Zusammenfassung
Mit der Herausbildung eines Fünfparteiensystems in Deutschland wird es für die Parteien schwieriger, Regierungsmehrheiten zu erreichen. Auch wenn die Bundestagswahl 2009 zu einer schwarz-gelben Koalition führte, sind längerfristig neue Konstellationen gefordert – doch welche kommen hier in Frage? Der Autor argumentiert in diesem Beitrag, dass bei der Analyse der Koalitionsbildung die strategische Dimension häufig unterschätzt wird. Aus der Koalitionsforschung werden jene Faktoren, welche die Bildung von Koalitionen beeinflussen, herausgearbeitet und mit der strategischen Bewertung durch die Parteispitze in einem Modell verbunden. Durch die Einbeziehung und Auffächerung der strategischen Dimension ergibt sich ein Zugang für die Beratung von Parteien hinsichtlich einer Koalitionsentscheidung. Das Modell wird abschließend an – auf Bundesebene – neuen Koalitionsformaten durchgespielt.
Abstract
With a fifth party having emerged in the German party system, established coalition models are less likely to gain a majority. Even though the last federal election led to a two party government, there is an obvious need for new coalition models in the long term. This paper argues that in analyzing coalition formation processes the strategic dimension needs to be emphasized. A framework is presented which includes lessons from coalition research as well as strategical and practical considerations of party leaders, allowing a new approach to coalition building advisory. In a last step the framework is tested for the German federal level using new coalition models.
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Notes
Einzelne Phasen ohne Mehrheitskoalitionen sind transitorische Phänomene.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Parteien Politikfelder unterschiedlich gewichten können.
Große Koalitionen werden in Umfragen negativ bewertet und mit Stillstand gleichgesetzt (Politbarometer Mai II 2008). Inwieweit die letzte Große Koalition diese Einstellung ändert, ist noch nicht abzusehen.
Ein solches Vorgehen ist in Deutschland die absolute Seltenheit (Walter 2009), kommt aber in anderen europäischen Ländern durchaus vor (Dänemark, Norwegen).
Daran hat auch die Föderalismusreform nichts grundlegend geändert (Reutter 2006).
Von Seiten der Union waren etwa Ronald Pofalla, Norbert Röttgen und Eckart von Klaeden vertreten.
Von den Akteuren wurde die Zusammenarbeit zwar durchaus als erfolgreich bewertet, von den Wählern erhielt sie aber keine Mehrheit zur Fortsetzung.
Keine Koalitionsvariante wird von der Mehrheit der Befragten als gut bezeichnet.
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Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, der 2008 bei einem Symposium der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin gehalten wurde. Der Verfasser bedankt sich bei Martin Florack, Timo Grunden, Karl-Rudolf Korte und Kristina Weissenbach sowie den anonymen Gutachtern für die wertvollen Hinweise und Anregungen.
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Switek, N. Neue Regierungsbündnisse braucht das Land!. Z Politikberat 3, 177–196 (2010). https://doi.org/10.1007/s12392-010-0254-8
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