Analogien – Zusammentreffungen – Reihen

Verzeitlichung der Naturen in Novalis’ Die Lehrlinge zu Saïs und Heinrich von Ofterdingen

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Zeiten der Natur

Part of the book series: LiLi: Studien zu Literaturwissenschaft und Linguistik ((LiLi,volume 5))

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Zusammenfassung

Der Artikel fokussiert auf Verfahren der Analogisierung und Reihenbildung in Novalis’ theoretischen, poetologischen und literarischen Texten. In Auseinandersetzung mit Die Lehrlinge zu Saïs und Heinrich von Ofterdingen werden Analogie und Reihe als literarische Darstellungsverfahren und explorative Erkenntnismittel herausgearbeitet, die zum einen Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen Bereichen der Natur erkunden, zum anderen zu einer Historisierung der anorganischen Natur führen. Beide Verfahren stehen dadurch im Zusammenhang einer Verzeitlichung der Erde, die sich um 1800 in der Geologie vollzieht. Das Gegenständliche der anorganischen Natur, von Kristall über Fels bis zur Erde, wird mit zeitlich-geschichtlichen Prozessen enggeführt, die nicht unabhängig voneinander bestehen und sich, im Sinne von Novalis’ Begriff der „Coaktivität“, wechselseitig beeinflussen. Materielle Prozesse, etwa Vorgänge der Kristallisation, betreffen dabei nicht allein den Raum der anorganischen Natur, sondern verhalten sich analog zu geistigen und literarischen Formen des Welterkennens.

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Notes

  1. 1.

    Verweise beziehen sich auf die folgende Ausgabe von Novalis’ Schriften: Novalis (1977). Verweise erfolgen durch Angabe des Bandes und der Seitenzahl im Fließtext.

  2. 2.

    Bereits Aristoteles verdeutlicht dieses Verfahren in seiner Poetik: „Unter einer Analogie verstehe ich eine Beziehung, in der sich die zweite Größe zur ersten ähnlich verhält wie die vierte zur dritten. Dann verwendet der Dichter statt der zweiten Größe die vierte oder statt der vierten die zweite.“ (Aristoteles 1994, S. 69) Zu diesem Modell einer Analogiebeziehung auf der Grundlage einer Teilmenge von Ähnlichkeiten vgl. auch Coenen (2002, S. 31): „Die Analogie besteht zwischen zwei Gegenständen genau dann, wenn ein Beschreibungsinhalt als für beide geltend beansprucht oder anerkannt wird.“

  3. 3.

    Hoenen charakterisiert die Analogie als Mittel, „um Unbekanntes aus Bekanntem zu erschließen, oder um Ungleiches mit Ungleichem in Zusammenhang zu bringen. Dies geschieht auf Grund von Ähnlichkeit, oder enger gefaßt und dem relationalen Charakter der Analogie Rechnung tragend, aufgrund von Verhältnisgleichheit bzw. Verhältniseinheit.“

  4. 4.

    Zur Pluralisierung von Naturzeiten um 1800 vgl. Kling und Schuster (2021). Zur allgemeinen Kontextualisierung einer Verzeitlichung der Natur um 1800 vgl. u. a. Lepenies (1978).

  5. 5.

    Zu Novalis Position im Kontext frühromantischer, sowohl philosophischer als naturwissenschaftlicher Theorien einer möglichen Kontinuität zwischen organischer und anorganischer Natur vgl. Bark (1999, S. 290 f.);

  6. 6.

    Vgl. Bark (1999, S. 259): „Im Werk des Novalis ist die Wandlung des philosophischen und naturwissenschaftlichen Begriffs in ein dichterisches Symbol gekennzeichnet durch ein Verfließen der Grenzen zwischen wissenschaftlichem Begriff und poetischer Metaphorik“; Thums (2008, S. 319): „Es besteht eine strukturelle Analogie zwischen der Kristallisation als Wechselrepräsentationslehre von Festem und Flüssigem und der lebendigen Reflexion, die Darstellung ist.“

  7. 7.

    So beschreibt Novalis das Drama als „die Darstellung der Entstehung einer organischen Gestalt aus dem Flüssigen – einer wohlgegliederten Begebenheit aus Zufall“. (HKA II, 535). Zum Darstellungsbegriff bei Novalis vgl. Thums (2003, S. 79).

  8. 8.

    „431. ENC[YCLOPAEDISTIK]. Analogistik. Die Analogie – als Werckzeug, beschrieben und ihren mannichfaltigen Gebrauch gezeigt.“ (HKA III, 321) Zum Verhältnis zwischen analogischem Denken und Enzyklopädie vgl. Hahn (2014), S. 200: „Novalis aber forderte eine enzyklopädische, sich auf Analogien stützende Epistemologie“; vgl. dazu auch Bomski (2014, S. 97).

  9. 9.

    Zu dieser „Gattungsvielfalt“ und ihrem Bezug zum Brouillon vgl. Uerlings (1998, S. 165).

  10. 10.

    Zur „übergänglichen“ Gestalt der Wolken, besonders in Goethes Lyrik, vgl. Vogl (2005).

  11. 11.

    Zu diesem Effekt der Verzeitlichung durch Reihenbildungen bei Novalis vgl. Mierbach (2018, S. 422).

  12. 12.

    In Das Allgemeine Brouillon schreibt Novalis zum Aufbau der Enzyklopädie, zu der das Brouillon eine Vorstufe hätte bilden sollen: „<1 Stunde der Encyclopaedistik überhaupt. Diese enthält wissenschaftliche Algeber [d.i. Algebra O.V.] – Gleichungen. Verhältnisse – Aehnlichkeiten – Gleichheiten – Wirckungen der Wissenschaften auf einander.“ (HKA III, 280).“

  13. 13.

    Zur Nähe dieses Modells zu späteren Konzepten der Ökologie vgl. Thums 2023 (im Erscheinen).

  14. 14.

    Zu Novalis Organismus-Begriff in der Nachfolge von Schelling vgl. Engelstein (2021).

  15. 15.

    So auch in einem anderen Zusammenhang Haberkorn (2004, 200).

  16. 16.

    „Mathematisch bedeutet Selbstähnlichkeit, (oder auch Skaleninvarianz), dass sich etwa bei einem geometrischen Muster in jedem (noch so kleinen) Teil die Struktur des Ganzen in ähnlicher Form wiederfindet. Einige dieser geometrischen Gebilde, etwa die Koch’sche Schneeflocke, werden durch Iteration erzeugt“ (Bomski 2014, S. 22).

  17. 17.

    Zu diesem Widerspruch in Bezug auf die tatsächlichen Verhältnisse des Bergbaus, die Novalis aufgrund seines Berufs als Salineninspektor vertraut waren vgl. Detering (2020, S. 276 f).

  18. 18.

    Zu diesem Begriff und dem Bildfeld der Tiefe in der deutschen Frühromantik vgl. Mülder-Bach (2007).

  19. 19.

    Vgl. Gold (1990, S. 101): „Die Natur, die der Bergmann erschließt, wird im Roman und durchgehend im ganzen Oeuvre von Novalis stets geschichtlich gedacht.“

Literatur

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Völker, O. (2023). Analogien – Zusammentreffungen – Reihen. In: Pause, J., Prokić, T. (eds) Zeiten der Natur. LiLi: Studien zu Literaturwissenschaft und Linguistik, vol 5. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67588-5_4

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