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1 Einleitung

Wohlbefinden in der Schule ist ein unverzichtbarer Baustein für erfolgreiches Lernen in der Schule, denn es beeinflusst sowohl die Lern- und Leistungsmotivation als auch schulische Leistungen und damit Schulerfolg (Hascher und Hagenauer 2011a, b). Ebenso prägt die physische Gesundheit Lernprozesse. Schüler/innen mit allgemeinen Gesundheitsproblemen werden dadurch in ihrem Lernen behindert (Shaw et al. 2015). Auf der anderen Seite sind die Schulumwelt und Lernen, insbesondere im Hinblick auf Leistungsanforderungen, auch starke Einflussfaktoren von Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern (Gysin 2017; Hascher 2004). Lernen kann auch krank machen im Sinne physischer Gesundheitsprobleme. So kennzeichnet Haubl (2007) Schule als pathogenen Ort, wobei Leistungs- und Verhaltenserwartungen wesentliche Bestimmungsfaktoren für problembehaftete Befindlichkeiten von Schüler/innen sind. In Anbetracht dieser Wechselwirkungen zwischen Schule, Lernen und Gesundheit erscheint es sinnvoll, Wohlbefinden als pädagogische Kernaufgabe anzusehen (Fend und Sandmeier 2004).

Wenn Wohlbefinden und Lernen zusammenhängen, kann angenommen werden, dass Bildungsungleichheiten im Sinne systematischer Variationen im Bildungserwerb zwischen verschiedenen Gruppen, die durch askriptive Merkmale wie Sozialschicht, Geschlecht oder Migrationshintergründe definiert sind, mit Ungleichheiten in Wohlbefinden und Gesundheit assoziiert sind. Dahingehend wäre zu untersuchen, inwieweit sogenannte Risikogruppen im Bildungssystem auch durch ein geringeres Wohlbefinden und eine schlechtere Gesundheit gekennzeichnet sind. Zu etwaigen Risikogruppen, d. h. Schüler/innen, die unterdurchschnittliche Leistungen zeigen und ein hohes Risiko haben, die Schule frühzeitig und ohne oder nur mit einem von potenziellen Arbeitgebern als unzureichend stigmatisierten Abschluss zu verlassen (Stichwort: Bildungsverlierer/innen), gehören Arbeiterkinder und Jungen sowie Schüler/innen mit bestimmten Migrationshintergründen (vgl. Hadjar et al. 2010, 2019). Befunde im Nationalen Bildungsbericht Luxemburgs zeigen, dass diese Risikogruppen auch in Luxemburg Benachteiligungen ausgesetzt sind. Arbeiterkinder, Jungen sowie Schüler/innen mit bestimmten Migrationshintergründen (francophone Sprachhintergründe, vor allem portugiesisch sprechende Schüler/innen) zeigen niedrigere Kompetenzniveaus und erhalten schlechtere Schulnoten in der Grund- und in der Sekundarschule. Diese Gruppen sind im modulaire-Schulzweig der Sekundarschule, welcher das geringste Anspruchsniveau ausweist und häufig mit einem frühen Verlassen der Schule verbunden ist, überrepräsentiert. Zudem erleben diese Schüler/innen häufigere Klassenwiederholungen (Hadjar et al. 2015).

Im Kern des Beitrags steht zum einen subjektives Wohlbefinden – allgemein und im Hinblick auf die Schule – und schulbezogenes physisches Wohlbefinden im Sinne der Absenz von Gesundheitsproblemen von Schülerinnen und Schülern in der Grund- und Sekundarschulbildung in Luxemburg (Klassen 4/Cycle 3.2. bis Klasse 9). Es wird gefragt, wann bzw. in welcher Klassenstufe diese Gesundheitsprobleme und Wohlbefinden in Schule und Leben vergleichsweise stark ausgeprägt sind und welche Risikogruppen entlang der Ungleichheitsachsen soziale Herkunft, Geschlecht und Migrationshintergrund besonders von einem geringen subjektiven Wohlbefinden und einem geringen physischen Wohlbefinden (Gesundheitsprobleme) betroffen sind. Die Datenbasis geht auf das internationale Projekt SASAL „Schulentfremdung in der Schweiz und in Luxemburg“ zurück, welches zwischen 2015 und 2019 an den Universitäten Bern und Luxembourg durchgeführt wurde (zur Studie vgl. u. a. Morinaj et al. 2017; Scharf et al. 2019). Die Analysen basieren auf einem Drei-Wellen-Paneldatensatz, in dem Informationen zu Luxemburgischen Schülerinnen und Schülern vorhanden sind, die eine Rekonstruktion von Verläufen zwischen Klasse 4/Cycle 3.2 und Klasse 6/Cycle 4.2 in der Grundschule (N = 345) und zwischen Klasse 7 und 9 in der Sekundarschule (N = 387) ermöglichen.

Im folgenden theoretischen Abschnitt wird der Untersuchungsgegenstand des subjektiven Wohlbefindens definiert und konzeptualisiert, wobei zwischen Wohlbefinden in der Schule, allgemeinem Wohlbefinden sowie physischem Wohlbefinden (mit Gesundheitsproblemen als Gegenpol) unterschieden wird. In einem weiteren theoretischen Abschnitt wird der Aspekt der Ungleichheiten eingeführt und es werden allgemeine theoretische Modelle, warum es zwischen verschiedenen Gruppen Unterschiede im Wohlbefinden geben könnte, aufgezeigt. Am Ende des theoretischen Teils wird der Kontext des Luxemburgischen Bildungssystems dargestellt. Auf eine Beschreibung des Untersuchungsdesigns folgt dann die Präsentation der Ergebnisse zu Disparitäten in den drei Wohlbefindensdimensionen in den verschiedenen Gruppen in der Grundschule und in der Sekundarschule, wobei jeweils drei aufeinanderfolgende Schuljahre betrachtet werden. In einem letzten Abschnitt werden die Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert.

