Situationsanalyse als Katalysator einer feministischen Public Sociology

  • Chapter
  • First Online:
Die Situationsanalyse als Forschungsprogramm

Zusammenfassung

In diesem Beitrag befassen wir uns mit den feministischen und aktivistischen Potentialen der Situationsanalyse (SitA) nach Adele Clarke, Carrie Friese und Rachel Washburn. Dabei arbeiten wir die Notwendigkeit intersektional-feministischer und machtkritischer Perspektiven für die Forschung mit der SitA heraus, indem wir Clarkes Verständnis von Methoden skizzieren und die Potentiale der SitA für eine aktivistisch orientierte Forschung vor dem Hintergrund der Debatte zum Verhältnis von Wissenschaft und Aktivismus diskutieren. Dies wird durch empirische Beispiele aus der Forschung zu urbanen Angsträumen verdeutlicht. Wir nutzen die Konzepte des Intellectual Activisms nach Patricia Hill Collins und der Public Sociology nach Michael Burawoy, um feministische Wissensproduktionen mithilfe der SitA als Praxis des Engagings zu begreifen, die uns als feministische Forscherinnen mit unserer Erfahrung einbindet. Schließlich plädieren wir dafür, die SitA als Katalysator für eine feministische öffentliche Soziologie zu begreifen, die Wissensproduktion als politische Praxis ernst nimmt.

Abstract

In this chapter, we address the feminist and activist potentials of situational analysis (SitA) according to Adele Clarke, Carrie Friese, and Rachel Washburn. In doing so, we stress the necessity for intersectional feminist and power-critical perspectives for research with SitA by outlining Clarke’s understanding of methods and discussing the potentials of SitA for activist-oriented research against the backdrop of the debate on the relationship between science and activism. We will illustrate this based on empirical examples on research about urban spaces of fear. For this, the concepts of Intellectual Activism according to Patricia Hill Collins as well as Public Sociology according to Michael Burawoy are used in order to understand feminist knowledge production with the help of SitA as a practice of engaging that includes the feminist researchers themselves as well as their experiences. Finally, we argue for understanding SitA as a catalyst for a feminist public sociology that understands knowledge production as a political practice.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Subscribe and save

Springer+ Basic
EUR 32.99 /Month
  • Get 10 units per month
  • Download Article/Chapter or Ebook
  • 1 Unit = 1 Article or 1 Chapter
  • Cancel anytime
Subscribe now

Buy Now

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 64.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 84.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free ship** worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    In Anlehnung an Alison Wylies (2012) Frage „What does it Mean to ‘Do Social Science as a Feminist?’“ (Wylie 2012, S. 567).

  2. 2.

    Vertreterinnen der zweiten Generation sind unter anderem: Adele E. Clarke, Susan L. Star, Kathy Charmaz, Virginia Olesen.

  3. 3.

    Der Pragmatismus weist in seinen Grundzügen bereits Prinzipien feministischer Forschung auf, wie bspw. das Ablehnen von Dichotomien, eine antiessentialistische Grundhaltung und die Anerkennung von individuellen Erfahrungen als Wissen (s. a. Seigfried 1996).

  4. 4.

    Machtkonzepte müssen „Macht zu“ und „Macht über“ berücksichtigen sowie innerhalb beider Aspekte beherrschende und transformative Elemente anerkennen, um (ver)geschlechtlich(t)en Dimensionen von Machtanwendung und -erfahrung gerecht zu werden (Scheller 1997). Wir können hier nur auf den Aspekt der „Macht über“ eingehen.

  5. 5.

    Oder etwas hat die Macht unsichtbar sein. Unsichtbarkeit geht nicht per se mit Machtlosigkeit einher. Ebenso ist Unsichtbarkeit nicht per se schlecht.

  6. 6.

    Unter Memoing wird das Verfassen von Notizen während des Forschungsprozesses verstanden (Clarke et al. 2018).

  7. 7.

    Positionierungen beinhalten unterschiedliche Dimensionen, wie bspw. soziale, kulturelle, geografische, und ökonomische.

  8. 8.

