht statisch, sondern dynamisch betrachtet werden muss [21].

Tab. 2 Kernaussagen des Konzepts „Doing Family“. (Eigene Darstellung)

Charakteristisch für das Konzept „Doing Family“ ist ein entsprechend prozesshaftes Verständnis von Familie, wobei Familie als Herstellungsleistung verstanden wird. Dabei ist die familiale Lebensführung mehr als die Summe individueller Lebensführungen der Familienmitglieder. Relevant ist insbesondere das sinnstiftende Selbstbild, das Familien über sich als familiale Einheit erstellen und welches ihnen die Möglichkeit gibt, sich als Familie wahrzunehmen und zu identifizieren.

Das Verständnis des „Doing Family“ macht deutlich, dass der Blick auf Familie hier nicht nur auf das gerichtet ist, wie Familien handeln und das Familienleben praktisch ausgestaltet wird, sondern v. a. auf die sinngebenden Prozesse hinter den Handlungen [17]. Familien entwickeln hier ein Balancemanagement, das die unterschiedlichen Lebensführungen der Familienmitglieder, bedingt durch unterschiedliche Strukturen, Bedürfnisse und Interessen, zu einer familialen Lebensführung zusammenführt. Dieses Management umfasst vielfältige organisatorische und logistische Abstimmungsleistungen der Familienmitglieder, um Familie im Alltag praktisch lebbar zu machen, was aber auch brüchig sein kann, denn Familie ist immer auch potenziell konfliktträchtig. Das Management drückt sich in Prozessen aus, in denen in alltäglichen und biografischen Interaktionen Familie als sinnhaftes und gemeinschaftliches Ganzes hergestellt wird. Diese Konstruktion von Gemeinsamkeiten stiftet familiäre Identität und bildet eine zusammengehörige Gruppe. Es bildet sich zudem in der Außendarstellung ab („Displaying Family“), der im Zuge gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse eine stetig zunehmende Bedeutung beizumessen ist [20].

Familiäre Gesundheitsförderung adressiert gemäß diesem Verständnis Familien als soziale Systeme mit habituellen Logiken und geschlechts-, milieu- und kulturspezifischen Ordnungsmustern, die anerkannt und wertgeschätzt werden sollten. Eine solche empathische Haltung entspricht dem Gebot der familiären Autonomie, das in Art. 6 des Grundgesetzes in Verfassungsrang garantiert ist, und ermöglicht Fachkräften gleichermaßen Zugang, Verständnis und Interessenvertretung von Familien (Kernstrategie „Advocacy“ der Ottawa-Charta). Dabei geht es aber nicht um eine „optimale“ Familie, sondern – dem Leitbild der „hinreichend guten Familie“ [26] folgend – darum, die Eigensinnigkeit der Familien als Ausgangspunkt des selbstgewünschten Entwicklungsbedarfs zu identifizieren und den Familien dabei zu helfen, ihre impliziten Vorstellungen von familiärem Zusammenleben aufzugreifen, gemeinsam mit den Familien zu explizieren und in praktisch begleiteten Erfahrungs- und Entwicklungsschritten zu adaptieren. Ziel ist die Unterstützung des familiären „Gelingens“, sodass Familien im Idealfall Orte gegenseitiger Unterstützung bilden [22].

Methodik

Zur Umsetzung der vorgelegten Studie wurden zwischen Dezember 2018 und April 2019 65 leitfadengestützte Interviews mit jungen Eltern in verschiedenen Landkreisen in Brandenburg und vier Fokusgruppen mit den Akteursgruppen Eltern, Netzwerkkoordinatorinnen sowie Trägervertreterinnen und -vertreter durchgeführt.

In problemzentrierten Interviews sowie den Fokusgruppen wurde auf die nachfolgend genannten Themenbereiche angesprochen:

  • Bedarfe und Bedürfnisse der Familien,

  • Inanspruchnahme und Nicht-Inanspruchnahme der Angebote des NGK,

  • Informationskanäle des Netzwerks,

  • Motive und Erwartungen,

  • Zufriedenheit mit Angeboten, Strukturen und Prozessen,

  • Wirkung des Netzwerks aus Sicht der teilnehmenden Eltern.

