Zusammenfassung
Ausgehend von der These, dass Liebessemantiken auch durch die Medien geprägt sind, in denen von der Liebe erzählt wird, unternimmt der Text einen Vergleich von Mustern audiovisueller Liebeserzählung in Film und Fernsehen. Im Fokus steht dabei die Untersuchung, wie die jeweils medientypische Zeitlichkeit bestimmte Formen des Endens hervorbringt. Im Vergleich zeigt sich, dass Film und Fernsehen in unterschiedlichen Genres narrative Muster formen, von denen einige romantische Liebe forcieren, andere hingegen Liebesbeziehungen über das Muster des Konflikts oder der seriellen Monogamie perspektivieren, wenn sie nicht sogar die Möglichkeit von Liebesglück ganz ausschließen. Die medialen Differenzen erweisen sich nicht als rigide, sondern äußern sich in abweichenden Schwerpunktsetzungen und Zielpublika.
„’Ne Film ohne Schluss, wo nix ess, wie et muss“
BAP, Jraduss, 1981
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Notes
- 1.
Einen kurzen Überblick über die Strukturlogik von Liebe als Code und symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium bietet Baraldi (1997).
- 2.
Die Einsicht, dass romantische und eheliche Liebe zwei unterschiedliche, geradezu unvereinbare Dinge sind, ist natürlich älter. Schon 1934 etwa erkennen Mabel A. Elliott und Francis E. Merrill die „romantic fallacy“ und votieren für einen „realistische[n] Umgang mit romantischer Liebe“ (2014, S. 360).
- 3.
Als alternative Semantik entdeckt Elke Reinhardt-Becker bereits seit den 1930er-Jahren die sogenannte ‚sachliche Liebe‘, die eher auf kumpelhafte Verbindung als auf Seelenkommunikation setzt; vgl. Reinhardt-Becker 2004, S. 246–277. Noch früher, nämlich in Marcel Prousts À La Recherche du Temps Perdu (1913–1927), setzt Friedrich Balke (2003) an. Variationen der Liebessemantik im 20. und 21. Jahrhundert kartieren Becker und Reinhardt-Becker 2019, S. 27–50.
- 4.
Hier zitiert Shumway (2003, S. 68) den Titel einer 1928 von Ernest Groves publizierten Studie. Elliott und Merrill (2014, S. 338 ff.) machen nur wenig später die „romantic fallacy“ für diese Krise verantwortlich, die Verbreitung romantischer Idealvorstellungen, die im Eheleben nicht einlösbar sind: „Romantische Heiraten erzeugen romantische Scheidungen.“ (S. 339)
- 5.
Dies ist insofern verwirrend, als schon Luhmann (1994) den Begriff der ‚Intimität‘ gebraucht hat und für den Typus sozialer Beziehungen verwendet, der in der modernen Liebeskommunikation konstituiert wird.
- 6.
Zur Entgegensetzung von passionierter Liebe und ‚realistischer Liebe‘ unter anderem anhand der Semantik der Arbeit vgl. auch Illouz 2007, S. 199–205.
- 7.
- 8.
Die Abfolge einer nur einige Monate andauernden Phase der Verliebtheit und einer anschließenden ‚erforderlichen‘ Weiterentwicklung zur Liebe bildet heute einen stehenden Topos von Beziehungsratgebern und Frauenzeitschriften.
- 9.
Vgl. für diese soziologische Hierarchisierung auch Luhmann 1994, S. 24: „Die nachfolgenden Überlegungen lassen sich von der These tragen, daß literarische, idealisierende, mythisierende Darstellungen der Liebe ihre Themen und Leitgedanken nicht zufällig wählen, sondern daß sie damit auf ihre jeweilige Gesellschaft und auf deren Veränderungstrends reagieren […].“ Kritisch zur grundsätzlichen Nachordnung der semantischen Ebene in Luhmanns Theorie vgl. Stäheli (1998).
- 10.
