Nationalsozialismus/Deutschland – Film und Kino, Geschlecht und Sexualität

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Performative Figuren queerer Männlichkeit

Part of the book series: Szene & Horizont. Theaterwissenschaftliche Studien ((STHOTHST,volume 5))

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Zusammenfassung

Dieses Überblickskapitel stellt zunächst den Umbau des Kulturbetriebs unter der Ägide der Ästhetisierung des Politischen und vice versa durch die Nazis vor. Hierbei spielt das Konzept der Metaphysik der Präsenz eine zentrale Rolle, womit das völkische Ideal einer harmonisierten Gemeinschaft unter radikalem Ausschluss alles Nicht-Genehmen legitimiert wurde. Hieraus wird ersichtlich, warum es einerseits keine nationalsozialistische Ästhetik geben konnte. Andererseits sollte durch eine bestimmte Raumzeitkonstruktion alles Partikulare auf ein noch nicht eingelöstes Ideal bezogen werden können. Sowohl das Gemeinschaftliche als auch das Individuelle, inklusive Geschlecht und Sexualität, wurden daher in einer success story raumzeitlich angeordnet, worin sie schlussendlich stets larger than life als über-menschlich, über-zeitlich in Erscheinung traten.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. hierzu Kershaw 1985, 1995. Vgl. zur Sichtbarmachung, Ausgrenzung und Verfolgung von Sinti und Romani Milton 1995, 2001, Müller-Hill 1988, Riechert 1995, Rose/Bamberger/Reuter (Hg.) 1995 sowie Willems 1997. Für das annektierte Österreich vgl. Steinmetz 1966 sowie Thurner 1983. Vgl. zu Rassismus und Verfolgung von deutschen und nicht-deutschen blacks im NS Lusane 2002 sowie Campt 2004. Vgl. zum Unterschied in Verfolgungslegitimation und -ausführung von Juden und Jüdinnen und Schwulen Heinemann 2005, S. 22–66, Grau 1995 sowie Giles 2005a, bes. S. 259.

  2. 2.

    Der Idee nach sollte es sich dabei um eine klassenlose Gesellschaft handeln. Jedoch sollten nicht alle Gesellschaftsindividuen gleiche Rechte und gleichen Status genießen. Jede*r sollte seinen individuellen Anlagen gemäß, die sozial zu fördern und fordern waren, einen bestimmten Platz in dieser Ordnung zugewiesen bekommen. Das Regime setzte dazu auf das Leistungsprinzip. Sofern man sich selbst damit identifizierte, im Dienste und Geiste des Regimes das Ideal zu erfüllen, konnte man jenseits von biologischer und sozialer Herkunft einen Platz in dieser Meritokratie erwerben. Vgl. hierzu auch Siegel 1989. Anhand der nationalsozialistischen Führungselite demonstriert dies d’Almeida 2008, 2011 sowie Werner 2013, bes. S. 49 ff. Das Leistungsprinzip, so Werner, war männlich codiert und objektivierte die männlichen Hierarchien. Frauen und ihr Engagement waren aufgrund des asymmetrischen Geschlechterverhältnisses generell weniger wert. Sozialer Aufstieg über Klassen- und vor allem auch Geschlechterschranken hinweg war de facto begrenzt. Die damit verbundenen Gratifikationen wurden großteils durch Ausgrenzung, auch durch Beraubung der ‚jüdischen Bevölkerung‘ betrieben. Vgl. hierzu auch Baranowski 2004. Mit Bezug zum Kunstraub Petropoulos 1996.

  3. 3.

    Zum Raumzeitschema vgl. zeitgenössisch Evola 1936 sowie Dvorak 1938. Dvorak schrieb über das Wesen des Rundfunks, er stünde im totalen Einklang mit dem politischen Willen des Regimes, da er in Echtzeit reale Ereignisse übertragen und so eine Erlebnisgemeinschaft produzieren konnte. Vgl. weiterführend Dvorak 1940.

  4. 4.

    Vgl. erneut Benjamin 1977.

  5. 5.

    Vgl. erneut Benjamin 1980. Weiterführend hierzu vgl. Stollmann/Smith 1978, Dröge/Müller 1995, Koepnick 1999, NGBK (Hg.) 1987 sowie Hillach 1978. Speziell zur Filmästhetik vgl. Rother 2007 sowie Schütz 2002b, S. 221–238.

  6. 6.

    Vgl. erneut Hewitt 1993. Er arbeitet darin die epistemologische und ästhetische Nähe, aber auch die eindeutigen Unterschiede zu den historischen Avantgarden heraus.

  7. 7.

    Vgl. hierzu Schäfer 1997.

  8. 8.

    Vgl. hierzu Steinweis 1995.

  9. 9.

    Vgl. Betts 2004.

  10. 10.

    Vgl. hierzu erneut NGBK (Hg.) 1987 sowie Frietsch 2009. Zur politisch motivierten Reästhetisierung von Alltagsgegenständen vgl. erneut Betts 2004.

  11. 11.

    Vgl. Bartetzko 2012, bes. S. 133 ff. Mit Bezug zur Kulturpolitik und speziell zur bildenden Kunst vgl. Haug 1987, bes. S. 82 f. Für die Kunstpolitik einschlägig Brenner 1963, Cuomo (Hg.) 1995, Huener/Nicosia (Hg.) 2006, Taylor/Will (Hg.) 1990, Etlin (Hg.) 2002, Labanyi 1989, Blume/Scholz (Hg.) 1999, Masset 2009 sowie Petropoulos 2000. Zur Funktion der bildenden Kunst hinsichtlich der Produktion eines künftigen ‚arischen‘ Geschlechterideals vgl. Schrödl 2009. Zur Kunstpolitik bezüglich der Kunst jüdischer Künstler*innen vgl. Mickenberg u. a. (Hg.) 2003. Zum jüdischen Kulturleben allgemein vgl. Dahm 1988. Vgl. zur künstlerischen Fotografie Sachsse 2003. Zur Bedeutung der Geschlechterdifferenz im konstitutiven Wechselverhältnis von Skulptur und Fotografie vgl. Wenk 1991 sowie Frietsch 2008.

  12. 12.

    Zum Medienverbund in zeitgenössischer Perspektive vgl. Traub 1933. Das Medium Radio wiederum funktionierte unter anderem deshalb sehr gut, weil der Rundfunk in Deutschland mit seiner bestehenden Gesamtstruktur leichter unter staatliche Kontrolle zu bringen war als Pressewesen und Filmindustrie. Vgl. zur Presse Schäfer 1984. Zum Rundfunk vgl. erneut Reichel 1991 sowie Wulf 1966. Weiterführend vgl. Drechsler 1988, Schütz 1995, Bergmeier/Lotz 1997, Birdsall 2012, Koch 2006a, b, Hickethier 2009, Schmölders 1997 sowie erneut Marßolek/Saldern (Hg.) 1998 und Currid 2006. In Genderperspektive vgl. Lacey 1996. Zur Rundfunkpolitik in den späten Kriegsjahren vgl. Klingler 1983. Zu den Schwierigkeiten bezüglich der Kontrolle des Mediums vgl. erneut Bergmeier/Lotz 1997, Schäfer 1991, Schütz 1995b, Zimmermann 2006 sowie Reuband 2001. Speziell zum Fernsehen im NS Prümm 2002, Winkler 1994 sowie Hoff 1990.

  13. 13.

    Vgl. hierzu Reichel 1991, bes. S. 208 ff. sowie Vondung 1971.

  14. 14.

    Vgl. hierzu erneut Stahr 2001 sowie Dahm 1995. Dagegen die These von der totalisierten Herrschaftspraxis in Hermann/Nassen (Hg.) 1993.

  15. 15.

    Vgl. hierzu erneut Maiwald 1983 sowie Spiker 1975.

  16. 16.

    Vgl. Loiperdinger 2004. Diese Maßnahme führte zusammen mit den ersten Entlassungen bereits ein Jahr zuvor zu einer massenhaften Abwanderung jüdischer Regisseur*innen, Schauspieler*innen und Produzent*innen. Vgl. hierzu Smedley 2011 sowie Weniger 2011. Für den Kulturbereich und die Künste vgl. Heilbut 1983 sowie Barron/Eckmann (Hg.) 1997. Jan P. Johannsen versucht dagegen zu argumentieren, dass das am 7. April von der neuen nationalsozialistischen Regierung verabschiedete, erstmals im Bereich des öffentlichen Dienstes umgesetzte, rassisch begründete „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933“, das nicht-arische Personen aus dem Beruf ausschloss, keinen Eingang in die Statuten und Durchführungsverordnungen der Reichsfilm- sowie der Reichskulturkammer gefunden habe. Das war auch nicht nötig. Denn der Ausschluss aus der Filmkammer erfolgte laut Gesetzestext nach Maßgabe mangelnder Eignung und Zuverlässigkeit. Insofern wurde der Ausschluss nicht explizit ‚rassisch‘ begründet. Vgl. Johannsen 2009, bes. S. 74.

