Die wenigen Studien zum Schlaf Inhaftierter fokussieren auf Schlafqualität und Insomnie. Aufgrund erhöhter Prävalenzen von Traumatisierung und Traumafolgestörungen bei Straftätern sowie belastender Haftbedingungen ist ein hohes Risiko für Alpträume bei Inhaftierten anzunehmen. Dennoch gibt es bislang offenbar keine Studien zu Parasomnien bei Strafgefangenen, Alptraumberichte Inhaftierter finden sich lediglich in wenigen Fallstudien. Im Rahmen einer Pilotstudie wurden JVA-Insassen zu Schlafqualität, Parasomnien, luzidem Träumen, Alpträumen und Alptraumthemen befragt.

Hintergrund

Prävalenzraten von Alpträumen liegen bei knapp 5 % in nicht-klinischen und schätzungsweise 30 % in klinischen Populationen [1]. Trotz ihrer Häufigkeit bleiben Alpträume noch immer unterdiagnostiziert und überwiegend unbehandelt [22], sowohl in der allgemeinen Gesundheitsversorgung als auch in schlafmedizinischen [25], psychiatrischen und psychotherapeutischen Einrichtungen.

Bekannte Risiko- und Auslösefaktoren für Alpträume sind aktuelle Stressbelastung, kritische Lebensereignisse, traumatische Erlebnisse, Einsatz und Entzug bestimmter Substanzen (u. a. Antidepressiva, Hypnotika, Tranquilizer, Opiate). Erhöhte Komorbiditäten finden sich u. a. bei Depressionen und Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS).

Die meisten dieser Risikofaktoren dürften Strafgefangene häufiger betreffen als die Allgemeinbevölkerung und sogar klinische Stichproben. So finden sich bei Inhaftierten hohe Raten traumatischer Erlebnisse im Kindes- und Erwachsenenalter [5]. Männliche Inhaftierte haben überdies im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein 2‑ bis 5fach erhöhtes Risiko für Depressionen und PTBS sowie ein vielfach erhöhtes Risiko für Drogenabusus/-abhängigkeit [10]. Straftat und Inhaftierung können als Stressoren, Haftbedingungen als anhaltende Belastungsfaktoren angesehen werden.

Träume und Alpträume Inhaftierter

Die übersichtliche internationale Studienlage zum Schlaf Strafgefangener fokussiert auf Schlafqualität oder Insomnien, Parasomnien blieben bislang unbeachtet.

Die ohnehin raren, oft älteren Studien zu Träumen von Inhaftierten, die über Fallstudien oder -serien (wie [12]) hinausgehen, belegen häufige Träume über Familienmitglieder [26] und das Haftumfeld [13].

Zu Alpträumen bei Inhaftierten findet sich eine psychoanalytische finnische Fragebogenstudie [14] an 72 Inhaftierten, in der (nicht näher operationalisiert) „häufige Alptraumbeschwerden“ bei 3 % der Eigentums-, 9 % der Körperverletzungs- und 22 % der Kapitaldelinquenten berichtet werden.

Systematische inhaltsanalytische Studien zu Alpträumen Inhaftierter gibt es zu KZ-Haft-Überlebenden [18], unter denen sich in Auschwitz ein morgendliches Trauminterpretationsritual entwickelte [17].

Eichelmann & Dorava [9] untersuchten Inzidenzen traumaassoziierter Träume in einem US-Frauengefängnis mit knapp 800 Insassen. Bei einer Rücklaufquote von > 75 % gaben 88 % traumatische Erlebnisse an. Von den 74 % der Befragten, die unter posttraumatischen Alpträumen litten, erfüllten ca. 50 % die PTBS-Kriterien. Obwohl 30 % allnächtlich unter Alpträumen litten und ein Großteil Interesse hatte, erfolgte eine Behandlung nur bei ca. 20 % und ausschließlich medikamentös.

Fragestellung

Studien zu Parasomnien im Allgemeinen und Alpträumen im Speziellen bei Populationen Inhaftierter fehlen, obwohl diese ein erhöhtes Risiko für Alpträume und andere Parasomnien haben dürften. Deshalb wurden im Rahmen der vorliegenden Studie Prävalenzen eines breiten Spektrums an Parasomnien, zudem Alptraumfrequenz, -belastung und -themen an männlichen Inhaftierten einer deutschen Justizvollzugsanstalt (JVA) erhoben. Darüber hinaus sollten explorativ korrelative Zusammenhänge von Parasomnien untereinander sowie zu Schlafqualität, Erfahrung luzider Träume und haftspezifischen Aspekten untersucht werden.