Der für die Fragestellung konzipierte Interviewleitfaden orientierte sich an dem Erhebungsbogen „Nutzerperspektive sozial benachteiligter Mütter“ [13], dem Leipziger Fragekatalog zur Erhebung von Nutzerperspektiven auf Leistungen von Familienhebammen [19], aktivierende Elternbefragungen [18] und Leitfragen der Düsseldorfer Untersuchungen bei Einschülerinnen und Einschülern [27].

Dabei wurden Aspekte aus der Auswertung im Sinne von Lebensphasen- und Lebenslagenorientierung [11, 13] berücksichtigt und die Themen des Leitfadens, fokussiert auf die Altersspanne zwischen Schwangerschaft und 3. Lebensjahr des Kindes, ergänzt bzw. präzisiert.

Die Interviews dauerten durchschnittlich rund 25 min, wurden mit einem Audiogerät aufgezeichnet und wörtlich transkribiert. Die Kodierung der Interviews erfolgte auf Grundlage der Transkription induktiv und deduktiv für die Erzählpassagen in Anlehnung an die „grounded theory“ [25]. Sie erfolgte unabhängig durch jeweils zwei Reviewer und Reviewerinnen und nachfolgender Auswertung im Projektteam. Daraus ergaben sich die Kernkategorien „Doing Family“, Familienpatenschaftbeziehung, Zugang – kommunal und zum Netzwerk sowie Struktur und Angebote des Netzwerks. Innerhalb der qualitativen Inhaltsanalyse wurden die genannten Inhalte der zielgerichteten Fragen, wie z. B. zur Angebotsnutzung des Netzwerks und genutzte Informationskanäle zusammenfassend herausgearbeitet und generalisiert [24]. Die Interviews wurden jeweils von zwei wissenschaftlichen MA unabhängig codiert. Im anschließenden Analyseprozess wurden die Kodierungen verglichen und diskutiert bis zur Konsensfindung. Die Kernaussagen aus der Analyse wurden in einer Fokusgruppe mit sechs Müttern, zwei Fokusgruppen mit jeweils ca. 20 Netzwerkkoordinatorinnen und einer Fokusgruppe mit fünf Vertreterinnen der Leitungsebene kommunikativ validiert.

Sample und Akquise

Zur kontrastierenden Darstellung wurden darauf abgezielt, Eltern innerhalb und außerhalb des Netzwerks zu interviewen. Dabei wurden 25 teilnehmende Familien des Netzwerks (sog. Netzwerkfamilien) befragt, die die Möglichkeit haben, das Angebot der Familienpatenschaften wahrzunehmen. Ergänzend wurden neun sog. Netzwerkteilnutzerfamilien interviewt, welche einzelne Angebote wahrnehmen, jedoch nicht durch eine Patin oder einen Paten betreut werden. Kontrastierend wurden 31 sog. Nichtnetzwerkfamilien befragt, die das Angebot des NGK zuvor nicht bewusst wahrgenommen hatten.

Für die Interviews wurden sechs Regionen (Cottbus, Ostprignitz-Ruppin, Oberhavel, Elbe-Elster, Teltow-Fläming, Brandenburg a.d.H.) ausgewählt, um Perspektiven sowohl im städtischen, ländlichen als auch im Stadt-Land-Gefälle zu ermitteln. Zudem konnte sowohl Regionen mit bereits länger etablierten Netzwerken einbezogen werden als auch solche, bei denen der Netzwerkarbeit noch im Aufbau befindet. Hinsichtlich der drei regionalen Netzwerktypen entfielen 14 Interviews auf den städtischen Netzwerktypus, 20 auf den ländlichen und 31 fanden in den Landkreisen mit Stadt-Land-Gefälle statt (Tab. 3). Die Familien wurden mit Hilfe der Netzwerkkoordinatorinnen in den Regionen gewonnen sowie über weitere Kooperationspartner. Die Interviews wurden überwiegend in den Räumen der regionalen Netzwerke durchgeführt und in der Regel wurde auch eine Kinderbetreuung angeboten. Einige Interviews wurden an öffentlichen Orten durchgeführt, insbesondere bei Direktansprache junger Eltern in Einkaufscentern.