  17. 17.

    Vgl. zum Prädikatsystem im NS Kanzog 1994.

  18. 18.

    Die Maßnahmen kamen insbesondere den wenigen verbliebenen, vertikal integrierten Produktionsfirmen zugute, wozu die Durchführungsverordnung vom 1. November 1933 des Reichsfilmkammergesetzes zählt. Darin wurden Neugründungen oder Wiederinbetriebnahmen von Kinotheatern auf der schwammigen Basis „mangelnder wirtschaftlicher Grundlage“ oder „Unzuverlässigkeit des Bewerbers“ untersagt, was zu einer Regulierung des Lichtspielparks führte. Dazu zählt ebenso der am 7. August erlassene „Beschluss betreffs des Zweischlagerprogramm[s] vom 7.8.1933“. Dieser wirtschaftlich begründete Beschluss traf die Kinobetreiber*innen existenziell und sollte sehr lange Auswertungszeiten mehrerer Filme in einem Kino unterbinden sowie dessen Durchlauf an neuen Produktionen erhöhen. Auch dies Maßnahme kam, wenn auch indirekt, nur den Filmproduktionsfirmen zugute. Es handelte sich jedoch um kein Vollverbot wie Spiker 1975, bes. S. 125 f. schreibt. Auch Corinna Müller verweist darauf, dass sich bereits 1932 das Begleitprogramm aus Kulturfilm und Wochenschau eingebürgert hatte. Insofern handelte es sich weder beim Programmablauf noch bei den -elementen um etwas radikal Neues. Der Unterschied bestand jedoch darin, dass dies ab 1933 staatlicherseits verordnet wurde. Vgl. Müller 2009, bes. S. 49. In den folgenden drei Jahren setzte sich daher die ab 1932 durch Weltwirtschaftskrise und Umstellung auf Tonfilm bereits beschleunigte Zentralisierung und Verdichtung der Tonfilmbranche fort, ohne dass das Regime direkt eingriff. Eine eigenständige Vertriebsebene hörte 1937 praktisch zu existieren auf. Vgl. hierzu erneut Spiker 1975, bes. S. 58 ff. Allgemein zur Frage, inwieweit das Regime die Filmbranche unter totale Kontrolle bringen wollte oder nicht, vgl. erneut Spiker 1975, bes. S. 130 ff., sowie Phillips 1971. Ab 1938 kam es vermehrt zu Übergriffen und Boykotten jüdischer Kinobetreiber*innen, die ihre Geschäfte aufgaben. Vgl. hierzu erneut Kleinhans 2003, bes. S. 61 ff. Zum endgültigen Verbot des Zweischlagerprogramms 1935 vgl. erneut Koch 2006a.

  19. 19.

    Zur Reichsfilmkammer vgl. erneut Spiker 1975, bes. S. 104 ff. sowie Rentschler 1996a.

  20. 20.

    Vgl. hierzu Stargardt 1998.

  21. 21.

    Vgl. zur unübersichtlichen Zensurpraxis sowie zum Verbot von Filmen Maiwald 1983, bes. S. 149 ff. und S. 158, sowie Wetzel/Hagemann 1978.

  22. 22.

    Dessen Posten war im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda eingegliedert. Zu Aufgaben und Funktionen des Reichsfilmdramaturgen vgl. erneut Maiwald 1983, bes. S. 122 ff. Zur Arbeit des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda vgl. erneut Rentschler 1996a, b sowie Moeller 1998.

  23. 23.

    Vgl. zur Filmkreditbank erneut Spiker 1975, bes. S. 94 ff. sowie Maiwald 1983, bes. S. 126.

  24. 24.

    Zu Funktion und Strategie Winklers vgl. erneut Spiker 1975, bes. S. 162 ff., sowie Maiwald 1983, bes. S. 177 ff. Zur Ufi vgl. Spiker 1975, bes. S. 212 ff., S. 224 und S. 229.

  25. 25.

    Zur Expansionspolitik der Nazis vgl. Blackbourn 2005 sowie Mazower 2009. In geschlechtertheoretischer Perspektive vgl. Harvey 2002.

  26. 26.

    Vgl. hierzu erneut Spiker 1975, bes. S. 183 ff., Stahr 2001, Winkel/Welch (Hg.) 2007 sowie Drewniak 1987, bes. S. 691 ff.

  27. 27.

    Im Zuge der Nürnberger Gesetze war ihnen 1935 die Staatsbürgerschaft genommen worden. Filme konnten nach dem Verbot nur noch im Rahmen von Vorführungen des Kulturbundes deutscher Juden rezipiert werden, der im Januar 1938 in jüdischer Kulturbund in Deutschland e. V. umbenannt wurde. Er bestand bis 1941 fort, wurde dann teilweise liquidiert. Zwar bestanden sein Verlag und Buchbetrieb weiter, jedoch musste er seine Veranstaltungstätigkeit einstellen. Vgl. hierzu erneut Stahr 2001, Dahm 1988 sowie mit Bezug zum Theater Rovit 2012.

  28. 28.

    Vgl hierzu erneut Spiker 1975, bes. S. 128.

  29. 29.

    Zum Kino als Erlebnisraum vgl. Segeberg 2004.

  30. 30.

    Zu den Wochenschauen in der NS-Zeit vgl. erneut Bartels 2004.

  31. 31.

    Es wurde in den zeitgenössischen Theorien immer wieder gefordert, ästhetische Strategien des Kulturfilms wie Zeitraffer oder slow motion in den Spielfilm zu integrieren. So sollte in den Genres Lehr- und Kulturfilm durchaus eine ästhetische Durchgestaltung der Realität vorgenommen werden. Die Wochenschauen wurden dagegen als ‚reines‘ Abbild der Realität verstanden, da sie politische Ereignisse vermittelten. Sie unterlagen dabei eindeutig Gestaltungsprinzipien, die wir heute unter ästhetischen Gesichtspunkten als die Realität politisch durchgestaltend interpretieren würden. Interessant ist das Verständnis des Dokumentarfilms. Einmal wurde er zeitgenössisch als reines Abbild der Wirklichkeit aufgefasst wie bei Gunter Groll, der das Beispiel des Abfilmens eines Musikkonzerts in diesem Zusammenhang erwähnt. Vgl. Groll 1937. Gleichzeitig wurde immer wieder Leni Riefenstahls Olympia-Film als Beispiel für ein gelungenes Zeitdokument angeführt, gerade weil hierin aufgrund einer exzellenten Durchgestaltung des Vorfilmischen angeblich der Wesenskern der abgebildeten Realität zum Vorschein gelangte. Vgl. hierzu auch Koch 1943. In diesem Licht betrachtet, ist es interessant, wie hartnäckig sich in der aktuellen Literatur das Konzept einer eindeutigen Differenz zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem hält: Im Dokumentarischen würde das Modern-Ideologische (Technik- und Fortschrittsaffinität), im Spielfilm dagegen das unmodern Völkisch-Ideologische (Blut und Boden, Bauern- und Ständeverehrung) zum Ausdruck gelangen; im Dokumentarfilm sei das politische Ideologische vordergründiger zutage getreten, während im Spielfilm das Unpolitische gewollt dominierte. Vgl. zur Problematik dieser Differenz erneut Rother 2007.

  32. 32.

    Vgl. hierzu erneut Rother 2007, weiterführend Petro 1998 sowie überblicksartig Koch 2002.

  33. 33.

    Die Berichte des Geheimdienstes sowie die der SOPADE, dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Prager und Pariser Exil, bezeugten, dass die Zuschauer*innen die ‚Botschaften von oben‘ sehr genau wahrnahmen.

  34. 34.

    Vgl. hierzu auch erneut Schütz 1995.

  35. 35.

    Vgl. zur Problematik dieser Sichtweise erneut Rother 2007 sowie Schütz 2002b, bes. S. 228, worin er zudem die Widersprüchlichkeit innerhalb der Kulturpolitik des Regimes erwähnt.

  36. 36.

    Vgl. erneut Quaresima 1994 sowie Koepnick 1999. Historisch betrachtet, muss man deshalb die ökonomischen Aspekte mit denen des visuellen Vergnügens verknüpfen, da der Bereich des Konsums, zu dem der Film zählte, insofern er zum das Korrelat der Arbeitswelt bildenden Freitzeitbereich gehörte, ebenfalls strikt reguliert werden sollte. Vgl. zur Arbeit im Nationalsozialismus einschlägig aus faschismuskritischer Sicht Rabinbach 1979 sowie in sozialgeschichtlicher Hinsicht mit symboltheoretischem Ansatz Lüdtke 1991. Zum staatlichen Regulierungsinstrument für Unterhaltung und Freizeit, dem Amt für Schönheit und Arbeit nämlich, sowie zur Organisation Kraft durch Freude vgl. in kulturgeschichtlicher Perspektive erneut Baranowski 2004.

