Im folgenden BeitragFootnote 1geben wir einen Aufriss zum deutschen Kinderschutzsystem. Dieses ist im Kontext der Sozialen Arbeit in die Gesamtlogik der Kinder- und Jugendhilfe als sozialstaatlich garantierte Leistung eingebettet. Der Text basiert auf einem Vortrag, den wir anlässlich eines Symposiums zum internationalen Vergleich von Kinderschutzsystemen gehalten haben. Zur Verbesserung der Vergleichbarkeit, auch im Kontext des vorliegenden Schwerpunkts, orientieren wir uns an den folgenden Eckpunkten: Rechtliche Grundlagen und Leistungsformen im Kinderschutz, Institutionen, Akademische Qualifikationen, Kernprozesse und Standards sowie aktuelle Herausforderungen und Debatten. Dabei fragen wir: Was macht Kinderschutz in Deutschland aus?

Das deutsche Kinderschutzsystem basiert auf einer Vielzahl von Gesetzestexten – zu viele, um sie hier nur annährend hinreichend zu diskutieren. Einige Eckpunkte seien aber doch benannt. Grundlegende Schutzrechte, wie z. B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit werden im deutschen Grundgesetz formuliert (z. B. GG, Art. 2). Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) enthält mit dem § 1666 die im Kontext des Kinderschutzes vielzitierte Norm, in der die Eingriffsbefugnisse der Familiengerichte in die elterliche Sorge bei Gefährdung des Kindeswohls geregelt sind. Das Strafgesetzbuch definiert Tatbestände, die (sexuelle) Gewalt gegen Kinder, ihre Vernachlässigung und Misshandlung unter Strafe stellen. Die UN-Kinderrechtskonvention, die die BRD ratifiziert hat, garantiert Kindern darüber hinaus umfangreiche Rechte auf Schutz ihres Wohlergehens (Art. 2, 3, 21, 22, …), der Gleichbehandlung (Art. 2, 30), der Partizipation und der Berücksichtigung ihres Willens in allen sie betreffenden Belangen (Art. 12) – auch im Kinderschutz. Nicht zuletzt wurden 2012 ein Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) und als Teil dessen das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) in Deutschland verabschiedet.

