Hu et al. gaben 1996 die jährliche Inzidenz von Wirbelsäulenverletzungen mit 64 pro 100.000 Einwohner an. Am häufigsten waren die untere Halswirbelsäule (C4–C6) und der thorakolumbale Übergang betroffen. Etwa die Hälfte aller Verletzungen der gesamten Brust- und Lendenwirbelsäule fielen auf T11–L2 [11, 41, 62, 86]. Der Altersdurchschnitt der Patienten lag in großen Kollektiven übereinstimmend zwischen 30 und 40 Jahren [31, 41, 62].

Im deutschsprachigen Raum hat sich die von Magerl et al. 1994 [61] vorgestellte Klassifikation zunehmend durchgesetzt. Die Grundlage bildeten das morphologisch-mechanistische 2-Säulen-Konzept nach Whitesides, das aus einer auf Druck beanspruchten vorderen und einer auf Zug belasteten, hinteren Säule besteht. Die AO-Klassifikation nach Magerl berücksichtigt eine zunehmende biomechanische Instabilität der Verletzung, eine höhere Rate neurologischer Zusatzverletzungen und damit die schlechtere Prognose mit der Zunahme der Schwere der Verletzung von A nach C [41, 61, 62].

Das von Böhler 1934 formulierte Behandlungsziel ist bis heute gültig:

„Wir wollen nicht nur, daß die Lähmung verschwindet, sondern daß der Verletzte auch seine frühere normale Form, Beweglichkeit und Kraft wiedererlangt.“

Diesem Ziel fügten Blauth et al. 1998 [11] hinzu,

„daß wir einen schmerzfreien Patienten wünschen, der allen Tätigkeiten uneingeschränkt und möglichst so wie vor dem Unfall nachgehen kann.“

Stabilität und Instabilität

Um dieses unumstrittene Behandlungsziel zu erreichen, erlangte der Begriff der segmentalen Stabilität oder Instabilität einer Läsion zunehmende Bedeutung [11]. Die unterschiedliche biomechanische Stabilität verschiedener Verletzungsmuster ist aus Versuchen an humanen Präparaten im Belastungssimulator in vitro bekannt. Problematisch ist jedoch die Analyse der akuten traumatischen Instabilität in vivo: Hier kann das Ausmaß der Instabilität nur anhand von bildgebenden Verfahren, d. h. aufgrund einer statischen Momentaufnahme abgeschätzt werden. Zur apparativen Standarddiagnostik gehören dabei Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen (a.-p. und seitlich) und eine Computertomographie, möglichst mit biplanaren Rekonstruktionen. Blauth [10] teilte die Verletzungen in 3 abgestufte Gruppen unterschiedlicher Stabilität ein:

  • Als stabil gelten Verletzungen, bei denen keine wesentliche weitere Veränderung der Stellung in Ruhe oder bei Belastung zu erwarten ist. Hierzu zählten z. B. Kompressionsverletzungen der Gruppen A 1 und A 2 nach Magerl [61], bei denen keine Verletzung der Bandscheibe anzunehmen ist.

  • Bereits ab Gruppe A 2.3 (Kneifzangenbruch) liegt eine geringgradige Instabilität vor. Zu diesem Instabilitätsgrad zählen auch die Kompressionsverletzungen mit Beteiligung der Hinterwand des Wirbelkörpers—die sog. Berstungsbrüche (Gruppe A 3). Die Verletzungen dieser Gruppen weisen eine zusätzliche Verletzung mindestens einer angrenzenden Bandscheibe auf. Auch bei funktioneller Behandlung (ohne Stabilisierung) besteht bei diesem Instabilitätsausmaß jedoch keine Gefahr einer sekundären neurologischen Schädigung [11]. Die Grauzone der geringgradigen Instabilität wird dadurch gekennzeichnet, dass diese Verletzungen in der aktuellen Literatur als stabil [64] oder als instabil [62] eingeschätzt wurden.