Methoden

Rekrutierung und Ablauf

Im Frühjahr 2021 wurden 29 deutsche JVAs schriftlich um Studienteilnahme gebeten. Von acht JVAs kam keine Antwort, 18 lehnten Corona-Pandemie-bedingt ab, zwei sprangen nach initialer Zusage kurzfristig wegen organisatorischer Probleme aufgrund seinerzeitiger Lockdown-Maßnahmen ab. Somit verblieb die JVA Hannover, eine der größten Haftanstalten Niedersachsens mit neun Vollzugsabteilungen und ca. 600 Haftplätzen für männliche Straftäter, Untersuchungs- oder Abschiebe-Inhaftierte, als einziger Kooperationspartner.

Zur Probandenrekrutierung wurden Studienaufruf-Aushänge an die JVA verschickt. Aufgrund des im Justizvollzug streng reglementierten Zugangs zu Internet und PCs war die querschnittliche Befragung im Juni 2021 ausschließlich in Papierform möglich. Zur Anonymitätswahrung wurden den Fragebogensätzen fensterlose Briefumschläge beigefügt, über den psychologischen Dienst gesammelt und uns zurückgesandt. Als Teilnahmeanreiz wurde Tabak oder Schokolade im Wert von 5 € pro Teilnehmer ausgelobt. Aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen war eine Überprüfung der Umsetzung von Aufruf und Erhebungsablauf nicht möglich.

Erhebungsinstrument

Zur Datenerhebung wurde ein Selbstbeurteilungsfragebogen aus Pittsburgh Sleep Quality Index (PSQI) [4, 21], Münchner Parasomnie Screening (MUPS) [11], REM Sleep Behavior Disorder Single-Question Screen (RBD1Q) [19] und Item 4 bis 11 des Mannheimer Traumfragebogens (MADRE) [23] zu Alpträumen und luzidem Träumen sowie eigens entwickelten Fragen zu Soziodemografischem und Haftspezifika zusammengestellt.

(Alp‑)Trauminhaltsanalytisch erfolgte die Kategorienbildung zum einen literaturgeleitet anhand der minimalen bisherigen Forschungsergebnisse (Familie und Haftumfeld als Themen), zum anderen nach Sichtung der Freifeldantworten zu Alptraumthemen durch die Erstautorin. Im zweiten Schritt erfolgte eine kategoriale Zuordnung durch drei unabhängige Rater, die weitgehend übereinstimmten (Interrater-Reliabilitäten berechnet über Fleiss-Kappa).

Probanden

Der Altersdurchschnitt der männlichen Stichprobe (N = 33) lag bei 38 J. (Standardabweichung [SD] 10,0; Range 26–64 J.). Die meisten Probanden (Pbn) verfügten über keinen Schulabschluss (27 %) oder einen Hauptschulabschluss (36 %). 6 % hatten (Fach‑)Abitur, 9 % eine abgeschlossene Ausbildung.

Die bisherige Haftdauer lag zwischen 2 Mon. und 9 J., im Mittel 20 Mon. Die Resthaftzeit lag zwischen 1 und 6 J., im Durchschnitt 20 Mon. Die Gesamthaftdauer lag zwischen 5 und 135 Mon., durchschnittlich 38 Mon. 29 (88 %) der 33 Pbn waren in Einzelzellen, 4 in Doppelzellen untergebracht.

Ergebnisse

Parasomnien

Am häufigsten gaben die Pbn „Alpträume bzw. furchteinflößende Träume“ an, gefolgt von Einschlafmyoklonien und Somniloquie, am seltensten Enuresis nocturna (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Mittelwerte Parasomnien (MUPS) im Vergleich: Inhaftierte, Gesunde, Traumatisierte

48 % der Pbn (52 %, der 31 Pbn, die hierzu eine Angabe machten) bejahten die auf eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD) oder Trauma-assoziierte Schlafstörung (TASD) hindeutende RBD1Q („Wurde Ihnen jemals gesagt oder vermuten Sie selbst, dass Sie während des Schlafs den Inhalt Ihrer Träume ausführen?“). Stimmig hierzu gaben 48 % im MUPS Dream Enactment (DE) („Kommt es vor, dass Sie das, was Sie träumen auch tatsächlich tun, z. B. gestikulieren oder um sich schlagen?“) an: 6 % < 1 ×/J., 21 % ein- oder mehrmals/J., 9 % ein- oder mehrmals/Monat, 9 % ein- oder mehrmals pro Woche.