Kinder- und Jugendhilfegesetz – auch im Kinderschutz zentral

Die bedeutendste Gesetzesgrundlage für das deutsche Kinderschutzsystem ist jedoch, zumindest aus Sicht Sozialer Arbeit, das Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), welches im Jahr 2021 mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) novelliert und konkretisiert wurde. Zentral waren dabei die Stärkung der Rechte von Kindern, Jugendlichen, Care Leavern und Eltern, aber auch Möglichkeiten der selbstorganisierten Interessenvertretung, das Angebot an bundesweiten Ombudschaftsstellen sowie Informationspflichten im Kinderschutz. Das SGB VIII ist ein Leistungs‑, Ordnungs- und Organisationsgesetz. Die Leistungen bestehen einerseits aus individuellen Rechtsansprüchen auf Hilfe und Unterstützung, auf welche die Personensorgeberechtigten, das sind zumeist Eltern, beim Vorliegen der entsprechenden Tatbestandvoraussetzungen einen sozialrechtlichen Anspruch haben und die auch einklagbar sind (dies sind z. B. die Hilfen zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII, siehe auch den Abschnitt „Leistungsformen im Kinderschutz“ in diesem Beitrag). Andererseits werden im SGB VIII objektive Rechtsansprüche zur Gewährleistung einer sozialräumlichen Infrastruktur geregelt, die dazu dient, das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen sowie Familien zu unterstützen. Für den Schutz von Kindern sind diese sozialrechtlich garantierten Leistungen im Rahmen des Angebotsspektrums der gesamten Kinder- und Jugendhilfe zur Prävention und Intervention von Bedeutung. Unter den Aspekt der Ordnung fallen die so genannten „anderen Aufgaben“, zu denen u. a. die Inobhutnahme von Kindern bei einer akuten Gefährdung ihres Wohls gehört. Hier ist von Bedeutung, dass das Verhältnis zwischen Familie und Staat ein subsidiäres ist (GG, Art 6). Die Eingriffsrechte in die Autonomie von Familien u. a. in die elterliche Sorge sind eng geregelt und obliegen den Familiengerichten. Die Jugendämter müssen bei einer Inobutnahme unverzüglich mit den Kindern und deren personensorgeberechtigten Eltern die Situation klären. Sie müssen des Weiteren den Familien geeignete Hilfen zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung und zur längerfristigen Unterstützung und Stabilisierung anbieten, die dann wiederrum in den Bereich des Sozialleistungsrechts fallen. Dies bedeutet, dass eine staatliche Intervention lediglich temporär erfolgen darf und nur solange, bis die Eltern das Sorgerecht wieder wahrnehmen können oder, wenn dies nicht möglich ist, das Familiengericht über die Wahrnehmung der elterlichen Sorge entscheidet und ggf. auch eine andere Person bzw. eine Vormundschaft dafür einsetzt. Als Organisationsgesetz schafft das SGB VIII die Voraussetzungen für eine vergleichbare Struktur der Kinder- und Jugendhilfe in der föderalen Bundesrepublik Deutschland. Realisiert wird diese u. a. mit der Einrichtung von Jugendämtern und der Zweigliedrigkeit des Jugendamts, bestehend aus dem politischen Gremien Jugendhilfeausschuss und der Verwaltung. Die konkrete Umsetzung findet auf Länder- und kommunaler Ebene statt. Vor allem die Kommunen sind für die Angebote und die Finanzierung der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe verantwortlich. Da die Kommunen unterschiedlich ausgestattet sind und dies auch die finanziellen Ressourcen betrifft, variiert die Umsetzung des Bundesgesetzes. Es wird in diesem Zusammenhang (auch) von regionalen Disparitäten gesprochen. Die Verantwortung für die Umsetzung der gesamten Aufgaben aus dem SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe und damit auch für die Realisierung des Kinderschutzes haben die Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe (das sind vor allem die kommunalen Jugendämter). Die Leistungen werden sowohl von öffentlichen als auch von freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe erbracht, wobei mit den Entwicklungen des New Public Management Ende der 90er-Jahre die Angebote inzwischen bundesweit überwiegend von den freien Trägern zur Verfügung gestellt werden. In einigen Kommunen gibt es in den letzten Jahren unter Beibehaltung des Subsidiaritätsprinzips dazu allerdings wieder gegenläufige Bewegungen.

Laut dem SGB VIII bestehen starke Beteiligungsrechte der Eltern und zunehmend auch der Kinder bei der Inanspruchnahme von Hilfen, der Auswahl der Angebote und deren Planung und Ausgestaltung (Wunsch und Wahlrecht; Hilfeplanung), die allerdings unterschiedlich realisiert werden, da es (bisher) weitgehend an geeigneten Verfahren der Beteiligung fehltFootnote 2. Zur Wahrnehmung des Schutzauftrags der Kinder- und Jugendhilfe wird das Verfahren der Gefährdungseinschätzung zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung bei „gewichtigen Anhaltspunkten“ (§ 8a SGB VIII) geregelt, wobei dazu auf das Leistungsangebot an Hilfen insbesondere auf die Hilfen zur Erziehung gem. § 27 Abs. 1 i. V. m. §§ 28–35 SGB VIII sowie bei akuter Handlungserfordernis zum Schutz des Kindes bzw. der Kinder auf die Inobhutnahme gem. § 42 SGB VIII zurückgegriffen wird. In diesem Zusammenhang kann die Situation entstehen, dass auf Familien, insbesondere auf die Eltern, ein hoher sozialer Druck ausgeübt wird, die Hilfen ‚freiwillig‘ anzunehmen. An anderer Stelle wird auch von ‚Zwangskontext‘ gesprochen, obwohl Eltern die Leistungen im Rahmen ihres Rechtsanspruchs auf Hilfe als eine Sozialleistung selbst beantragen (müssen). Hilfen dürfen nämlich nicht durch das Jugendamt angeordnet werden. Eingriffe in die elterliche Sorge sowie Auflagen dürfen nur vom Familiengericht verfügt werden. Aufgaben im Kinderschutz werden also nicht nur durch die Jugendämter, in denen Sozialarbeiter_innen tätig sind, wahrgenommen, sondern auch durch andere Professionen. Deshalb ist die (gelingende) Kooperation im Kinderschutz von zentraler Bedeutung (zusammenfassend für diesen Teil Rätz et al. 2022; Wiesner und Wapler 2022; Böllert 2018).

