Analytische Dualismen bei Tönnies und deren Relevanz für eine kritische Wirtschaftswissenschaft

Zusammenfassung

Die klassische Unterscheidung zwischen „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ ist bei Tönnies mit als „sozialbiologisch“ apostrophierten weiteren Dualismen verbunden, vor allem mit dem Dualismus der Geschlechter und mit der Unterscheidung von zwei Formen des Willens, Wesenswillen und Kürwillen. Dieser Beitrag diskutiert, wie weit diese Dualismen, kritisch gewendet, geeignet sind, um gesellschaftliche Normen in Gemeinschaft zu gründen, eine Möglichkeit, die von der Wirtschaftswissenschaft strikt verneint wird, etwa bei Hayek. Dabei lässt sich zeigen, dass die moderne Wirtschaftswissenschaft erstaunlich nahe bei Tönnies liegt, etwa mit der Unterscheidung von zwei ‚Systemen‘ (dem intuitiv-emotional-affektiven und dem rational-reflektivem) in der Verhaltensökonomik, und sogar hinter ihn zurückfällt, was die Naturalisierung dieser Kategorien angeht. Die Kritik an Tönnies’ sozialbiologischen Dualismen lässt sich also in eine Kritik der modernen Wirtschaftswissenschaft ummünzen. Auf dieser Grundlage wird es möglich, eine nicht-kapitalistische Gesellschaft zu denken, deren Normen in Gemeinschaft begründet sind. Es wird gezeigt, dass die ‚Sorge’ als Grundkategorie von Gemeinschaft auch in der Gesellschaft institutionalisierbar ist, beispielsweise über die geeignete Ausgestaltung eines bedingungslosen Grundeinkommens oder bestimmte Rechtsformen, die Unternehmen als Gemeinschaften konstituieren.