„Le métier d’homme est difficile“. Zur Konstruktion von Männlichkeit in La neige était sale

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Simenon

Part of the book series: Kriminalität in Literatur und Medien ((KLM,volume 5))

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Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag analysiert anhand des Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit den Versuch des Protagonisten von Simenons Roman La neige était sale, eine männliche Identität im Kontext von Delinquenz und Prostitution aufzubauen. Dieses ist als Antithese zu dem der Weiblichkeit konzipiert, welche als permanente Bedrohung des männlichen Selbstentwurfes erscheint, und als Konkurrenzverhältnis der Repräsentanten hegemonialer Männlichkeit untereinander, die sich mit Misstrauen und Abneigung begegnen. So ist der Protagonist bestrebt, alle weiblichen Anteile seiner Person abzutöten und die Konkurrenten im Wettstreit um soziale Hegemonie auszustechen. Dies erfolgt durch die Kontrolle über die Frauen seines Umfeldes sowie durch die Begehung zweier Morde, die der psychischen Abhärtung dienen. Schließlich ist es jedoch der sozial deklassierte Repräsentant einer bürgerlichen Existenz, welcher als Rollenmodell und ersehnte Vaterfigur erscheint und den Protagonisten zur Umkehr bewegt, jedoch unter dem Vorzeichen des Todes.

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Notes

  1. 1.

    Die Zahl in Klammern verweist jeweils auf die Seitenzahl des französischen Originaltextes bzw. der Übertragung ins Deutsche.

  2. 2.

    Vgl. Platten: Shades of noir, 26, und Assouline: Simenon, 557.

  3. 3.

    Vgl. Assouline: Simenon, 558.

  4. 4.

    Auch sind Bezüge zu seiner Heimatstadt Lüttich mit ihrem Binnenhafen, ihrer Ober- und Unterstadt, etc. nicht von der Hand zu weisen, und der Roman macht viele autobiographische Anleihen bei den Jugenderfahrungen des Autors im von Deutschen besetzten Lüttich während des Ersten Weltkrieges, was einige Kritiker zu der Vermutung verleitet hat, dass der Ort der Handlung in Nordfrankreich oder Belgien liege, vgl. Eskin: Simenon, 301–302, und Assouline: Simenon, 558.

  5. 5.

    So sagte Simenon in einem Interview: „Dans mon livre, il n’est pas question d’Allemands. Je voudrais en effet que l’occupant soit aussi neutre que possible afin de donner plus de généralité à l’œuvre. À vrai dire, dans mon esprit, l’action se passe en Europe centrale, et plutôt sous l’occupation russe. Les décors comme les noms sont ceux d’une ville autrichienne ou tchèque…“; zit. nach Assouline: Simenon, 558–559.

  6. 6.

    Vgl. Eskin: Simenon, 302.

  7. 7.

    „Schwer ist der Beruf des Menschen“ (304).

  8. 8.

    Vgl. Dinges: Hegemoniale Männlichkeit, 7.

  9. 9.

    Vgl. Meuser/Scholz: Hegemoniale Männlichkeit, 211.

  10. 10.

    Ebd., 216.

  11. 11.

    Ebd., 212 und 217.

  12. 12.

    Ebd., 214.

  13. 13.

    Vgl. Meuser/Scholz: Hegemoniale Männlichkeit, 216 und 218–219.

  14. 14.

    Ebd., 222–223.

  15. 15.

    Ebd., 218.

  16. 16.

    Vgl. Meuser/Scholz: Hegemoniale Männlichkeit, 215.

  17. 17.

    Ebd., 219.

  18. 18.

    „Er ist nicht besonders groß. Eher klein. Manchmal — aber das ist lange her — trug er hohe Absätze, fast Damenabsätze, um sich größer zu machen. Er ist auch nicht dick, aber kräftig gebaut, mit breiten Schultern.“ (36)

  19. 19.

    Vgl. Hutton: French Crime Fiction, 23.

  20. 20.

    „[…] nagelneue Schuhe mit dicken Sohlen“ (47).