Schlechte Träume und Alpträume

27 % der Pbn gaben im PSQI an, in den vergangenen vier Wochen aufgrund schlechter Träume „3 × oder häufiger pro Woche“ schlecht geschlafen zu haben, 21 % 1–2 ×/Wo. Lediglich 27 % hatten im Vormonat keine Schlafprobleme aufgrund schlechter Träume (Abb. 2, mit männlichen italienischen Inhaftierten [6] im Vergleich).

Abb. 2
figure 2

Schlechte Träume: Vergleich JVA- und italienische Inhaftierte. *D’Aurizio et al. [6]; Daten aus E‑Mail-schriftlicher Mitteilung von G. Curcio am 01.05.2023

Unter „furchteinflößenden Träumen oder Alpträumen“ (MUPS) litten 21 % jede oder fast jede Nacht, 18 % ein- oder mehrmals pro Woche, 15 % ein- oder mehrfach im Monat.

33 % gaben im MADRE an, mehrmals die Woche unter Alpträumen zu leiden, 12 % ca. einmal wöchentlich, 21 % 2–3 × monatlich, lediglich 9 % weniger als 1 ×/Jahr und 3 % nie (Abb. 3). Zur Alptraumbelastung gaben 21 % an, die Alpträume als sehr belastend zu empfinden, 12 % als eher belastend, 24 % als teilweise belastend und nur 27 bzw. 12 % als eher nicht oder nicht belastend (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Alptraumfrequenz & -belastung: a Alptraumfrequenz (MADRE); b Alptraumbelastung (MADRE)

61 % bejahten wiederkehrende Alpträume mit Realitätsbezug (Abb. 4), deren Alpträume waren im Mittel zu 35 % wiederkehrend. Bei 30 % der Pbn waren mind. 50 % der Alpträume wiederkehrende, bei 3 Pbn 90–99 %.

Abb. 4
figure 4

Wiederkehrende Alpträume mit Realitätsbezug (MADRE)

Luzides Träumen

33 % der Pbn gaben an, noch nie luzide geträumt zu haben, 6 % seltener als 1 ×/J. 12 % träumen ca. 1 ×/Mon, 21 % 2–3 ×/Mon, 9 % ca. 1 × wöchentlich und 2 Pbn (6 %) sogar mehrfach pro Woche luzide (Abb. 5). Die 20 Pbn mit Luziditätserfahrung gaben als Erstauftretensalter 5 bis 50 J. an (Mittelwert [MW] 10 J.).

Abb. 5
figure 5

Frequenz luzider Träume (MADRE)

Explorative Auswertung

Explorativ wurden Pearson-Produkt-Moment-Korrelationen und Spearman-Rho sowie Kendall-Tau‑b zwischen den verschiedenen demografischen, haft- und schlafbezogenen Items berechnet. Sofern nicht anders vermerkt, werden Spearman-Rho-Rangkorrelationskoeffizienten mit zweiseitigen p-Werten berichtet.

Das Alptraumitem im PSQI korrelierte jeweils hochsignifikant (p < 0,001) zu je 0,55 mit Einschlaf- (> 30 min) und Durchschlafstörung, außerdem zu 0,65 mit dem PSQI-Score (p < 0,001).

Die Alptraumfrequenz korrelierte hochsignifikant (p < 0,001) zu 0,75 mit der Alptraumbelastung und zu 0,52 mit dem PSQI-Score. Die beiden durch RBD1Q gebildeten Ja-Nein-Gruppen (Dream Enactment) unterscheiden sich signifikant (Mann-Whitney-U-Test = 63, p = 0,024) in der Alptraumfrequenz (mittlerer Rang „ja“: 12,4 vs. „nein“: 19,8).

Interessanterweise korreliert die Alptraumfrequenz nicht signifikant (0,24, p = 0,186) mit der Rate an luziden Träumen, die Alptraumbelastung mit 0,47 hingegen stark signifikant (p = 0,008).

