Zusammenfassung
In der Morgenröthe sind mehrere Aphorismen dem Durchbruch zu Neuem gewidmet. Mit der Fähigkeit, ausgetretene Pfade zu verlassen sind die Aphorismen 113 und 114 verbunden, die Kehrseiten und Auswirkungen des physischen Leidens zeigen. Karl Jaspers, der die Krankheit Nietzsches in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen über Nietzsche stellte, schrieb diesem Ausnahmezustand eine grundlegende Rolle zu. Eine genauere Analyse des Aphorismus 114 und seiner durchdachten und ausgefeilten Struktur zeigt, wie sich die Dramatisierung des Gedankens in drei Phasen vollzieht; und wie die Reise durch eigene Hölle und der Kampf mit einem Feind, an dem man seine Kraft erproben kann, ein Argument gegen das Sinnlose des Leidens und für die Bejahung des Lebens und zugleich die Voraussetzung für eine neue Sichtweise und Wahrnehmung des Möglichen ist.
„Mitten im Martern, die ein ununterbrochener dreitägiger Gehirn-Schmerz […] mit sich bringt, – besaß ich eine Dialektiker-Klarheit par excellence und dachte Dinge sehr kaltblütig durch, zu denen ich in gesünderen Verhältnissen nicht Kletterer, nicht raffiniert, nicht kalt genug bin.“
(EH, KSA 6, 265)
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Notes
- 1.
Vgl. M 77 (KSA 3, S. 74 f.): „Die Hölle ist wahrlich kein bloses Wort geblieben: und den neu geschaffenen wirklichen Höllenängsten hat auch eine neue Gattung des Mitleidens entsprochen, ein grässliches centnerschweres, früheren Zeiten unbekanntes Erbarmen mit solchen ‚unwiderruflich zur Hölle Verdammten‘, wie es zum Beispiel der steinerne Gast gegen Don Juan zu erkennen giebt“. – In der letzten Strophe seines Gedichtes Don Juan aux enfers unterstreicht Baudelaire die verächtliche Haltung von Don Juan in der Hölle: „Tout droit dans son armure, un grand homme de pierre / Se tenait à la barre et coupait le flot noir; / Mais le calme héros, courbé sur sa rapière, / Regardait le sillage et ne daignait rien voir“.
- 2.
Die Geschichte wird in Wackernagels Vortrag „Ueber den Ursprung des Brahmanismus“ wiedergegeben. Dazu Brusotti (1993, S. 235).
Literatur
Brusotti, M. (1993). Opfer und Macht. Zu Nietzsches Lektüre von Jacob Wackernagels „Ueber den Ursprung des Brahmanismus“. Nietzsche Studien, 22, 222–242.
Gödde, G. (2003). Schopenhauer und Nietzsche – Zwei gegensätzliche Entwürfe der Lebenskunst. In M. B. Buchholz & G. Gödde (Hrsg.), Lebenskunst. Themenheft von Journal für Psychologie, 11(3), 254–271.
Jaspers, K. (2020). Nietzsche. In D. Kaegi & A. U. (Hrsg.), Sommer. Schwabe.
Musil, R. (1976). Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden (Bd. 2). In A. Frisé (Hrsg.). Rowohlt.
Schmidt, J. (2015). Kommentar zu Nietzsches Morgenröthe. In Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werke, Bd. 3/1. In Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.). De Gruyter.
Schopenhauer, A. (1977a). Die Welt als Wille und Vorstellung I [WW I, 1819]. In A. Hübscher (Hrsg.), Zürcher Ausgabe in zehn Bänden, Bd. I. Diogenes.
Schopenhauer, A. (1977b). Versuch über das Geistersehn und was damit zusammenhängt. In A. Schopenhauer (Hrsg.), Parerga und Paralipomena I [1851]. Zürcher Ausgabe in zehn Bänden, Bd. V (P I, S. 249–255). Hrsg. A. Hübscher. Diogenes.
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Vivarelli, V. (2022). „In einem neuen Lichte“ leuchten und „einen neuen Himmel“ erbauen: der Schwerleidende und das Neue. In: Brock, E., Gödde, G., Zirfas, J. (eds) Das Leuchten der Morgenröthe. Schriften zur Kritischen Lebenskunst. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65194-0_22
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