    Unter Angsträumen werden hier öffentliche Räume verstanden, an denen Personen Angst empfinden. Räume müssen sich nicht durch eine besonders hohe Anzahl an Gewalttaten oder Delikten auszeichnen, um als Angsträume wahrgenommen zu werden. Häufig beeinflusst die bauliche Struktur und/oder der Raumzustand, ob ein Raum als Angstraum bezeichnet wird: Unübersichtliche, verwinkelte Räume wie Unterführungen, nächtliche Räume und auch verwahrloste Räume werden häufiger mit Gefahr, Angst und Unwohlsein in Verbindung gebracht (z. B. Zinganel 2003). Der Begriff Angstraum wird in der feministische Stadtforschung durchaus kritisch diskutiert, weil er impliziert, dass es gewisse öffentliche Räume gibt, die für Frauen besonders gefährlich sind. Frauen werden so als Betroffene (oder passive Opfer) konstruiert, während Männern die Rolle als Täter oder Beschützer zukommt. Auch wird die Ursache von Gewalt teilweise in den Raum verlagert, anstatt strukturelle Ursachen von Gewalt zu analysieren (Ruhne 2011).

  9. 9.

    Burawoy erkennt an, dass es verschiedene Öffentlichkeiten gibt, aber versäumt es, eine Definition von Öffentlichkeit zu formulieren. Da Öffentlichkeit zu einem zentralen Gegenstand der Geschlechterforschung gehört, übernehmen wir die Definition von Drüeke und Klaus (2019, S. 932) und verstehen (queer-)feministische Öffentlichkeiten als Interventionen in gesellschaftliche Prozesse, die sich global für Geschlechtergerechtigkeit und Emanzipation einsetzen.

  10. 10.

    Wir nehmen hier hauptsächlich Anregungen aus Debatten aus dem deutschsprachigen sowie angloamerikanischen Raum in den Blick. Dies ist der geographischen Positionierung der Autorinnen sowie der geographischen Verortung von Burawoys Text geschuldet.

  11. 11.

    Auch wenn der Sammelband zur öffentlichen Soziologie erst 2020 veröffentlicht wurde, so wurde bereits 2012 die Initiative „DGS goes public“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) ins Leben gerufen (Lessenich und Neckel 2012; Treibel und Selke 2012). Allerdings werden auf der Webseite der DGS nur zwei Veranstaltungen unter dieser Initiative aufgelistet, was nicht auf eine rege Debatte zu diesem Thema schließen lässt.

  12. 12.

    Unter angewandter Soziologie wird soziologische Forschung verstanden, die „im Dienste eines von einem Klienten definierten Ziels“ (Burawoy 2015, S. 60) steht. Öffentliche Soziologie fokussiert hingegen auf einen Dialog zwischen Soziolog*innen und Öffentlichkeit in dem die Agenden beider Seiten diskutiert werden und sich einander anpassen sollen. Professionelle Soziologie liefert wiederum anerkannte Methoden, Wissensbestände, Orientierungsfragen und konzeptionelle Rahmenbedingungen. Die kritische Soziologie beleuchtet die Theorie- und Forschungsprogramme der professionellen Soziologie, um deren Vorurteile offen zu legen. Dadurch werden neue Forschungsprogramme und theoretische Strömungen, die auf alternativen Fundamenten aufbauen, etabliert (Burawoy 2005).

  13. 13.

    Demnach stützen sich die hier abgebildeten Karten nicht auf Empirie, sondern wir wollen damit aufzeigen, dass die SitA als verbindende Technik für die Sozialen Subwelten der Soziologie genutzt werden kann.

Literatur

  • Albert, G. (2010). Der Werturteilsstreit. In G. Kneer & S. Moebius (Hrsg.), Soziologische Kontroversen (S. 14–45). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Bucklaschuk, J. (2014). Precarious Publics. In A. Hanemaayer & C. J. Schneider (Hrsg.), The Public Sociology Debate (S. 108–131). Vancouver/Toronto: UBC Press.

    Google Scholar 

  • Burawoy, M. (2005). For Public Sociology. Soziale Welt, 56(4), 347–374.

    Google Scholar 

  • Burawoy, M. (2015). Public Sociology. Öffentliche Soziologie gegen Marktfundamentalismus und globale Ungleichheit. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.

    Google Scholar 

  • Clarke, A. E. (2012a). Feminism, Grounded Theory, and Situational Analysis revisited. In S. N. Hesse-Biber (Hrsg.), The Handbook of Feminist Research: Theory and Praxis (S. 388–412). Thousand Oaks, Calif.: SAGE Publications Inc.

    Google Scholar 

  • Clarke, A. E. (2012b). Turning Points and Trajectories in a Late-Blooming Career. In N. K. Denzin (Hrsg.), Blue-Ribbon Papers: Behind the Professional Mask: The Autobiographies of Leading Symbolic Interactionists (Studies in Symbolic Interaction, Vol. 38) (S. 75–102). Bingley: Emerald Group Publishing Limited.