Tab. 3 Regionale Verteilung der Interviews hinsichtlich des FAI („family adversity index“). (Eigene Darstellung)

Die Teilnehmenden waren überwiegend Frauen (61 Mütter und vier Väter) im Alter zwischen 22 und 45 Jahren, ihr mittleres Alter (Median) lag bei 33 Jahren.

Sozial- und Belastungsanalyse

Anhand eines soziodemografischen Fragebogens (u. a. Abfrage nach Schul- und Berufsbildung, aktuelle berufliche Situation, Wohnverhältnisse, Informationen zur Herkunftsfamilie), welcher im Anschluss der Interviews ausgefüllt wurde, und zusätzlicher Angaben aus dem Interview, wurden die interviewten Personen nach dem sog. „family adversity index“ (FAI) klassifiziert. Der Index wurde in Anlehnung an die „Bailey-Scale“ entwickelt und identifiziert wesentliche, empirisch gesicherte Risikofaktoren für gelingende familiäre Interaktionen [7, 12].

Die Indikatoren für den FAI wurden in Anlehnung an Wolf-Kühn und Geene [28] auf die Situation in Brandenburg angepasst und umfassen folgende Kriterien: niedriges Bildungsniveau, psychische Störungen in Herkunftsfamilie eines Elternteils, schlechte Alltagsbewältigung, elterliche Disharmonie, Partnerkonflikt, frühe Elternschaft, Ein-Eltern-Familie, unerwünschte Schwangerschaft, beengte/schlechte Wohnverhältnisse, Mangel an sozialer Unterstützung, chronische Belastungen, niedriger sozioökonomischer Status. Tab. 3 veranschaulicht die regionale Verteilung der Interviews hinsichtlich des FAI.

Der soziodemografische Fragebogen diente neben der Bereitstellung der notwendigen Informationen für den FAI auch der Vergleichbarkeit zum Brandenburger Sozialindex [4]. Letzterer ist ein einfacher Summenscore, welcher auch bei den jährlichen Schuleingangsuntersuchungen im Land Brandenburg eingesetzt wird, und es anhand der unterschiedlichen Ausprägungen der Merkmale Schulbildung und Erwerbsstatus erlaubte, den sozialen Status der teilnehmenden Familien einer der drei Kategorien niedriger, mittlerer und hoher Sozialstatus zuzuordnen.

Im Vergleich hat sich jedoch der FAI als – gegenüber dem Brandenburger Sozialindex – stärker ausdifferenzierend gezeigt, um Belastungssituationen von Familien zu erheben und abzubilden.

Ergebnisse

Zufriedenheit mit dem NGK bei den befragten Familien

Und was mir auch aufgefallen ist, das sind nicht eben nur die netten Bekannten hier gewesen, sondern einfach auch das Netzwerk als solches, die Ansprechpartner, die einfach wirklich gefühlt zu jeder Zeit für uns da waren. Also wirklich für alle und zu jeder Zeit. Was ich auch dem Netzwerk hoch anrechne. Ich glaube, da muss man auch eine bestimmte Ausstrahlung dafür haben, dass man sich sofort ein Vertrauen aufbaut. Und auch das Gefühl haben durch die Wärme, dass man auch wirklich die Zeit bekommt, wenn man eben nochmal individuelle Fragen hat. Und die Zeit wurde sich auch einfach genommen. Und ich hatte am Anfang ja auch viele unsichere Gedanken. Und mir wurde immer wieder das Gefühl gegeben, ist egal, wie oft du zu uns kommst, du kannst immer fragen, wir sind immer da. (17 LA1 204–211)

Die Auswertung der Befragungen zeigt auf, dass das NGK aus Sicht der befragten Eltern einen hohen Bedarf an unbürokratischer Hilfen und Unterstützungsleistungen für junge Familien abdeckt und erfolgreich bedient. Dabei werden von den Familien nicht nur das Kernstück der Familienpatenschaften (Qualität, Qualifizierung und Vermittlung) gewürdigt, sondern auch die regionalen Angebote, die vielfältig genutzt werden.