Leistungsformen im Kinderschutz

Die Hilfen zur Erziehung gem. § 27 Abs. 1 i. V. m. §§ 28–35 SGB VIII sind für den Kinderschutz von besonderer Bedeutung, da mit ihnen ein Leistungsspektrum an ambulanten, teilstationären und stationären Angeboten formuliert wird: Von der Erziehungsberatung (§ 28), über die soziale Gruppenarbeit (§ 29), die Erziehungsbeistandschaft (§ 30), die Sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31), bis hin zur Erziehung in der Tagesgruppe (§ 32), der Vollzeitpflege (§ 33), der Heimerziehung/sonstige betreute Wohnform (§ 34) oder der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung (§ 35). Zudem werden hier im Anschluss wichtige Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte von Nutzer_innen im Zuge des Hilfeplanverfahrens formuliert, die auch im Kinderschutz eingehalten werden müssen (§§ 5, 8, 36 ff) sowie fachlich und ethisch relevant sind (Ackermann 2022). Darüber hinaus werden Leistungen der öffentlichen Gewährleistung definiert, die als Angebote für präventiven Kinderschutz verstanden werden können, so etwa zur Allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie und der Familienbildung (§ 16), Familienerholung, Beratung in Fragen der Partnerschaft und bei Trennung, Scheidung (§ 17), aber auch die Förderung der Kinder in Tagessstätten und der Kindertagespflege, die auch der Unterstützung und Entlastung der Eltern dienen und auf die es inzwischen einen Rechtsanspruch gibt (§ 22 ff) sowie die offenen (Kinder- und) Jugendarbeit (§ 11). Nicht zuletzt gibt es in diesem präventiven Bereich die ‚Frühen Hilfen‘, die aus einem Bundesprogramm gefördert werden und in der Kooperation der Kinder- und Jugendhilfe mit dem Gesundheitswesen auf kommunaler Ebene angeboten und von den Familien freiwillig genutzt werden.

In Kapitel drei des SGB VIII werden die hoheitlichen Aufgaben als „andere Aufgaben der Jugendhilfe“ definiert, die insbesondere „Vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen“ (Drittes Kapitel, erster Abschnitt SGB VIII) umfassen. Hierzu zählen die bereits oben erwähnte „Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen“ (§ 42), sowie „Verfahren zur Verteilung unbegleiteter ausländischer Kinder und Jugendlicher“ (§ 42 b), aber auch bspw. der „Schutz von Kindern in Familienpflege und in Einrichtungen“ (Drittes Kapitel, zweiter Abschnitt SGB VIII) sowie die „Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren“ (Drittes Kapitel, dritter Abschnitt SGB VIII) und die „Beistand, Pflegschaft und Vormundschaft für Kinder und Jugendliche“ (Drittes Kapitel, vierter Abschnitt SGB VIII).

