Unsere Lebensweise wird sich in naher Zukunft grundsätzlich verändern. Angesichts der globalen Vielfachkrise, deren Folgen mittlerweile auch in den wohlhabenden Ländern des Globalen Nordens spürbar sind, scheint diese Entwicklung unabwendbar. Noch unentschieden ist hingegen, ob die wenige Zeit, die bleibt, um Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig umzugestalten, noch genutzt werden wird. Die Gesellschaft – jedes Teilsystem, jede Branche und jede:r Einzelne in seinen:ihren unterschiedlichen Rollen – steht in der Verantwortung, sich dieser existentiellen Herausforderung jetzt zu stellen.

Ich arbeite im Marketingbereich. In der vorliegenden Arbeit habe ich erkundet, ob die Branche einen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Transformation des Konsumsystems leisten kann. Eine Frage, die zunächst absurd klingen mag, denn bislang ist es die Aufgabe von Marketing gewesen, ein fortwährendes Bedürfnis nach immer mehr Konsum zu wecken. Der destruktive Überkonsum in den wohlhabenden Gesellschaften ist nicht zuletzt ein Ergebnis davon. Könnte sich die Branche nicht stattdessen zur Aufgabe machen, natürliche wie soziale Ressourcen zu schützen und zu erhalten? Ist es möglich, Marketing (radikal) anders zu denken? Angesichts der großen gesellschaftlichen Wirkkraft, die Marketing besitzt, erschien es mir aussichtsreich, diesen Fragen in einem wissenschaftlichen Rahmen in der Tiefe nachzugehen.

„Before you can think out of the box, you have to start with a box“ (Tharp, 2003). Zum Vermessen der „Box“ meines Forschungsfeldes habe ich deshalb in einem ersten Untersuchungsschritt zunächst erstens den relevanten gesellschaftlichen Bereich, das Konsumsystem und zweitens den Untersuchungsgegenstand selbst, das Marketing erkundet. Das Ziel war es, mein Systemwissen zu qualifizieren und auch, die eigenen Erkenntnisstandpunkte hinsichtlich unreflektiert übernommener Präkonzepte zu überprüfen. Die Analyse mittels der Aufstellungsmethode hat eine Reihe an irreführenden Annahmen identifiziert, auf denen das herkömmliche Denken im (Nachhaltigkeits)Marketing basiert:

Zum einen hat sich der Topos vom „grünen Wachstum“ als eine Sackgasse für transformativen Wandel gezeigt. Die Raumbilder in der „Aufstellung Konsumsystem“ haben sehr deutlich gemacht, dass sich eine zukunftsfähige Entwicklung nicht „in Richtung Nachhaltigkeit“ vollzieht – wie es ja gemeinhin heißt – sondern als Transformation des Einkommensbegriffs. „Ich bin satt“, stellt der Pol Einkommen in einfachen Worten klar: Es gibt ein Genug. Diese Lesart wird durch den ressourcenorientierten Nachhaltigkeitsansatz nach Georg Müller-Christ (2014) unterstützt, welcher auf der Annahme basiert, dass Nachhaltigkeit und Wachstum einander widersprechende Ziele sind. Das Win-Win-Narrativ vom grenzenlosen Wachstum ist nicht zeitgemäß, weil die Ressourcenbasis erschöpft ist und Stoffströme nicht konsistent sind. Vor diesem Hintergrund erscheint auch das Konzept von einem „nachhaltigen Konsum“, auf dem herkömmliches Nachhaltigkeitsmarketing basiert, als ein Oxymoron.

Zum anderen ist im ersten Untersuchungsteil deutlich geworden, dass auch das Leitbild der Konsumentensouveränität, auf dem Strategien des herkömmlichen Nachhaltigkeitsmarketing aufbauen, empirisch nicht belastbar ist. Konsumierende unterliegen systemischen Begrenzungen und sind deshalb in ihrer herkömmlichen Rollenzuweisung nicht in der Position, wirkungsvolle transformative Impulse ins Konsumsystem hineinzugeben. Vor diesem Hintergrund erweist sich die individuelle Handlungsebene, auf die Green Marketing fokussiert („Dein Konsum rettet die Welt!“), als ungeeignet, um die notwendigen Transformationsprozesse im Konsumsystem voranzubringen.

In der zweiten Aufstellung „Das innere Wesen des Marketing“ habe ich die grundsätzliche Frage erkundet, ob Marketing von seinem Wesen her überhaupt in der Lage ist, einem anderen Zweck als dem bisherigen „Werben und Verkaufen“ zu dienen. In einer überraschenden Deutlichkeit haben die Raumbilder gezeigt, dass Marketing zum Wandel bereit ist, nicht zuletzt, weil das System nur so die eigene Existenz, seine „licence to operate“ dauerhaft sichern kann. In der repräsentierenden Wahrnehmung war ein neues, weitsichtiges Mindset zu sehen, das die Priorität der Erwerbsorientierung zugunsten von Ressourcenorientierung aufgibt. In dem neuen Rahmen stehen die beiden Antagonisten in einem kreativ-fruchtbaren Spannungsverhältnis zueinander.