Als Gründe einer überwiegend hohen Zufriedenheit der Befragten werden Aspekte genannt, die sich sowohl auf das Grundkonzept des NGK als auch auf die konkrete Arbeit der regionalen Netzwerke beziehen. Bei den Netzwerkangeboten werden vielfach Erste-Hilfe-Kurse sowie Geschenke des NGK-Programms (Babyrucksack, Zahnputzbuch) herausgestellt, die als passend bewertet wurden.

Insbesondere die Familienpatenschaften werden weit überwiegend als wichtige Unterstützung wahrgenommen. Über sie und über die weiteren Netzwerkangebote erhoffen sich junge Familien sozialen Anschluss und Austausch untereinander („Peer-Education“), was sich vielfach einlösen kann.

Zudem konnten aus den Befragungen Teilaspekte identifiziert werden, die die Wertschätzung für die Angebote des Netzwerks verdeutlichen. Dabei wurde deutlich, dass der mögliche Zugriff auf ein kompetentes Netz an unterstützenden Angeboten den Eltern Sicherheit vermittelt. Mithilfe der Familienpatenschaften werden den Familien Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht. Es zeigt sich, dass die Möglichkeit, durch die Familienpatenschaft Informationen rund um die ersten Lebensjahre des Kindes zu erhalten, als weniger wichtig erachtet wird. Als wesentliches Kriterium wurde vielfach herausgestellt, dass die Familienpatin oder der Familienpate soziale Kompetenz besitze. Bei der Begleitung durch Familienpatenschaften wurde von den inanspruchnehmenden Familien u. a. ein „Blick von außen“, positive Verstärkungen, Erreichbarkeit in Krisensituationen („Not am Mann“), schnelle Antworten auf Fragen und Wissen um lokale Gegebenheiten als unterstützend benannt. Zudem wurden die vermittelten Informationen zu lokalen Angeboten geschätzt und somit der Zugang der Eltern erleichtert. Die Angebotsstrukturen ermöglichen den Eltern im Ergebnis, ihre sozialen Netzwerke zu erweitern und mit anderen Eltern in Austausch zu gehen.

Die Themen der Elternbildungs- und Familienangebote scheinen eine hohe Passgenauigkeit zur Adressatengruppe zu erfüllen. Eltern fühlen sich durch professionelle Referentinnen und Referenten der Elternbildungs- und Familienangebote gut informiert. Eine Teilnahme an der Elternakademie wird als Kompetenzstärkung wahrgenommen.

„Doing Family“ bei den befragten Familien

Ja, also ich habe halt ganz viel Unterstützung durch meine Familie, durch meine Mutti und ihrem Lebenspartner. Und mein Mann natürlich auch (lacht), der da ganz vorne steht und sich um das Meiste halt kümmert. Aber auch meine Oma, die auch viel macht und schiebt dann einfach mal. Oder mit den Kindern mal rausgeht. Genau. Ich nutze halt viel meine eigene Familie, um eigene Dinge dann auch zu schaffen. (24LC1 23)

In der Kategorie „Doing Family“ bildet sich ab, welche Praxis- und Sinnstrategien die Familien entwickeln, um ihren Alltag zu gestalten und zu bewältigen.

Hinsichtlich der alltäglichen Herstellungsleistung des „Doing Family“ berichteten die Eltern über große zeitliche Anforderungen, die das Familienleben erfordert. Dabei werden viele gelingende Momente und Situation familiärer Gestaltung beschrieben, aber auch Schwierigkeiten, Problemlagen und hemmende Faktoren gelingender Familienkonstruktion. Hierzu zählen die (zu geringen) zeitlichen Ressourcen, familiäre Arbeitsteilung sowie intergenerationale und soziale Unterstützung. Aus diesen Bedingungen ergeben sich Gestaltungsgrenzen, aber auch -spielräume für die Eltern. An diese lassen sich die Netzwerkaktivitäten anschließen, um im Sinne der „Praxis“ von „Doing Family“ Familien in Phasen der Unsicherheit zu unterstützen. Dies gelingt vielfach, aber nicht durchgängig, sodass die Interviews darauf verweisen, dass Fragen von feinfühligen Ressourcenanalysen noch stärker vermittelt werden sollten, um den Blick für die Familienpatinnen und -paten darauf zu lenken, wie die soziale Unterstützung in der Familie organisiert ist und wie dabei geholfen werden kann. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass es nicht um eine „zu optimierende“ Familie geht, sondern dem Leitbild der „hinreichend guten Familie“ [26] folgend um die spezifischen Bedarfe und Bedürfnisse der Familie. Daraus lassen sich gleichzeitig Zugangsfragen ableiten dahingehend, wo die – jeweils spezifischen – „richtigen Orte in der Familie“ für die Familienunterstützung sind. Das Netzwerk kann dazu wichtige Bausteine beisteuern, welche die Zufriedenheit mit den Angeboten stärkt.