2 Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern

In diesem Abschnitt geht es zunächst um eine allgemeine Bestimmung dessen, was unter subjektivem Wohlbefinden in Kindheit und Jugend verstanden wird. Dabei wird Wohlbefinden als ein facettenreiches Konstrukt eingeführt, das in unterschiedlichen Disziplinen (z. B. Psychologie, Soziologie, Medizin) und Forschungsfeldern wie der Kindheits-, Jugend- und Bildungsforschung bearbeitet wird. Aufbauend auf eine transdisziplinäre Perspektive werden mentale wie physische bzw. gesundheitliche Komponenten von Wohlbefinden im Kontext Schule in den Blick genommen.

2.1 Allgemeine Definition

Das subjektive Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern wird im Anschluss an Bradshaw et al. (2010, S. 182) verstanden als von jungen Menschen geäußerte evaluierende Einstellungen in Bezug auf ihr persönliches Wohlbefinden sowie ihre Beziehungen zu anderen Menschen und zu ihrer Umwelt. Wir haben es demnach mit den Selbstauskünften von Kindern und Jugendlichen hinsichtlich ihrer „inneren“ bzw. mentalen Verfassung in Bezug auf schulische Aspekte, aber auch darüber hinaus zu tun. Eine Definition, die noch stärker auf die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen bezogen ist, formulierten Fattore et al. (2007) auf Basis von Interviews mit Kindern und Jugendlichen. Danach wird Wohlbefinden (bzw. oft auch engl. Well-being) von den Befragten als Glück, Fröhlichkeit oder Zufriedenheit definiert und ist mit einem Gefühl der Sicherheit in harmonischen sozialen Beziehungen verbunden. Damit wird der emotionale Aspekt bzw. die affektive Komponente des Wohlbefindens hervorgehoben, wobei aber auch die evaluative Sicht auf Wohlbefinden als Lebenszufriedenheit (im Sinne der kognitiven Komponente) eine Rolle spielt (siehe hierzu z. B. Bradshaw et al. 2013, S. 621). Davon abzugrenzen ist das objektive Wohlbefinden, das über sogenannte harte Faktoren wie den Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung, das elterliche Einkommen und materielle Ressourcen im Leben von Kindern erfasst wird (Axford et al. 2014). Während sich Politik und öffentliche Debatten noch immer vorwiegend an diesen objektiven Maßen für kindliches Wohlbefinden orientieren, finden sich bereits seit einigen Jahren verstärkt Forderungen danach, auch dessen subjektive Seite in bildungs- und sozialpolitischen Initiativen stärker zu berücksichtigen (Ben-Arieh 2005).

Im Folgenden fokussieren wir auf drei zentrale Aspekte kindlichen Wohlbefindens innerhalb und außerhalb der Schule, die vor dem Hintergrund potenzieller sozialer Ungleichheiten besonders relevant und dementsprechend für diesen Beitrag maßgeblich sind.

2.2 Aspekte des Wohlbefindens

Mit Blick auf das Wohlbefinden lassen sich drei Dimensionen als besonders wichtig markieren, insofern diese in der Sozialberichterstattung wie auch in der Forschung regelmäßig besondere Beachtung finden: 1. die allgemeine Lebenszufriedenheit, 2. das schulische Wohlbefinden, das auch als Schulfreude bezeichnet wird und 3. das physische Wohlergehen bzw. Gesundheitsprobleme.

Die allgemeine Lebenszufriedenheit von Kindern und Jugendlichen ist international seit den 1970er Jahren in den Blick der Forschung geraten (Pollard und Lee 2003), nachdem Lebenszufriedenheit zuvor vornehmlich bei Erwachsenen untersucht wurde und hier bereits seit Langem als wichtiger Indikator für Glück und die wahrgenommene Lebensqualität zählt (Gysin 2017; Proctor et al. 2009).

Kinder und Jugendliche verbringen einen großen Teil ihres Alltags in der Schule bzw. mit schulischem Lernen. Das schulische Wohlbefinden deutet somit auch auf ihr Wohlbefinden über den Unterricht hinaus hin, zumal psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen häufig mit schulischen Schwierigkeiten zusammenhängen. Schulisches Wohlbefinden gilt daher als zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse und Schulerfolg (Hascher und Hagenauer 2011a). Dies trifft ebenso auf die dritte hier erfasste Dimension von Wohlbefinden zu, denn bspw. psychosomatische Probleme sind oftmals eine Begleiterscheinung schulischen Leistungsdrucks (Torsheim und Wold 2001). Schulfreude und subjektive Gesundheit sind somit potenziell folgenreiche Facetten des Wohlbefindens. Dennoch werden beide Variablen erst in jüngerer Zeit verstärkt auch aus einer Ungleichheitsperspektive betrachtet (Currie et al. 2008).

3 Ungleichheiten im Wohlbefinden

Im Folgenden werden einige theoretische Konzepte zu Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden aufgezeigt, die insbesondere auf Bildung und Schule bezogen werden.

