FormalPara Originalpublikation

De Jong A et al (2022) Videolaryngoscopy as a first-intention technique for tracheal intubation in unselected surgical patients: a before and after observational study. Br J Anaesthesia 129(4):624–634.

FormalPara Was ist bekannt?

Das Videolaryngoskop ist ein potenziell hilfreiches Instrument zur Durchführung einer endotrachealen Intubation.

FormalPara Was ist nicht bekannt?

Der Nutzen des Videolaryngoskops gegenüber einem klassischen Laryngoskop wurde bei unselektierten Patient:innen bisher nicht untersucht.

FormalPara Was ist neu?

Verglichen mit dem Standard-Macintosh-Laryngoskop führt der Einsatz eines Macintosh-Videolaryngoskops zu einer höheren Rate von einfachen Intubationen.

Einleitung

Das Standard-Macintosh-Laryngoskop ist das Standardinstrument für das Atemwegsmanagement durch Anästhesist:innen. Weltweit gibt es Empfehlungen, dass Anästhesist:innen in der Anwendung eines Videolaryngoskops trainiert sein sollten. Letzteres sollte unverzüglich zur Verfügung stehen. Nach Implementierung des Videolaryngoskops sinkt die Wahrscheinlichkeit einer gescheiterten endotrachealen Intubation durch geübte Anwender signifikant. Es gibt starke Evidenz, dass eine verzögerte, schwierige oder fehlgeschlagene Intubation mit Schaden und Tod der Patient:innen assoziiert ist. Über 90 % der schwierigen Intubationen sind unvorhergesehen. Videolaryngoskope werden häufig als Mittel 2. Wahl oder als Backup(Rescue)-Strategie bei schwieriger Intubation eingesetzt. Nur wenige Zentren verwenden ein Videolaryngoskop als Mittel 1. Wahl bei Intubationen von unselektierten Patient:innen.

Der Nutzen des Videolaryngoskops als Atemwegsmanagementinstrument 1. Wahl gegenüber einem klassischen Laryngoskop wurde bisher bei unselektierten Patient:innen nicht untersucht. Das Hauptziel dieser Studie war es zu prüfen, ob bei Implementierung eines Macintosh-Videolaryngoskops als Mittel 1. Wahl der Anteil eines einfachen Atemwegs zunimmt.

Methodik

Die Studie wurde in zwei Lehrkrankenhäusern der Universitätsklink Montpellier (Sant-Eloi, operative Fächer: abdominelle Chirurgie, Endoskopie des Gastrointestinaltrakts, interventionelle Radiologie und Lapeyronie: Orthopädie, plastische Chirurgie, Traumatologie, Urologie) durchgeführt. Beide Krankenhäuser befinden sich in Montpellier, die Anästhesieteams sind getrennt. Alle konsekutiven Intubationen bei Erwachsenen im Operationssaal (OP) zwischen März 2017 und September 2020 wurden eingeschlossen. Bronchoskopische Intubationen wurden ausgeschlossen. Die Studie sah vor, dass das Videolaryngoskop als Methode 1. Wahl bei einer Intubation angewandt wird. Die Patient:innenkohorte wurde in drei Zeiträume geteilt:

  • Prä-Interventionsperiode (18 Monate)

  • Implementierungsperiode (6 Monate)

  • Post-Interventionsperiode (18 Monate)

In der Prä-Interventionsperiode wurde ein Standard-Macintosh-Laryngoskop routinemäßig als Instrument 1. Wahl in allen OP angewendet. Ein Glidescope stand als Mittel 2. Wahl und Rescue-Instrument zur Verfügung.

In der Implementierungsperiode stand ein Videolaryngoskop (McGrath Mac, Medtronic Covidien, Minneapolis, MN, USA) in jedem OP in beiden Krankenhäusern zur Verfügung. Die Intubateur:innen hatten keine oder nur geringe Erfahrung mit dem Videolaryngoskop. Das Videolaryngoskop wurde allen Intubateur:innen vorgeführt. In einem Krankenhaus, dem konformen (compliant) Krankenhaus (Saint-Eloi), waren zwei Koautor:innen/Anästhesist:innen in einem 2‑Wochen-Zeitraum anwesend und schulten täglich die Mitarbeiter:innen im Umgang mit dem Videolaryngoskop (zuerst am Phantom, dann an Patient:innen) und gaben Tipps. Zumindest die Hälfte aller Intubationen sollte mit dem Videolaryngoskop durchgeführt werden. Im zweiten nicht konformen (non-compliant) Krankenhaus (Lapeyronie) wurde kein spezifisches Training oder Anreiz für den Einsatz des Videolaryngoskops gegeben. Die Wahl des Intubationsinstruments war freigestellt. Dieses Krankenhaus diente als Kontrollgruppe.

Die Intubation wurde von Fach- oder Assistenzärzt:innen, einer zertifizierten Anästhesiepflegeperson (nurse anaesthetist) bzw. einer auszubildenden Anästhesiepflegeperson (student nurse anaesthetist) durchgeführt. Anästhesietechnik und Einsatz von Hilfsmitteln, z. B. Mandrin, Bougies, war den Intubateur:innen freigestellt.