Ungedeckte Bedürfnisse und Sorgen bei den befragten Familien

Vielleicht auch so ein bisschen andere Angebote mit dem zweiten Kind, so wie man das meistert mit zwei Kindern. Ich glaube, das ist eher ausgelegt auf das erste Kind. Klar, da braucht man auch mehr. Aber, ja, mit zwei Kindern. Und ja, so für mich, zur Rückbildung zum Beispiel. Vielleicht für Muttis allein, so auch mehr. Dass man das Kind mal abgibt und eben Mutti-Kurs hat. (38SLA2 71)

Neben der insgesamt hohen Zufriedenheit gab es Hinweise auf ungedeckte Bedürfnisse junger Eltern. So konnte der Wunsch nach Austausch mit anderen Eltern nicht immer erfüllt werden. Als Hindernisse wurden u. a. volle Kurse, mangelnde Mobilität oder fehlende Zugänge zu den Angeboten angegeben. Neben den angebotenen Kursen besteht der Wunsch nach weiterführenden Angeboten, die die Alltagssituation der Eltern berücksichtigt (z. B. Kurse am Wochenende oder spätem Nachmittag). Die Bedürfnisse der Nicht-Netzwerk-Familien unterschieden sich nicht grundsätzlich von den Familien im Netzwerk. Allerdings gaben manche an, noch nie etwas von den Angeboten des NGK gehört zu haben. Dies stellt zusätzliche Anforderungen an die größere Reichweite der Netzwerkangebote.

Deutlich wurde ein hoher Bedarf an Unterstützung bei der Beantragung des Elterngeldes. Hier wurde neben dem Netzwerk auch die Hilfe durch die Kommune angemerkt. Der Mangel an Betreuungsplätzen, Kinderärztinnen und Kinderärzten und Hebammen wird von einigen Familien als strukturelle Herausforderung wahrgenommen. Die Familienpatenschaften werden überwiegend als gewinnbringende Unterstützung gesehen. Allerding besteht z. T. der Wunsch nach mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Treffpunkte, an denen die Besuche stattfinden oder der Anzahl der Besuche.

Zudem zeigen die Befragungen, dass bei den Eltern z. T. große Sorgen bestehen, in Armutsfallen oder auch nur in entsprechenden „Verdacht“ zu geraten. Die Drohung eines materiellen Abstiegs scheint allgegenwärtig, v. a. auch das damit verbundene Stigma ist den Eltern bewusst. Dies kann als deutliche Aufforderung dahingehend gewertet werden, das NGK noch deutlicher als universelles Angebot für alle Familien zu bewerben, womit das Land und die einzelnen Kommunen sich zur herausragenden Bedeutung von Kindern und Familien bekennen.

Diskussion

Die Auswertung der 65 Elterninterviews und der vier Fokusgruppengespräche unterstreicht, dass das NGK im Land Brandenburg unbürokratische Hilfen und Unterstützungsleistungen für junge Familien anbietet mit hoher Passung zu Bedarfen und Bedürfnissen der Familien. Dabei werden von den Familien nicht nur das Kernstück der Familienpatenschaften (ihre Qualifizierung und Vermittlung) gewürdigt, sondern auch die abwechslungsreichen regionalen Angebote, die vielfältig genutzt werden und zur Kompetenzentwicklung und zur Selbstorganisation der jungen Familien beitragen.

Neben den vielfältigen positiven Bewertungen des Netzwerks sollten jedoch auch Grenzen der bisherigen Netzwerktätigkeit genannt werden.