3.1 Theoretischer Rahmen: Die Produktion von Wohlbefinden

Ein allgemeines theoretisches Modell, das sich zur Erklärung von Ungleichheiten im Wohlbefinden eignet, ist die Theorie der sozialen Produktionsfunktionen (Lindenberg 1996; Ormel et al. 1999), welche die Frage ins Zentrum der Erklärung von Wohlbefinden stellt, inwieweit Individuen bzw. Gruppen über Ressourcen verfügen, Wohlbefinden herzustellen. Zu den Kernprämissen gehört, dass alle Menschen physisches Wohlbefinden und soziales Wohlbefinden (auch als soziale Anerkennung gefasst) als höchste Güter anstreben. Diese Güter bzw. Ziele werden über instrumentelle Zwischenziele bzw. -güter erreicht: Stimulation, Komfort, Status, Verhaltensbestätigung und Affekt. Der Aspekt der Stimulation – d. h. ein bestimmtes Anregungsniveau aufrecht zu erhalten, spannende und interessante Dinge zu erfahren – und der Aspekt des Komforts – d. h. die Absenz von physiologischen Mangelerscheinungen wie Durst, Hunger, Unbehagen, Unsicherheit und damit das Vorhandensein materieller Ressourcen wie von Geld oder einer angenehmen Wohnumwelt – beziehen sich auf das physische Wohlbefinden. Dem sozialen Wohlbefinden sind folgende instrumentelle Zwischengüter zugeordnet: Status – d. h. einen (prestigereichen) Beruf zu haben bzw. eine entsprechende Position einzunehmen – Verhaltensbestätigung – d. h. im Einklang mit sich selbst und den Erwartungen anderer zu denken und zu handeln – sowie Affekt – d. h. emotionale Beziehungen zu anderen zu haben. Um diese Zwischengüter produzieren zu können, sind Ressourcen notwendig. Im Hinblick auf das Leben allgemein und das Schulumfeld lassen sich Ressourcen identifizieren, welche der Erreichung der instrumentellen Ziele und damit der übergeordneten Ziele des Wohlbefindens dienen: Stimulation kann generell über anregende Freizeitaktivitäten produziert werden. Für das konkrete schulische Wohlbefinden sind dies anregende, d. h. spannende und interessante Lerninhalte, -aktivitäten und -methoden oder auch ein anregend gestaltetes Schulumfeld (z. B. mit Posterwänden und Spielen ausgestattete Lernräume). Komfort wird über Essen, Trinken, sicherheitsbezogene Maßnahmen erzeugt. In der Schule können etwa die Bereitstellung eines komfortablen Umfelds mit Schulessen, geregelten Pausenzeiten, angenehmen Sitzgelegenheiten im Unterricht oder auch Couches sowie ein begrünter Schulhof mit Spielelementen für die Pausen wichtige Ressourcen zur Produktion von Komfort darstellen. Der Aspekt des Status, der generell etwa durch das Erreichen entsprechender Bildungszertifikate produziert werden kann, steht bei Schüler/innen wahrscheinlich weniger im Vordergrund, wenngleich sich auch die Schüler/innen bereits bewusst sind, dass das Lernen in der Schule für die spätere Berufswahl von Bedeutung ist (vgl. Scharf et al. 2019). Auch innerhalb der Schule sind jedoch auch statusbezogene Positionen denkbar, etwa die der Schülervertretung oder ein informeller Status als „Klassenbeste/r“. Hingegen kann Verhaltensbestätigung durch „die richtigen Dinge tun“ erreicht werden, was voraussetzt, dass Wissen über Erwartungen von sich selbst und von anderen besteht und eine Selbstreflexion sowie ein Feedback von anderen das erwartungskonforme Verhalten auch wahrnehmbar macht. Im Hinblick auf die Schule und Lernen können vermutlich das Gefühl der Schüler/in, dass das Verhalten in der Schule im Einklang mit dem Selbstbild ist, ebenso der Produktion von Verhaltensbestätigung dienlich sein wie positive Verstärkungen durch Eltern oder Mitschüler/innen sowie positive Evaluationen und Ermutigungen durch Lehrpersonen und Mitschüler/innen. Affekt als fünftes instrumentelles Zwischenziel wird durch positive soziale Beziehungen produziert. Hinsichtlich Schülerinnen und Schülern sind hier Beziehungen zu Klassenkamerad/innen und Lehrer/innen von besonderer Bedeutung, aber auch positive Beziehungen zu Eltern und Peers außerhalb der Schule (vgl. auch Konzept der Bildungswerte, Scharf et al. 2019).

Die Grundthese hinsichtlich Ungleichheiten im Wohlbefinden ist nun, dass bestimmte Gruppen hinsichtlich der Ressourcen zur Produktion wohlbefindensrelevanter Zwischengüter benachteiligt sind. Diese bedeutsamen Ressourcen lassen sich mittels des Kapitalienkonzepts von Bourdieu (1983) klassifizieren, welches auch insbesondere auf die Frage des Bildungserwerbs angewendet wurde; Das ökonomische Kapitel bezieht sich auf materielle Ressourcen, die für den Bildungserwerb – oder in unserer Argumentation – für das Wohlbefinden von Bedeutung sind. Im Kern sind das finanzielle Ressourcen, welche genutzt werden können, um Komfort und Status herzustellen, aber auch um soziale Beziehungen (Affekt) oder stimulierende Freizeitaktivitäten (Stimulation) zu finanzieren. Kulturelle Ressourcen – im Sinne objektivierten Kulturkapitals (Bücher), inkorporierten Kulturkapitals (Fähigkeiten, Wissensbestände, internalisierte Motivations- und Verhaltensmuster, Werte, Ziele) oder institutionalisierten Kulturkapitals (Bildungsabschlüsse) – sind ebenso für verschiedene der genannten Zwischengüter sinnvoll: Inkorporiertes und objektiviertes Kulturkapital sind Ressourcen, welche bedeutsam für Stimulation, Affekt und Verhaltensbestätigung sind, denn ein mehr an Wissen und Büchern erleichtert das Aussuchen stimulierender Freizeitaktivitäten, erleichtert soziale Beziehungen und bedeutet auch ein besseres Wissen über eigene und fremde Erwartungen. Institutionalisiertes Kapital in Form von Bildungsabschlüssen ist wiederum besonders von Bedeutung für Statuserwerb (Status) sowie Verhaltensbestätigung (Anerkennung), aber auch – im Hinblick auf Entlohnung – mit besserem Komfort verbunden. Soziales Kapital, definiert als Ressourcen, welche sich aus nützlichen sozialen Beziehungen im Netzwerk ergeben, ist zuallererst ein Produktionsmittel für Affekt, kann aber auch Verhaltensbestätigung (Bestärkungen durch andere), Stimulation (in gemeinsamen Aktivitäten) und Status (Anerkennung durch andere) fördern.