Primäres Studienziel war der Anteil von einfachem Atemweg an allen Intubationen, im Umkehrschluss zum schwierigen Atemweg entsprechend der ASA(American Society of Anesthesiology)-Definition. Sekundäre Endpunkte waren Anteil von Notwendigkeit einer Rescue-Technik, Cormack-Lehane-Grad 3 oder 4 und schwierige Intubation.

Um einen 2‑%-Unterschied bei leichtem Atemweg zwischen Prä- und Post-Interventionsphase zu finden (von 94 auf 96 %), wurde eine Fallzahl von 4262 pro Periode berechnet. Insgesamt wurden 9000 Intubationen eingeplant, um Dropouts und fehlende Daten zu kompensieren. Diverse statistische Verfahren inkl. multivariater logistischer Regression wurden angewendet. Um Unterschiede über die Zeit zu kompensieren, wurden die gleichen Zielparameter in der Kontrollgruppe (nicht konformes Krankenhaus) bestimmt. Ein p < 0,05 wurde als signifikant erachtet.

Ergebnisse

Insgesamt wurden in der Studienperiode 26.692 Intubationen bei 22.292 Patient:innen durchgeführt (Abb. 1). Die demografischen Charakteristiken der zwei Krankenhausgruppen und in den Perioden waren zwischen Prä- und Post-Intervention klinisch ähnlich. Die Verwendung von Rapid-Sequence-Induktion, neuromuskulärer Blockade und Mandrins erfolgte in der Post-Interventionsperiode häufiger.

Abb. 1
figure 1

Flowchart der Studie

Im konformen Krankenhaus nahm der Anteil eines leichten Atemwegs von 94,3 % (5177 von 5487) auf 98,7 % (4547 von 4606) zu (+4,4 % (95 % CI 3,7–5,1 %), p < 0,001; Abb. 2). In der Post-Interventionsperiode war die Intubation häufiger mit einem einfachen Atemweg assoziiert (OR 4,79; 95 % CI 3,61–6,35). Eine Rescue-Technik oder ein schwieriger Atemweg traten in der Post-Interventionsperiode seltener auf (87 von 4606; 1,9 % vs. 296 von 5487; 5,3 %, p < 0,001).

Abb. 2
figure 2

Anstieg des Anteils an einfachem Atemweg zwischen Post- und Prä-Interventionsperiode im konformen (links) und nicht konformen Krankenhaus (rechts)

Im konformen Krankenhaus nahm in der Post-Interventionsperiode der Anteil an Cormack-Lehane-Graden 3 und 4 ab, ebenso der Anteil an Intubationen mit Rescue-Technik und an schwierigen Intubationen. Im nicht konformen Krankenhaus wurden weder bei den primären noch sekundären Studienzielen signifikante Veränderungen zwischen Prä- und Post-Interventionsperiode festgestellt.

Diskussion

Die Implementierung eines Videolaryngoskops bei der Intubation von unselektierten Patient:innen als Instrument 1. Wahl im OP war assoziiert mit einer Zunahme des Anteils an leichten Atemwegen und Intubationen. Zudem verminderte sich der Anteil an Rescue-Techniken und schwierigen Intubationen und die Sicht auf die Glottis verbesserte sich. Im gleichen Zeitraum war kein Unterschied bei den erwähnten Parametern im nicht konformen Krankenhaus feststellbar.

Zahlreiche klinische Studien stützen die Erkenntnisse dieser Studie. Ein begleitendes Editorial (Cook TM, et al. Br J Anaesth. 2022;128(4):474–477) schildert eindrücklich die Vorteile der Videolaryngoskopie gegenüber der konventionellen Laryngoskopie. Diverse Expert:innen und Gesellschaften empfehlen bereits die Videolaryngoskopie als Methode 1. Wahl bei allen Intubationen. Intubateur:innen sollten geübt sein in der Verwendung eines Videolaryngoskops mit Macintosh-Spatel und kompetent, wenn nicht gar Expert:innen bei der Verwendung eines Videolaryngoskops mit hyperanguliertem Spatel. Videolaryngoskopie ist mittlerweile eine Kernkompetenz des modernen Atemwegsmanagements. Universelle Verfügbarkeit und Training sind notwendig, um diese Kompetenz zu gewährleisten.

Stärken.

Klinische Studie mit großer Fallzahl über 3 Jahre. Diverse Anwender:innen: Anästhesist:innen und Anästhesiepflegepersonen mit viel oder wenig Erfahrung; Intubationen tags und nachts sowie bei elektiven und Notfalloperationen, Übertragbarkeit auf alle Intubateur:innen im OP.

Limitationen.

Observationsstudie, die aber dem wahren klinischen Alltag entspricht. Studien zur Kosteneffizienz der Videolaryngoskopie fehlen. Ob Videolaryngoskopie vor COVID-19 schützt, wurde nicht nachgewiesen. Es wurde nicht erfasst, welche Anwendergruppen die Videolaryngoskopie mehr implementiert haben. Die chirurgischen Schwerpunkte variierten zwischen beiden Krankenhäusern.

Zusammenfassung

Der Einsatz eines Videolaryngoskops als Instrument 1. Wahl erhöht die Wahrscheinlichkeit eines einfachen Atemweges und senkt die Wahrscheinlichkeit für den Einsatz einer Rescue-Technik, einer schlechten Glottissicht und einer schwierigen Intubation. Die Implikationen könnten weltweit von Bedeutung sein.