  • Distraktions- (Typ B) und Rotationsverletzungen (Typ C) werden als hochgradig instabil bezeichnet, da hier eine Verletzung der vorderen und hinteren Säule vorliegt. Ohne Stabilisierung besteht die Gefahr einer sekundären neurologischen Komplikation. Blauth et al. [11] stuften bereits komplette Berstungsbrüche (A 3.3) als hochgradig instabil ein. Dafür sprechen die Ergebnisse biomechanischer Untersuchungen und das mögliche Auftreten sekundärer neurologischer Komplikationen bei konservativer Behandlung. Andere Autoren bezeichneten diesen Frakturtyp ebenfalls als instabil, als instabil mit Angabe zusätzlicher Bedingungen oder sogar als grundsätzlich stabil.

Die akute traumatische Instabilität führt—je nach Ausmaß—bei fehlender operativer Stabilisierung zu einer zunehmenden kyphotischen Fehlstellung mit Fehlbelastung der kleinen Wirbelgelenke und des Bewegungssegmentes. Liegt eine asymmetrische Verletzung vor, beispielsweise durch seitliche Kompression eines Wirbelkörpers, kann eine skoliotische Verformung hinzukommen. Verletzte Bänder heilen dabei unter Ausbildung einer Narbe, die nur eingeschränkt funktionsfähig ist und in geringerem Maße Zugkräften widersteht. Knöcherne Verletzungen der Wirbelanteile heilen in der Regel belastungsstabil unter Konsolidierung der Spongiosa, wobei sich nur ausnahmsweise Kallus nachweisen lässt.

Eine Verletzung der Bandscheibe führt zur Vernarbung, mit der die Funktion verloren geht. Im Verlauf kann es durch zunehmende Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes und Kyphosierung im Bewegungssegment zur knöchernen Überbrückung und damit stabilen Ausheilung in der Fehlstellung kommen. Tritt nach der Bandscheibenverletzung keine knöcherne Fusion ein, resultiert eine bleibende (Mikro)instabilität, die zu erheblichen statischen Folgen für das Achsorgan und zu chronischen Schmerzen führen kann.

Behandlungsmethoden und Ergebnisse

Da Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule selten sind, bestehen nur begrenzte Möglichkeiten, über größere Patientengruppen zu berichten. Daher sind die im Schrifttum geschilderten Behandlungsergebnisse nach unterschiedlichen Therapieformen meistens von eingeschränkter Aussagekraft.

Die Kollektive der überwiegend retrospektiven Sammelstudien waren oft äußerst inhomogen, und es wurden unterschiedliche Regionen und Verletzungen nicht getrennt betrachtet. Oft fehlte die differenzierte Betrachtung bei inkompletten und kompletten Lähmungen, bei unterschiedlich langen Zeiträumen zwischen Unfall und Behandlungsbeginn und nicht zuletzt bei verschiedenen Behandlungsmethoden. Dabei wurden Ergebnisse uneinheitlich erhoben und unterschiedlichste, fast ausnahmslos nicht validierte Scores verwendet, sodass subjektive und funktionelle Ergebnisse kaum vergleichbar waren [11].

Stabile Verletzungen ohne neurologisches Defizit werden auch heute noch fast ausnahmslos konservativ behandelt. Dabei wird in Anlehnung an die Empfehlungen von Magnus und Böhler entweder funktionell ohne äußere Ruhigstellung, mit äußerer Ruhigstellung durch Gipsmieder oder Orthese oder mit äußerer Ruhigstellung nach geschlossener Reposition behandelt.

Wenn nichtoperativ behandelt wird, dann sollte die funktionelle Therapie ohne Reposition oder äußere Ruhigstellung gewählt werden.

Ein Vorteil durch Gipsmieder- oder Orthesenbehandlung konnte gegenüber der rein funktionellen Therapie ohne äußere Ruhigstellung nicht bewiesen werden. Korrekturverluste und/oder Sinterungen von verletzten Wirbelkörpern scheinen in gleichem Maße einzutreten [39]. Es kam auch unter konservativer Behandlung von stabilen Verletzungen zu einem geringen, zusätzlichen Korrekturverlust gegenüber der Fehlstellung zum Unfallzeitpunkt. Wurde die Fehlstellung zunächst reponiert und anschließend ruhiggestellt, so folgte ein entsprechend höherer Korrekturverlust im Sinne einer Rekyphosierung, sodass im Endergebnis gegenüber der funktionellen Behandlung kein Vorteil erzielt werden konnte [72].