  37. 37.

    Bezüglich der Problematik der zustimmenden Bevölkerung vgl. einschlägig Peukert 1982; Ian Kershaw 1983b, Frei 1998 sowie Gellately 2001. Zu Formen des Widerstands vgl. Steinbach/Tuchel (Hg.) 1994 sowie Schmiechen-Ackermann (Hg.) 1997. Zur (Nicht-)Existenz von ‚öffentlicher Meinung‘ vgl. Longerich 2007, Kershaw 2002, Browning 1993, Dörner 2007 sowie Bajohr/Pohl 2006. Zum Ausmaß der freiwilligen Unterstützung und Kooperation seitens der Bevölkerung vgl. Heinsohn u. a. (Hg.) 1997, bes. S. 11. Zum Punkt der Komplizenschaft durch Denunziation vgl. Gellately 1990, Hornung 2007 sowie Bock 1997.

  38. 38.

    Vgl. erneut Currid 2006 sowie Reichel 1991.

  39. 39.

    Zur Problematik einer einheitlichen Kategorie ‚Publikum‘, welches angeblich total manipuliert wurde, vgl. erneut Koepnick 1999, Quaresima 1994 sowie Schenk 1994. Dagegen zur bestehenden Heterogenität der Publika vgl. Zimmermann 2005.

  40. 40.

    Zu diesem Technikverständnis vgl. auch erneut Hewitt 1993, bes. S. 132 ff., Hillach 1978, weiterführend Herf 1984, Orr 1974 sowie Dietz u. a. (Hg.) 1996. Zeitgenössisch vgl. Schwerber 1932 sowie Dvorak 1940, 1949. Darin erläuterte er einmal Technik als Naturbeherrschung, die jedoch als semi-autonome Dynamik für ‚normale‘ Menschen etwas Magisches enthielte, das unhinterfragt angenommen würde, weshalb Technik durch den ‚überlegenen‘ Geist beherrscht werden musste. Sie musste zugleich Instrument des politischen Willens zur Macht werden, der auch die koloniale Herrschaft begründete.

  41. 41.

    Zu den Einflüssen, die zur ‚Fehlentwicklung‘ des Films beigetragen hatten, gehörten in den Augen der Nazis Rationalität, Humanismus, Weltläufigkeit, ‚jüdische‘ Vereinnahmung, Profitorientierung, Partikularismus, Individualismus, exzessive sowie fehlgeleitete Exotik und Erotik. Unter diesen konnte das Medium nichts anderes hervorbringen als oberflächliche, leere und mechanistische, sprich dem Wesen der Dinge entfremdete, abstrakte Ornamente und Typen. Vgl. zu diesem Punkt die zeitgenössische Bestandsaufnahme des Films, die er am Star verhandelte, welcher zum Selbstzweck geworden war und Rollen nur noch schablonenartig verkörperte, Krünes 1933, bes. S. 378 f. Auch die Auswahl der Filmthemen, so Krünes Vorwurf, unterläge der Wiederholung eines eingeschränkten Repertoires. Das Konzept des Stars widerspräche darüber hinaus dem Gemeinschaftsgedanken. Hinter Krünes Überlegungen steckte der Gedanke einer Authentifizierung der Person des Schauspielers, der Schauspielerin, wie es sich zugleich um eine Analogisierung der Gemeinschaftsidee im Raum der Filmproduktion als Ensemble handelte. Bei diesem Übertragungsverfahren wurde die authentische Arbeitsgruppe dem Einzelwesen, dem künstlich erzeugten Star gegenübergestellt. Die Realität sah jedoch anders aus. Während seine Ausführungen auf kulturpolitischer Linie des Regimes lagen, wurden weibliche und männliche Stars bewusst aufgebaut und sowohl für das europäische als auch amerikanische Publikum systematisch vermarktet.

  42. 42.

    In der Literatur wird behauptet, während des Nazi-Regimes seien keine Filmtheorien entstanden. Dies ist so zu verstehen, dass die Entwicklung von Film- und Medientheorien seitens der Forschung in der Tradition der (links-)liberalen Publizistik und des Feuilletons verankert wird, die in dieser Form nicht mehr existierte. Zumal am 27. November 1936 die wertende Kunstkritik generell durch Anordnung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda verboten wurde. Vgl. hierzu erneut Stahr 2001, bes. S. 133 f. Dafür institutionalisierte sich das Schreiben über das Medium Film in den Akademien vor allem im Bereich der Theaterwissenschaft sowie der aufkommenden Zeitungswissenschaft. Die Anzahl dieser Publikationen stieg zunehmend, wobei sich parallel ein Markt für anwendungsorientierte Publikationen entwickelte, die auch als Anleitung für den Privatbereich konzipiert waren, den man im Grunde auch noch regulieren wollte. Vgl. hierzu bspw. erneut Traub 1933. Weiterführend zeitgenössisch vgl. Opfermann 1938, Jasper 1934, Wehrlau 1939, Werder 1943, Koch/Braune 1943, Hippler 1942 sowie Oertel 1941. Zu filmhistorischen Ansätzen mit stark antisemitischen Untertönen vgl. Kriegk 1943, Neumann u. a. 1937 sowie Jason 1936. Vgl. bezüglich der Zunahme von Publikationen über den Film die Bibliographie der Lehrschau der Universum-Film Aktiengesellschaft (Hg.) 1940. Zum Amateurkino während der NS-Zeit vgl. erneut Kuball 1980. Zur Entstehung der Filmwissenschaft als eigenständiges Fach vgl. Zimmermann 2001.

  43. 43.

    Bie/Mühr 1933.

  44. 44.

    Zur Bezugnahme zum Hollywoodkino, das einerseits als standardisiert, deswegen ‚entfremdet‘ bestimmt wurde, während andererseits die Techniken, indem man sie umcodierte, zur Erzeugung hoher Schauwerte für einen internationalen Markt und möglichst viele verschiedene nationale Publika eingesetzt wurden, vgl. erneut Rother 2007, Elsaesser 1994, Koepnick 2002, Garncarz 1993, Rentschler 1996a, Lowry 1998 sowie Ascheid 2003. Zu den filmwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Hollywood und deutscher Filmindustrie während des Nationalsozialismus, aber auch zu kulturellen und ästhetischen Merkmalen vgl. Spieker 1999 sowie Wollrich (Hg.) 2001. Allgemein zur Amerikadebatte vgl. Gassert 1997, Becker 2006 sowie Saldern 2013. Zur zeitgenössischen Auseinandersetzung mit dem Hollywoodkino vgl. Findahl 1939 sowie Debries 1930. Eine zeitgenössische einschlägige Position findet sich in exil-amerikanischer Perspektive bspw. bei Ross 1936.

  45. 45.

    Groll 1937.

  46. 46.

    Von Werder 1943.

  47. 47.

    Zu diesem Zweck entwickelte von Werder ein komplexes komparatistisches zivilisationshistorisches Modell, in dem Wirklichkeitsauffassung, Menschenbild und Kunstform ins Verhältnis gesetzt waren. Die darin historisch erfolgten ‚Verzerrungen‘ ließen einen Menschen als Untertan und Marionette entstehen, wie er im modernen Einzelkunstwerk und den anonymen Revuen repräsentiert sei, so von Werder, worin sich seine emotionale, geistige und seelische Bindungslosigkeit ausdrückte. Dementsprechend könnte die dazugehörige Wirklichkeitsauffassung nur Verzerrung der ‚wahren‘ Wirklichkeit sein, die sich wesentlich durch innere organische Zusammengehörigkeit auszeichnen würde. Dem stellte er den neuen Menschentypus des im organischen Zusammenhang des Lebens aktiv agierenden Individuums gegenüber, entsprechend einer Wirklichkeitsauffassung, in der sich der Zuammenhang von Welt, Leben und Mensch ohne jegliche kritische Reflexion emotional und anschaulich erschloss. Entsprechend umfasste für ihn das neue Aufgabengebiet des Films innen- wie außenpolitische Aspekte, da die anderen Völker die neue Wirklichkeitsauffassung mit dem entsprechenden Menschenbild ebenso wie die Volksgenoss*innen erlernen sollten, selbstredend aus unterschiedlichen Perspektiven.

  48. 48.