Als Zwischenergebnis konnte ich meine implizite Vorannahme, Marketing verfüge grundsätzlich über das Potenzial, transformativen Konsumwandel zu fördern, weiterentwickeln zu der kühn klingenden These, dass es sich dabei für eine Abkehr vom Wachstumsdenken stark machen würde. Damit stellte sich die Frage nach einem möglichen Beitrag von Marketing für Nachhaltigkeit völlig neu. In Abgrenzung zum herkömmlichen Marketingdenken, das auf grünem Wachstum basiert, habe ich deshalb für das aus den Aufstellungsdaten emergierende andere Mindset den Begriff „zukunftsorientiertes Marketing“ bestimmt.

Den Hauptteil des Forschungsprozesses habe ich genutzt, um Denk- und Handlungsmöglichkeiten im Rahmen eines zukunftsorientierten Marketing zu erkunden. Das widersprüchliche Bild zur Rolle von Konsumierenden bzw. Kund:innen, das sich im ersten Untersuchungsabschnitt gezeigt hatte, nahm ich dabei als Einladung, dieser Akteursgruppe in den Aufstellungen besonders gut zuzuhören. So konnte ich aus verschiedenen Perspektiven beobachten, dass Kund:innen für die Neuausrichtung eines zukunftsorientierten Marketing eine Schlüsselposition einnehmen. Bei der Dateninterpretation habe ich – mit explizitem Blick auf den theoretischen Bezugsrahmen meiner ArbeitFootnote 1 – die Entscheidung getroffen, die Aufstellungsdaten durch eine dezidiert „ökonomische Brille“ zu betrachten. Diese Entscheidung war eine wichtige Weichenstellung im Forschungsprozess, weil sie meinen Blick für die Verbraucherrolle geschärft und damit für neue Perspektiven geöffnet hat.Footnote 2

Konsumierende sind in transformativen Kommunikationsprozessen sowohl Empfänger und als auch Sender. Ein zukunftsorientiertes Marketing unterstützt das Empowerment – die Selbstermächtigung – von Konsumierenden, indem es deren ökonomische Handlungsspielräume auf kollektiver Ebene unterstützt. Prozesse gesellschaftlicher Mitgestaltung und Teilhabe sind für den anstehenden Wandel elementar. Im Unterschied zum Green Marketing suggeriert ein zukunftsorientiertes Marketing nicht, dass sich die globale Klimakrise auf der individuellen Ebene der Konsumierenden bewältigen ließe. Ein plakatives Zwischenergebnis meiner Arbeit betrifft somit die sogenannte „Attitude-Behaviour Gap“, die prominent auf der Forschungsagenda zu nachhaltigem Konsum steht und auch den Fokus bei der Konzeption herkömmlicher Nachhaltigkeitskampagnen bildet. Für ein zukunftsorientiertes Marketing spielt die viel diskutierte Lücke zwischen Einstellung und Verhalten hingegen keine Hauptrolle, weil es sich nicht auf das individuelle Verbraucherverhalten konzentriert, sondern eine ganzheitliche Strategie verfolgt.

Die Gesellschafts- und Systemtheorien, die ich als Bezugsrahmen meiner Arbeit genutzt habe, betonen allesamt einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel als Voraussetzung von Transformation. Ich hatte daraus den – viel zu kurzen – Schluss gezogen, dass ein zukunftsorientiertes Marketing seine transformative Wirkkraft auf der Bewusstseinsebene von Konsumierenden entfalten würde. – Natürlich braucht Transformation die Menschen, durch die sich das Neue vollziehen kann. Doch in der Gesamtschau der Aufstellungsdaten habe ich erkannt, dass der Hebel für den berühmten „Switch im Kopf“ auf der Ebene der politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen liegt. Der in den Aufstellungsdaten beobachtete Zusammenhang ist kein direkter. Das Wechselspiel, das sich im Konsumsystem zeigte, ist aus meiner Sicht hochanschlussfähig an Ideen von Antonio Gramsci (1932/1995). Der italienische Intellektuelle betont in seinen Schriften den starken Einfluss, den Kultur und bestimmte Denk- und Verhaltensweisen beim Entstehen neuer gesellschaftlicher (Macht-)Strukturen haben. Politische Veränderungen können Gramsci zufolge sowohl über Macht als auch über die Produktion konsensfähiger Ideen erreicht werden. Ein zukunftsorientiertes Marketing konzentriert sich auf den letzteren Weg, um die Politik zu notwendigen Weichenstellungen zu ermutigen respektive um den notwendigen Handlungsdruck zu erzeugen: Es fördert das Entstehen neuer Konsumnarrative. Der Grundkonsens, der westliche Wohlstandsgesellschaften seit den 1950er Jahren zusammengehalten hatte, muss neu verhandelt werden. Entscheidend wird dabei sein, dass es gelingt, unvermeidbare Trade-offs zu legitimieren und die Transformationen für alle Beteiligten sozial verträglich und auch rational nachvollziehbar zu gestalten. Denn nur dann kann der Wandel so radikal vollzogen werden, wie er angesichts der zunehmend engen planetaren Grenzen erforderlich ist. Ein zukunftsorientiertes Marketing kreiert das neue Konsumnarrativ nicht aus sich heraus, sondern unterstützt, ähnlich einer Hebamme, dass Projekt(ideen) einer zukunftsorientierten Produktions- und Konsumweise aus der Nische heraus ans Licht kommen können. Marketing macht gesellschaftlich noch Unsichtbares sichtbar. Seine re-produzierten Bilder zeigen, das Konsumwandel möglich ist und vor allem, dass Zukunft veränderbar ist, wenn Menschen sie gemeinsam gestalten. Zuversicht ist eine Praxis, die durch Handeln entsteht!

