Abstract
Theorien der Assimilation und Integration von Migrant*innen haben erklärt, dass die Mehrheitsgesellschaften hohe Hürden für neue Minderheiten aufbauen. Dies wurde etwa deutlich, als in Berlin seit den 1980er Jahren ein türkisch-muslimischer Verband versuchte, an öffentlichen Schulen islamischen Religionsunterricht anzubieten. In Berlin erfolgt seit dem Zweiten Weltkrieg nur freiwilliger Religionsunterricht: Institutionen, die Religionsunterricht anbieten wollen, können bei den Schulen selbst einen Antrag auf Erteilung des Unterrichts stellen. Nach der Bewilligung und Durchführung trägt der Staat bis zu 90 % der Personalkosten. Doch die wiederholten Anträge des genannten muslimischen Verbandes wurden über viele Jahrzehnte hinweg unter Anführung zweifelhafter Argumente abgelehnt. Erst Entscheidungen der Verwaltungsgerichte führten schließlich, Ende der 1990er Jahre, dazu, dass der Unterricht ab dem Jahr 2000 stattfinden konnte. Grund dafür ist ein Wandel der öffentlichen Einstellung zur Durchführung von islamischem Religionsunterricht in Deutschland generell, wie Umfragen zeigen. Diese Fallstudie verdeutlicht, dass Verwaltungsinstitutionen und Gerichte sehr stark von gesellschaftlichen Haltungen und Meinungen abhängig sind.
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Notes
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- 2.
Zur Entstehungsgeschichte des Berliner Modells vgl. Giese 1955 und zu seinen religionspädagogischen Grundlagen Grethlein 1989, S. 485–492.
- 3.
- 4.
Stellvertretend für viele sei die Satzung der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) genannt. Dort heißt es: „Sie erkennen in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments Gottes Wort als Grundlage und alleinige Richtschnur ihrer Verkündigung, ihrer Lehre und ihres Lebens.“ (Vereinigung Evangelischer Freikirchen e. V., 2007, S. 2)
- 5.
Hartmut Bock kritisiert die sich im Urteil abbildende Haltung. Er meint, dass die Gerichte vor allem im Wege der Amtsermittlung auch noch während des Verfahrens hätten klären können, ob „nicht zum Beispiel der klagende Dachverband eine gegen die Säkularität gerichtete Orientierung aufwies und sich daraus Bedenken gegen die Erteilung von Unterricht ergeben konnten“ (Bock, 2006, S. 108).
- 6.
Wolf-Dietrich Patermann, 19. Januar 2001, Akte „Verhandlungen mit dem Erzbistum über einen Staatsvertrag“, Beauftragter für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Berlin.
- 7.
Schreiben Patermann an die Senatskanzlei, Herrn Schaeffer, vom 22. Mai 2001. Hierbei handelt es sich um das letzte Schriftstück in der unveröffentlichten Akte „Verhandlungen mit dem Erzbistum über einen Staatsvertrag“.
- 8.
„Die Islamische Föderation hat sich das Recht, Träger des islamischen Religionsunterrichts zu sein, gerichtlich erstritten, und es gibt derzeit keine Anhaltspunkte, dass sie dieses Recht verwirkt haben könnte. Die Rahmen der Pläne wurden genehmigt und der Unterricht durch unangemeldete Unterrichtsbesuche kontrolliert. Hierbei gab es keine Beanstandungen“ (Bentele, 2017).
- 9.
„Insgesamt vermag die Charakterisierung des Religionsunterrichts im Sinne des Berliner Modells als Verwirklichung der Trennung von Staat und Kirche im Schulischen Bereich nicht zu überzeugen: Verfassungsrechtliche Systeme der radikalen Trennung halten den Religionsunterricht von der als staatlich-neutral konzipierten Schule fern. Insofern dürfte auch das Berliner Modell prinzipiell aufgrund seiner Zulassung der Religionsunterrichte in der staatlichen Schule den auf freundlicher Kooperation bei grundsätzlicher Trennung der Sphären beruhenden Verfassungsmodellen als eine besondere Modifikationsform zuzurechnen sein“ (Bock, 2006, S. 113).
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Kroegel, D. (2024). Der Kampf der Bürokratie gegen den islamischen Religionsunterricht in Berlin – eine Fallstudie zur Integrationssoziologie. In: Nili-Freudenschuß, T., Aslan, E. (eds) 40 Jahre Islamischer Religionsunterricht in Österreich. Wiener Beiträge zur Islamforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-43606-3_8
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