Mitunter wurde in den Befragungen angemerkt, dass die Angebote schwer für die Familien zu erreichen sind. Besonders der Zugang zu sozial oder anderweitig hoch belasteten Familien scheint erschwert zu sein. Zwar haben alle gesundheitlichen Angebote den grundsätzlichen Auftrag, insbesondere zum Abbau sozial wie geschlechtsbedingter ungleicher Gesundheitschancen beizutragen (festgeschrieben u. a. in den §§ 1, 2b und 20 SGB V sowie §§ 1 ff. SGB VIII). Gleichzeitig wird durch die Trägervertreterinnen und Trägervertreter deutlich, dass es sich bei dem NGK um ein universelles Angebot für alle Familien handelt, unabhängig von ihrem sozialen Status. Dieser universelle Anspruch erfordert gerechte Chancen zur Inanspruchnahme, die dann nicht gegeben sind, wenn das Angebot in seiner Leistungsausrichtung von sozial Belasteten weniger leicht in Anspruch genommen werden kann. In Folgeuntersuchungen sollte daher geprüft werden, wie ein Schwerpunkt auf hoch belastete Familien gelegt werden kann ohne den universellen Anspruch aufzugeben.

Die Interviews zeigen die Sorge der Eltern vor Armut und einer entsprechenden Zuschreibung. Trotz der universellen Ausrichtung besteht die Befürchtung, dass die Teilnahme auf einen sozialen Förderbedarf der Familie hinweisen könne. Daher sollte der universelle Anspruch noch weiter ausgebaut werden. Gleichzeitig sollten spezifische Anstrengungen unternommen werden, belastete Familien zielgerichtet anzusprechen und bedarfsspezifische Angebote zu unterbreiten.

Unabhängig von Ort und sozialem Status der Familien wurden in den Interviews auf die Herausforderung der Familienwerdung hingewiesen, besonders bei der Erstgeburt. Dabei verwiesen die Eltern auf spezifische Bewältigungsstrategien dieser Lebensphase differenziert nach Umfang der Belastungen. Dabei nehmen in den Netzwerkfamilien die Angebote des NGK, auch die Familienpatenschaften, eine hervorgehobene Stellung ein.

Das Image des Netzwerks wird teilweise als diffus empfunden. Es bestehen Bemühungen, mit einem eher allgemeinen Rahmenkonzept unterschiedliche Verknüpfungen zum Netzwerk zu ermöglichen und dem Wunsch vieler Eltern nach präzisen, transparenten und verlässlichen Angebotsstrukturen zu begegnen. Dieses Image erschwert manchen Eltern bislang den Zugang. Eine nach innen (in die Netzwerkkoordinationen sowie in der Aus‑, Fort- und Weiterbildung der Familienpatinnen und -paten) oder nach außen (z. B. öffentliche Bewerbung) gerichtete Schärfung kann dazu beitragen, Familien besser anzusprechen und einzubinden. So wünschen sich viele Familien Ansätze und Formen partizipativer Gestaltung. Sie wissen meistens gut, was sie als Unterstützung erleben, bzw. was sie unter einer sinnhaften Begleitung verstehen.

Viele Familien wissen, wo sie Informationen erhalten können. Neben Fachexpertise wünschen sie sich vielmehr soziale Unterstützung. Besonders Familien, die keine Angehörigen in der Umgebung haben, wünschen sich konkrete Hilfe bei der Gestaltung des Alltags. Hierzu zählen einerseits Fragen zur Kinderbetreuung als auch Unterstützung bei bürokratischen Vorgängen. Ein weiteres wichtiges Potenzial des Netzwerks liegt in der adressatengenauen Ansprache von weniger gut sozial integrierten Familien. Hierzu bieten Kurs- und Vortragsangebote eine Möglichkeit in den Austausch mit anderen Familien zu treten.