    Von Werder sowie Groll betonen vordergründig die Abgrenzung von Unterhaltung zu Propaganda. Bei Groll wird dies durch eine Zuordnung von Formaten wie Zeitungsartikel, Plakat oder politische Rede insinuiert, denen er keine ästhetische Durchgestaltung der Wirklichkeit zugesteht. Unterwandert wird die kategorische Differenzierung jedoch über den Stoff, wie die politische Idee, die, laut Groll, eben doch künstlerisch gestaltet werden kann. Vgl. Groll 1937, bes. S. 115. Diese könnte, wie bei von Werder ausgeführt, eben durchaus auch im Spielfilm inszeniert und veranschaulicht werden. Auf ähnliche Weise wurde mit der Differenz von Dokumentarischem und Fiktionalem verfahren. So wurde in den Positionen immer wieder gefordert, ästhetische Strategien des Kulturfilms in den Spielfilm mit einzubinden. Zudem wurde argumentiert, in den Genres Lehr- und Kulturfilm wäre eine ästhetische Durchgestaltung durchaus möglich, obwohl diese gerade die Realität zum Thema machten. Im Lichte dieser in sich widersprüchlichen zeitgenössischen Bestimmungen erscheinen die ganzen aktuellen Debatten zu Film und Kino in der Nazi-Zeit sehr kategorisch, da sie an der eindeutigen Trennung zwischen Propaganda und Kunst bzw. Unterhaltung festhalten, wie bspw. Koepnick 1999, Quaresima 1994 und Rother 2007. Vgl. zum Begriff der NS-Propaganda mit Bezug zum Film einschlägig Albrecht 1969, Hull 1969, Leiser 1974, Hoffmann 1988, Kronlechner/Kubelka (Hg.) 1972, Welch 1993, Winkler-Mayerhöfer 1992, Kundrus 2005, Garden 2012 sowie erneut Barkhausen 1982 und Kreimeier 1992. Kritisch dagegen aus einer alltags- und mediengeschichtlichen Perspektive vgl. Zimmermann 2006. Zur (mäßigen) Durchschlagskraft nationalsozialistischer Propaganda vgl. Mühlenfeld 2008, Kershaw 1983a sowie Zimmermann 2005. Eine filmwissenschaftliche Begriffsdefinition von Propaganda gibt Neale 1977.

  49. 49.

    Ein Ansatz, in dem die Verknüpfung von Politik und Ästhetik eine zentrale Rolle spielte, war der von Walter Ulrich und Hermann Timmling, wie sie ihn in Film. Kitsch. Kunst. Propaganda 1933 ausarbeiteten. Da er im Kern auf dem Genie aufbaute, durch dessen Gestaltungswillen allein Kunst entstehen konnte, setzten sie sich damit dezidiert von Kunst als Kollektivhandlung ab, was den Nazis nicht genehm war. Vgl. Ulrich/Timmling 1933.

  50. 50.

    Eine in visueller Fülle gestaltete, deutsche nationale Einheit, die vermeintlich nicht technisch vermittelt ist, steht darin einer sichtbar uneinheitlichen US-amerikanischen Gemeinschaft gegenüber, insofern diese Musik nur vereinzelt und über das Radio rezipiert werden kann.

  51. 51.

    Es werden hierfür in der Literatur häufig Goebbels’ Aufzeichnungen herangezogen, um diese These zu unterstützen.

  52. 52.

    Vgl. zu dieser Vielfalt und Widersprüchlichkeit erneut Elsaesser 1994, Rentschler 1996a, Lowry 1998 sowie Garncarz 1994.

  53. 53.

    Es ist schwierig, dieses Phänomen seiner vollen Dimension gemäß zu deuten. Ob es sich dabei um einen systematischen Versuch des Regimes handelte, durch Multiplizierung von Subjektpositionen für möglichst viele Zuschauer*innensubjekte über Identifikation Zustimmung zu erhalten, lässt sich schwer beurteilen. Selbst wenn man dies vermutet, ist nicht sicher, ob die gewollte Strategie eher die der Identifizierung, des Miterlebens oder, wie Stephen Lowry behauptet, der Entlastung und damit Entpolitisierung war. Selbst die Akzeptanz der Heterogenität des Dispositivs durch das Regime ließe sich noch als gewollte Strategie auffassen, wenn man diesem zuschrieb, dass es um keine vollständige Indoktrination der Zuschauer*innenschaft zur Herrschaftsstabilisierung, sondern lediglich darum ging, deren Akzeptanz zu sichern. So argumentiert etwa Rentschler 1996. Auch Ascheid geht davon aus, dass das Zulassen ideologischer Widersprüche vor allem als heuchlerischer Pragmatismus seitens des Regimes interpretiert werden kann. Alle Mittel, selbst Konzepte, die dem ideologischen Kern widersprachen, waren recht, wenn sie nur dazu führten, Zustimmung der ‚genehmen‘ Bevölkerung zu erzielen. Auch damit redet Ascheid letztlich doch der Form einer starken Lenkung das Wort.

  54. 54.

    Im Genre des Kulturfilms wurden neusachliche und avantgardistische Techniken verwendet. Argumentiert wurde dabei, dass sich hierdurch Realität in idealisierter Form deshalb als ‚natürlich‘ vergegenwärtigen konnte, weil sie als ästhetisch vollständig durchdrungen in Erscheinung trat, formvollendet traf dies in den Augen der zeitgenössischen Literatur auf die Filme Leni Riefenstahls zu. In der reflexiven Variante avantgardistischer Praxis, so die Fortführung der Argumentation, werde das konstitutive Wechselverhältnis von Realität und Medium problematisiert, was sich dem Anspruch nach bei Willy Zielke und Walter Ruttman realisierte. Deren Filme werden in der Literatur dem dokumentarischen Stil zugeordnet, worin Gestaltung von Form und Material im Verhältnis zu Idee und Stoff als ‚realitätsbezogen‘ aufgefasst und daher meist im Rahmen von Propaganda diskutiert werden. Vgl. hierzu erneut Dröge/Müller 1995. Zu Ruttmanns Filmen vgl. Schenk 2004. Sie werden gegen den Spielfilm in Anschlag gebracht, der als rein fiktionales Genre nach Maßgabe Hollywood’scher Kriterien transparente Illusionen in meldodramatischem, weltabgewandtem, daher historisch reaktionärem Duktus erzeuge. In der Literatur wird die Gattung deshalb oft als rein unterhaltende Kategorie abgetan. Vgl. erneut Rother 2007, Koepnick 2002, Zimmermann 2006 sowie Eder 2004 und Quaresima 1994. Setzt man die Dichotomie von ‚dokumentarisch‘ versus ‚fiktional‘ funktional jener von politischer Propaganda und kommerzieller Unterhaltung analog und trennt dazu diejenige von Form und Materie versus Idee und Stoff auf, sitzt man tendenziell einer faschistischen Denkungsart auf. Diese behauptete die eindeutige Trennung bei gleichzeitiger Unterwanderung der Grenze, um die Kategorie des Ästhetischen politisch möglichst allumfassend vereinnahmen zu können. Abzulesen ist diese Tendenz an der revisionistisch geführten Diskussion über Triumph des Willens (D 1935; R: Leni Riefenstahl), u. a. bei Segeberg 1999, Zox-Weaver 2011 sowie Rother 2004, worin er explizit erwähnt, dass avantgardistische Techniken auch im Spielfilm verwendet wurden.

  55. 55.

    Zu diesen Autor*innen zählen Koepnick, Quaresima 1994 und Rother 2004. Ausgenommen von dieser binären Differenzierung sind die folgende Spielfilme angeblich expliziten nationalsozialistischen Inhalts: Hitlerjunge Quex (D 1933; R: Hans Steinhoff), Hans Westmar (D 1933; R: Franz Wenzler) und S. A. Mann Brandein Lebensbild aus unseren Tagen (D 1933; R: Franz Steidt). Dazu zählen auch die anti-polnischen und anti-britischen Filme Heimkehr (D 1941; R: Gustav von Ucicky) und Leinen aus Irland (D 1939; R: Heinz Helbig) sowie die ausdrücklich antisemitischen Filme, auch Hetzfilme genannt, wie Jud Süß (D 1940; R: Veit Harlan), Die Rothschilds (D 1940; R: Erich Waschneck) sowie Robert und Bertram (D 1939; R: Hans H. Zerlett), die vor allem ab 1937 gedreht und veröffentlicht wurden. Zu den darin verhandelten antisemitischen Stereotypen und deren Herkünfte vgl. Schulte-Sasse 1996, bes. S. 47 ff., sowie Herzog 2005, bes. S. 26 ff., Bock u. a. (Hg.) 2006, bes. S. 13 ff., Friedman 2006, Breitenfeller/Kohn-Ley (Hg.) 1998, Otte 2006, Gilman 1991 sowie Braun 2006. Zur Kulturgeschichte des Antisemitismus vgl. Volkov 2000a, Mosse 1970, 1999 sowie Braun/Heid (Hg.) 2000. Zu weiteren, rassistisch motivierten Stereotypen vgl. A. G. Gender-Killer (Hg.) 2005.

