Zusammenfassung
Kap. 4 bietet eine sozialstrukturelle Ursachenanalyse personeller Unterrepräsentation mit einem Fokus auf Bildungs- und Berufsprofile der Eliteangehörigen, wobei hier die Bevölkerungsgruppe der Ostdeutschen in den Blick genommen wird. Konzeptueller und methodischer Ausgangspunkt ist dabei die These des nachholenden Aufstiegs. Die Analysen des Beitrages zeigen einen etwas geringeren Akademisierungsgrad der ostdeutschen (altersadjustierten) Bevölkerung und dafür eine stärkere Verbreitung mittlerer Schulabschlüsse. Alternative Rekrutierungswege über nichtakademische Bildung, die den Nachteil der Ostdeutschen ausgleichen können, sind nicht oder höchstens in Ansätzen im Bereich der Politik zu erkennen. Auch das Berufsprofil späterer Eliten unterscheidet sich bereits sehr frühzeitig von dem der (altersadjustierten) Bevölkerung mit einem Fokus auf Abkömmlichkeit, Dienstleistungen mit Personalkontakt, Management und Verwaltung. Die Ursachen für die gefundenen Muster werden verortet in der Bildungs- und Berufsstruktur der DDR, aber auch in den ökonomischen Unsicherheiten nach 1990, den geringeren finanziellen Ressourcen und der Sozialstruktur in Ostdeutschland, sowie der kulturellen Tradierung von Bildungs- und Berufsorientierungen. Insgesamt zeigt sich, dass das Bildung- und Berufsprofil der Ostdeutschen ihren Zugang zu Elitenpositionen erschwert und damit eine Teilerklärung für ihre personelle Unterrepräsentation ist.
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Notes
- 1.
Dies gilt auch dann, wenn Karrieren aus operativ-technischen Berufsfeldern in Führungsfunktionen führten und dafür berufsbegleitend z. B. ein MBA-Studium absolviert wurde (s. Kap. 6).
- 2.
Die Gewichte ergeben sich aus dem Verhältnis zwischen den relativen Anteilen der Altersgruppen p bei Eliten und Bevölkerung (Gewichte = pAltersgruppe Eliten/pAltersgruppe ALLBUS). Berichtete absolute Zahlen werden gerundet dargestellt, während die Berechnung von Prozentwerten auf ungerundeten (Fall-)Zahlen beruht. Dadurch können kleinere Abweichungen in den Tabellen entstehen.
- 3.
- 4.
Weil viele der ersten Berufe unter den Eliten in der Hauptkategorie „Akademische Berufe“ vertreten waren, aber nur wenige in Kategorien wie zum Beispiel Techniker*in oder Landwirt*innen, wurden manuelle Tätigkeiten (Handwerker*in, Techniker*in, Mechaniker*in, Anlagenfahrer*in, Landwirt*innen etc.) zusammengefasst und bei akademischen Berufen die nächst detaillierteren ISCO-Kategorien genutzt (s. u.).
- 5.
Die Darstellung des Werts fehlender Angaben soll auf die Besonderheiten bei der Nutzung der Elitendaten aufmerksam machen. Der Bildungsabschluss ist eine Information, die für viele Personen in der Elitendatenbank nicht bekannt ist. Über diesen geben Personen in Elitepositionen deutlich seltener Auskunft als über ihren beruflichen Abschluss oder Werdegang. Im weiteren Verlauf des Beitrags werden die fehlenden Werte nicht grafisch dargestellt. Auskunft über die fehlenden Werte gibt Abschn. 4.3.
- 6.
Weil in veröffentlichten Lebensläufen oder Biografien nicht immer deutlich wird, ob ein Studium mit einem entsprechenden Abschluss beendet wurde, wurde die Angabe eines Studiums mit einem entsprechenden Abschluss gleichgesetzt. Folglich könnte die tatsächliche Anzahl Absolvent*innen etwas niedriger liegen.
- 7.
Auch hier ist zwar vorstellbar, dass Eliten diese Berufsabschlüsse seltener öffentlich bekannt machen. Jedoch gilt erneut, dass fehlende Informationen eher die sektoralen Standards der Informationstransparenz widerspiegeln als strategisch zurückgehaltene Informationen (s. Kap. 3).
- 8.
Die ISCO-Kategorien „Techniker und gleichrangige nichttechnische Berufe“, „Fachkräfte in Land- und Forstwirtschaft und Fischerei“, „Handwerks- und verwandte Berufe“ und „Bediener von Anlagen und Maschinen und Montageberufe“ wurden zur Kategorie „Manuelle Tätigkeiten“ zusammengefasst.
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Vogel, L., Brandy, V., Junkermann, J. (2024). Bildung und Beruf in der Elitenrekrutierung als Ursache für personelle Unterrepräsentation – die ostdeutsche Bevölkerungsgruppe. In: Kollmorgen, R., Vogel, L., Zajak, S. (eds) Ferne Eliten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42492-3_4
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