Operativ—Nichtoperativ

Die Grenze zwischen operativer und nichtoperativer Behandlung bei den inkompletten Berstungsbrüchen ist nicht sicher zu ziehen.

Die Empfehlungen zur Behandlung geringgradig instabiler Verletzungen ohne neurologisches Defizit reichen von der oben genannten konservativen bis hin zu aufwändigsten operativen Therapieverfahren. Nach konservativer Behandlung waren z. T. erhebliche Korrekturverluste gegenüber dem Ausgangsbefund nach dem Unfall zu verzeichnen. Das röntgenologische Ergebnis fiel in vergleichenden Untersuchungen nach operativer Therapie besser aus [3, 4, 20].

Ob die operierten Patienten ebenfalls ein besseres funktionelles Ergebnis und weniger Beschwerden aufweisen, konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden. Nach sehr unterschiedlichen konservativen Behandlungsmethoden und nur begrenzter Vergleichbarkeit wurden „sehr gute“ Ergebnisse bei 0-71% der Patienten erzielt, wobei 6 der 8 Publikationen eine Rate von 24–43% „sehr guter“ Ergebnisse aufwiesen [2, 14, 34, 36, 60, 66, 79, 90]. Nach verschiedenen Operationsmethoden wurden „sehr gute“ Ergebnisse bei 36–77% gefunden [1, 18, 24, 34, 38, 63]. Die Rate „schlechter“ Ergebnisse scheint mit 0–10% nach operativer Therapie [1, 18, 24, 34, 38, 63] niedriger zu sein als nach konservativer: Hier wurden 0–36% „schlechte“ Ergebnisse beobachtet [2, 14, 34, 36, 60, 66, 79, 90].

Operationsindikation

Eine Operationsindikation liegt bei mehr als 15° segmentaler kyphotischer Fehlstellung vor.

Mit jeder Operation ist ein zusätzliches Weichteiltrauma verbunden, das selbst auch für Schmerzen verantwortlich gemacht werden kann. Hinzu kommen—je nach Verfahren—unterschiedlich hohe Komplikationsraten. Damit verknüpft ist die Frage nach einer akzeptablen Fehlstellung: Ist die vollständige Wiederherstellung der physiologischen Wirbelsäulenkrümmung erforderlich oder können posttraumatische Kyphosen innerhalb gewisser Grenzen toleriert werden? Welches Ausmaß einer segmentalen Fehlstellung führt zu messbar stärkeren Beschwerden?

Als Grenze für die konservative Behandlung am thorakolumbalen Übergang wurde eine Verminderung der Wirbelkörpervorderkantenhöhe auf 40–50% genannt. Andere gaben eine Kyphose von 30° oder eine Höhenminderung des Wirbelkörpers um 1/3 an. Trotzdem beruhten diese Empfehlungen auf individueller Erfahrung und Empirie, denn eine Mehrzahl von Autoren fand keinen Zusammenhang zwischen der segmentalen Fehlstellung und subjektiven Beschwerden. Einige Autoren konnten eine Korrelation zwischen den genannten subjektiven und objektiven Parametern nachweisen [58, 78]. Trojan [82] fand vermehrte Beschwerden ab 20° Kyphose und Day und Kokan [19] zufolge verschlechterte eine Wirbelkörperkompression von mehr als 50% die Prognose. Tropiano et al. [83] fanden ein signifikant schlechteres Outcome bei einer segmentalen Fehlstellung von >15°.

„Versteckte“, ligamentäre Distraktionsverletzung

Für die Diagnostik bzw. den Ausschluss der „versteckten“, ligamentären Distraktionsverletzung („hidden B1“) ist Folgendes zu beachten.

Die Unterscheidung zwischen „reiner“ Typ-A-Verletzung und einer ligamentären Flexions-Distraktions-Verletzung mit Wirbelkörperfraktur (B1) ist hier von besonderer Bedeutung: In Rückenlage des Patienten kann die Verletzung leicht übersehen werden [56]. Die röntgenologischen Zeichen für eine Distraktionsverletzung, wie beispielsweise ein erhöhter Dornfortsatzabstand in der a.-p.-Aufnahme, können durch „Spontanreposition“ unsichtbar bleiben, und es kommt bei funktioneller Behandlung zu einer erheblichen Kyphosierung durch die höhere Instabilität der tatsächlichen Verletzung. Im Zweifelsfall sollte bei funktioneller Behandlung einer angenommenen A-Verletzung frühzeitig nach Mobilisation des Patienten eine Röntgenkontrolle im Stehen erfolgen.