  56. 56.

    Vgl. hierzu O’Brian 2004, Hake 2001 sowie erneut Ascheid 2003 und Rentschler 1996a.

  57. 57.

    Vgl. erneut Schulte-Sasse 1996. Zu einer Typologie von Weiblichkeitskonzepten im Spielfilm während des Nationalsozialismus vgl. Bechdolf 1992. In ideengeschichtlicher Perspektive vgl. Carter 2004. Mit kulturgeschichtlichem Ansatz vgl. Bruns 2009 sowie Romani 1982. Mit Blick auf (einzuübende) Geschlechterrollen vgl. Ellwanger 1987 sowie dies./Eva Warth 1995. Mit Bezug speziell zu Filmen zwischen 1939 und 1945, dabei eher auf soziale Figurationen abzielend, die in den Filmen repräsentiert wurden, wie die „politische Heldin“, die „Mutter“, die „Ehefrau“, aber auch bspw. die „Rassenschänderin“, vgl. Fox 2000. Dagegen ideologiekritisch vgl. Schlüpmann 1988/91.

  58. 58.

    Vgl. erneut Heins 2013. Eine thematische Einteilung unternimmt mit Fokus auf das Geschlechterverhältnis auch Lange 1994.

  59. 59.

    Vgl. hierzu kritisch Ascheid 2003, die auf die tautologische Struktur der Interpretation hinweist. Ebenso schwierig sind deshalb thematische Bündelungen der Filme zur Aufstellung eines zeitlichen Phasenmodells: bis 1936 die Phase der heiteren Komödien, Operetten- und Musikfilme; bis 1939 Vorbereitungs- und Einschwörfilme der sogenannten Stabilisierungsphase; die heroischen aufhetzenden Filme der Kriegsjahre bis zur sogenannten ‚Wende‘; ab 1943 bis Kriegsende die Durchhaltefilme; kurz vor Kriegsende die kurze Phase der Untergangsfilme sowie der Überläuferfilme. So erfolgt bei Strobel 2009 sowie Kundrus 2005.

  60. 60.

    Schlussendlich liegt hier die Vorstellung zugrunde, dass die strategische Produktion von Widersprüchen dazu führen sollte, ihre Konsolidierung von einer einzigen, übergeordneten Instanz herbeizuführen, wie dies teilweise in der historischen Literatur zur Politik des Regimes im Allgemeinen sowie bezüglich der Funktion Hitlers im Speziellen behauptet wird. Vgl. hierzu Bracher 1976. Nicht unumstritten, die Position von Frei 1987. Mit gutem Überblick versehen, erneut Kershaw 1985b. Ob Lowry diese Übertragung auf die Filmproduktion allerdings bewusst im Blick hatte, ist nicht ergründbar. Er würde in diesem Fall auch das Zuschauer*innensubjekt in die Position der übergeordneten Instanz versetzen. Ob dies aber eine intendierte Maßnahme des Regimes war, ist fraglich und muss ungeklärt bleiben.

  61. 61.

    O’Brian geht noch einen Schritt weiter, insofern sie vor allem auf die affektive, begehrenstechnische Komponente, weniger also auf die kognitive Dimension bei der Zuschauer*innenrezeption eingeht, um die weitgreifende ‚ideologische‘ Wirkungsmacht der Spielfilme im Nationalsozialismus zu erklären. Vgl. O’Brian 2004.

  62. 62.

    Siehe hierzu ebenfalls kritisch Ascheid 2003, bes. S. 11 ff.

  63. 63.

    Schulte-Sasse führt in diesem Zusammenhang das Beispiel von Joseph Marian an, der den Oppenheimer in Veit Harlans Jud Süß spielte. Die Figur war als Antiheld angelegt, von dem man sich abgrenzen sollte. Aufgrund von Marians charmanter Ausstrahlung und seines charismatischen Stils verzauberte er aber buchstäblich insbesondere das weibliche Publikum, von dem er körbeweise Fanpost erhielt. Vgl. Schulte-Sasse 1996.

  64. 64.

    Es ist in den Geschichtswissenschaften unstrittig, dass nicht nur die Rassenideologie die Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung bildete, sondern diese auch direkt an die Kategorie des Körpers, daher auch an die von Geschlecht und Sexualität geknüpft war. Auch wenn es sich um keine originäre Ideologie handelte, avancierte sie während der Nazi-Herrschaft zur ultima ratio der Politik und bestimmte die Techniken des Regierens. Vgl. hierzu überblicksartig Dickinson 2004. Zur Besonderheit der nationalsozialistischen Rassenideologie vgl. erneut Kershaw 1985, 1995. Weiterführend zur Rassenpolitik als Geschlechterpolitik vgl. einschlägig Bock (Hg.) 1993. Die Kategorie ‚Rasse‘ fungierte als radikales Ausschlusskriterium mit Bezug zum idealisierten ‚Völkskörper‘, auf den sie zugleich mit Bezug zur Kategorie ‚Geschlecht‘ nivellierenden Effekt zeitigte. Innerhalb des idealisierten ‚Volkskörpers‘ dominierte dagegen als Strukturprinzip die Kategorie ‚Geschlecht‘, wenn auch beide Kategorien sowohl exogen als auch endogen miteinander verknüpft waren. Vgl. hierzu Quack 1997, Kaplan 2003, Distel 2001, Bock (Hg.) 2005, Ofer/Weitzman (Hg.) 1998, Hauch 2001, Bauer u. a. (Hg.) 2005, Przyrembel 2003 sowie Schneider 2005.

  65. 65.

    Insofern war das Geschlechterverhältnis der Leitidee von der harmonischen Volksgemeinschaft analog. Das lässt sich insbesondere anhand der Umcodierung von Weiblichkeit ablesen. Auch sie war in der Geschichte ‚fehlentwickelt‘, musste also im Sinne des Ideals korrigiert werden. Dazu wurde auf ein mythisches Bild der Vergangenheit rekurriert, in welchem vor allem völkisch-nationale, arische Elemente, allen voran ‚Mutterschaft‘, dominierten. Diese wurden zudem mit modernen Elementen kombiniert, die nun den ‚Verzerrungen‘ durch Kapitalismus, ‚Judentum‘, Sensationalismus als umcodierte entgegengesetzt wurden, wie es die verwendeten Attribute ‚natürlich‘, ‚lebensbejahend‘, ‚sportlich‘ und ‚kameradschaftlich‘ implizierten. Diese Elemente traten selbstredend in der Repräsentation in ein Spannungsverhältnis, wie es nicht nur Historiker*innen wie bspw. Elke Frietsch, sondern auch Filmwissenschaftler*innen wie Antje Ascheid bemerken. Vgl. erneut Frietsch 2008 sowie Ascheid 2003. Obwohl die Geschlechterbinarität insbesondere für die Reproduktion funktionalisiert werden sollte, wurde sie nicht exklusiv biologistisch begründet, gerade weil sexuelles Verhalten nicht (mehr) als Privatvergnügen, sondern als Dienst an der Volksgemeinschaft definiert wurde. Zugleich zählte sie aber dennoch zu den Gratifikationsmaßnahmen in der Gestalt individueller Wunscherfüllung, sprich als vollzogener Konsum. Sie war vielmehr sozial bedingt, wurde aber mit einer wesensmäßigen Differenz begründet, welche Position und Funktion der Individuen bestimmte und damit zugleich letigimierte, warum das nur vordergründig symmetrische Geschlechterverhältnis im Sinne des Leistungsprinzips eben letztlich doch hierarchisch angeordnet sein musste. Weil aber alle ‚genehmen‘ Individuen mit der Aussicht auf Belohnung adressiert wurden, erschien es, als würden alle, Männer wie Frauen, nicht nur im gleichen Umfang durch das System anerkannt, sondern dies auch noch in ihrer ‚wahren‘ individuellen Identität. Zur Neuorganisation der Geschlechteridentitäten im öffentlichen Raum vgl. erneut Bock 1997. Ebenso wurde im Großen und Ganzen mit Liebe, Intimität und Sexualität verfahren. Auch diese Konzepte wurden umcodiert, indem sie aus dem spannungsreichen Begründungszusammenhang von ‚jüdischer Frivolität‘ und ‚bürgerlicher Verklemmtheit‘ herausgelöst und als ‚natürlich‘ und ‚lebensbejahend‘ ausgewiesen wurden. Alte Institutionen wie die Familie sollten so erodiert werden, dass ihre angestammten Funktionen neu im gesamten Raum der Volksgemeinschaft organisiert werden konnten. Dabei war auch hier das Adressierungsprinzip relevant, durch das sich jedes Individuum vermeintlich noch in seinen intimsten Wünschen durch das Regime ernstgenommen fühlen sollte. Es handelt sich deshalb nicht nur um biopolitische Maßnahmen oder solche der Zustimmungserzeugung. Vielmehr muss man dies als Regulierungsstrategie von Konsum, hier von Körpern und Sexualität, verstehen. Vgl. hierzu erneut Herzog 2005, bes. S. 15 ff. Alle Formen von Sexualität, die eben nicht ‚lebensbejahend‘, sprich nicht reproduktiv oder ‚rassisch missliebig‘ waren, wurden nicht nur öffentlichkeitswirksam diskreditiert und zugleich pornografisch ausgeschlachtet. Vielmehr wurde de facto das Sexual- und Reproduktionsverhalten mit repressiven Maßnahmen reguliert, wie bspw. durch Zwangssterilisierung, Kastration und Abtreibung bis hin zur Internierung. Vgl. hierzu Fout 2002.