Das PSQI-Alptraumitem korreliert zu 0,56 hochsignifikant (p < 0,001) mit wiederkehrenden Alpträumen mit Realitätsbezug sowie signifikant (p = 0,013) zu 0,45 mit dem prozentualen Anteil wiederkehrender Alpträume.

RBD/DE (MUPS) korrelierte jeweils signifikant mit Alptraumfrequenz (0,49; p = 0,005), Alptraumbelastung (0,58; p < 0,001), wiederkehrenden Alpträumen mit Realitätsbezug (0,42; p = 0,017), Anteil wiederkehrender Alpträume (0,38; p = 0,045), Rate luzider Träume (= 0,37; p = 0,037) und Luziditäts-Erstauftretensalter (−0,50; p = 0,024).

Alptrauminhaltsanalysen

Alptraumthemen während der Haft wurden inhaltsanalytisch quantifiziert: Lediglich 7 Pbn (21 %) ließen das Freifeld unbeantwortet, davon hatten aber 5 ohnehin keine oder < 1 ×/Jahr Alpträume während ihrer Haft. Von den 28 Pbn mit Alpträumen beantworteten 26 (93 %) die Frage zumindest in Stichworten.

62 % (16 von 26) der Pbn erwähnten im Zusammenhang mit Alpträumen Familienangehörige, Verwandte oder Partnerin, bei fast perfekter inhaltsanalytischer Interrater-Reliabilität von 0,84 (Fleiss-Kappa). Ein zentrales Thema waren Verlusterfahrungen unterschiedlicher Art: Verlust der Partnerin durch Verlassenwerden oder Untreue (23 %), Verlust von Angehörigen durch Tod (29 %), Verlust von Familienrückhalt (12 %).

Außerdem wurden mehrfach genannt: Stress mit Angehörigen (19 %), Drogenkonsum (12 %), Hilflosigkeit (12 %), Tod/Sterben (12 %), getötet werden (8 %), Rückfall (8 %) (unklar, ob Sucht oder Straftat). 12 % der Antworten deuteten auf Kindheits-, 8 % auf Kriegstraumata.

Bezüge zu Haft/Haftumfeld ergaben sich bei 27 % (7 der 26 Antworten; Fleiss-Kappa = 0,55, d. h. moderat), 2 von 26 Pbn hatten Alpträume, für immer in Haft zu bleiben. 2 Pbn hatten Alpträume von der eigenen Straftat. Abgesehen von diesen beiden gab es bei keinem Hinweise auf Täteralpträume.

Einige besonders eindrückliche Beispiele von Alptraumthemen während der Haftzeit finden sich in Tab. 1.

Tab. 1 Transkripte (Rechtschreibung korrigiert) beispielhafter Antworten auf die Frage: „Bitte geben Sie die Themen Ihrer Alpträume während Ihrer Haftzeit an

Diskussion

Einflussfaktor Substanzgebrauch

Ca. 2/3 der Pbn gaben an, im letzten Monat „Schlafmittel“ eingenommen zu haben, wobei dies nicht zwangsläufig Schlafmittel im pharmakologischen Sinne sind. Erwähnt wurden Neuroleptika oder Antidepressiva, (Quetiapin, Doxepin), Substitutionspräparate (Methadon) sowie illegale Substanzen (Heroin) zumindest in der Vorgeschichte.

Weil diese Substanzen Parasomnien begünstigen und Alpträume induzieren können, sollte deren Einfluss in künftigen Studien kontrolliert werden. Entsprechend umfassend sollten Medikation und Substanzgebrauch inkl. Vorgeschichte erhoben und idealerweise toxikologisch objektiviert werden.

Parasomnien

Das Auftreten von Alpträumen und anderen Parasomnien wird durch Stress, Traumata, veränderte Schlaf-Wach-Rhythmik, REM-/Tiefschlaf-Rebound-Effekte, aber auch interne und externe Weckreize begünstigt.

Somit verwundern die erhöhten Raten an Parasomnien in der vorliegenden Studie im Vergleich zu den spärlichen, ungenauen und nichtrepräsentativen Daten aus der Literatur nicht.

