Psychiatrische Gründe liegen bei 5-10 % der Menschen vor, die eine Notfallambulanz eines Krankenhauses aufsuchen. Die S2k-Leitlinie Notfallpsychiatrie definiert den psychiatrischen Notfall als medizinische Situation, in der das akute Auftreten oder die Exazerbation einer psychiatrischen Störung zu einer unmittelbaren Gefährdung von Leben und Gesundheit des Betroffenen und/oder seiner Umgebung führt und sofortige Diagnostik und/oder Therapie notwendig ist [1]. Daten zu diesem wichtigen Versorgungsbereich aus Deutschland liegen nur spärlich vor. Nach aktuellen Zahlen der Notfallambulanz der Uniklinik Hannover finden sich im Diagnosespektrum psychiatrischer Notfälle circa 25 % Alkoholerkrankungen, 20 % Depressionen oder bipolare Störungen und etwa 19 % Erkrankungen aus dem Schizophreniespektrum, oft mit Suizidalität oder Fremdgefährdung. Sieben von zehn Menschen mit diesen psychiatrischen Hauptdiagnosen in einer Notaufnahme werden akut psychiatrisch stationär aufgenommen [2].

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Schwierige Situation

Die Gründung von Notfallpraxen ohne fachpsychiatrische Beteiligung hat die schwierige Situation der zunehmenden Inanspruchnahmen der Notfallambulanzen der Kliniken nicht entlastet. Die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat sich dem Thema Notfallversorgung an mehreren Stellen angenommen. Dabei wird in der achten Stellungnahme der Kommission auf eine ausgebaute Bettensituation in den „Psych“-Fächern (76.000 Betten) hingewiesen. Ob alle diese bettenführenden Einheiten Notfallpatienten 24 Stunden/Tag und sieben Tage pro Woche aufnehmen, kann aber hinterfragt werden. Je kleiner die Einheit, desto unwahrscheinlicher ein funktionierender Aufnahmedienst. Der Aufbau von größeren psychiatrischen Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern hat die psychiatrische Kompetenz der jeweiligen Krankenhäuser gestärkt. Aber nicht jedes Krankenhaus wird eine psychiatrische Abteilung aufbauen. Nach Vorschlag der Kommission sollen diese Krankenhäuser mit psychiatrischen Abteilungen oder Kliniken kooperieren und sich zum Beispiel telemedizinisch vernetzen. In der neunten Stellungnahme der Kommission wird die Einrichtung eines psychiatrisch-psychosozialen Krisendienstes für komplexe Fälle als spezielle ambulante Notfallversorgung (SANV) empfohlen. Offen sollte bleiben, ob angestellte Psychiaterinnen und Psychiater aus Fachkliniken heraus (telemedizinisch) dies leisten (können) oder ob Konsilleistungen aus dem niedergelassenen Bereich in der Fläche etabliert werden können.

Fachärztliche Ausbildung und mehr Forschung dringend geboten

Für die spannende und herausfordernde Aufgabe der Notfallpsychiatrie sollte eine Ausbildung zur Fachärztin oder zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie befähigen. Ohne Erfahrungen in einem akuten Dienstgeschehen ist diese Kompetenz aber kaum zu erwerben. Die notfallpsychiatrische Versorgung ist angesichts des Erkrankungsspektrums auf Dauer weder durch Psychotherapeutinnen noch durch Neurologen zu leisten, die aufgrund der Erfahrungen ihres psychiatrischen Jahres bisher eine Mitabdeckung übernehmen.

Neben der Unbequemlichkeit von Nacht- und Wochenenddiensten stellt die komplexe Notfallsituation aus psychiatrischer Erkrankung, rechtlicher Situation, somatischen Faktoren und eventueller Notwendigkeit einer Notfallmedikation eine Herausforderung dar. Auf Forschung aufbauende Leitlinien haben für Notfälle wie Herzinfarkt oder Schlaganfall Unsicherheiten reduziert und die Behandlungsergebnisse verbessert. Mehr Forschung in der Notfallpsychiatrie ist dringend geboten, denn sie darf nicht zu einem Notfall der psychiatrischen Versorgung werden. Mit Interesse fällt daher der Blick auf die anstehende Überarbeitung der Leitlinie Notfallpsychiatrie.

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Prof. Dr. med. Michael Hüll

Klinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie Emmendingen

m.huell@zfp-emmendingen.de