    Google Scholar 

  • Clarke, A. E. (2015). From Grounded Theory to Situational Analysis what’s New? Why? How? In A. E. Clarke et al. (Hrsg.), Situational analysis in practice (S. 84–118). Walnut Creek, Calif.: Left Coast Press.

    Google Scholar 

  • Clarke, A. E., Friese, C. & Washburn, R. (2015). Situational analysis in practice. Walnut Creek, Calif.: Left Coast Press.

    Google Scholar 

  • Clarke, A. E., Friese, C. & Washburn, R. (2018). Situational analysis. Grounded theory after the interpretive turn (2nd ed.). Los Angeles, London, New Delhi, Singapore: SAGE.

    Google Scholar 

  • Clawson, D., Zussman, R., Misra, J., Gerstel, N., Stokes, R., Anderton, D. L. & Burawoy, M. (2007). Public Sociology. Berkeley/California: University of California Press.

    Book  Google Scholar 

  • Collins, P. H. (2007). Going Public. Doing the Sociology that had no Name. In D. Clawson et al. (Hrsg.): Public Sociology (S. 101–113). Berkeley/California: University of California Press

    Google Scholar 

  • Collins, P. H. (2013). On Intellectual Activism. Philadelphia, Pennsylvania: Temple University Press.

    Google Scholar 

  • Diaz-Bone, R. (2013). Review Essay: Situationsanalyse. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 14(1), Art. 11.

    Google Scholar 

  • Drüeke, R. & Klaus, E. (2019). Feministische Öffentlichkeiten. In B. Kortendiek et al. (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung, Geschlecht und Gesellschaft (S. 931–939). Wiesbaden: Springer.

    Google Scholar 

  • Glaser, B. (2007). All is Data. Grounded Theory Review, 6(2), 1–22.

    Google Scholar 

  • Haraway, D. (2007). Situiertes Wissen. In S. Hark (Hrsg.), Dis/Kontinuitäten: feministische Theorie (2. aktual. und erw. Aufl.) (S. 305–322). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Google Scholar 

  • hooks, b. (1991). Theory as Liberatory Practice. Yale Journal of Law and Feminism, 4(1), S. 1–12.

    Google Scholar 

  • Koskela, H. & Pain, R. (2000). Revisiting Fear and Place. Geoforum, 31, S. 269–280.

    Article  Google Scholar 

  • Lessenich, S. & Neckel, S. (2012). DGS goes public! Soziologie, 41(3), S. 317−319.

    Google Scholar 

  • Neun, O. (2013). Der erste Schritt ist nicht genug. Soziologie, 42(1), S. 16–24.

    Google Scholar 

  • Offenberger, U. (2019). Anselm Strauss, Adele Clarke und die feministische Gretchenfrage. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 20(2), 1–22.

    Google Scholar 

  • Ruhne, R. (2011). Raum Macht Geschlecht. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Book  Google Scholar 

  • Scheller, A. (1997). Frau Macht Raum. Zürich: Universität Zürich-Irchel.

    Google Scholar 

  • Seigfried, C. H. (1996). Pragmatism and Feminism. Chicago: University of Chicago Press.

    Google Scholar 

  • Selke, S., Neun, O., Jende, R., Lessenich, S. & Bude, H. (2020). Handbuch Öffentliche Soziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Book  Google Scholar 

  • Star, S. L. (2017). Grounded Theory leben. In S. Gießmann & N. Taha (Hrsg.), Susan Leigh Star: Grenzobjekte und Medienforschung (S. 323–346). Bielefeld: transcript Verlag.

    Google Scholar 

  • Treibel, A. & Selke, S. (2012). Soziologie für die Öffentlichkeit. Soziologie, 41(4), S. 398−421.

    Google Scholar 

  • Wylie, A. (2012). The Feminism Question in Science. In S. Hesse-Biber (Hrsg.), Handbook of feminist research (S. 567–578). Thousand Oaks/California: SAGE.

    Google Scholar 

  • Zinganel, M. (2003). Real Crime: Architektur, Stadt & Verbrechen. Wien: edition selene.

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Sonja Gaedicke .

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2023 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature

About this chapter

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this chapter

Gaedicke, S., Schwertel, T. (2023). Situationsanalyse als Katalysator einer feministischen Public Sociology. In: Gauditz, L., et al. Die Situationsanalyse als Forschungsprogramm. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38714-3_10

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-38714-3_10

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-38713-6

  • Online ISBN: 978-3-658-38714-3

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

Publish with us

Policies and ethics

Navigation