Zieht man die Daten der gesunden Kontrollen aus der Validierungsstudie des MUPS [11] zum Vergleich heran (Abb. 1), scort bei allen abgefragten Parasomnien mit Ausnahme von Enuresis nocturna unsere Stichprobe höher. Am stärksten ausgeprägt sind die Differenzen bei Night-Eating, rhythmischen und periodischen Beinbewegungen, Alpträumen und RBD. Auch wenn es eher psychiatrischen als Schlafstörungspatienten ähnelt, zeigt sich bei unserer Stichprobe ein spezifisches Profil, das stärker ausgeprägt, aber annähernd parallel zu dem einer eigenen Stichprobe Traumatisierter verläuft.

Methodisch einschränkend ist die Operationalisierung rein über Selbstbeurteilung: Einige Parasomnien sind der Selbstbeobachtung allenfalls begrenzt zugänglich. Eine den Klassifikationskriterien entsprechende reliable Diagnose erfordert bei einigen Parasomnien (u. a. RBD) eine (Video‑)Polysomnographie – welche allerdings auch in den wenigen epidemiologischen Studien i. d. R. fehlt.

Alpträume

Alpträume zeigen sich in unserer Stichprobe häufig, stark ausgeprägt und mit hohem Leidensdruck assoziiert.

Ein Vergleich der Alptraumfrequenz mit einer repräsentativen Stichprobe deutscher Männer [22], in der knapp die Hälfte „nie“, und 18 % < 1 ×/Jahr Alpträume hat, zeigt einen denkbar starken Kontrast mit einer fast umgekehrten Häufigkeitsverteilung (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Alptraumfrequenz (Mannheimer Traumfragebogen – MADRE) im Vergleich

Die hohen Prävalenzen von Alpträumen könnten u. a. auf komorbide PTBS und Depressionen zurückzuführen sein, aber auch substanzinduziert über o. g. Substanzen oder deren Absetzen. Alptraumätiologisch finden sich in den Fragebögen neben mehrfachen Hinweisen auf (über REM-Rebound) Alptraum-induzierende Substanzen auch solche auf posttraumatische Genese, z. B. Erwähnung von Kriegs- und Nahtoderfahrungen.

Hinzu kommen kaum realisierbare Schlafhygiene, Störreize, die zu Arousals führen können, und eine ggf. als unsicher erlebte Schlafumgebung in der Zelle. Im viel genutzten Freifeld für Verbesserungsvorschläge zum Schlaf in der JVA gab es mehrfach Hinweise auf schlafstörende Bedingungen, die im Kontrast zu Schlafhygieneempfehlungen stehen (z. B. Beleuchtung, Störgeräusche, nicht lüften können).

Luzides Träumen

Die Rate luzider Träume unserer Pbn lag, erst recht für eine männliche Stichprobe mittleren Alters [24], erstaunlich hoch. Im Vergleich mit einer repräsentativen deutschen Umfrage [24], in der 51 % angaben, den Zustand der Luzidität zu kennen, gilt dies für 63 % unserer Pbn. 48 % träumten mind. 1 × monatlich luzide, 15 % sogar ein- bis mehrfach pro Woche, was in der repräsentativen Studie nur 4,9 % taten.

Eine Erklärung, die durch die Korrelation mit der Alptraumbelastung untermauert wird, könnten Traumabewältigungs- und selbstheilende Funktionen von luziden Träumen bei häufigen Alpträumern sein (vgl. [27]). Hierzu würden auch die umgekehrte Korrelation und der breite Range des Erstauftretensalters luzider Träume passen. Auch könnte luzides Träumen eine Art Enrichment im monotonen, eingeschränkten Haftalltag darstellen.

Zu klären bleibt, welcher Anteil der Inhaftierten nativ luzide träumt und welcher sich dies angeeignet hat. Hohe Luziditätsraten könnten psychotherapeutisch gezielt zum Rescripting von Alpträumen genutzt werden.

Alpträume und Schlafqualität

Am stärksten mit der insgesamt schlechten Schlafqualität (PSQI) unserer Pbn korrelieren RBD/DE, gefolgt von alptraumspezifischen Items: Alptraumprävalenz, Alptraumfrequenz, Anteil wiederkehrender Alpträume, Alptraumbelastung sowie wiederkehrende Alpträume mit Realitätsbezug.