Entsprechend klassischer ungleichheitstheoretischer Ansätze (Bourdieu 1983; Boudon 1974) ist nun anzunehmen, dass Arbeiterkinder gegenüber Kindern aus höheren Sozialschichten (Dienstklassen) über bessere Ressourcen – etwa anregendere Lebensumwelten im Hinblick auf Stimulation, bessere materielle Ausstattung im Hinblick auf Komfort – verfügen, Wohlbefinden herzustellen. Ebenso sollten Schüler/innen mit Migrationshintergrund gegenüber Schüler/innen ohne Migrationshintergrund Ressourcendefizite aufweisen, da sie beispielsweise andere, eher auf der eigenen Ethnie aufbauende, soziale Netzwerke haben, welche im Hinblick auf die Produktion von Wohlbefinden in der Aufnahmegesellschaft und ihren Institutionen (hier: Schule) im geringeren Ausmaß von Nutzen sind. Geschlechterunterschiede in Ressourcen zur Produktion von Wohlbefinden sollten im Generellen nicht bestehen, da entsprechend der tendenziell egalitären Geschlechterbilder Frauen und Männer gleichermaßen Zugang zu Ressourcen haben sollten. Im Hinblick auf einzelne Zwischengüter könnte angenommen werden, dass – entsprechend verbliebener Geschlechterunterschiede – Jungen im Nachteil bei Stimulation und Mädchen im Nachteil beim Status sind. Hinsichtlich schulischem Wohlbefinden könnten die häufigeren Misserfolgserlebnisse sowie die stärkere Freizeitorientierung (Quenzel und Hurrelmann 2011) von Jungen auch mit einem geringeren schulischen Wohlbefinden einhergehen.

3.2 Ungleichheiten im Wohlbefinden

Obgleich das Wohlbefinden von Kindern aus deren eigener Perspektive etwa im Rahmen der World Vision Studien regelmäßig auf die Agenda gesetzt wird (z. B. Andresen und Schneekloth 2014), standen soziale und ethnische Ungleichheiten im Leben von Kindern über lange Zeit hinweg nicht im Fokus der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung (Betz 2010, S. 18). Vor allem in qualitativen Studien liegt das Forschungsinteresse meist auf der generationalen Ordnung – und damit auf der unterschiedlichen sozialen Positionierung von Erwachsenen und Kindern im Generationengefüge – sowie auf Differenzen zwischen Jungen und Mädchen. Ansonsten wurden und werden Kinder als weitgehend homogene soziale Gruppe betrachtet und über ihren Status als Kinder konzipiert; Kindheit gerät dabei als sozialstrukturelle Kategorie vornehmlich in Ergänzung zu klassischen Ungleichheitsachsen wie Schicht und Migrationshintergrund in den Blick (Qvortrup 2005). Diese Position wurde unter anderem von Betz (2008) in Frage gestellt, die für Deutschland anhand von Daten des DJI-Kinderpanels auf weitreichende Ungleichheiten zwischen Kindern aus unterschiedlichen Milieus und Zuwanderungsgruppen hingewiesen hat. Soziale Disparitäten wurden hier gerade auch im Hinblick auf objektive Maße von Wohlbefinden deutlich, etwa in der Versorgung mit Taschengeld und Lernmaterialen.

In der Sozial- und Bildungsberichterstattung zu Kindern zeigen sich innerhalb und zwischen den wohlhabendsten Ländern der Welt teils erhebliche Unterschiede in Bezug auf materielles Wohlbefinden, schulbezogenes Wohlbefinden und subjektive Gesundheit von 11- bis 15 Jährigen (Adamson 2010). Gerade hinsichtlich selbstberichteter Gesundheitsprobleme der 11- bis 15 Jährigen weist Luxemburg eine vergleichsweise hohe Varianz auf und damit einen erheblichen Abstand zwischen Schülerinnen und Schülern mit geringen Beschwerden und jenen mit stärkeren Problemen, während etwa in Ländern wie den Niederlanden die meisten Kinder und Jugendlichen recht dicht beieinander liegen und generell eher geringe Probleme berichten (Adamson 2010). Allerdings ist die Datenlage mit Blick auf Luxemburg noch keineswegs zufriedenstellend. Bevor sich also über bildungs- und sozialpolitische Implikationen sprechen lässt, sind zunächst grundlegende Analysen zu Ungleichheiten im Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen vonnöten. Hier lässt die bisherige Forschung aus verschiedenen Disziplinen wie Erziehungswissenschaft, Medizin und pädagogischer Psychologie Ungleichheiten entlang verschiedener Achsen erwarten.

Zum einen liegen bspw. aus Deutschland, der Schweiz und Großbritannien Befunde zu geschlechtsspezifischen Disparitäten vor: So zeigte sich bereits, dass Mädchen häufiger von schulisch bedingten Gesundheitsproblemen berichten als Jungen (Ravens-Sieberer et al. 2004), während Mädchen in der Schule mehr positive Emotionen erfahren als Jungen (Gutman et al. 2010; Hascher und Hagenauer 2011b). Zum anderen beeinflusst der sozioökonomische Hintergrund nachweislich die generelle Lebenszufriedenheit von Kindern (Andresen et al. 2012) ebenso wie deren psychisches Wohlbefinden (McLeod und Owens 2004). Dass soziale und gesundheitliche Lage von Kindern und Jugendlichen stark verschränkt sind, ist mittlerweile empirisch gut belegt; Gesundheit wird wesentlich durch die Lebensumstände wie Armut, materielle Ressourcen der Familie und Schulform mitbestimmt (Jungbauer-Gans und Kriwy 2004; Lampert und Richter 2006). Subjektive Gesundheit wird in der gesundheitssoziologischen Literatur auch unter dem Stichwort psychosoziale Gesundheit behandelt, insofern es hier um die Häufigkeit selbstwahrgenommener psychosomatischer Beschwerden wie Kopfschmerzen und Bauchkrämpfe geht. In der alle vier Jahre von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführten Studie „Health Behaviour in School-age Children“ zeigte sich, dass sich Jugendliche über den Erhebungszeitraum hinweg in beinahe allen untersuchten Staaten in Abhängigkeit von ihrem familiären Wohlstand in ihrer Bewertung des eigenen körperlichen Wohlbefindens unterscheiden (Moor et al. 2015). Jugendliche aus ressourcenschwachen Familien berichten über häufigere Gesundheitsprobleme als sozioökonomisch bessergestellte Jugendliche.