  66. 66.

    Die Begründung der Kategorie ‚Geschlecht‘ gemäß ihrer sozialen Funktion zielte direkt auf die Umordnung aller sozialen Schichten. Durch das geltende Leistungsprinzip, das sich grundsätzlich an alle Staatsbürger*innen richtete, sollte prinzipiell jede_r die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg erhalten. Dabei wirkte es sich hinsichtlich des Geschlechts eben unterschiedlich aus. Frank Werner demonstriert, dass die Kategorie ‚Leistung‘ bereits männlich codiert war und deshalb primär die Hegemonie männlicher, hierarchisch strukturierter Gemeinschaften objektivierte. Weiblicher ‚Erfolg‘ war, egal auf welches Resultat bezogen, stets weniger wert in dieser, in Werners Worten, „Aufwertungsdiktatur“. Vgl. erneut Werner 2013, bes. S. 49 ff., Bock 1997 sowie Siegel 1989.

  67. 67.

    Vgl. hierzu auch Meyhöfer 1989.

  68. 68.

    Ascheids Argumentation hebt darauf ab, dass die im Film aufgeworfenen unterschiedlichen Weiblichkeitskonzepte ebenfalls Identifikationsangebote an Frauen machten, wodurch eine totalisierende Identifizierung mit der am Filmende vermittelten Position nicht zwangsläufig eintreten musste. Sie führt dies ausführlich anhand der Starfigur Lilian Harveys aus in Ascheid 1998.

  69. 69.

    Vgl. zu Frauen als Konsumentinnen in der NS-Zeit Guenther 2004.

  70. 70.

    Darüber hinaus, so Ascheid weiter, war das Bild des glamourösen starken Mannes, welches als Projektionsfläche und Identifikationsangebot für männliche Gesellschaftssubjekte dienen sollte, Hitler oder den oberen Parteifunktionären bzw. den Ministern vorbehalten. Zur Bedeutung der Geschlechterdifferenz bei der Bestimmung des Verhältnisses von Kunst und populärer Kultur, das in Spielfilmen verhandelt wird, vgl. auch Schrödl 2004.

  71. 71.

    Dass auch dieser Binarismus neu organisiert werden sollte, zeigt sich in der Funktionalisierung insbesondere der Musik Ludwig van Beethovens. Gerade nicht mehr entlang der sozialen Differenzierung sollte diese Musik goutiert werden. Als ‚typisch‘ deutsche sollte sie die einheitliche Gemeinschaft unter Ausschluss derjenigen stiften, die ‚nicht-genehm‘ waren aufgrund ‚fremder‘ Gesinnung oder Herkunft. Im Kern wurde dabei nicht die Musik selbst honoriert. Vielmehr stand sie quasi-symbolisch für ‚typisch deutsche Kultur‘. Vgl. hierzu erneut Currid 2006 sowie Schulte-Sasse 1996. In diesem Licht muss auch die offizielle Abneigung gegen den Jazz gesehen werden. Nicht als niedrige Kunstform war er abzulehnen, sondern weil er im ‚rassischen‘ Sinne ‚fremd‘ war. Zu den Swing- und Jazzdebatten, die historisch ambivalent geführt wurden, erneut Schäfer 1981. Weiterführend vgl. Kater 1992 sowie Polster (Hg.) 1988. Zum Verständnis von ernster und populärer Musik im Nationalsozialismus, zur Musikpolitik des Regimes sowie zur Musikwissenschaft als Kulturtheorie vgl. Kater 1997, ders./Riethmüller (Hg.) 2003 sowie Potter 1998 und Heister/Klein (Hg.) 1984. Zum Verhältnis ‚deutscher Nationalität‘ und Musik im Überblick vgl. Applegate/Potter (Hg.) 2002.

  72. 72.

    Vgl. zur gesellschaftlichen Neuordnung des Binarismus privat – öffentlich auch erneut Peukert 1992 sowie Wagner 2000.

  73. 73.

    Dem offiziellen Weiblichkeitsbild war ein Männlichkeitsbild beigeordnet. Es konstituierte sich entsprechend der männlichen Funktion, die ‚höherwertige‘ Position in der idealen Volksgemeinschaft einzunehmen. In der Logik der allgemeinen Höherwertigkeit von Männlichkeit war der gesamte Raum der Gemeinschaft an und für sich männlich codiert. Die Praktiken männlicher Vergemeinschaftung waren, weil wesentlich staatsbildend, kohäsiver als diejenigen weiblicher Vergemeinschaftung. Diese besaßen in dem Maße keine Grundlage, wie Weiblichkeit in funktioneller Komplementarität zu Männlichkeit begründet war. Auf dieser epistemologischen Folie sollte alles, was sich von dieser Männlichkeit abhob, sichtbar als ‚nicht-genehm‘ abgegrenzt und abgewertet werden. Vgl. hierzu erneut Werner 2001 sowie Theweleit 1984. Weiterführend Winter 2013, Mosse 1996, bes. S. 155 ff., Connell 2013, Kühne 1996, 2002, 2006, 2010 sowie Knoch 2004. Als eine ‚nicht-genehme‘ Form von Männlichkeit muss man auch Homosexualität einstufen, da es sich um eine nicht-reproduktive sexuelle Identität handelte, weshalb sie verfolgt wurde. Vgl. hierzu Oosterhuis 1994, Jellonek 1990, 2002, S. 149–161, Lautmann 2002, Zinn 2012, Plant 1991, Grau (Hg.) 2004 sowie Stümke/Finkler 1981. Eine etwas andere Perspektive nimmt Herzer 1984 ein. Homosexualität, so Herzer, wurde nicht aus moralischen Gründen diffamiert. Vielmehr ging es um das politische Verständnis von Sexualität als nicht individuell, sondern stets durch das sie legitimierende Gesamte bestimmter. Sie wurde deshalb dezidiert nicht biologistisch begründet, sondern als ‚abweichendes‘ Verhalten betrachtet, weil sie dadurch korrigierbar schien. Aus diesem Grund wurde Homosexualität oft als ‚unsittliches‘, ‚asoziales‘ oder ‚arbeitsscheues‘ Verhalten bezeichnet. Die juristischen und medizinischen Debatten zur Bestimmung von Homosexualität in der NS-Zeit bezeugen das diskursive Ringen um eine zu korrigierende biologische Anlage. Vgl. hierzu Oosterhuis 2002. Der ‚harte‘ Kern der Definition bestand von juristischer Seite aus im schwer nachzuweisenden Analverkehr. Aufgrund dessen wurden weniger sexuelle Handlungen zwischen Männern, sondern individuelle Attribute bzw. Verhaltensweisen wie Blicke und Gesten zur Grundlage der Definition. De facto wurde hier eine sexuelle Identität diskursiv produziert, die praktisch jeden Mann unter Generalverdacht stellte. Vgl. hierzu Giles 2002, 2005b. Weil sie deshalb das prinzipiell befürwortete und beförderte homosoziale Band zwischen Männern zur Bildung der Staatsräson potenziell unterlief, musste Homosexualität in der Figur des effeminierten Schwulen vereindeutigt werden, um einen vermeintlich evidenten Grenzfall zu erzeugen. Vgl. hierzu erneut See 1990, Greve 1990, weiterführend Nieden 2005, Hancock 1998, Hewitt 1996, Zinn 1997 sowie Micheler 2005. Lesben waren grundsätzlich nicht als Rechtssubjekte definiert, wodurch sie zwar einerseits nicht strafrechtlich verfolgt wurden, dadurch aber auch der Zugriff auf einzelne Individuen jenseits rechtlicher Maßnahmen vereinfacht wurde, was sich bspw. in der Zwangsreproduktion zeigte. Vgl. hierzu Lanwerd/Stoehr 2007 sowie Schoppmann 1991, 2012.

  74. 74.

    Vgl. Hake 1998.

  75. 75.

