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Strukturelle Disparitäten. Eine vergleichende Diskussion zur Konzeptualisierung des Inklusionsbegriffs in Pädagogik und Fachdidaktik

Structural disparities. A comparative discussion about the conceptualisation of inclusion as a concept in the fields of pedagogy and didactics

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Zusammenfassung

Spätestens seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Modellierung inklusiver Bildungsprozesse zu einem bildungspolitischen und wissenschaftlichen Leitthema mit hoher Verbindlichkeit avanciert. Das hat zur Folge, dass die Diskussion stärker interdisziplinäre Züge entwickelt und z. B. auch die Fachdidaktiken einbezieht. Im vorliegenden Beitrag werden die Diskurse zur inklusiven Bildung in der (inklusiven) Pädagogik und den Fachdidaktiken verglichen. Dabei wird die Frage diskutiert, inwiefern prinzipielle Differenzen bei der Modellierung inklusiver Lernarrangements im Zusammenhang mit den strukturellen Eigenlogiken der verschiedenen Disziplinen stehen und was sich daraus für die Diskussion um das Verhältnis von inklusiver Bildung und fachlichem Lernen ableiten lässt.

Abstract

At the very latest since the ratification of the UN Disability Rights Convention the modelling of inclusive education processes has become an urgent guiding theme in educational policy and scholarly research. The consequence is that the overall discussion evolves into a more interdisciplinary exchange which also includes subject didactics. This article compares the scientific discourses in the fields of (inclusive) pedagogy and subject didactics. The article centres on the question in what way the general differences of modelling inclusive learning environments are connected to the structural inner logic of various disciplines. Furthermore the consequences for a discussion about the relation between inclusive education and professional learning will be focused.

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Notes

  1. Diese drei Begriffe deuten die Vielfalt unterrichtlicher Zielgegenstandsmodellierungen lediglich an. Je nach paradigmatischer Ausrichtung kann das eine oder das andere Begriffskonstrukt passender erscheinen. Hier stehen sie lediglich als begriffliche Platzhalter für die jeweiligen Vorstellungen dessen, was gelernt werden soll.

  2. So haben Pädagogik und Fachdidaktik nicht nur unterschiedliche Gegenstandsbereiche und – bezogen auf die Schule – Fokussierungsperspektiven auf Unterricht, sie leiten ihre Inhalte auch aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen (Erziehungswissenschaft, Fachwissenschaft etc.) und den damit verbundenen paradigmatischen Prämissen und Heuristiken ab.

  3. Ich hoffe damit auch dem Vorwurf zuvor zu kommen, dass eben dieses Problem ja auch dem vorliegenden Aufsatz eigen sei. Neben dem Verweis auf den begrenzten Umfang scheint mir jedoch der Hinweis auf die diskursinitiierende Funktion eines Diskussionsbeitrags in einer Fachzeitschrift ein ausreichendes Argument zu sein, die hier angesprochenen Verkürzungen vornehmen zu können, um eine Diskussion zu ermöglichen.

  4. Dieser Verzicht hat eine rhetorische und diskurslogische Funktion. Ich habe durchaus eine ganze Reihe eigener konzeptioneller Publikationen zum Thema vorgelegt, die hier jedoch aufgrund des dominanten Diskurscharakters des Textes bewusst nicht als Lösungsvorschläge herangezogen werden. Vielmehr versuche ich mich eher auch als Teil des (Diskurs‑)Problems zu verorten und damit auch selbstkritisch zu agieren, um eine erkenntnisleitende Perspektive zu eröffnen.

  5. International sind bezogen auf den Inklusionsbegriff noch einmal ganz andere begriffliche Schwerpunktsetzungen zu beobachten. Zudem sind die Fachdidaktiken international z. T. erheblich anders strukturell aufgestellt, was die Vergleichbarkeit einschränkt und daher diese Eingrenzung hier sinnvoll erscheinen lässt.

  6. Hinweis: Die hier geführten Diskussionen müssten, um umfassend die interdisziplinären Bedingungen der Lehrer*innenbildung bearbeiten zu können, auch andere Disziplinen wie die sonderpädagogischen Fachrichtungen und die pädagogische Psychologie mit einbeziehen. Dass das hier nicht geschehen ist, hat verschiedene Gründe und soll vor allen Dingen der Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit dienen.

  7. Die zentrale pädagogische Bedeutung der Optimierung wurde 2020 u. a. durch den DGFE-Kongress an der Universität zu Köln pointiert herausgestellt: https://www.dgfe.de/dgfe-kongresse.html (19.05.2020).

  8. Eine geeignete Einführung des für den Inklusionsdiskurs zentralen Konstrukts der Heterogenität in schulpädagogischer Perspektive findet sich bei Budde (2017).

  9. Vgl. deutsche Homepage der PISA-Studien: https://www.bmbf.de/de/pisa-2018-deutschland-stabil-ueber-oecd-durchschnitt-10349.html (02.05.2020).

  10. Auch wenn statistische Zusammenhänge z. B. zwischen Migration und sozialer Lage einerseits und den Förderschwerpunkten Sprache und Lernen andererseits nicht von der Hand zu weisen sind.

  11. Das Konstrukt der Risikogruppe wird vielfach aufgegriffen, muss aber kritisch hinterfragt werden. So verweisen Bos et al. bei der Auswertung der IGLU-Ergebnisse beispielsweise darauf, dass eine enge Korrelation von Migration und Lesekompetenzentwicklung nur in Abhängigkeit zur sozialen Lage hergestellt werden kann, weshalb von einem pauschalen und stigmatisierenden Risikofaktor Migration nicht gesprochen werden kann (Bos et al. 2012, S. 18). Hier wird der Begriff lediglich als Diskursmotiv aufgegriffen und verwendet.

  12. Das zeigt sich im Übrigen auch auf den entsprechenden Treffen der Disziplinen. Auf einer fachdidaktischen Tagung treten Inklusionpädagog*innen bestenfalls als einführende Hauptredner*innen auf, auf einer Tagung der Inklusionspädagogik finden sich nur selten Fachdidaktiker*innen.

  13. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit abweichenden Schreibungen im Rechtschreibunterricht. Während diese dem öffentlichen Maßstab des fehlerfreien Schreibens widersprechen und pauschal negativ beurteilt werden, werden sie im didaktischen Kontext eher differenzierter unter dem Gesichtspunkt der Aneignung und zunehmenden Annäherung an die Normschreibung beurteilt und entwicklungsorientiert eingeordnet. Die immer wiederkehrenden Diskussionen um dieses Thema zeigen aber exemplarisch auch, dass diese facheigenen Programmatiken keine wirkliche Relevanz bei einer weiteren Diskursivierung in der Öffentlichkeit haben.

  14. Projekthomepage: https://www.qualitaetsoffensive-lehrerbildung.de (02.05.2020).

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Ritter, M. Strukturelle Disparitäten. Eine vergleichende Diskussion zur Konzeptualisierung des Inklusionsbegriffs in Pädagogik und Fachdidaktik. ZfG 14, 99–111 (2021). https://doi.org/10.1007/s42278-020-00092-6

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