Es besteht heute weitgehende Übereinstimmung darin, dass hochgradig instabile Verletzungen (Typ B und C nach der Magerl-Klassifikation [61]) und diejenigen mit neurologischer Zusatzverletzung operiert werden sollten [1, 18, 21, 23, 31, 33, 38, 50, 51, 59, 65, 75, 81]. Offen bleibt dabei die Frage, wie operiert werden soll, und es werden unterschiedliche Zugangswege sowie Stabilisierungs- und Fusionstechniken angegeben. Retrospektive Nachuntersuchungsergebnisse nach operativer Behandlung wurden oft nur anhand kleiner Kollektive erhoben, die inhomogen waren oder eine Auswahl darstellten. Systematische und prospektive Erhebungen zu Vor- und Nachteilen der einzelnen Verfahren konnten bis heute nicht vorgelegt werden.

Dorsale Operationstechnik

In Europa kommen heute für die dorsale Reposition und Stabilisierung von Verletzungen fast ausnahmslos winkelstabile Fixateursysteme zum Einsatz. Langstreckige Implantate—wie beispielsweise das Harrington-Instrumentarium oder Luque-Stäbe—haben aufgrund hoher Komplikationsraten und geringerer Effektivität keine Bedeutung mehr. Die Komplikationsraten bei Einsatz des Fixateur interne erscheinen deutlich niedriger—auch im Vergleich zu ventralen Verfahren [42].

Der winkelstabile Fixateur interne bietet gute Möglichkeiten zur Reposition aller Fehlstellungen, kann jedoch allein einen postoperativen Korrekturverlust nicht verhindern. Als zusätzliche Techniken der Fusion von dorsal werden die interlaminäre Spondylodese sowie eine transpedikuläre intra- oder interkorporelle Spongiosaplastik nach Daniaux [18] verwendet. Mit dieser Technik konnte jedoch ein postoperativer Korrekturverlust nicht verhindert werden. Das Ziel einer sicheren interkorporellen Fusion konnte mit dieser Methode nicht erreicht werden [9, 17, 37, 43, 44, 57, 70, 73, 85, 87, 88, 88].

Eine gute Alternative zur ventralen Rekonstruktion über einen gesonderten Zugang scheint bei monosegmentalen Verletzungen und gleichzeitig notwendiger Dekompression die interkorporelle Fusion mit autogenem Beckenspan in PLIF-Technik zu sein (Kathrein et al., Jahrestagung DGU, Berlin 2002). Mittelfristige Ergebnisse liegen hier noch nicht vor.

Im eigenen Vorgehen wird die dorsale Reposition und Stabilisierung unabhängig von der Art der ventralen Rekonstruktion mit einer interlaminären Fusion kombiniert. Seltene Ausnahmen sind knöcherne Distraktionsverletzungen ohne Wirbelkörperfraktur, die lediglich eine Zuggurtung für die knöcherne Ausheilung benötigen.

Eine gute Alternative zur ventralten Rekonstruktion über einen gesonderten Zugang scheint bei monosegmentalen Verletzungen und gleichzeitig notwendiger Dekompression die interkorporelle Fusion mit autogenem Beckenspan in PLIF-Technik zu sein (Kathrein et al. Jahrestagung DGU, Berlin 2002) Mittelfristige Ergebnisse liegen hier noch nicht vor.

Im eigenen Vorgehen wird die dorsale Reposition und Stabilisierung unabhängig von der Art der ventralen Rekonstruktion mit einer interlaminären Fusion kombiniert. Seltene ausnahmen sind knöcherne Distraktionsverletzungen ohne Wirbelkörperfraktur, die lediglich eine Zuggurtung für die knöcherne Ausheilung benötigen.