In der Transformationsforschung ist die starke Rolle gesellschaftlicher Narrative lange Zeit unterschätzt worden, und auch im Marketing ist das Potenzial für Konsumwandel bislang noch weitgehend ungenutzt geblieben. Das Thema „Narrativ“ hat sich somit recht unvermittelt auf die Agenda meines Forschungsprozesses gesetzt. Vor dem Hintergrund, dass ich die Informationen in doppelt-verdeckten Aufstellungen gewonnen habe, finde ich es bemerkenswert, mit welcher Deutlichkeit sich das Thema in der repräsentativen Wahrnehmung selbst Gehör verschafft hat.

Zusammenfassend kann ich festhalten, dass sich meine implizite Vorannahme, dass Marketing über ein besonderes Potenzial für transformativen Konsumwandel verfügt, bestätigt hat und gleichermaßen erstaunlich wie erfreulich konkret in den Aufstellungsdaten ausgestaltet hat. Am überraschendsten ist für mich jedoch die Entdeckung, worin die USP von Marketing für Konsumwandel begründet ist: Marketing ist anders als z. B. der Journalismus nicht auf eine objektive Wahrheit angewiesen, um als glaubwürdig zu gelten. Damit kann es eine emergente Zukunft, also eine Wirklichkeit, die gesellschaftlich (noch) nicht „wahr“ ist, wirkungsvoll kommunizieren. Mit anderen Worten: Dasselbe Merkmal, das Marketing ermöglicht, den „schönen Schein“ des Konsumismus zu nähren, qualifiziert es in einem besonderen Maß, transformativen Konsumwandel zu fördern.

Als vorläufiges Ergebnis meines Forschungsweges steht ein hypothetisches Modell eines zukunftsorientierten Marketing, das mehrere Bausteine umfasst. Im Marketing-Mix eines zukunftsorientierten Marketing wandeln sich die klassischen 4 P (Price, Product, Promotion, Placement) zu den 4 Z (Zielgruppengerechte, zukunftsfähige Handlungsoptionen für Kund:innen; Zusammenarbeit mit transformativen Kundengruppen; Zuhören für eine sensible Legitimation unvermeidlicher Trade-offs; Zusammenhalt und Zuversicht mittels eines neuen Konsumnarrativs). Die 4 Z sind anschlussfähig an bestehende akademische Marketingkonzepte. Ich erkenne Analogien zu Modellen, die für ein neues Marketingdenken stehen; konkret zu Philip Kotlers Marketing 4.0 (Kotler et al., 2017:66) sowie zum Modell von Heribert Meffert (2015; 2018).

Aus dem beobachteten Potenzial von Marketing für transformativen Konsumwandel erwächst eine neue gesellschaftliche Verantwortung für Marketer. Zu dem erweiterten Anforderungsprofil gehört die Fähigkeit, systemisch-integral zu denken, also die Folgen heutigen Handelns auf die Zukunft zu projizieren. Ich sehe eine wachsende Zahl von Unternehmer:innen, die einen ganzheitlichen Ansatz und eine globale Ressourcenorientierung anstreben respektive bereits realisiert haben. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass meine Forschungsergebnisse an die Wirtschaftspraxis anschlussfähig sind und sich über diesem Weg auch neue Möglichkeitsfenster für die Marketingbranche öffnen.

Im Rückblick sehe ich einen Forschungsprozess, der persönlich herausfordernd war, dem ich jedoch stets mit großer Neugier sowie Offenheit für Überraschungen gefolgt bin und der mich in bis dato unbekannte Tiefen des Untersuchungsfeldes geführt hat. Möglich wurden diese neuen Einblicke – zumindest für mich als Marketingpraktikerin – dank der methodischen Entscheidung, meine Untersuchung mittels des innovativen Forschungsinstrumentes der Erkundungsaufstellung zu realisieren. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, Sie als Leser:innen auf diesem Prozess mitzunehmen und dass Sie, so wie ich, eine große Freude daran hatten, sich nachhaltig irritieren zu lassen.