Zusammenfassend können soziale Ungleichheiten zwischen Kindern und Jugendlichen trotz dieser Befunde als nach wie vor unterforscht gelten. Gerade in der Bildungsforschung liegt der Fokus zumeist eher auf den Zusammenhängen zwischen schulischem Wohlbefinden und weiteren schulerfolgsrelevanten Variablen.

3.3 Wohlbefinden im Kontext schulbezogener Einstellungen und Schulleistungen

In der erziehungswissenschaftlichen und pädagogisch-psychologischen Forschung wird das subjektive Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern häufig im Kontext der Diskussion um die über die Schullaufbahn abnehmende Schulfreude diskutiert (z. B. Harazd und Schürer 2006). Fend (1997) versteht Schulfreude als emotionale Bewertung der Schule, die sich in Bildungsmotivation, Wohlbefinden in der Schule und der Identifikation mit der Schule niederschlägt: Eine geringe Schulfreude hat potenziell negative Konsequenzen für das Lernen und kann zu Schulvermeidung führen. Zudem ist bekannt, dass Schülerinnen und Schüler, die sich in der Schule wohlfühlen in geringerem Maße entfremdet vom Lernen sind (z. B. Moreno und de Roda 2003; Rayce et al. 2008). Wohlbefinden hat demnach auch eine protektive Wirkung mit Blick auf Bildungsrisiken und kann über positive Beziehungen in der Schule gefördert werden (Hall-Lande et al. 2007; Hascher und Hagenauer 2010; Rubin et al. 2003). Verlässliche Bindungen zu Lehrkräften und ein als gerecht erlebter Lernkontext sind dabei besonders wichtig (Boekaerts 2001; Hascher 2003).

Mit Blick auf die physische Seite des subjektiven Wohlbefindens zeigte eine schwedische Studie Zusammenhänge mit Schulleistungen, die allerdings für Jungen und Mädchen unterschiedlich stark ausgeprägt waren (Låftman und Modin 2012). Zudem konnten die Autoren positive Korrelationen zwischen subjektiver Gesundheit und Leistungsmotivation und emotionaler Unterstützung durch Lehrkräfte nachweisen. In einer kanadischen Studie konnte eine Beziehung zwischen subjektiver Gesundheit und schulischem Problemverhalten nachgewiesen werden, wobei sich hier auch die Unterscheidung zwischen Individual- und Schulebene als wichtig erwies (Saab und Klinger 2010). Erneut zeigte sich hier die Lernumwelt bzw. die im schulischen Kontext erlebte Unterstützung als maßgeblich für die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler; dieser Befund bestätigt sich auch im internationalen Vergleich und gilt gleichermaßen für die generelle Lebenszufriedenheit, wobei Mädchen von einem unterstützenden Umfeld offenbar stärker profitieren (Ravens‐Sieberer et al. 2009).

Wenngleich insbesondere das schulische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in der Bildungsforschung vielfach diskutiert wird, mangelt es nach wie vor an Studien zu Determinanten der verschiedenen Komponenten von Wohlbefinden.

4 Kontext: Die Luxemburgische Grund- und Sekundarschule

Das Bildungssystem Luxemburgs hat eine lange Tradition der Mehrgliedrigkeit und ist im Vergleich stark stratifiziert (Hadjar und Gross 2016). Es wird zentral gesteuert. Die Schulpflicht setzt mit dem vierten Lebensjahr ein, wenn die Schüler/innen in die verpflichtende Vorschule (Cycle 1.1) eintreten. Die Vor- und Grundschulzeit ist gesamtschulartig ohne externe Differenzierung/Stratifizierung, wenngleich sich die Schulkomposition aufgrund der räumlichen Lage der Schulen stark unterscheiden kann. So gibt es etwa in Luxemburg Grundschulen, in denen homogene Klassen dominieren, die fast ausschließlich aus Arbeiterkindern mit portugiesischer Herkunft bestehen. Der Sekundarschulbereich ist – wie auch in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und anderen Ländern stratifiziert – bzw. mehrgliedrig. In Luxemburg werden die Schülerinnen und Schüler in der Regel nach acht Jahren in der Vor-/Grundschule (sechste Grundschulklasse, Cycle 4.2) in einen Sekundarschulzweig selektiert. In Luxemburg werden die Schülerinnen und Schüler von Kommissionen (neuerdings unter einem erweiterten Mitspracherecht der Eltern) auf folgende Sekundarschulzweige orientiert, wobei im Folgenden die Bezeichnungen genutzt werden, welche im Untersuchungszeitraum 2016–2018 der hier präsentierten Analysen galten: Der akademische Sekundarschulzweig, der zu einer uneingeschränkten Hochschulzugangsberichtigung führt, nennt sich enseignement secondaire (ES; seit 2019: enseignement secondaire classique) und wird in klassischen Gymnasium (lycée classique) oder auch in schulischen Mischformen angeboten. Das enseignement secondaire technique (EST; seit 2019 enseignement secondaire générale), welches in technischen Gymnasien bzw. Lyzeen sowie Mischformen angeboten wird, untergliedert sich in verschiedene Anspruchsniveaus bzw. Schulzweige: Während das EST théorique als vergleichsweise höherer Schulzweig ebenso zu einer Hochschulzugangsberechtigung führen kann, sind die technischen Schulzweige des polyvalente oder pratique stärker berufsbildend. Der niedrigste und kürzeste Schulzweig ist das modulaire oder auch préparatoire, welches auf eine direkte Transition in das Erwerbsleben vorbereitet und an technischen Gymnasien und Mischformen angeboten wird. Dazu gibt es auch Projektschulen, die von der 7. bis zur 9. Klasse einen gesamtschulartigen technischen Schulzweig durchführen (PROCI), in dem alle technischen Schulzweige vereint sind (Backes und Hadjar 2017). In den mittleren technischen Schulzweigen findet dann nach Klasse 9 ein weiterer Übergang in mittlere und höhere Berufsbildungen und entsprechende Spezialisierungen statt. In den Sekundarschulhäusern in Luxemburg sind oftmals verschiedene Schulzweige beheimatet, wobei eine stärkere räumliche Abtrennung des niedrigsten Schulzweigs, der teilweise in Schulgebäude am Rande der Städte ausgelagert ist, auffällt. Die Schulpflicht endet dem 16. Lebensjahr, wobei die Absolvierung des niedrigsten Pflichtschulzweigs (modulaire/préparatoire) mit einem frühen Verlassen der Schule verbunden ist.