Limitationen

Eine qualitativ ausgerichtete wissenschaftliche Begleitforschung, die sich formativ der Weiterentwicklung des begleiteten Netzwerks verpflichtet sieht, ist ihrem Wesen nach begrenzt und kann sich der Gefahr des „informed bias“ nicht grundsätzlich entziehen, weil formative wissenschaftliche Begleitungen solche Störgrößen inhärent mit sich bringen [1]. Insofern sind die hier aufgeworfenen Erkenntnisse nicht abschließend, sondern vielmehr ein Ausgangspunkt für vertiefende Hypothesen, die sich nachfolgend in weiteren Studien mit stärkeren Anteilen rekonstruktiver Methodiken vertiefen lassen könnte. Dies könnte u. a. die Prozesse des „Doing Family“ v. a. in der Phase der Familiengründung detaillierter beleuchten, sodass folgend detaillierter dargestellt werden kann, mit welchen Ansätzen und Methoden Leistungen des Netzwerks hier Wirkung entfalten können. Eine solche vertiefte qualitative Forschung könnte die quantitativen Evaluationen [8, 9, 21] u. a. um die Frage der einzelnen Wirkfaktoren unterschiedlicher Unterstützungsformen ergänzen.

Im Rahmen der qualitativen Erhebung wurde die Befragung einer möglichst heterogenen, in den relevanten Merkmalen maximal kontrastierenden Gruppe von Teilnehmenden angestrebt. Heterogenität wurde durch die Teilnahme von Familien aus verschiedenen Regionen (ländlich, städtisch, Stadt-Land-Gefälle) beabsichtigt. Trotz eines Oversamplings von Familien mit niedrigem sozialem Status konnte das Übergewicht von weniger belasteten Familien nicht kompensiert werden.

Es ist nur in einem Fall gelungen, eine Probandin zu interviewen, die Mutter in einer Netzwerkfamilie ist und einen hohen FAI hat. Das aus der Forschung gut belegte Präventionsdilemma [2, 15] zeigt sich deutlich auch in unserem Feldzugang.

Ausblick

Nutzerorientierung dient dazu, gesundheitliche und soziale Angebote nicht anbieter-, sondern nachfrage- bzw. nutzerorientiert vorzuhalten. Die Erhebungen und Analysen im Sinne des Konzepts des „Doing Family“ haben sich dabei als nützlich erwiesen, um Perspektiven der Familien aufzuzeigen.

Insgesamt zeigt sich der hier begonnene Forschungsansatz der familiären Gesundheitsförderung als ergiebig und kann dazu beitragen, das Wissen um Gelingensfaktoren zu verbreiten und weiterzuentwickeln. Der Ansatz sollte nach Möglichkeit, angelehnt an hier bereits explorierte Erkenntnisse aus dem NGK in Brandenburg und darüber hinaus fortgeführt und vertieft werden.

Fazit für die Praxis

Mit der Umsetzung des NGK zeigen die politisch Verantwortlichen im Land Brandenburg eine umfassende Wertschätzung für Familien und deren Wünsche und Bedürfnisse. Im Sinne des gerade auch für die familiäre Gesundheitsförderung hoch relevanten Ansatzes des „health in all policies“ ist die intersektorale Ausrichtung und das explizite politische Bekenntnis zu begrüßen und sollte weiter verstärkt werden, möglichst auch in anderen Bundesländern.

Zur Weiterentwicklung kommunaler und familiärer Gesundheitsförderung wurden die nachfolgenden Handlungsempfehlungen formuliert:

  • Stärkung der Familien durch die Wahrnehmung subjektiver Realitäten und ihrer alltäglichen Herstellungsleistungen von Gemeinschaft mittels Ressourcenanalysen, positiver Ausgestaltung und Explizierung der impliziten Wünsche der Familien zur eigenen Lebens- und Familiengestaltung.

  • Stärkung der Familienpatinnen und -paten durch Aus‑, Fort- und Weiterbildung inklusive Supervision sowie durch Bereitstellung/weiteren Ausbau struktureller Rahmenbedingungen (niedrigschwellige Angebote, Treffpunkte, Bereitstellung weiterer Incentives etc.).

  • Stärkung der Netzwerkkoordinationen mit dem Ziel einer umfassenden Bereitstellung der für Familienpatinnen und -paten (als Mediatorinnen und Mediatoren) und für Familien (als Endadressatinnen und Endadressaten) fördernden Ressourcen.

  • Transparenz über kommunale und netzwerkspezifische Angebote.

  • Relevante Informationen sollten intensiver gebündelt und vermittelt werden.

  • Verstärkte Orientierung an den Bedarfen der Familien, insbesondere bei der Vernetzung mit anderen Familien.