Was ist die digitale Lebenswelt? Eine Explikation

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Digitale Lebenswelt

Zusammenfassung

Derzeit wird in der Forschung der Begriff digitaler oder virtueller Lebenswelt meist als offene Forschungsheuristik verwendet. Um Forschung zu fokussieren, ist jedoch eine Begriffsexplikation notwendig, denn der Begriff digitaler Lebenswelt ist in Bezug auf die philosophische Tradition der Phänomenologie und Kritischen Theorie notorisch unklar. Er ist in sich widersprüchlich. Mithilfe gegenwärtiger Technikphilosophie kann ein empirisch gesättigter, klarerer Begriff digitaler Lebenswelt erarbeitet werden: Eine digitale Lebenswelt* ist genau dann gegeben, wenn Relationen von Menschen und digitalen Technologien einen Handlungs-, Erfahrungs- und Interpretationsraum schaffen, diese Relationen durch technologische Mediation aufgebaut wurden und selbst politisch, sowie politisch korrigierbar sind.

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Notes

  1. 1.

    Zur Unterscheidung analog–digital siehe z. B. den Beitrag von Christoph Durt in diesem Band.

  2. 2.

    Prominent hat David Chalmers darauf verwiesen, dass Carnaps Projekt der Explikation im metaphilosophischen Projekt des Conceptual Engineering Anschluss gefunden hat: „Conceputal Engineering has been all over the Carnap literature for decades“ (Chalmers 2020, S. 6). So kann man die Kontexte der Edukation und des Digital Gamings, die ich am Ende beschreibe, auch als „metasemantic base“ des Begriffs digitaler Lebenswelt verstehen (Cappelen 2018, S. 57–60). Der Fakt, dass Lehren und Lernen heute digital stattfindet und das Spielende nicht mehr On-Life von Off-Life trennen, kann dann als wichtige Basis dafür begriffen werden, was „digitale Lebenswelt“ heute bedeuten mag. Mitgetragen wird dies vom Überbau dieser Metasemantik, nämlich der heute weit geteilten Überzeugung, dass digitales Lernen und Spielen eben gerade keine Pathologien mehr darstellen. Daher „darf“ man diese also auch als digitale Lebenswelt beschreiben. Im Gegensatz zur Situation von vor nicht einmal zehn Jahren sind Digital Education und Gaming heute nämlich zu rechtfertigen und teilweise sogar geradezu erwünscht. Hier hat sich also deutlich etwas an den normativen Bedingungen unserer Bedeutungen verändert, sodass „digitale Lebenswelt“ unter diesem metasemantischen Überbau als sinnvoller Begriff erscheint. Wichtig ist, dass man sich mit dem Conceptual Engineering selbst immer auch bewusst ist, dass ameliorierte Begriffe wie „digitale Lebenswelt“ selbst ihre Wirkung auf die Bedeutungsstrukturen in der Welt haben. Auch das sollte hier also klar sein: der Begriff „digitale Lebenswelt“ ist selbst ein Beitrag zu einer kritisch-reflektierten Digitalisierung und trägt seinen Teil zu den Veränderungen von Bildung, Freizeit u. a. bei.

  3. 3.

    Das wären für Carnap in seiner semantischen Phase solche definitorischen Sätze, die in einer gegebenen symbolischen Sprache logisch falsch sind, die also für jede Zustandsbeschreibung falsch sind (Carnap 1947, S. 10–11). Damit geht Carnap die Analytisch-Synthetisch-Unterscheidung mit. Diese Sätze sind also im traditionellen Sinne bereits analytisch falsch. Ich brauche an dieser Stelle nicht die Rigidität Carnaps. Es reicht hier, mitzugehen damit, dass die folgenden Bestimmungen von digitaler Lebenswelt nicht nur hier und dort einmal, sondern „notorisch“ unklar sind. Ob das jetzt logische oder reale Unmöglichkeit impliziert und was Unmöglichkeit in diesem Fall heißt, ist Teil der Debatte seit Carnap (vgl. vor allem: Kripke 1980).

  4. 4.

    Eine frühe Analyse digitaler Technologie Feenbergs behandelt das sog. Minitel-System, einen Vorläufer des Personal Computers in Frankreich (Feenberg 1995, S. 165). Don Ihdes Bodies in Technology ist eine frühe Studie der Verkörperung in Internet und Cyberspace (Ihde 2002). In der empirisch arbeitenden Technikphilosophie sind beide Theorien heute wichtige Analysemuster, auch wenn es insbesondere in der Frage nach den soziopolitischen Bedingungen von Technologie gewichtige Differenzen gibt. Vgl. hierzu Ausgabe 1/2 (2020) der Zeitschrift Techné mit Beiträgen zum Thema Critical Constructivism and Postphenomenology: Ethics, Politics, and the Empirical.

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Bohlmann, M. (2024). Was ist die digitale Lebenswelt? Eine Explikation. In: Schwartz, M., Neuhaus, M., Ulbricht, S. (eds) Digitale Lebenswelt. Digitalitätsforschung / Digitality Research. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-68863-2_1

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