Vgl. Shumway 2003, S. 5: „Rather, these works are taken to be evidence of the existence and reach of the discourses of romance and intimacy“; sowie ebd., S. 215: „Books and movies are not the only way these discourses are spread.“
- 11.
In ihrer einflussreichen Studie zur Geschichte des klassischen Hollywood-Kinos erarbeiten Bordwell et al. (1985, S. 16), dass die meisten der zwischen 1917 und 1960 produzierten Hollywood-Filme zumindest als sekundären Plot eine Liebesgeschichte enthalten.
- 12.
Vgl. weiterhin Werber 2003, S. 17: „Der Roman erfüllt gewissermaßen den Wunsch nach einem authentischen Einblick in die Seele des Menschen und muß zugleich mit der Unmöglichkeit zurechtkommen, die Differenz von Kommunikation und Bewußtsein diesseits des Fiktionalen je aufzuheben.“ Vgl. hier ausführlicher auch die Thematisierung dieses Potenzials des Romans bei Dorrit Cohn (1978, S. 8), die dieses Vermögen medienvergleichend zu Film und Drama kontrastiert. Wie bereits ausgeführt, bleibt dann aber zu fragen, warum der Film mit seinen Liebesgeschichten dennoch so erfolgreich ist.
- 13.
Dies erscheint allerdings verkürzt, wenn man beispielsweise George Eliots ursprünglich serialisiert publizierten Roman Middlemarch (1871–1872) betrachtet, der als „Study of Provincial Life“, so der Untertitel, an einer Vielzahl von Personen verschiedene Stadien der Anbahnung und Ehe über mehrere Jahrzehnte beobachtet. Für diversere Auffächerungen der Erzählformen von Liebe und Ehe im englischsprachigen Roman des 19. Jahrhunderts vgl. Boone (1987) und Hager (2016).
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- 15.
Ihre Freundin Becky entgegnet allerdings: „You don’t want to be in love. You want to be in love in a movie.“
- 16.
Weitere Beispiele für in Form des Films im Film selbstreflexive romantic comedies sind Love and Other Disasters (Alek Keshishian, GB/F 2006) oder jüngst Isn’t It Romantic? (Todd Strauss-Schulson, USA 2019).
- 17.
Im historischen Verlauf erzählten Liebesgeschichten des Mainstream-Kinos auch – und offensichtlich sogar eher (vgl. Dowd und Palotta 2000, S. 559 f.) – auf ein tragisches oder, häufiger, ambivalentes Ende hin. Als an sich erstrebenswertes Ideal wird die auf ein passioniert geliebtes Individuum fixierte romantische Liebe im Scheitern jedoch umso mehr betont, ist doch der Konflikt einer Hauptfigur zwischen zwei Beziehungen der typischste Grund für die ‚Katastrophe‘ (nachdem Unterschiede in Klasse und Ethnie als Hindernisse zurückgetreten sind) (vgl. Dowd und Pallotta, S. 562). Mit der komödiantischen Version der Liebeserzählung ist die dramatische Ausprägung auch insofern verbunden, als beide das Inventar typischer Figurenkonstellationen, Erzählformeln und Situationen ebenso teilen (vgl. Kaufmann 2007, S. 55–144) wie das Streben hin zu einer Schließung der Geschichte. Während Kaufmann (2007) auf Basis der filmdramaturgischen Übereinstimmungen argumentiert, dass man den Liebesfilm als Komödie und Drama übergreifendes Genre ansehen solle, schlägt Erica Todd (2014) vor, romantic comedy und romantic drama gegenüberzustellen.
- 18.
Richard Neupert (1995, z. B. S. 35 ff.) nennt diese Form des Filmendes, die maximal geschlossen ist, den „closed text film“ und grenzt ihn von Varianten ab, in denen entweder die Erzählung oder die Geschichte offen bleiben.
- 19.