Trotz methodischer Einschränkungen kann dies als Hinweis auf die Bedeutung von Alpträumen für die Gesamtschlafqualität speziell bei Inhaftierten und möglicherweise allgemein gesehen werden. Die Zusammenhänge dürften zwar bidirektional und teufelskreisartig sein, die hohen Korrelationen mit Einschlaflatenz und Durchschlafstörungen, zusammen mit dem in der Literatur beschriebenen und klinisch bei Alptraumpatient*innen häufig zu beobachtenden Phänomen der Angst einzuschlafen, wie auch mit psychophysiologischen Arousal-Aspekten sprechen jedoch für einen negativen Einfluss von Alpträumen auf die Schlafqualität. Die genauen Zusammenhänge sollten in Längsschnittstudien geklärt werden.

Alpträume und RBD/DE

Die deutlichen Interkorrelationen von Alpträumen, RBD/DE, um-sich-treten und -schlagen im Schlaf sowie wiederkehrenden Alpträumen mit Realitätsbezug (die als Hinweise auf posttraumatische Wiederholungen verstehbar sind) lassen – gerade bei der untersuchten Population – an das Konzept der Trauma-assoziierte Schlafstörung (TASD) als verbindendes Element denken. TASD wird in jüngerer Zeit als mögliche distinkte Parasomnie diskutiert, die traumainduziert ist und im klinischen Bild Symptome von Alptraumstörung, REM-Schlaf-Verhaltensstörung und PTBS vereint [16].

Eine alternative Erklärung für die vergleichsweise hohen Raten an DE und positiver RBD1Q sowie deren korrelative Zusammenhänge mit Alpträumen stellen substanzinduzierte RBD/DE dar.

Alptraumthemen

Die berichteten Alptrauminhalte können als Beleg der Kontinuitätshypothese (Haftbedingungen, Gewalt‑, Drogenerlebnisse), der „threat simulation theory“ (Bedrohung durch Verlust, Rückfall, körperliche Auseinandersetzung, Konflikte) und als Selbstheilungsversuch (vgl. [27]) bzw. (möglicherweise misslungene) Trauma-(Eigen‑)Exposition gesehen werden. Bei Inhaftierten mit Suchthintergrund oder unter Substitution könnten Entzugserscheinungen Trigger für o. g. Konsumalpträume darstellen.

Limitationen

Methodisch einschränkend ist zu unterstreichen, dass die untersuchte Stichprobe klein und alles andere als repräsentativ ist. Durch Hafteinrichtungen wie Inhaftierte bestand eine doppelte Selbstselektion über unbekannte Mechanismen.

Die Daten sind auf eine einzelne JVA beschränkt, wobei JVAs bzw. deren Haftarten (z. B. U‑/Strafhaft) und Haftbereiche nur begrenzt vergleichbar sind, erst recht international. Außerdem ist die Aussagekraft auf männliche Inhaftierte reduziert, die zwar den Großteil der Strafgefangenen ausmachen, welche im Vergleich zu weiblichen Inhaftierten aber möglicherweise sogar geringere Alptraum‑/PTBS-Prävalenzen aufweisen.

Rekrutierungsumsetzung (interne Kommunikation, Aushänge) und Wahrung des Studienprotokolls bzgl. Anonymität, Ausfüllsetting, Rücksendung konnten Lockdown-bedingt weder beeinflusst noch überprüft werden. Offen bleibt, ob die Pandemielage zu schlechtem Schlaf und Parasomnien beigetragen hat, wobei die Erhebung 15 Mon. nach Pandemiebeginn zur Zeit der abgeebbten dritten Welle mit einstelligen 7‑Tage-COVID-Inzidenzen lief. In den Antworten fanden sich keinerlei Hinweise auf COVID, Lockdown oder Pandemie, Alptrauminhalte ähnelten erstaunlich denen aus aktuelleren wie historischen Fallserien.

Aufgrund des Selbstbeurteilungsverfahrens in Kombination mit evtl. unsicherer Anonymität gegenüber dem JVA-Personal sind unbeabsichtigte wie bewusste Antwortverzerrungen (De- oder Aggravationstendenzen aufgrund sozialer Erwünschtheit, Erhoffen von Erleichterungen, Angst vor Sanktionen) denkbar.

Störfaktoren und Moderatorvariablen wie Medikamente, Substitution, Drogen, psychiatrische und physische Komorbiditäten, aber auch Traumerinnerungsfrequenz und Schlafstörungen in der Vorgeschichte wurden nicht erhoben bzw. kontrolliert.