Ventrale Operationstechnik

Das rein ventrale Vorgehen bietet den Vorteil, dass die Läsion der vorderen Säule—also des Wirbelkörpers—direkt mit einer druckfesten Abstützung durch einen Knochenspan und/oder ein Implantat angegangen werden kann [6, 27, 38, 51, 92]. Als Vorteil wurde außerdem die bessere Möglichkeit einer vollständigen Dekompression genannt. Doch auch bei dieser Technik wurden Korrekturverluste beobachtet und weitere Nachteile des Verfahrens bekannt: Der ventrale Zugang sei bei Patienten mit begleitender Lungenkontusion oder polytraumatisierten kontraindiziert, eine vollständige Reposition kaum möglich, verhakte Luxationen könnten irreponibel bleiben, skoliotische Fehlstellungen träten aufgrund des asymmetrischen Vorgehens in der Frontalebene häufiger ein, und die ventrale Stabilisierung sei zudem biomechanisch weniger stabil [11, 40].

Bis heute fehlt ein Implantat für die ventrale Stabilisierung, das eine vergleichbare und vollständige instrumentelle Reposition wie der dorsale Fixateur interne ermöglicht [42]. Es wurden für diese Technik erhebliche Komplikationsraten und zusätzliche verfahrensspezifische Probleme angegeben: Dazu gehörten die höhere Morbidität des ventralen Zugangs und der Spanentnahme am Beckenkamm sowie Spanpseudarthrosen und -frakturen.

Kombinierte dorsoventrale Operationstechnik

Bei der kombinierten dorsoventralen Operation wird die Verletzung zunächst mit einem Fixateur dorsal reponiert und stabilisiert, was auch als Notfalleingriff möglich ist. Danach wird ein- oder zweizeitig über einen separaten Zugang die ventrale Abstützung und Fusion herbeigeführt. Dieses Vorgehen soll die Vorteile einer bestmöglichen Instrumentierung von dorsal mit der optimalen und sicheren ventralen Fusion vereinen [11, 12].

Doch auch bei diesem Verfahren wurden Nachteile deutlich: Die aufwändigere Operationstechnik war mit signifikant längerer Operationszeit und höherem Blutverlust verbunden [42]. Mehrere Autoren wiesen auf eine erhebliche Morbidität und Komplikationsmöglichkeiten durch die Spanentnahme am Beckenkamm hin, und es fanden sich ebenfalls Hinweise auf verfahrensspezifische Komplikationen wie Einheilungsstörungen oder Frakturen des Spanes [5, 15, 35, 52, 76, 77, 80, 89, 91].

Die Technik des ventralen Zugangs und der ventralen Rekonstruktion konnte in den vergangenen 5 Jahren nachhaltig verbessert werden. So wurde die Spantechnik modifiziert und die Züricher Spantechnik mit „Nut-und-Feder-Prinzip“ verlassen (Abb. 1). Heute werden die angrenzenden, intakten Endplatten nicht mehr „geopfert“, sondern lediglich sorgfältig „angefrischt“ und zur Abstützung des Spanes genutzt (Abb. 2). Die Entnahmemorbidität am Beckenkamm kann—besonders für die bisegmentale Fusion—durch die Verwendung von Wirbelkörperersatzimplantaten wie beispielsweise Synex (Abb. 3) vermieden werden [54, 55].

Abb. 1
figure 1

50-jährige Patientin mit Kneifzangenbruch (A2.3) von L1, konventionelle Tomographie (a); kombiniertes Vorgehen mit dorsaler Reposition und Stabilisierung mit bisegmentalem Fixateur interne sowie ventraler monosegmentaler Fusion mit Beckenkammspan (b); Ausheilungsergebnis 2 Jahre postoperativ mit eingeheiltem Span in unveränderter Stellung (c)

Abb. 2
figure 2

30-jähriger Patient mit kranialem Berstungsspaltbruch (A3.2.1) von L1: Unfall-CT (a) und konventionelle Unfallröntgenbilder (b); einzeitig kombinierte, dorsoventrale Stabilisierung bisegmental mit thorakoskopischer ventraler Spanfusion monosegmental (c), unveränderte Stellung und Fusion 1 Jahr postoperativ und nach Implantatentfernung (d)