Schon die Wahl, nicht nur die Entstehung, sondern die Auflösung der Liebesbeziehung zu beschreiben, gibt Annie Hall (und verwandten Erzählungen) einen Sonderstatus, wie Illouz (2018, S. 6 f.) feststellt. Als mögliche Erklärung bringt sie ein erzähldramaturgisches Argument ins Spiel, dass „sich zu ‚entlieben‘ […] kein Plot mit einer klaren Struktur ist“ (ebd., S. 7). Dies könnte auch der Grund sein, dass Filme, die vom Ende von Liebesbeziehungen handeln, nicht selten mit narrativen Konventionen spielen, so etwa 5 x 2 (François Ozon, F 2004) oder in Blue Valentine (Derek Cianfrance, USA 2010).
- 20.
Auch Annie ist im Off präsent, insofern der von ihr zuvor in einer Bar aufgeführte Song Seems Like Old Times als extradiegetische Musik wiederholt wird.
- 21.
Als Quintessenz bliebe höchstens die Aussage einer älteren Passantin, die eine Auseinandersetzung zwischen Alvy und Annie lakonisch mit der Binsenweisheit „love fades“ kommentiert.
- 22.
Wenn Liebesfilme seriell weitergeführt werden, dann geht es im Sequel typischerweise um die Fortsetzung derselben Beziehung, so etwa in den drei Bridget Jones-Filmen (Sharon Maguire, GB/F/USA 2001; Beeban Kidron, Diverse 2004; Sharon Maguire, Diverse 2016) oder in Before Sunrise (Richard Linklater, USA 1995), Before Sunset (Richard Linklater, USA 2004) und Before Midnight (Richard Linklater, USA 2013). Zur Arbeit mit der Serialität in den ersten beiden Filmen der letzteren Serie vgl. Deleyto 2009, S. 157–167.
- 23.
Die Endsequenz schlicht selbstreflexiv zu wenden und als „Triumph der Form über den Inhalt [zu] lesen“, der eine „Alternative zum konventionellen Erzählkino“ vorschlägt (Christen 2002, S. 148), scheint mir zu kurz zu greifen. Welche erwartbaren Ereignisse ausbleiben, nämlich die Konstituierung eines Liebespaares, ist durchaus von Belang.
- 24.
Zweifellos kann in einer Familienserie die liebende Beziehung des Elternpaars nur für einen Teil der behandelten Konflikte verantwortlich sein. Es gibt allerdings gerade in der Geschichte der frühen Fernsehserie durchaus Fälle wie die Sitcoms I Love Lucy (Bob Carroll Jr., USA 1951–1957) oder The Honeymooners (Jackie Gleason, USA 1955–1956), die das Beziehungsleben des Paars fokussieren, ohne überhaupt auf die Familie einzugehen.
- 25.
Der Topos nachgerade beliebiger Variation kommt im Titelsong zum Ausdruck: „Dobie wants a girl to call his own. Is she blond, is she tall, is she dark, is she small, is she any kinda dreamboat at all. No matter, he’s hers and hers alone. Cause Dobie has to have a girl to call his own!“
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- 27.
Es kann allerdings in neuen Variationen auch dazu kommen, dass die letzte Folge nur datiert ist, der Ausgang aber noch so offen ist, dass sogar das Serienpublikum dazu aufgerufen werden kann, das Ende zu bestimmen (vgl. Allen 2003, S. 255).
- 28.
Insofern wäre auch Shumways Verallgemeinerung zu widersprechen, dass Liebe in Sitcoms nur einen „subsidiary discourse“ darstelle (2003, S. 216). Nicht in allen, aber doch in vielen domestic sticoms (oder domcoms) spielt die Liebe des Ehepaares eine wesentliche Rolle, seit den 1990er-Jahren, z. B. in Friends (NBC, USA 1994–2004), tun dies die Liebesbeziehungen im Kontext eines Freundeskreises.
- 29.
Bei Shumway (2003, S. 216) wird diese Affinität zur intimacy nur angedeutet: Sitcoms seien „affirmations of mundane existence, dwelling exactly on those aspects of life that romance excludes. This should make this genre the perfect vehicle for intimacy, but that discourse is present mainly in dialogue.“ Das Scheitern einer Beziehung im Sinne einer Scheidung könne in der Sitcom nicht vorkommen – oder nur, wenn das Scheitern von Beziehungsversuchen wie in Seinfeld selbst zum wiederkehrenden Prinzip wird.
