Zusammenfassung
Zur Untersuchung vielfältiger Lebensverhältnisse reicht eine Ungleichheitsbetrachtung allein unter der Masterkategorie Klasse nicht aus. Notwendig ist vielmehr eine Perspektive, in der Wechselwirkungen von Klassen, Geschlechtern, Ethnizitäten und Körper(lichkeiten) theoretisch in den Blick geraten und empirisch analysiert werden. Der Beitrag schlägt dazu einen intersektionalen Mehrebenenansatz vor, mit dem die Verwobenheit verschiedenartiger Differenzkategorien auf drei verschiedenen Ebenen (der Struktur-, Repräsentations- und Identitätsebene) theoretisch erfasst und empirisch verdeutlicht werden kann. Der Fokus liegt dabei auf dem theoretischen Zusammenhang von Klassen- und Ungleichheitsanalyse und verfolgt das Ziel, Wechselwirkungen zwischen Ebenen und Kategorien methodologisch zu reflektieren und empirisch zu illustrieren.
Abstract
The following article argues that an in depth analysis of different living conditions requires a theoretical and empirical perspective which does not only take into account class but also other categories of social inequality such as gender, race and body. Departing from the idea that these categories are mutually intertwined, the article suggests an intersectional multi-layered approach which allows to examine reciprocal effects between class, gender, race and body on three different levels: the level of social structures, the level of identity construction and the level of symbolic representation. Considering the theoretical relationship between the analysis of class and social inequality, the article also intends to understand and explain how these different levels of analysis are interrelated, how the linkage between social categories and levels of social reality have to be methodologically reflected and how they can be made accessible in and through empirical research.
Résumé
Considérer les inégalités uniquement sous l’angle de la catégorie dominante de classe ne suffit pas pour étudier la multiplicité des conditions de vie. Il est au contraire nécessaire d’adopter une perspective permettant de rendre compte théoriquement et d’étudier empiriquement les interactions entre classes, sexes, ethnicités et corp(oralité)s. Ainsi, cet article propose une approche intersectionnelle multi-niveaux pour analyser théoriquement et mettre en évidence empiriquement l’entrelacement de diverses catégories de différences sur trois niveaux différents (le niveau de la structure, de la représentation et de l’identité). Dans ce contexte, l’accent est mis sur l’interdépendance théorique entre analyse des classes et analyse des inégalités en vue d’envisager les interactions entre niveaux et catégories sur un plan méthodologique et de les illustrer empiriquement.
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Notes
Im deutschsprachigen Kontext erscheint in der gender- und queertheoretischen Literatur der Begriff Rasse mit Rücksicht auf die nationalsozialistische Vergangenheit zumeist in Anführungszeichen, oder es wird alternativ der englische Begriff „race“ statt Rasse verwendet. Wir wollen mit diesem Begriff Prozesse der Rassisierung, also Prozesse der Rasse erst konstruierenden Ausgrenzung und Diskriminierung von Personengruppen sowie ihre gewaltförmige Naturalisierung und Hierarchisierung deutlich machen. Deshalb halten wir an dem Begriff fest, ergänzen ihn jedoch durch den Begriff Ethnizität.
Dass sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre Leistungsfähigkeit verantwortlich fühlen (sollen), belegt eine Studie zum Thema „Ageing Workforce“, die eine positive Korrelation zwischen sportlicher Aktivität und Arbeitsfähigkeit sowie zwischen Fitness und Arbeitsfähigkeit nachweist (Brenneis 2007). Hinsichtlich des Aspekts der Gesundheit war im Jahr 2009 der Krankenstand in deutschen Betrieben so niedrig wie selten zuvor: Betrug er 1999 noch 4,4 % der Sollarbeitszeit, waren es 2009 nur noch 3,6 %; das entspricht einem Rückgang von rund einem Viertel. Auf der anderen Seite hat sich der Anteil psychischer Erkrankungen in Deutschland seit der Wiedervereinigung 1989 verdoppelt (dpa, 28.12.09, 11.4.2009 welt-online). Hinsichtlich der Bedeutung von Attraktivität sei auf eine Studie der Wirtschaftswissenschaftlerin Sonja Bischoff verwiesen, die seit 1986 Führungskräfte regelmäßig befragt, was den erfolgreichen Start in die Karriere begünstige. Während 1986 noch 6 % der Befragten das Äußere für wichtig hielten, waren es 1991 15 %, 1998 21 % und 2003 bereits 27 % (Nienhaus und Hergert 2009). Diese Einschätzung scheint nicht unbegründet zu sein. So sprechen sozialpsychologische Studien dafür, dass sich Attraktivität und Schönheit auch im Einkommen niederschlägt; die „Schönheitsprämie“ wird auf 10 bis 15 % geschätzt (vgl. Hamermesh und Biddle 1994; Rosenblat 2008; Roszell et al. 1989).
Im Folgenden werden zwecks der besseren Lesbarkeit anstelle der weiblichen und männlichen Bezeichnungen nur die männlichen Formen verwendet, wobei die weiblichen mit eingeschlossen sind.
Bourdieu (1987) etwa setzt sich intensiv mit symbolischen Kämpfen auseinander, will aber in erster Linie zeigen, wie symbolische Kämpfe soziale Strukturen stützen und legitimieren.
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Degele, N., Winker, G. Intersektionalität als Beitrag zu einer gesellschaftstheoretisch informierten Ungleichheitsforschung. Berlin J Soziol 21, 69–90 (2011). https://doi.org/10.1007/s11609-011-0147-y
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