Unklar und unkontrolliert bleibt auch, ob und in welcher Form eine Behandlung(smöglichkeit) der Schlafstörungen bestand.

Empfehlungen für künftige Forschung

Bei einer Replikation sollten o. g. methodische Schwächen und Limitationen ausgeglichen werden. Aufgrund begrenzter Validität der Selbstauskunftsdaten sollten idealerweise Fremdanamnesen und medizinische Akten hinzugezogen werden.

In Studien zu Schlafqualität und Insomnien Inhaftierter wurden Alpträume bislang nicht berücksichtigt. Entsprechend sollten Wechselwirkungen zwischen Insomnien, Parasomnien aber auch atmungs- oder bewegungsbezogenen Schlafstörungen sowie psychiatrischen Erkrankungen (insb. PTBS, Depression, Subtanzabhängigkeit) mitgedacht und möglichst längsschnittlich untersucht werden. Auch sollten Alptraumstörung und idiopathische, substanzinduzierte und symptomatische Alpträume differenziert werden.

Nicht zuletzt sollten effiziente und für den speziellen Kontext des Justizvollzugs nutzbare evidenzbasierte Interventionen für Schlafstörungen und insbesondere Alpträume entwickelt und evaluiert werden. Interventionsstudien sollten klären, ob alptraumspezifische Interventionen Effekte auf Lebens- und Schlafqualität, Insomnien, andere Parasomnien und komorbide psychiatrische Störungen haben, insb. PTBS und Substanzgebrauchsstörungen. Ebenso sollten Effekte auf Aggressivität, Impulskontrolle, Suizidalität Inhaftierter und im Langzeitverlauf auf den Resozialisationserfolg erforscht werden.

Eine eigene Interventionsstudie mit Elementen der Luzid-Traum-Therapie und Imagery-Rehearsal-Therapie für Inhaftierte ist hierzu in Vorbereitung.

Empfehlungen für JVAs

Da unbehandelte Schlafstörungen das Tagesfunktionsniveau beeinträchtigen und Reizbarkeit wie Aggression fördern [8] können, sollte in JVAs systematisch nach Schlafstörungen inkl. Alpträumen gescreent und leitliniengemäße Behandlungsangebote etabliert werden. Alptraumspezifisch ist zu ergänzen, dass möglicherweise komorbide insomnische, depressive und posttraumatische Beschwerden, Suizidalität/Suizide [1, 20] und evtl. auch Substanzmissbrauch von Inhaftierten reduziert werden könnten, wenn Alpträume adäquat behandelt würden, z. B. mit Imagery-Rehearsal-Therapie (IRT) oder Luzid-Traum-Therapie. IRT in Haftgruppen [15] oder in selbstständiger Anwendung nach postalischer Anweisung [3] könnten eine ökonomische Option in JVAs darstellen.

Gerade weil nichtpharmakologische Ansätze in JVAs von besonderem Vorteil und Gruppensettings bei Schlafstörungen und Alpträumen vielversprechend sind, sollten solche evaluiert und ggf. implementiert werden. Traum-Gruppen in Hafteinrichtungen, unterschiedlich umgesetzt von Bulkeley [2], DeHart [7], aber auch seinerzeit von Auschwitz-Häftlingen [17], könnten ein fruchtbarer Ansatz sein, Selbstreflektion, Lebensqualität und Selbstwert von Inhaftierten sowie Gruppenprozesse und -atmosphäre zu fördern.

Fazit

  • Übereinstimmend mit der raren Literatur bestätigen unsere Daten die schlechte Schlafqualität Inhaftierter und ergänzen diese um vorläufige Ergebnisse zu erhöhten Prävalenzraten von Parasomnien, allem voran Alpträumen.

  • Die in der Stichprobe stark ausgeprägte Alptraumbelastung korreliert u. a. mit Schlafqualität, REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD)/Dream Enactment und luzidem Träumen.

  • Alptrauminhalte reflektieren u. a. Befürchtungen von Verlust von Partnerin oder Familie, Tod, Traumata, Drogenkonsum und Hafterfahrung.

  • Aufgrund des starken Leidensdrucks an Alpträumen wie auch in Hinblick auf anzunehmende positive Effekte über den Schlaf hinaus sollten Behandlungsangebote für JVAs systematisch evaluiert und implementiert werden.