Abb. 3
figure 3

33-jähriger Patient mit inkomplettem kranialem Berstungsbruch (A3.1.1) von L1 (a). Kombinierte dorsoventrale Operation mit dorsaler Reposition und Stabilisierung mit Fixateur interne bisegmental sowie thorakoskopischem Wirbelkörperersatz monosegmental bei Übergewicht (b). Patient nach 6 Wochen beschwerdefrei und wieder voll berufstätig als Kfz-Mechaniker (c). Ausheilungsergebnis 1 Jahr postoperativ und nach Implantatentfernung (d). Unveränderte Lage des Wirbelkörperersatzimplantates bei interkorporeller knöcherner Fusion in sagittalen und koronaren Rekonstruktionen des Computertomogrammes (e)

Neben dem Vorteil, dass auf die Entnahme eines Beckenkammspanes für die ventrale Abstützung verzichtet werden kann, ist die endoskopische Applikation des Implantates heute möglich [47]. Die Überlegenheit des Implantates (Synex™, Synthes) wurde in biomechanischen Versuchen im Vergleich zum Harms-Korb bewiesen [45, 46]. Die besten röntgenologischen Ergebnisse mit dem geringsten Korrekturverlust wurden nach Rekonstruktion der ventralen Säule über einen vorderen Zugang angegeben [38, 40, 54, 67, 84].

Die Zugangsmorbidität war bisher ein wesentlicher Nachteil der vorderen Zugänge. Nach ersten Berichten über die endoskopische Wirbelsäulenchirurgie 1993 und 1994 wurde das thorakoskopische Vorgehen von Beisse und Potulski für die Frakturversorgung am thorakolumbalen Übergang entwickelt und standardisiert. Bei besserer Visualisierung konnte die Zugangsmorbidität signifikant gesenkt werden [7, 8, 16, 28, 29, 32, 53, 69].

Vorgehen bei neurologischem Defizit

In der prospektiven Multicenter-Studie der Arbeitsgemeinschaft „Wirbelsäule“ konnte zwischen dem Ausmaß eines neurologischen Defizites im Frankel-/ASIA-Score und der Einengung des Spinalkanals nach dem Unfall ein signifikanter Zusammenhang nachgewiesen werden [42]. Weder für inkomplette noch für komplette Querschnittssysndrome konnte jedoch bis jetzt der Nachweis geführt werden, dass eine operative Dekompression gegenüber einer konservativen Behandlung allein überlegen wäre. Boerger et al. [13] bestätigten diese Tatsache in einem aktuellen Review-Artikel: Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine Operationsindikation allein aufgrund eines neurologischen Defizites nicht gegeben ist. Die Aussagekraft des Artikels wird jedoch durch Sammlung von teilweise sehr kleinen Patientenkollektiven und die sehr unterschiedlichen und z. T. auch veralteten Operationsmethoden beeinträchtigt.

Verfechter einer operativen Behandlung folgen dagegen der Vermutung, dass ein Zusammenhang zwischen der Dauer einer mechanischen Kompression des Rückenmarks und der Chance einer Rückbildung neurologischer Ausfälle besteht. Eine Reihe von Autoren sprechen sich jedoch aufgrund experimenteller [22] und klinischer Ergebnisse [25, 26, 30, 68, 71, 74] für die operative Dekompression bei neurologischem Defizit aus. Unserer Meinung nach muss man jedem inkomplett Gelähmten heute die Chance auf eine schnellstmögliche Operation geben. Schnellstmöglich bedeutet dabei, dass für den Eingriff immer die optimalen Bedingungen gegeben sein müssen. Der Patient sollte zwar so früh wie möglich operiert, jedoch unter keinen Umständen dadurch gefährdet werden, dass die Behandlung überhastet und durch ein weniger erfahrenes Operationsteam begonnen wird. Auch eine Verlegung in ein geeignetes Zentrum ist nach entsprechender Reposition und Lagerung als Minimalmaßnahme zu erwägen. Als einzige „echte“ Notfallindikation ist die sehr seltene Situation eines zunehmenden neurologischen Defizits, einer schlimmer werdenden Lähmung, zu nennen.

Nicht übersehen werden darf dabei auch die Stabilisierung im Zuge der Dekompression. Dadurch wird eine zusätzliche Schädigung durch sekundäre Verschiebung oder Dislokation zuverlässig vermieden.