  21. 21.

    „Er könnte sicher zärtlich sein, wenn er wollte.“ (36)

  22. 22.

    „Fremde mögen ihn für hartherzig halten. Auch seine Mutter fürchtet sich vor ihm. Aber manchmal gerät er unvermittelt ins Träumen, wie jetzt gerade, wo er einen grünen Fleck beinahe zärtlich betrachtet.“ (92)

  23. 23.

    „Weil er dick war, so dick, dass die Uniform über seiner Leibesfülle spannte und Wülste an der Taille und unter den Armen bildete. Es drängte sich der Gedanke an eine Matrone auf, die sich entkleidet hat und in deren weichem Fleisch noch der Abdruck des Korsetts zu sehen ist.“ (14)

  24. 24.

    „Vor allem musste er einmal das Messer benutzen, das er in die Hand gedrückt bekommen hatte, wirklich eine schöne Waffe. Man hatte unwillkürlich das Verlangen, es auszuprobieren und zu spüren, wie es sich anfühlte, wenn man damit ins Fleisch eindrang und es zwischen die Knochen glitt.“ (17)

  25. 25.

    Vgl. Hutton: French Crime Fiction, 23.

  26. 26.

    „Was kann man nicht alles mit einem Revolver tun! Und zu was für einem Menschen wird man dadurch ganz von selbst!“ (17). Im Kontext der hier gewählten Interpretation des Revolvers als eines Phallussymbols wäre auch an eine Übersetzung von frz. ,homme‘ mit ,Mann‘ zu denken.

  27. 27.

    „Die andere Hosentasche blähte der Revolver.“ (25)

  28. 28.

    „Er freut sich. Da ist er nun ein für alle Mal durch. Das mit dem Eunuchen zählte nicht. Es hatte nichts zu bedeuten. Es war sozusagen die Fingerübung. Und, eigenartig, es kommt ihm jetzt so vor, als hätte er etwas vollbracht, dessen Notwendigkeit er schon lange empfunden hatte.“ (86)

  29. 29.

    „Dann besucht er Minna in ihrem Bett und schläft so heftig mit ihr, dass ihr angst und bange wird.“ (88)

  30. 30.

    „Das einzig Unangenehme war, dass er bis zu den Knien im hartgefrorenen Schnee steckte — denn keiner war auf die Idee gekommen, in der Sackgasse zu räumen — und dass die Finger seiner rechten Hand allmählich steif wurden; aber er hatte den Handschuh ausgezogen und blieb dabei.“ (19)

  31. 31.

    „[…] muss es kaltblütig geschehen“ (12).

  32. 32.

    Das Motiv der Kälte lässt an die ,kalte persona‘ denken, wie sie Helmut Lethen in seinen Verhaltenslehren der Kälte beschreibt, um auf einen bestimmten Typus von Männlichkeit in der Literatur der Neuen Sachlichkeit zu rekurrieren, der sich durch einen Kältepanzer gegen die Fährnisse einer feindlichen Lebenswelt zu behaupten sucht, indem er sein Verhältnis sowohl zu sich selbst wie zu den anderen durch Disziplinierung der Affekte sowie unter Absehung von Gewissen und Moral auf Distanz stellt.

  33. 33.

    „[…] weil er eine Art Minderwertigkeitsgefühl empfindet.“ (12)

  34. 34.

    „Sonderbar. Man ist misstrauisch und hat zugleich Vertrauen. Vielleicht kommt das daher, dass jeder mehr oder weniger davon ausgeht, der andere hätte, wenn man nur ein wenig sucht, etwas zu verbergen.“ (70)

  35. 35.

    „Er kann Kromer nicht leiden. Kromer ihn auch nicht.“ (63)

  36. 36.

    „Die anderen Male, als sie ein Ding drehten, war er der Boss und ließ ihn das ganz schön spüren.“ (88)

  37. 37.

    „Warum ist sich Frank plötzlich fast sicher, dass die Geschichte von dem in der Scheune erwürgten Mädchen frei erfunden ist?“ (92)

  38. 38.