    Marcia Klotz hat diese innere Widersprüchlichkeit an der Starpersona Hans Albers’ untersucht. Bei dieser nehme sie, so Klotz, einen tragischen Zug an, insofern sie darin scheitere, sich erfolgreich ins Allgemeinmenschliche einzuschreiben. Vgl. Klotz 1998.

  76. 76.

    Damit begründet sich auch die Dominanz von Komödien und Melodramen in der NS-Zeit, die sich für ausagierte und regulierte Transgressionen von Affekten, Emotionen, Begehren im Rahmen aufgeführter Normregister besonders gut eignen.

  77. 77.

    Vgl. erneut Bruns 2009 sowie Carter 2004.

  78. 78.

    Vgl. Tegel 1996, bes. S. 515 f.

  79. 79.

    Robert und Bertram war kein großer Kinoerfolg der Tobis-Filmkunst GmbH. Vgl. hierzu erneut Schulte-Sasse 1996, bes. S. 235. 1939 zählte sie wie die Ufa, die Bavaria sowie die Berlin, Wien und Prag Film bereits offiziell zu den sogenannten staatsmittelbaren Filmproduktionsfirmen. Mit Hans H. Zerlett führte ein erfahrener Regisseur und Parteigenosse Regie. Helmut Schreiber war Herstellungsgruppenleiter der Produktion. Die Rollen der beiden Protagonisten waren wie viele der Nebenrollen mit Rudi Godden als Robert und Kurt Seifert als Bertram mit Schauspieler*innen besetzt, die über große Theater- und Operetten- sowie Kabaretterfahrung verfügten.

  80. 80.

    In diesem Film geht es um die ‚jüdische Hegemonie‘ der Textilindustrie in Großbritannien.

  81. 81.

    Bspw. schreibt O’Brian, dass der Film der erste nach den Pogromen des Jahres 1938 gewesen sei, der „Jews as cultural and economic outsiders in great detail“ (O’Brian 2004, S. 32) porträtierte. Die folgenden Filme, die Jüd*innen in negativem Licht darstellten, taten dies nicht mehr per Komik, sondern per offener Anfeindung wie Jud Süß, Die Rothschilds und Der ewige Jude (D 1940; R: Fritz Hippler). Da Robert und Bertram im Jahr 1839 spielt, wird er in der Literatur häufig als Komödie, Filmposse oder auch als Musikkomödie bezeichnet. Vgl. zum freien Umgang mit der Geschichte insbesondere im Operettenfilm erneut Bono 1998.

  82. 82.

    Hierfür stehen die Filme Ernst Lubitschs vom Ende des Kaiserreichs bis zum Beginn der Weimarer Republik repräsentativ. Lubitsch setzte den unauflösbaren, intrinsischen Widerspruch, eine vermeintlich ‚jüdische‘ Essenz mit der ‚nicht-jüdischen‘ Kultur vermitteln zu müssen, durch Komik in Szene. Insofern zielte die Repräsentation stets auf die Verhandlung von Identität, die nicht immer politisch korrekt verlaufen musste. Gemeinsam mit Max Mack versuchte sich Lubitsch 1915 interessanterweise an einem Film mit dem Titel Robert und Bertram oder die lustigen Vagabunden. Essenzialistisch argumentiert dezidiert Ashkenazi 2010b. Zur Tradition der komplexen Darstellung ‚jüdischer‘ Stereotype im Verhältnis zur ‚nicht-jüdischen‘ deutschen Kultur im Bereich populärer Gattungen wie Zircus, Jargontheater und Revue seit Ende des 19. Jahrhunderts vgl. erneut Marx 2006a, 2012 sowie Otte 2006.

  83. 83.

    Vgl. zu Raeders Posse Spieldiener 2008. Darin erörtert sie die Perpetuierung von Juden-Stereotypen im Theaterstück und vergleichsweise in Zerletts Film. Vgl. zur Entwicklung der Stereotype als Figuren und Rollen im Theater seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, die sich teilweise aus den Figuren der Wandertruppen rekrutierten, die für burleskes, derb-komisches Repertoire bekannt waren, sowie über die Variationen des sogenannten ‚Aufsteiger‘- bzw. ‚Schacherjuden‘ vom einfachen Händler zum Börsenmakler im Verlauf des 19. Jahrhunderts Bayerdörfer/Fischer 2008. Ebenfalls zur Thematik der Entwicklung jüdischer Rollen im Theater seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert Bayerdörfer (Hg.) 1992.

  84. 84.

    So schreibt Schulte-Sasse bspw., dass „Zerlett used only episodes from Raeder, but added an anti-Semitic perspective lacking in the original.“ (Schulte-Sasse 1996, S. 235).

  85. 85.

    Vgl. bspw. die Kritik von Brentani 1939, zit. nach O’Brian 2004, S. 62.

  86. 86.

    Schneider 1939, zitiert nach O’Brian 2004, S. 62.

  87. 87.

    Zur Farce in theaterhistorischer Perspektive vgl. Klotz 2007.

  88. 88.

    Vgl. hierzu Vardac 1949 sowie Haenni 2007.

  89. 89.

    Der Film erweitert Farce und Posse um typisch filmische Komponenten, insofern er keine traditionellen Volksweisen wiedergibt, sondern die für Musik- und Operettenfilme typischen Musikeinlagen. Beim Wiener Lied handelt es sich um einen Schlager (s. Abschn. 3.6). Die Operettenarie, die Robert im Palais Ipelmeyer zum Besten gibt, ist seine eigene Kreation. Sie bildet eine freie Nachahmung der Gattung ‚Operette‘.

  90. 90.

    Vgl. Klotz 2007, bes. S. 23 ff.

  91. 91.

    Vgl. erneut Otte 2006 sowie Rovit 2012. Alle dargestellten Stereotype sind in der Geschichte ihrer Aufführungen vielschichtig und komplex. Vor allem nehmen sie teilweise positive Werte und Normen an. Manche verkörpern sogar die ‚überlegene‘ ethische Position.

  92. 92.

    Das ‚Jiddischsprechen‘ der Figuren ist eine moderne Form der Sprachgebung, die sich erst im Zuge der expliziten Ausstellung alles ‚Jüdischen‘ in modernen Gesellschaften ausprägte. Es wurde oft nicht als reines Abgrenzungskriterium, sondern gerade als Verhandlungs- und Aushandlungsmittel verwendet.

  93. 93.

    Die Kirmes als Topos funktioniert etwas anders als die Hochzeit, sie besitzt auch eine andere Bedeutung. Es kommt nicht von ungefähr, dass es sich erstens um eine Referenz auf die Vorgeschichte des Kinos handelt, also um einen Ort, an dem finanzielle Transaktionen, Handel und Vergnügen zusammentreffen. Sie entspricht hier dem Repräsentationsmodus, im Sinne des Theaters eine perfekte Bühnenillusion zu erzeugen, die mittels kinematografischer Verfahren bewusst überschritten wird. Inhaltlich-thematisch betrachtet, fungiert diese Referenz ebenfalls als Konstruktion eines Orts der Präsentation von Tier- und Menschenschau wie die freaks, die man in der ersten Einstellung von der Kirmes zu sehen bekommt, oder der Affe bspw. Zudem handelt es sich um einen Ort, an dem das ‚exotische Fremde‘ dargestellt und voyeuristisch ausgeschlachtet wird, um es als Absonderlichkeit übertrieben auszuweisen und für das Filmpublikum zu regulieren. Die Hochzeit ist zwar ebenfalls eine Anordnung geregelten Vergnügens, jedoch legitimiert sich ihre Betrachtung gerade nicht durch radikale Andersartigkeit und ‚fremde Herkunft‘.

  94. 94.

    Vgl. Schulte-Sasse 1996, bes. S. 240.

  95. 95.

    Vgl. Schulte-Sasse 1996, S. 242 ff.

  96. 96.

    Strenggenommen tun sie das natürlich schon, insofern sie nicht nur in die Ereignisse eingreifen, sondern ihre Handlungen Konsequenzen nach sich ziehen. Die Hochzeitsszene zeigt das genaue Gegenteil von einem sich neu organisierenden Milieu. Im Trubel der Hetzjagd bleibt einzig das Hochzeitspaar ruhig, auf dem die Kamera für ein paar Sekunden ruht, um zu demonstrieren, dass das Milieu in seinem ideologischen Kern unerschütterlich ist. Analog ist die Ipelmeyer-Szene aufgebaut. Nachdem die Hetzjagd nach den Protagonisten in vielen dynamischen Einstellungen gezeigt wurde, stellt sich Jacques, der Butler des Hauses, auf die Galatreppe des Palais und wendet sich mit ausladender Handbewegung direkt an das Kinopublikum mit einer bekannten jüdischen Redewendung: „Schlussgalopp mit der jiddischen Hast, nä?“

  97. 97.