Institutionen im deutschen Kinderschutzsystem

Eine Besonderheit des deutschen Kinderschutzsystems besteht in seiner kommunalen Organisation, mit über 550 Jugendämtern, länderbezogenen Regelungen und lokalen Organisationskulturen. Jugendämter halten typischerweise Allgemeine Soziale Dienste (ASD) oder auch Regionale Soziale Dienste (RSD) vor, die die sozialarbeiterische und -pädagogische Fallarbeit leisten und auch in Kinderschutzfällen zuständig sind. Regional unterschiedlich werden Spezialdienste, z. B. für die Bearbeitung des Falleingangs oder für die Bearbeitung von Kinderschutzfällen eingesetztFootnote 3. Die konkreten Hilfen werden vielerorts von den freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe erbracht. Sowohl bei den Jugendämtern, den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, als auch bei den freien Trägern sind an aller erste Stelle Angehörige der Profession Sozialer Arbeit tätig. Freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe sind eigenständige, nicht vom Staat weisungsgebundene, Organisationen mit unterschiedlichen weltanschaulichen, konfessionellen Orientierungen oder privat-gewerbliche, die überwiegend in den Rechtsformen eingetragener Verein (e. V.), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und als Stiftungen vorkommen. Um Leistungen, die im SGB VIII geregelt sind und den Aufgabenbereich der Jugendämter umfassen, als freie Träger anbieten zu können, bedarf es einer Anerkennung gem. § 75 SGB VIII. Nur mit dieser Anerkennung können Leistungs‑, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen getroffen werden.

Über die Kinder- und Jugendhilfe hinaus sind weitere Akteur_innen und Professionen im Kinderschutz mit jeweils eigenen Aufgaben und Zuständigkeiten tätig. Dies sind u. a. Medizin, insb. Pädiatrie, Polizei, Strafjustiz, Familiengericht, Rechtsmedizin, Kinderschutzambulanzen. Die Soziale Arbeit im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist die einzige Profession, deren Kernaufgabe darin besteht, den Familien konkrete lebensweltbezogene Hilfen und Unterstützung auf der Basis des SGB VIII anzubieten. Dies auch zur Abwendung von Kindeswohlgefährdungen.

Akademische Qualifizierung

Die akademische Qualifizierung für die Soziale Arbeit erfolgt in Deutschland mit einem Bachelor-Studium. Der Berufseinstieg erfolgt also nicht erst nach dem Masterabschluss, wie dies in anderen Ländern teilweise der Fall ist (vgl. z. B. Baldschun in diesem Schwerpunkt). (Fach‑)Hochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) bieten BA-Studiengänge an, die mit dem Titel „Sozialarbeiter_in“ oder „Sozialarbeiter_in/Sozialpädagog_in“ abgeschlossen werden. Ebenso werden BA-Studiengänge der Sozialpädagogik an Universitäten angeboten. Masterstudiengänge gibt es sowohl an (Fach‑)Hochschulen resp. HAW als auch an Universitäten.

Die Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe resp. im Kinderschutz fallen unter das Fachkräftegebot und sind in der Regel von staatlich anerkannten Sozialarbeiter_innen auszuüben. Außerhalb der Regel fallen Personen mit gleichwertigen Abschlüssen im sozialen resp. pädagogischen Bereich, deren Anerkennung jedoch vom jeweiligen Bundesland und personenbezogen vorgenommen wird.Footnote 4

Einen nicht gelösten Sachverhalt stellt die Anerkennung der universitär erworbenen Bachelorabschlüsse „Sozialpädagogik“ dar, welche den staatlich anerkannten Sozialarbeiter_innen in etlichen Bundesländern Deutschlands nicht gleichgestellt werden und deren Absolvent_innen dadurch geringere Berufschancen haben. An einigen Universitäten werden jedoch BA-Studiengänge angeboten, die auf eine staatliche Anerkennung hinführen. Bei freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe sind die Möglichkeiten zumeist vielfältiger mit einem nicht einschlägigen Abschluss in der Tätigkeit als staatlich anerkannte Sozialarbeiter_in beschäftigt zu werden. Wurden in den Jugendämtern jahrzehntelang ausschließlich staatlich anerkannten Sozialarbeiter_innen eingestellt, verflüssigt sich dies zunehmend vor dem Hintergrund des anhaltenden Fachkräftemangels. Die Masterstudiengänge, die bundesweit zum Erwerb des zweiten akademischen Abschlusses angeboten werden, führen nicht zur Berufsbefähigung in der Sozialen Arbeit resp. Kinder- und Jugendhilfe/Kinderschutz. Sie werden eher als zusätzliche Qualifizierung betrachtet, haben jedoch keine eigene Berufseinmündung und -entsprechung.