    „[…] im Pelzmantel, mit seiner dicken Zigarre und seinem Gehabe, als wäre er hier wie überall sonst die Hauptperson.“ (104)

  39. 39.

    „Kaum zu glauben, dass er vor zehn Tagen noch Kromer als den Älteren, ihm Überlegenen, kurzum als einen Mann betrachtet hatte, während er sich selber als Kind fühlte!“ (123)

  40. 40.

    „Er ist für niemanden mehr der kleine Frank.“ (129)

  41. 41.

    „Meistens wandte sich Frank ab, um seinem Blick auszuweichen, manchmal aber schaute er ihm mit Absicht angriffslustig in die Augen.“ (21)

  42. 42.

    „In Holsts Augen ist kein Hass, und sie sind nicht leer, aber man spürt, dass man keinen Kontakt herstellen kann, und das ist demütigend.“ (72)

  43. 43.

    „[…] ungerührt und würdig irgendwo im Viertel in einer Schlange stehen.“ (33)

  44. 44.

    „Für nichts in der Welt würde er sich irgendwo anstellen.“ (33)

  45. 45.

    Vgl. Hutton: French Crime Fiction, 23.

  46. 46.

    „[…] nagelneue Schuhe mit dicken Sohlen aus echtem Leder.“ (47)

  47. 47.

    „Er dürfte wohl zu Franks Schuhen herüberschielen, ihren Wert abschätzen und sich darüber ärgern, dass der junge Mann sich nicht einmal die Mühe macht, sie mit Gummigaloschen zu schützen.“ (48)

  48. 48.

    „[…] selbstgebastelte Stiefel aus Filz und Lumpen.” (20)

  49. 49.

    „ein unerklärliches Unbehagen.“ (20)

  50. 50.

    „Er wird es herausfinden. Denn wenn sie nicht mal Jungfrau ist, verliert Holst alles und wird zur wunderlichen Gestalt. Und Frank auch. Warum nur hat er sich auf die beiden eingelassen?“ (58/59)

  51. 51.

    „Holst aber ist sozusagen sein Hauptfeind geworden. Er kommt am häufigsten wieder, in seinen grauen Filzstiefeln, seinem Mantel, mir seiner Blechdose, seiner konturlosen Gestalt — und, was das Merkwürdigste ist, es gelingt Frank nicht, sich sein Gesicht vorzustellen. Es ist nur noch ein blinder Fleck. Oder genauer: ein Ausdruck.“ (196)

  52. 52.

    Vgl. Hutton: French Crime Fiction, 26.

  53. 53.

    „Da sind Holst und er. Und nun ist es wirklich so, als hätte er gerade Holst ausgewählt, als hätte er die ganze Zeit schon gewusst, dass Holst zum richtigen Zeitpunkt kommt — denn er hätte das für niemand anderen als den Straßenbahnfahrer gemacht.” (24)

  54. 54.

    „Da! Jetzt hat er die Erklärung. Vielleicht ist das nicht ganz der richtige Ausdruck, aber es geht in die Richtung dessen, was er am Abend davor in etwa dachte: Er hat ihm vertraut.“ (32)

  55. 55.

    Vgl. Hutton: French Crime Fiction, 25.

  56. 56.

    „[…] wie ein Nachbar oder Freund, der einmal vorbeischauen will“ (41).

  57. 57.

    „Hamling hat harte Gesichtszüge, einen harten Körper; ein Mann von Stein, und das macht den Kontrast zu seinen kleinen, ironisch funkelnden Augen nur noch erstaunlicher. Er wirkt immer so, als machte er sich über einen lustig.“ (43)

  58. 58.

    „Warum aber, wo er gerade mal achtzehn ist, haben die Mädchen Angst vor ihm?“ (36)

  59. 59.

    „Alle im Viertel haben Angst vor ihm [Hamling], außer Lotte.“ (41)

  60. 60.