Im Hinblick auf das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler rückt ein Mechanismus in den Vordergrund: Die verschiedenen parallelen Bildungsinstitutionen (Schulen) oder bildungswegspezifischen Klassenformationen stellen differentielle Sozialisationsumwelten und Entwicklungsmilieus (Baumert et al. 2006) dar. Während gesamtschulartige Systeme durch heterogenere Klassenumwelten geprägt sind, d. h. dass Arbeiter- und Akademikerkinder sowie Schüler und Schülerinnen verschiedener ethnischer Hintergründe in einer Klasse oder Schule zusammen lernen, sind in stratifizierten Systemen homogenere Lernumwelten vorherrschend. In diesen Systemen hat sich – insbesondere im Verlauf der Bildungsexpansion, in dem Kinder aus privilegierten sozialen Schichten zunehmend die neuen höheren Bildungsgelegenheiten in Anspruch nahmen, während benachteiligte Kinder in den niedrigen Sekundarschulformen zurückblieben – eine homogene Schulform mit einem sehr niedrigen Anspruchsniveau herausgebildet. So bestehen mit den modulaire-Klassen in Luxemburg distinkte und oftmals räumlich von anderen Lernumwelten getrennte Schulformen, in denen Risikogruppen wie Arbeiterkinder, Jungen und benachteiligten Migrationshintergründe quasi unter sich bleiben (vgl. Hadjar und Becker, 2016; Solga 2007). Gering motivierte Schüler und Schülerinnen mit geringen Leistungen können sich gegenseitig weder hinsichtlich der Motivation noch im Lernen unterstützen und bestärken sich in ihrer Abneigung gegenüber Schule und Lernen (Stichwort: Schulentfremdung; Hascher und Hadjar 2018; Morinaj et al. 2017). Diese Bildungskontexte (Becker und Schulze 2013) sind durch ein geringeres Anspruchsniveau der Lehrpersonen gekennzeichnet. Zudem prägt die Schulkomposition – hier die homogene Zusammensetzung hinsichtlich benachteiligter Schüler/innen – auch Merkmale der Schulorganisation und die didaktischen Konzepte (vgl. Thrupp und Lupton 2006).

5 Forschungsfragen und Hypothesen

Auf Basis der theoretischen Überlegungen und internationalen empirischen Vorbefunde sollen folgende – aufgrund der lückenhaften Forschungslage – eher explorative Hypothesen aufgestellt werden, die vor allem auf Hintergrundannahmen zur Verfügbarkeit von Ressourcen zur Produktion von Wohlbefinden sowie sozialisierter Schulfreude beruhen. In Bezug auf Geschlechterdifferenzen greifen die Hypothesen die komplexere internationale Forschungslage zu den drei betrachteten Aspekten des Wohlbefindens auf.

Hypothese 1: Schülerinnen und Schüler aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen zeigen ein geringeres allgemeines, schulisches und physisches Wohlbefinden als sozial privilegierte Schülerinnen und Schüler.

Hypothese 2a: Mädchen sind zufriedener mit ihrem Leben im Allgemeinen als Jungen.

Hypothese 2b: Jungen zeigen ein geringeres Wohlbefinden in der Schule als Mädchen.

Hypothese 2c: Mädchen berichten stärkere gesundheitliche Probleme als Jungen.

Hypothese 3: Schüler/innen mit Migrationshintergrund zeigen ein geringeres Wohlbefinden hinsichtlich der untersuchten Dimensionen als Schüler/innen ohne Migrationshintergrund.

6 Untersuchungsdesign

Die Datengrundlage unserer Untersuchung bildet die SASAL-Studie („Schulentfremdung in der Schweiz und in Luxemburg“), die von 2016 bis 2019 in Luxemburg und der deutschsprachigen Schweiz (Kanton Bern) an Grund- bzw. Primarschulen und Sekundarschulen durchgeführt wurde. Ein wesentliches Merkmal der Studie ist ihr längsschnittliches, sequenzielles Kohortendesign; das heißt, dass dieselben Schülerinnen und Schüler jeweils zu drei Messzeitpunkten befragt wurden. In Luxemburg lagen abschließend Daten von N = 338 Grundschülerinnen und -schülern vor, die von der vierten bis zur sechsten Klassenstufe an der Studie teilgenommen haben. In der Sekundarstufe sind es N = 375 Schülerinnen und Schüler, die in Klassenstufe sieben, acht und neun bei der Befragung mitgemacht haben.

Die Daten werden mithilfe von hierarchischen Regressionsmodellen unter Berücksichtigung des geschachtelten Stichprobendesigns analysiert. Von Interesse sind hier allerdings nur die Prädiktoren auf Individualebene. Die Einschätzungen der Schülerinnen und Schüler zu Lebenszufriedenheit, subjektivem Wohlbefinden in der Schule und subjektiver Gesundheit bilden die abhängigen Variablen. Als unabhängige Variablen dienen die Angaben zu Geschlecht, Migrationshintergrund und sozialer Herkunft, wobei je abhängige Variable zwei Modelle berichtet werden. Der Migrationshintergrund wird dabei stets im zweiten Modell einbezogen, um zunächst den Effekt der sozialen Herkunft abzuschätzen und anschließend den Einfluss des Migrationshintergrunds über die sozioökonomischen Lebensumstände hinaus zu betrachten. Dieses Vorgehen beruht auf dem bekannten Befund, dass Migrationshintergrund und soziale Herkunft konfundiert sind, da die zugewanderte Population überproportional in den unteren sozialen Schichten vertreten ist. Für den vorliegenden Beitrag werden die Forschungsfragen jeweils für die beiden Schulstufen getrennt bearbeitet, wobei die Jahrgänge innerhalb beider Analysen konstant gehalten werden.

