Zusammenfassung
‚Angewandte Ethik‘: Ist das nicht ein Wort wie ‚weißer Schimmel‘? Ethik ist die philosophische Begründung von Moral, sie ist die kritische Auseinandersetzung mit normativen Ansprüchen, Regeln und Überzeugungen, also letztlich immer mit Forderungen und Annahmen, denen die Unterscheidung zwischen gut und schlecht, richtig und falsch, human und inhuman innewohnt, also mit ‚Praxis‘ im eminenten Sinne. Schon Aristoteles hat die Ethik bestimmt als die Denkweise, die nicht auf theoretische Einsichten über das gute Handeln, sondern darauf gerichtet ist, uns zu gut handelnden Menschen zu machen, und bis heute bildet sie Mitte und Grundlage des Teils der Philosophie, den wir den ‚praktischen‘ nennen. Was soll es da noch besagen, wenn man das ‚Angewandte‘ an ihr zur Kennzeichnung einer eigenen, und zwar einer ganz spezifischen, im heutigen Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb in höchst komplexen und institutionalisierten Formen etablierten Disziplin macht? Was also soll das genuin ‚Angewandte‘ an der Ethik sein?
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Notes
- 1.
Zum systematischen und geschichtlichen Hintergrund der Ethik vgl. Robert Spaemann, Was ist philosophische Ethik?, in: Robert Spaemann, Walter Schweidler (Hg.), Ethik. Lehr- und Lesebuch, Stuttgart 2006, 11–21, sowie Walter Schweidler, Der gute Staat. Politische Ethik von Platon bis zur Gegenwart, Wiesbaden 22014.
- 2.
Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1103b.
- 3.
Immanuel Kants Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen, 1800, hg. v. Gottlieb Benjamin Jäsche, A 26: „Es kann sich überhaupt keiner einen Philosophen nennen, der nicht philosophieren kann.“
- 4.
Und natürlich genauso der Leserin, die sich nicht daran stören möge, dass der Autor, da er in einem philosophischen Buch, das sich im Gespräch mit sich hervorbringt, immer exemplarisch den Leser in ihm selbst ansprechen muss, sich grammatikalisch zu seinem eigenen Geschlecht zu bekennen gezwungen sieht.
- 5.
Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I–II, 19, 5 resp.
- 6.
Konfuzius, Gespräche. Lun Yü, nach der engl. Übers. v. James Legge hg. v. Klaus Bock, Kettwig 1989; Buch 13.3, 154.
- 7.
Otto Neurath, Protokollsätze, 1932/33, in: Erkenntnis 3 (1932/1933) 204–214, hier 206.
- 8.
Thomas Nagel, The view from Nowhere, Oxford 1989; dt. Der Blick von nirgendwo, Frankfurt am M. 1992.
- 9.
Dazu im Einzelnen Walter Schweidler, Kleine Einführung in die Angewandte Ethik, Wiesbaden 2018; diesem Buch ist der hier erneut und gekürzt abgedruckte Text entnommen.
- 10.
Die philosophisch großartigste Auseinandersetzung mit diesem gesamten Zusammenhang findet sich in unübertrefflicher Knappheit und Klarheit bei Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit, Frankfurt am M. 1970.
- 11.
Thomas Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt am M. 21976.
- 12.
Wittgenstein, Über Gewißheit, § 205.
- 13.
Maurice Merleau-Ponty, Das Sichtbare und das Unsichtbare, München 1964, 300.
- 14.
Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten. Rechtslehre, 1797, AB 35.
- 15.
Robert Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ‚etwas‘ und ‚jemand‘, Stuttgart 1996.
- 16.
Marcus Tullius Cicero, De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln, hg. v. Heinz Gunermann, Stuttgart 1992, 95.
- 17.
Vgl. dazu Walter Schweidler, Die Wahrheit der Grenze. Zu den metaphysischen Implikationen des modernen Wissenschaftsbegriffs, in: Markus Knapp, Theo Kobusch (Hg.), Religion – Metaphysik(kritik) – Theologie im Kontext der Moderne/Postmoderne, Berlin u. New York 2001, 169–186.
- 18.
Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 83.
- 19.
Vgl. hierzu auch Walter Schweidler, Das Unantastbare. Beiträge zur Philosophie der Menschenrechte, Münster 2001, Einleitung.
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Schweidler, W. (2021). Den Menschen denken – Person und Ethik. In: Böhr, C., Rothhaar, M. (eds) Anthropologie und Ethik der Biomedizin. Das Bild vom Menschen und die Ordnung der Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34302-6_1
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Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
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Online ISBN: 978-3-658-34302-6
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