- 30.
Balke (2015, S. 220 f.) erkennt zwar auch das in Sitcoms vertretene Primat der stabilen Ehe, übersieht aber ihre strukturelle Kopplung an das episodische Erzählformat der Sitcom. Wie bedeutungskonstitutiv das Erzählprinzip hier ist, zeigt sich daran, dass Fortsetzungsserien – wie die erwähnten Soap Operas – ganz andere Beziehungsgeschichten erzählen können.
- 31.
Anders als Cavell sieht Shumway (2003, S. 81–109) in den ‚remarriage‘-Screwball-Komödien keine Hinterfragung der Ehe, sondern vielmehr deren Mystifizierung als fortgesetzte romantische courtship, in der der Ehealltag eigentlich gar keinen Platz findet.
- 32.
Kaufmann (2007, S. 33 f.) betont das „‚falsche‘ Happy End“ als Merkmal, das screwball comedies von romantic comedies im engeren Sinn unterscheidet. Mortimer (2010, S. 10–15), welche die screwball comedy als Subgenre der romantic comedy fasst, stellt hingegen den unverbrüchlich eskapistischen Sinn dieser Happy Ends heraus.
- 33.
Balke (2015, S. 367–373) sieht hier lediglich eine satirische Distanzierung, die ex negativo die Beziehungskonzepte der Sitcom und Gesellschaft offenlegt. Es ließe sich allerdings auch kommentieren, dass hier ein durchaus aktuelles Beziehungsmodell thematisiert wird, das eine dauerhafte und verpflichtende Beziehung gar nicht mehr anstrebt (zur Soziologie der unverbindlichen Sexualität vgl. Illouz 2018, S. 99–136).
- 34.
Die Ausrichtung auf Endlosigkeit unterscheidet die Soap Opera von den klassischen literarischen Formen des Fortsetzungsromans, die wie die Telenovela erwartbar auf ein Ende hinstreben. Ebenso zukunftsoffen angelegte literarische Erzählungen wie die von Armistead Maupin verfassten Tales of the City (1978–2014) sind jünger als die Soap Opera. Das Erzählformat der Soap ist allerdings nicht für das Fernsehen konzipiert, sondern in den 1930er-Jahren zuerst für den US-amerikanischen Hörfunk entwickelt worden.
- 35.
Shumway notiert als Aperçu, dass der romantische Diskurs sich in Soaps manifestieren kann, allerdings „transformed by the repeated failure of relationships“ (2003, S. 216). Die anschließende Bemerkung: „like other romantic forms, the soaps lacked a picture of a normal functioning marriage“ (ebd.) verkennt freilich die innovative Erzählform der Soap Opera.
- 36.
Es ist dieser Trend zur kreativen Hybridisierung serieller Erzählprinzipien, den Jason Mittell (2012) mit dem Begriff der „komplexen“ Fernsehserie belegt hat.
- 37.
In Bezug auf eine andere in diesem Rahmen oft diskutierte Fernsehserie, Sex and the City (Darren Star, USA 1998–2004), bemerkt Shumway (2003, S. 217), dass die Form der Serie erzwinge, dass alle Beziehungen enden. Auch die Beziehungsmodelle in Sex and the City, die am Anfang vom One-Night-Stand bis zur romantisch fundierten Ehe reichen, nehmen einen ähnlichen Verlauf. Die finale Verengung auf das romantische Ideal sieht Reinhardt-Becker (2015) kritisch und führt lobend als Gegenbeispiel die HBO-Serie Girls (Lena Dunham, USA 2012–2017) an (vgl. dazu auch Becker und Reinhardt-Becker 2019, S. 49 f.), das auch im Serienfinale nicht auf closure im Sinne der romantischen Liebe setzt.
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Siehe allerdings mit positivem Ausgang When Harry Met Sally (Rob Reiner, USA 1989), den Shumway (2003, S. 174–182) auch als relationship story führt.
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