Ergebnisse mit Synex

Erfasst wurden klinische und radiologische Daten der ersten 50 konsekutiven Patienten während des stationären Verlaufes und nach 12 und 18 Monaten. Es handelte sich um 29 Männer und 21 Frauen mit überwiegend frischen, traumatischen Frakturen (n=36) oder veralteten Verletzungen (n=10). 30-mal wurde ein bisegmentaler, 20-mal ein monosegmentaler Wirbelkörperersatz mit Synex durchgeführt. 45 von 50 Patienten wurden 1 Jahr postoperativ und davon 39 nach 1 1/2 Jahren nachuntersucht.

25 Patienten hatten die vorherigen Freizeitaktivitäten wieder aufgenommen, nach 18 Monaten waren es 29 von 39 nachuntersuchten Patienten. 33 von 45 Patienten waren vor der Erstoperation erwerbstätig gewesen, nach 12 Monaten waren knapp die Hälfte, nach 1 1/2 Jahren 2/3 von ihnen wieder im alten Beruf tätig. 25 von 45 Patienten hatten nach 1 Jahr keine oder nur geringe Rückenbeschwerden, nach 18 Monaten waren noch 6 Patienten in ihrer Rückenfunktion eingeschränkt. Drei von 45 Patienten wiesen nach 12 Monaten eine relevante Zugangsmorbidität auf, nach 18 Monaten waren alle nachuntersuchten Patienten von Seiten des Zuganges weitgehend oder komplett beschwerdefrei.

Der Wirbelsäulenscore, gemessen mit einer visuellen Analogskala, fiel signifikant ab von 87/100 präoperativ auf 68/100 nach 1 Jahr (p<0,001). Durch die Operation wurde eine signifikante Korrektur von durchschnittlich 19,2° erreicht. Nach 12 Monaten verblieb nach einem Korrekturverlust von 2,3° ein Korrekturgewinn von 16,9°. Eine knöcherne Überbrückung des Synex war bei 83% der Patienten im konventionellen Röntgenbild nachweisbar.

Ausblick

Nach Verletzungen der Wirbelsäule und des Rückenmarks waren im Vergleich zu denen aller anderen großen „Organsysteme“ die schlechtesten funktionellen Resultate und die niedrigste Wiedereingliederungsrate in das Berufsleben zu beobachten. Diese Feststellung von Johansson et al. 1993 macht den Wert der Suche nach einer optimalen, patientenorientierten Behandlung von Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule deutlich. Dabei ist neben dem individuellen Wunsch nach möglichst vollständiger Wiederherstellung auch die gesellschaftliche Bedeutung einer beruflichen Rehabilitation der überwiegend jungen Patienten zu berücksichtigen.

Für die kommenden Jahre ist damit zu rechnen, dass die technische Entwicklung der Operationsmethoden fortschreitet und sich überlegene Methoden herauskristallisieren. Die Morbidität des ventralen Eingriffs wird durch die Standardisierung und Verbreitung des endoskopischen Vorgehens unbedeutender werden. Die Dauerfolgen eines dorsalen Eingriffes werden im direkten Vergleich möglicherweise überwiegen, wobei es auch hier Bestrebungen zur Minimierung des Operationstraumas durch perkutanes Vorgehen gibt.

Bis heute verfügt kein ventral stabilisierendes Implantat über die Repositionsmöglichkeiten eines dorsal eingebrachten Fixateur interne. Hier sind auch Implantate in der Entwicklung, die einerseits endoskopisch eingebracht werden können und zusätzlich die Möglichkeit bieten sollen, eine Fehlstellung durch den minimal-invasiven Zugang zu reponieren. Das Ziel der Entwicklung wäre, dass auf den dorsalen Eingriff überhaupt verzichtet werden kann.

Last but not least wurden Scores entwickelt und validiert [48], die eine zunehmende Verbreitung finden und für die Zukunft auch den Vergleich von Ergebnissen nach unterschiedlichen Behandlungsmethoden ermöglichen werden. Wichtige Hinweise erhoffen sich die beteiligten Kliniken der Arbeitsgemeinschaft „Wirbelsäulenchirurgie“ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie von der laufenden Studie „Multicenter II“, die die aktuellen operativen und nichtoperativen Behandlungsmethoden an der gesamten Brust- und Lendenwirbelsäule berücksichtigt [49].