Im Folgenden werden die analysierten Variablen vorgestellt, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Skala zum physischen Wohlbefinden gelegt wird (siehe deskriptive Statistiken in Tab. 1). Diese basiert auf vier Items zu unterschiedlichen Gesundheitsproblemen mit Bezug zu Schule und Lernen. Die Reliabilität der Skalen (interne Konsistenz, Cronbachs α) ist über die drei Messzeitpunkte hinweg sehr zufriedenstellend.

Tab. 1 Deskriptive Statistiken der Items zur Erfassung subjektiver Gesundheitsprobleme im Zusammenhang mit der Schule

Bei den beiden Variablen zum subjektiven (psychischen) Wohlbefinden im Leben allgemein bzw. in der Schule handelt es sich um einzelne Items: „In meinem Leben fühle ich mich alles in allem wohl“ sowie „In der Schule fühle ich mich meistens wohl“ (siehe Tab. 2).

Tab. 2 Deskriptive Kennwerte der Variablen zum psychischen Wohlbefinden

Als unabhängige Variablen dienen sozioökonomischer Status (1 = Dienstklasse/Hochqualifizierte, 2 = Angestellte mit mittlerer Bildung in nicht-manuellen Berufen sowie Facharbeiter, 3 = nicht oder gering qualifizierte Arbeiter) und der Migrationshintergrund (0 = Kind/Jugendlicher sowie mindestens ein Elternteil in Luxemburg geboren; kein Migrationshintergrund, 1 = Kind oder beide Elternteile nicht in Luxemburg geboren; erste und zweite Migrantengeneration). Das Geschlecht wurde – nach einem Screening in den Schulklassen, ob es Schüler/innen gibt, welche sich einem „dritten Geschlecht“ oder „divers“ zuordnen würden – dichotom erhoben (0 = weiblich, 1 = männlich).

7 Ergebnisse

In diesem Abschnitt stellen wir die Ergebnisse der Regressionsanalysen zur Vorhersage der drei Dimensionen des subjektiven Wohlbefindens von luxemburgischen Kindern und Jugendlichen vor. Für die Grund- und Sekundarschülerinnen und -schüler werden jeweils pro abhängige Variable zwei Modelle präsentiert, einmal mit und einmal ohne Einbezug des Migrationshintergrunds.

7.1 Allgemeine Lebenszufriedenheit

Wie Tab. 3 zu entnehmen ist, lässt sich in der Grundschule kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Hintergrund und der allgemeinen Lebenszufriedenheit von Kindern feststellen. Das Modell unter Berücksichtigung des Migrationshintergrunds zeigt jedoch, dass Schülerinnen und Schüler, die selbst oder deren Eltern nicht in Luxemburg geboren sind, eine geringere Lebenszufriedenheit aufweisen als Kinder ohne Migrationshintergrund. In der Sekundarstufe zeigt sich zunächst ein anderes Bild (Modell 1). Jugendliche aus der unteren und mittleren Mittelklasse sowie der Arbeiterklasse fühlen sich im Leben im Allgemeinen weniger wohl als Jugendliche aus der höchsten Statusgruppe. Der um den Migrationsstatus bereinigte Effekt des sozioökonomischen Hintergrunds ist allerdings nicht mehr signifikant (Modell 2). Dies deutet darauf hin, dass die Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte, die zugleich auch gesellschaftlich weniger privilegiert sind, im ersten Modell für den signifikanten Statuseffekt verantwortlich zeichneten. Die signifikanten Kovariaten der höheren Jahrgangsstufen in der Sekundarstufe machen zudem deutlich, dass die Lebenszufriedenheit mit zunehmendem Alter bzw. in höheren Klassenstufen signifikant abnimmt.

Tab. 3 Prädiktion der Lebenszufriedenheit von Kindern und Jugendlichen an Grund- und Sekundarschulen

7.2 Subjektives Wohlbefinden in der Schule

Die Regressionsmodelle für das subjektive Wohlbefinden in der Schule zeigen mit Blick auf das Grundschulalter ein ähnliches Bild wie die Modelle zur Lebenszufriedenheit (Tab. 4). Die soziale Herkunft hat hier keinen Einfluss darauf, wie wohl sich Kinder in der Schule fühlen. Allerdings tritt hier der erwartete Geschlechtseffekt zutage: Jungen fühlen sich in der Schule signifikant weniger wohl als Mädchen. Der Migrationshintergrund (Modell 2) wiederum hat allenfalls dann einen Effekt auf das Wohlbefinden, wenn man ein Signifikanzniveau von 10 % anlegt und so der eher kleinen Stichprobengröße Rechnung trägt. In der Sekundarstufe zeigen sich erneut deutlichere Effekte und komplexere Zusammenhänge. Zum einen schlägt hier der Effekt der sozialen Herkunft stärker durch, insbesondere im Hinblick auf den Unterschied zwischen oberer und unterer/mittlerer Mittelklasse. Zum anderen ist der Effekt des Geschlechts hier stärker als in der Grundschule und erneut sinkt die Schulfreude in höheren Klassenstufen ab. Der Migrationshintergrund bleibt in der Sekundarstufe anders als bei der Lebenszufriedenheit ohne Einfluss, was auf die Unabhängigkeit von schulischem und allgemeinem Wohlbefinden hindeutet.

