Zusammenfassung
In den letzten Jahren haben sich öffentliche Diskussionen über Prozesse der Radikalisierung ausgeweitet. Sie wird als Triebkraft oder Ausdruck für die zunehmende Polarisierung in Gesellschaften – und damit als Herausforderung für gesellschaftliche Integration angesehen. Dabei ist es vor dem Hintergrund einer Polarisierungsdebatte die Frage, inwieweit sich Radikalisierungsprozesse unterschiedlicher Gruppen innerhalb einer Gesellschaft gegenseitig bedingen bzw. verstärken können. Ein Ansatzpunkt sind hier wechselseitige Bezüge zwischen islamistischer und rechtsextremistischer Radikalisierung. Gleichzeitig spielt das Meinungsklima eine Rolle für die Bestärkung von Radikalisierungsprozessen. So fühlen sich in vielen europäischen Ländern, darunter auch in Deutschland, Teile der Bevölkerung vom Islam und „den Muslimen“ bedroht und machen dies unter anderem an islamistischen Radikalisierungsprozessen fest. Manche Bürger*innen schließen sich islamfeindlichen Organisationen wie PEGIDA an. In der Folge eines anwachsenden islamfeindlichen Klimas fühlen sich wiederum Muslim*innen vermehrt bedroht und diskriminiert, was zu einem Zulauf für radikale islamistische Gruppen beitragen kann. Grund sind fehlende Anerkennungs- und stattdessen gefühlte Abwertungsprozesse.
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Notes
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Teile des vorliegenden Beitrages beruhen auf gemeinsamen Arbeiten zu einem Projektantrag „Radikaler Islam versus radikaler Anti-Islam“. Gesellschaftliche Polarisierung und wahrgenommene Bedrohungen als Triebfaktoren von Radikalisierungs- und Co-Radikalisierungsprozessen bei Jugendlichen und „Post-Adoleszenten“, der von einem Konsortium unter Federführung von Prof. Dr. Susanne Pickel beim BMBF eingereicht wurde. Projektpartner*innen, denen für ihre wertvollen Hinweise zu Antrag und Thematik gedankt wird, sind: Prof. Dr. Rauf Ceylan; PD Dr. Oliver Decker; Prof. Dr. Immo Fritsche; Dr. Peter Krumpholz; Prof. Dr. Frank Lütze; Dr. Alexander Schmidt; Prof. Dr. Riem Spielhaus; Dr. Andrea Ullrich; Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan.
- 2.
Der vorliegende Artikel beruht in Teilen auf Forschungstätigkeit, die in der Kollegforschergruppe „Multiple Secularities – Beyond the West, Beyond Modernities“ an der Universität Leipzig durchgeführt wurde. Für die dort gewährte Hilfe und Möglichkeiten danke ich an dieser Stelle. Die Kollegforschergruppe wird durch die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) gefördert. Für weitere Informationen: www.multiple.secularities.de.
- 3.
Normalität ist ein fluider Prozess, nicht fix vorgegeben und unterliegt zudem Aushandlungsprozessen.
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Moghaddams Modell wird hier dabei als Grundmodell verstanden und nicht bezogen allein auf islamistische Radikalisierung, wie teilweise bei ihm ausgerichtet.
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Schneider, V., Pickel, S., Pickel, G. (2020). Gesellschaftliche Integration, Radikalisierung und Co-Radikalisierung. In: Pickel, G., Decker, O., Kailitz, S., Röder, A., Schulze Wessel, J. (eds) Handbuch Integration. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21570-5_79-1
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