Das BA-Studium der Sozialen Arbeit ist als generalistisches Studium angelegt, das auf alle Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit vorbereiten soll. Zwar sind arbeitsfeldbezogene Vertiefungen im Studium häufig möglich. Den Absolvent_innen wird jedoch die weitere Spezialisierung am Übergang in die bzw. während der Berufstätigkeit abverlangt. Bestandteil des BA-Studiums ist in der Regel ein einsemestriges Praktikum. An einigen (Fach-)Hochschulen, HAW und Universitäten wird noch auf ein Anerkennungsjahr vorbereitet. Dies ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Die Praxisphasen zur beruflichen Sozialisation sind jedenfalls, zum Beispiel im Vergleich mit einem Lehramtsstudium, recht kurz. Aufgrund des Fachkräftemangels werden Studierenden zudem vielerorts bereits nach dieser Praxisphase Arbeitsverträge, auch von Jugendämtern, angeboten und es findet eine vorfristige Berufseinmündung statt. Auch vor diesem Hintergrund gibt es bundesweit aktuelle Bemühungen zur stärkeren Verankerung von Themen des Kinderschutzes in den grundständigen Curricula Sozialer Arbeit. In Deutschland werden inzwischen einige Masterstudiengänge in Sozialer Arbeit im Bereich des Kinderschutzes (bspw. ASH Berlin, HS Koblenz, Frankfurt University of Applied Sciences im Aufbau) angeboten, die eine Zusatzqualifikation auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe und des Kinderschutzes darstellen. Weit verbreitet ist zudem die Ausbildung zur sog. „Insoweit erfahrenen Fachkraft“ (bzw. umgangssprachlich „Kinderschutzfachkraft“), die im § 8a SGB VIII als solche aufgeführt wird. Je nach Anbieter_in und Bundesland sind die Curricula dafür sehr unterschiedlich. Einige Bundesländer haben zudem eigene Weiterbildungsmodule entwickelt, um die Berufseinmündung in das Arbeitsfeld Kinderschutz und in den Jugendämtern zu erleichtern.

Konstatieren lässt sich, dass die akademische Qualifizierung für den Kinderschutz im Feld Sozialer Arbeit in Bewegung ist. Dabei bleibt abzuwarten, wie es gelingt, mit den sich abzeichnenden Herausforderungen umzugehen, die sich zum einen aus dem zunehmenden Engagement privatwirtschaftlich organisierter Hochschulen als Anbieter von Studiengängen der Sozialen Arbeit und zum anderen aus dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel ergeben. Von diesen Entwicklungen wird es auch in Zukunft abhängen, ob und wie Prozesse im Kinderschutz fachlich fundiert gestaltet werden können.

Kernprozesse und Standards

Grundsätzlich gilt für die Soziale Arbeit im Kinderschutz, wie oben schon genannt, das Hilfeangebot an Kinder, Jugendliche und Familien als Kernprämisse. Soziale Arbeit ist befugt, Hilfe zu leisten oder an andere Hilfen zu vermitteln. Sie kann Hilfen nicht anordnen oder in Familien eingreifen (einzige Ausnahme zur kurzfristige Intervention ist die Inobhutnahme). Der Graubereich in diesem Feld ist in Deutschland erheblich. Es gibt auch keine einheitlichen fachlichen Standards für Hilfe. Als zentrale Orientierungen gelten seit den 1990er-Jahren und der Reform des SGB VIII die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, ergänzt seit den 2000ern um die Dienstleistungsorientierung und in jüngster Zeit um kinderrechtebasierte Ansätze.