    Hamling wird als eigentlicher Vater Franks auch dadurch plausibel, dass er bei diesem eine Art ödipalen Konflikt auszulösen scheint. Durch sein Eindringen in die Wohnung der Friedmaiers und sein Auftreten drängt er Frank, der sonst die Position des „patron“, des Mannes im Hause einnimmt, in die Rolle des Sohnes zurück. Dies könnte auch erklären, warum dieser Holst und nicht ihn als Vater akzeptiert. Schließlich könnte auch das Schuhwerk von Frank eine subtile Anspielung auf Ödipus sein, dessen Name ‚Schwellfuß‘ bedeutet.

  61. 61.

    „Auch Holst muss früher so ein Dicker gewesen sein. Diese Abgemagerten sind eine ganz eigene Sorte, auf den ersten Blick zu erkennen.“ (48)

  62. 62.

    „Warum Holst? Keine Ahnung. Vielleicht kommt er nie dahinter. Jedenfalls will er nicht denken, es liege daran, dass er ohne Vater aufgewachsen ist.“ (97–98)

  63. 63.

    „Er muss auch Holst ansehen. Der hat nicht die Filzstiefel, die er anzog, wenn er die Straßenbahn fuhr. Er trägt Schuhe wie jeder andere. Er ist grau gekleidet. Erhält den Hut in der Hand.“ (302)

  64. 64.

    „Er wäre gern Holsts Sohn gewesen, er wäre gern Holsts Sohn. Er wäre so glücklich — und es würde eine so große Last von ihm nehmen —, wenn er einmal sagen dürfte: ‚Vater!‘“ (303)

  65. 65.

    Der Typus des soldatischen Mannes, wie ihn Helmut Lethen für die avantgardistische Literatur der zwanziger und frühen dreißiger Jahre in Deutschland beschrieben hat, hatte als Leitbild der Männlichkeit in weiten Teilen Europas Geltung besessen und der Ausbreitung totalitärer Systeme Vorschub geleistet. Die Literaturwissenschaft hat sich diesem Phänomen seit den achtziger Jahren gewidmet, wobei nach Lethen die feministische Literaturwissenschaft herausgearbeitet habe, dass die „Kälte als Kompensation der verlorenen Vaterinstanz“ zu sehen sei, eine Erkenntnis, die Georges Simenon hier bereits vorweggenommen hatte (Verhaltenslehren der Kälte, 69).

Literatur

Texte

  • Simenon, Georges: La neige était sale [1948]. Paris: Presses de la Cité 1977.

    Google Scholar 

  • Simenon, Georges: Der Schnee war schmutzig. Übers. v. Kristian Wachinger. Hamburg: Atlantik 2019.

    Google Scholar 

Abhandlungen

  • Assouline, Pierre: Simenon, Paris: Gallimard 21996.

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  • Dinges, Martin: „Hegemoniale Männlichkeit“. Ein Konzept auf dem Prüfstand. In: Ders. (Hg.): Männer — Macht — Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Frankfurt a. M.: Campus 2005, 7–33.

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  • Eskin, Stanley G.: Simenon. Eine Biographie. Übers. v. Michael Mosblech. Zürich: Diogenes 1989.

    Google Scholar 

  • Hutton, Margaret-Anne: French Crime Fiction 1945–2005: Investigating World War II. Farnham (Surrey): Ashgate 2003.

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  • Lethen, Helmut: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994.

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  • Meuser, Michael/Sylka Scholz: Hegemoniale Männlichkeit. Versuch einer Begriffsklärung aus soziologischer Perspektive. In: Martin Dinges (Hg.): Männer — Macht — Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Frankfurt a. M.: Campus 2005, 211–228.

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  • Platten, David: „Ceci n’est pas une pipe“: Shades of noir in Simenon. In: Australien Journal of French Studies 43/1 (2006), 19–34.

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Rieder, J. (2024). „Le métier d’homme est difficile“. Zur Konstruktion von Männlichkeit in La neige était sale. In: Doetsch, H., Nitsch, W. (eds) Simenon. Kriminalität in Literatur und Medien, vol 5. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67990-6_15

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