Mich sensationiert eben das Wort
ohne jede Rücksicht auf seinen beschreibenden Charakter
rein als assoziatives Motiv …
(Gottfried Benn 2012, S. 109)
Zusammenfassung
Auf Grundlage einer Übersicht zu den Entwicklungsschritten des Spracherwerbs begründet der Beitrag die untrennbare Verwobenheit von Sprache und Leiblichkeit und deren wechselseitige Interdependenz. In der Trias von Leib, Sprache und Weltbezug wirken Synästhesie, Bewegungssuggestionen und Machtverhältnisse als Brückenqualitäten. Diese werden in ihrer Relevanz für eine leibsensible Sprache in der Beratung beschrieben und anhand einer Fallskizze veranschaulicht.
Abstract
On the basis of an overview of the developmental stages of language acquisition, this article explains the inseparable interweaving of language and corporeality and their mutual interdependence. In the triad of body, language and world reference, synaesthesia, movement-suggestions and power-relations act as bridging qualities. These are described in their relevance for a bodily sensitive language in consulting, and illustrated by means of a case sketch.
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Notes
Dies war der Titel einer verdienstvollen Serie dreier Tagungen 2014, 2016, 2019; vgl. https://carl-auer-akademie.com/reden-reicht-nicht-2019/.
Die Mechanismen des kindlichen Spracherwerbs sind bis heute noch nicht gänzlich aufgeklärt und werden kontrovers diskutiert (vgl. Klann-Delius 2016). Ich folge hier vor allem interaktionalen Theorien des Spracherwerbs, wie sie etwa von Bruner (2013) und Tomasello (2011) vorgeschlagen wurden. Diese Theorien akzentuieren ein Bedürfnis nach Interaktion und eine Fähigkeit zur Perspektivenverschränkung als Voraussetzungen und Triebfedern des Spracherwerbs.
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Obermeyer, K. „Berühren ohne zu berühren“. Zum Verhältnis von Sprache und Körper in der Beratung. Organisationsberat Superv Coach 28, 23–38 (2021). https://doi.org/10.1007/s11613-021-00688-6
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