Kernprozesse und Standards haben sich in Deutschland bisher lediglich im Bereich der Abwendung von Kindeswohlgefährdung etabliert, die jedoch weniger fachlichen Prämissen folgen, sondern sich an einer administrativen Verfahrenslogik (insbesondere auf der Basis des § 8a SGB VIII) orientieren. Kritisiert wird daran, dass die verwendeten standardisierten Instrumente der Gefährdungseinschätzung häufig mit großen Hoffnungen eingesetzt werden, diese jedoch einem sozialpädagogischen Fallverstehen kaum entsprechen. Sie sind daher nur sehr begrenzt dazu geeignet, den Fall in seiner Komplexität, Dynamik und in seinem So-geworden-sein, also mit seiner Entstehungsgeschichte, zu verstehen und somit geeignete Hilfen anzubieten. Zudem werden solche Instrumente häufig nicht unbedingt im Sinne ihrer Erfinder_innen eingesetzt, sondern fordern Professionelle zu eigensinnigen, jeweils situativen Aushandlungen heraus (Ackermann 2021). Auch besteht eine Gefahr darin, dass Instrumente der Gefährdungseinschätzung sozialpädagogische Fachkräfte eher dazu anhalten, den Fall zu kontrollieren und zu verwalten und damit nicht mehr sozialpädagogisch-fachlich zu agieren (Marks et al. 2018). Allerdings sind auch lokale Weiterentwicklungen zu verzeichnen, bei denen Fachkräfte mittels Dialogischer Qualitätsentwicklung fachliche Standards zum Umgang mit Hinweisen auf Gefährdungen, zum multiperspektivischen Fallverstehen, zur Problemrekonstruktion und zur Gefährdungseinschätzung, zum Hilfebedarf, zur Hilfenotwendigkeit und Hilfeprozessgestaltung, zum Umgang mit Konflikten, Widersprüchen und Widerstand und zur Qualitätssicherung entwickelt haben (Stadtjugendamt Erlangen, Gedik und Wolff 2018).

Gleichzeitig bleiben in der Kinderschutzpraxis, bei entsprechenden Einschätzungs‑, Urteils- und Entscheidungsprozessen, erhebliche Kontingenzspielräume bestehen (Alberth et al. 2010). Trotz aller Regelungen und Standards: Einschätzungen und Entscheidungen müssen immer wieder neu, in dynamischen Situationen, mit wechselnden Akteur_innen hergestellt werden; ein Befund der zunehmend auch in Forschungsarbeiten zum deutschen Kinderschutzsystem beschrieben wird (Freres 2023; Bastian 2019; Ackermann 2017).

Herausforderungen und Debatten: Zwischen Care-Krise und umfangreicher Zusicherung von Beteiligungsrechten