Tab. 4 Prädiktion des schulischen Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen an Grund- und Sekundarschulen

7.3 Physisches Wohlbefinden

Zuletzt werden die Modelle zur Prädiktion des physischen Wohlbefindens vorgestellt (Tab. 5). Erstaunlich ist hier auf den ersten Blick sowohl für die Grundschule als auch für die Sekundarschule der deutliche signifikante Effekt der sozialen Herkunft auf die selbst berichteten Gesundheitsprobleme. Kinder und Jugendliche aus der unteren/mittleren Klasse sowie der Arbeiterklasse berichten ein geringeres physisches Wohlbefinden als ihre jeweiligen Altersgenossen aus der gehobenen Mittelklasse. Kinder von Eltern in privilegierten gesellschaftlichen Positionen haben demzufolge weniger häufig Kopfschmerzen und psychosomatische Stresssymptome. Dieser Effekt bleibt auch bei Berücksichtigung des Migrationshintergrunds stabil. Letzterer hat demgegenüber keinen statistisch bedeutsamen Einfluss auf die subjektive Gesundheit. Demgegenüber zeigt sich wieder ein profunder Effekt der Geschlechtszugehörigkeit. Diesmal sind es jedoch die Jungen, die eine um beinahe eine Drittel Standardabweichung besseres Wohlbefinden aufweisen als Mädchen. Somit lässt sich der diametrale Befund festhalten, dass sich Mädchen zwar in der Schule wohler fühlen als Jungen, allerdings in höherem Maße von potenziell schulisch verursachten Gesundheitsproblemen betroffen sind.

Tab. 5 Prädiktion schulischer Gesundheitsprobleme von Kindern und Jugendlichen an Grund- und Sekundarschulen

8 Diskussion

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass subjektives Gesundheitsempfinden und die Zufriedenheit mit dem Leben und der Schule in je spezifischer Weise nach sozialer Herkunft, Geschlecht und Migrationshintergrund variieren.

Hinsichtlich der aufgestellten Hypothesen zeigt sich, dass diese nie für alle Wohlbefindensaspekte gleichermaßen gestützt werden konnten, obwohl sich im Forschungsstand tendenziell nur Indizien für differentielle Befunde hinsichtlich der Achse Geschlechtszugehörigkeit fanden. Für die Hypothese 1 zum positiven Einfluss der sozialen Herkunft auf das Wohlbefinden fanden sich nur im Hinblick auf das physische Wohlbefinden (Gesundheitsprobleme) belastbare Belege, sowohl in der Grundschul- als auch in der Sekundarschulstichprobe. Schüler/innen aus privilegierten Sozialschichten berichteten weniger Gesundheitsprobleme. In der Lebenszufriedenheit und im Wohlbefinden in der Schule fanden sich nur punktuelle Hinweise auf ähnliche Trends.

Für die Hypothese 2a zu Geschlechterunterschieden in der Lebenszufriedenheit kann unabhängig von der Schulstufe kein Beleg gefunden werden. Dagegen zeigen sich hypothesenkonforme Effekte für das Wohlbefinden in der Schule (Hypothese 2b), wo sich Jungen weniger wohl fühlen als Mädchen – und zwar sowohl in der Grund- als auch in der Sekundarschule. Im Hinblick auf das physische Wohlbefinden bestätigt sich Hypothese 2c für die Grundschule, während in der Sekundarstufe lediglich in der Tendenz von einem Geschlechtereffekt auszugehen ist: Mädchen berichteten ein geringeres physisches Wohlbefinden und damit mehr Gesundheitsprobleme als Jungen.

Hinsichtlich eines belegenden Befunds zur Hypothese 3 zum Migrationshintergrund ist nur zu konstatieren, dass in der Grund- und Sekundarschule Schüler/innen mit Migrationshintergrund eine geringere allgemeine Lebenszufriedenheit aufweisen als Schüler/innen, die selbst oder zumindest ein Elternteil in Luxemburg geboren wurde.

Generell erweisen sich die drei untersuchten Aspekte des Wohlbefindens – Lebenszufriedenheit, Wohlbefinden in der Schule und physisches Wohlbefinden/Gesundheitsprobleme – in der Grundschule als relativ konstant. In der Sekundarschule erweisen sich die Gesundheitsprobleme als eher stabil, während die Lebenszufriedenheit und das Wohlbefinden in der Schule absinkt. Mechanismen hinter dieser Entwicklung sind neben der zunehmenden Adoleszenz sicher auch die sich mit dem Übergang von der Grund- in die Sekundarschule verändernden Schulumwelten und Lehrstile sowie insbesondere die über die Sekundarbildung zunehmenden Leistungsanforderungen (vgl. Grecu et al. 2019).

Die dargestellten (sparsamen) Modelle sind vor dem Hintergrund einiger Limitationen zu interpretieren. Die Stichprobe ist nicht repräsentativ für Luxemburg. Da der Fokus auf Zusammenhängen zwischen Ungleichheitsachsen soziale Herkunft, Geschlecht und Migrationshintergrund – und nicht auf der Beschreibung des Ausmaßes – lag, geben die Ergebnisse aber durchaus Auskünfte über Trends. Die Abbildung des Migrationshintergrunds entspricht einer eher abstrakten Darstellung, welche der Heterogenität innerhalb der luxemburgischen Migrant/innen nicht Rechnung trägt. Während durch die gleichzeitige Betrachtung des sozioökonomischen Hintergrunds die Heterogenität hinsichtlich dieser Variablen Berücksichtigung fand, blieben ethnische Unterschiede (etwa zwischen Migrant/innen portugiesischer Herkunft und Migrant/innen aus Frankreich) unberücksichtigt. Komplexere Modelle unter Berücksichtigung der Schulnoten und der verschiedenen Sekundarschulzweige (in den Modellen auf Basis der Sekundarschuldaten) ergaben vergleichbare Ergebnisse. Entsprechend sind die dargestellten Trends als robust anzusehen.

Alles in allem zeigt sich, dass bestimmten Risikogruppen hinsichtlich Wohlbefinden im Luxemburgischen Schulsystem besser Rechnung getragen werden sollte. Dies gilt hinsichtlich Schüler/innen mit Migrationshintergrund (insbesondere mit Blick auf die Lebenszufriedenheit), hinsichtlich Jungen mit Blick auf das Wohlbefinden in der Schule, hinsichtlich Mädchen sowie Schülern und Schülerinnen aus benachteiligten sozialen Herkunftsschichten mit Blick auf Gesundheitsprobleme im Sinne eines Mangels an physischem Wohlbefinden.