Kennzeichnend für das deutsche System des Kinderschutzes war die grundlegende Entscheidung der Politik Ende der 1990er-Jahre, Kinder- und Jugendhilfe als eine Kernleistung des Sozialstaates nicht (weiter) als ausschließlich staatliches Angebot der Daseinsfürsorge vorzuhalten, sondern in der Dienstleistungserbringung im Kontext der Ökonomisierung und des New Public Managements, auf eine Vielzahl von freien, marktwirtschaftlich organisierten Trägern zu setzen.Footnote 5 Es wurde das sogenannte sozialrechtliche Dreiecksverhältnis, bestehend aus: öffentlicher Träger, freier Träger, Adressat_innen/Nutzer_innen, geschaffen. Dem Subsidiaritätsprinzip folgend wird zudem bei der Verteilung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe freien Trägern Vorrang vor staatlichen Institutionen eingeräumt. Obwohl dieses Prinzip bereits im fürsorgenden Sozialstaat galt, beflügelte diese Struktur im Zusammenhang mit den o. g. Prozessen eine Veränderung der Kinder- und Jugendhilfe als Teil wirtschaftlicher Austauschprozesse und ökonomischer Rationalitäten. Letzteres kann sich als problematisch herausstellen, wenn die Gebrauchswerte dem Akkumulationsprozess untergeordnet, bzw. ökonomische Orientierungen fachlichen (möglicherweise) gleichgestellt oder sogar übergeordnet werden. Auch vor diesem Hintergrund lassen sich die aktuellen Krisen in der Kinder- und Jugendhilfe als Krise der Care Arbeit bzw. als Krise der Reproduktionssphäre einordnen (Fraser 2023): Care Work wird wirtschaftlichen Rationalitäten unterworfen, kaum auskömmlich finanziert und dadurch in wiederkehrende Krisen gestürzt. Sozialarbeiter_innen kämpfen aktuell um einen Lohn, der der Inflation standhält und ausreicht, ihre Arbeitskraft wiederherzustellen. Jugendämter und freie Träger können freie Stellen nicht besetzen; Kinder- und Jugendliche können nicht mehr (ausreichend) versorgt und unterstützt werden. Es gibt zunehmend zu wenig qualifiziertes Personal für Care Work in den Frühen Hilfen und der Sozialen Arbeit.

Im Gegensatz dazu steigen die gesellschaftlichen Erwartungen an die Leistungen von Professionssystemen, und dies auch und gerade im Kinderschutz (Wolff et al. 2013). Vor dem Hintergrund der Knappheit an personellen und monetären Ressourcen und auch häufig einer Stagnation in der kontinuierlichen Qualifizierung der Fachkräfte sowie der Qualitätsentwicklung der Organisationen werden neue Formen der Kontrolle von Kindern, Jugendlichen und Familien sichtbar (Marks et al. 2018). Hinzu kommen gesellschaftliche Diskurse, in denen Solidarität mit Familien in Not und Krisen wenig Raum hat. Dem gegenüber steht ein sich abzeichnender Paradigmenwechsel in eine kinderrechtebasierte Kinder- und Jugendhilfe. In diesem Zusammenhang geht es perspektivisch um die Stärkung der direkten Rechte von Kindern und um Kinderbeteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe, um die Unterstützung von selbstorganisierten Zusammenschlüssen (Care Leaver, Kinder, Jugendliche, Eltern als Expert_innen aus Erfahrungen), um die Aufarbeitung von Machtmissbrauch und (sexualisierter) Gewalt in pädagogischen Institutionen, um die Umsetzung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe, um rechtskonforme Digitalisierung und Datafizierung sowie um die Stärkung einer sozialpädagogischen Orientierung auch im Kontext einer Risikoorientierung im Kinderschutz.

In einer historischen Betrachtungsweise lässt sich allerdings feststellen, dass mit der Einführung des SGB VIII eine Umorientierung „von der Fürsorge zur Dienstleistung“ (Rätz 2018) erfolgte, der mit einem Ausbau von Beteiligungsrechten von Kindern, Jugendlichen und Eltern und einer Demokratisierung der Kinder- und Jugendhilfe einherging. Gleichzeitig wurden diese Ansprüche in der Praxis kaum umfänglich realisiert bzw. sind bis heute umkämpft (Ackermann 2022). Dies stellt einen großen Widerspruch dar, der die Kinder- und Jugendhilfe und den Kinderschutz auch noch in Zukunft beschäftigen wird. Bei alldem darf nicht vergessen werde: „Partizipation ist der beste Kinderschutz!“ (Liebel 2009, 2014). Von daher lohnt es sich, vor allem die Beteiligungsrechte von Kindern, Jugendlichen und Eltern langfristig zu sichern.