    Mit Bono 1998 lässt sich argumentieren, die Figuren müssten in der Tradition der Operette keiner Gesellschaftsklasse angehören. Charakteristisch ist für sie, dass sie „nicht seßhaft [sind], sich kaum ums Geld [kümmern], Moral und Besitz [verachten], in den Tag hinein [leben]. Sie teilen eine im Motto ‚Carpe Diem‘ resümierte Weltanschauung und vertreten die Ideologie der Operette.“ (Bono 1998, S. 33).

  98. 98.

    Vgl. erneut Elsaesser 1999.

  99. 99.

    Das hier angegebene Jahr 1839 zählt in der Geschichtswissenschaft zur Restaurationsphase in Deutschland. Es existieren dabei Parallelen in den innenpolitischen Maßnahmen der Regime. Die mächtigen Länder des Staatenbundes, allen voran Preußen, unterdrückten mittels Zensur- und Zwangsmaßnahmen nationale und liberale Bestrebungen. Diese ‚historische Realität‘ ist jedoch nicht expliziter Gegenstand des Films. Die nationalstaatlichen Bestrebungen unter der Hand begrüßt, wenn auf der Kirmes auf einem Banner zu lesen ist: Mit Herz und Hand fürs Vaterland! Durch die Verlagerung in die Geschichte wird der negative Teil der faktischen Wirklichkeit des Jetztzustands (Zwang, Zensur, Terror, Gewalt, Deportation) abgespalten. Dafür wird der historisch abgewertete Teil national-demokratischer Bewegung positiv als Motto für den Jetztzustand vereinnahmt. Hinsichtlich der Geschichte der Posse als Kunstform wurde darin bis zum Beginn des erneuten Aufkommens der Frage nach einer Einheit Deutschlands Nationalstaatlichkeit eher kritisch verhandelt, da es sich aus der Perspektive des kleinbürgerlichen Milieus um eine Zentralisierungs- und Vereinheitlichungsmaßnahme handelte. Die kleinbürgerliche Identität konstituierte sich dem gegenüber mittels lokaler Spezifika, die durch (inter-)nationale Phänomene (wie Kapitalismus) oder eben auch nationalstaatliche Bestrebungen potenziell gefährdet waren. Vgl. hierzu erneut Klotz 2007, bes. S. 99 ff.

  100. 100.

    O’Brian argumentiert, Robert und Bertram ließen, insbesondere für ein Arbeiterpublikum, Spielräume zum Ausagieren von Gefühlen zu, sie bildeten quasi eine temporäre Ersatzentlastung von der monotonen Arbeitswelt des aktuellen Jetztzustands. Beide würden, so O’Brian weiter, die Normen und Werte der Gesellschaft mit Füßen treten. Als Gegenleistung würden sie für Unterhaltung sorgen. Ihre zumeist recht harmlosen Streiche bildeten eine Abwechslung vom Alltagsleben. Mit so einem Argument wird die Kategorie des Publikums homogenisiert. Zudem nimmt man mit der Entlastungsthese den Raum des Kinos von der Politik aus. Vgl. O’Brian 2004, bes. S. 36 f.

  101. 101.

    Ähnlich argumentiert Klotz 1998. Sie schreibt, bestimmte Aspekte der faschistischen Realität seien in den Filmen unsichtbar gemacht, während sie im Hintergrund als negative oder auch positive Implikationen durchgängig wirksam blieben. Sie macht dies am Fall der historischen Figur Carl Peters fest, dessen gnadenloser Umgang mit der afrikanischen Bevölkerung sowie insbesondere sexuelle Beziehungen mit Afrikanerinnen im Film nicht thematisiert werden, jedoch aufgrund medialer Kenntnisse des Publikums seiner Geschichte implizit vorhanden gewesen sein müssen.

  102. 102.

    Das ist nicht zynisch gemeint als Vorrang des Ideals vor der Realität. Das Gegenteil ist der Fall. Die diskursiven, technischen und medialen Praktiken gestalteten die Realität im Jahr 1939 für alle Personen jüdischer Herkunft zunehmend unerträglicher. Das Jahr 1939 markiert den Übergang von der identifizierenden Ausgrenzung zur Vernichtung, der, grob gesagt, mit den Nürnberger Gesetzen eingeleitet wurde. Zunächst wurden Personen jüdischer Herkunft die Staatsbürgerrechte eingeschränkt, und die Heirat zwischen Juden und Nicht-Juden wurde verboten. Entrechtung und Ausgrenzung setzten sich 1938 mit der Verordnung über Reisepässe von Juden fort. Darin mussten sich Personen jüdischer Herkunft ab 23. Juli 1938 mit einer Kennkarte ausweisen, ab 5. Oktober 1938 den Namen ‚Jakob‘ und ‚Sarah‘ im Pass vermerken lassen. Direkt im Anschluss an die Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde am 12. November 1938 die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben herausgegeben (RGBl. 1938 I, S. 1580), die zu einer großen Zahl an Enteignungen von Betrieben führte. Am 3. Dezember 1938 folgte die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens (RGBl. 1938 I. S. 1709), die als kollektive Reparationszahlung für die angeblich von den Jüd*innen selbst durch die Pogrome hervorgerufenen finanziellen Schäden deklariert wurde. Am 15. Dezember 1938 wurde die erste Rate dieser sogenannten Judenvermögensabgabe fällig (die letzte im 15. August 1939). Im November 1938 verbot Goebbels im Zuge der Verordnung RGBl. 1938 I, S. 1580 Personen jüdischer Herkunft die Teilnahme an kulturellen Ereignissen und Veranstaltungen. Deren Besuch konnte nur noch im Rahmen des 1933 von Kurt Baumann und Kurt Singer gegründeten Kulturbundes Deutscher Juden stattfinden. Am 14. November 1938 wurden Schüler*innen jüdischer Herkunft aus den Schulen entlassen. Im Januar 1939 wurde die Reichszentrale für jüdische Auswanderung gegründet, um Status und Aufenthalt Enteigneter zu regeln. Ghettoisierung war eine Folge hiervon, flankiert von fortlaufender Bedrohung und Repression, Enteignung und Demütigung. Different betroffen waren auch andere Gruppen wie politische Gegner, Schwule und Sinti und Roma (s. Kap. 4).

  103. 103.

    Vgl. Schulte-Sasse 1996, bes. S. 233 ff. Anders als Schulte-Sasse bin ich nicht der Ansicht, dass ‚der Jude‘ an sich im gesamten Film wie das Geld als ‚Abstraktum‘ konstituiert und repräsentiert ist. Im Gegenteil sind diese Figuren viel zu sehr körperlich und sprachlich präsent, was ja gerade die ‚spezifische Besonderheit‘ ihrer inkommensurablen Partikularität vermitteln soll – das gilt auch unter den Bedingungen ihrer stereotypen Darstellung.

  104. 104.

    Vgl. erneut Schulte-Sasse 1996, Aschheim 1982 sowie O’Brian 2004.

  105. 105.

    Notorisch werden in diesem Kontext von der Literatur die sprachlichen Verwechslungen zitiert. Allen voran die vom Butler, Jacques, produzierten, der statt Pompadour Pampadour, statt Kleopatra Kleptomania und statt Ouvertüre Ofentüre sagt. Auch nennt er den Sonnenkönig „Louis Quatorze, der XIV.“ (also, Ludwig der Vierzehnte Fünfzehnte). Ebenso wird die mangelnde Bildung erwähnt, wie bspw. Ipelmeyer das französische Wort für „verärgert“, also „faché“, mit dem deutschen Hackbraten, nämlich Faschiertes, verwechselt. Dass es sich dabei um eine Anspielung auf die Gattung der Farce selbst handelt, etymologisch sich von lateinisch farcire, stopfen, herleitend, vergrößert die Distanz für den ‚wissenden‘ Teil des Filmpublikums. Vgl. erneut O’Brian 2004, bes. S. 39. Ipelmeyers und ihre Gäste erkennen zudem nicht, dass es sich beim Grafen von Monte Christo um die titelgebende Figur aus dem Abenteuerroman von Alexandre Dumas handelt. Dazu kommt, dass der Roman zwischen 1844 und 1846 veröffentlicht wurde. Der Film nimmt es hier mit der historischen Faktizität also bewusst nicht so genau, um wiederum im Verhältnis zu den ‚jüdischen‘ Figuren eine distanzierende Komplizenschaft mit dem ‚informierten‘ Teil des Publikums herzustellen. Zum Ressentiment gegen die ‚Ost-Jüd*innen‘ vgl. Aschheim 1982.

  106. 106.

    In diesem Fall wird in der Literatur immer wieder auf Frau Ipelmeyers Antwort auf die Frage verwiesen, wie sie ihren Liebhaber Forchheimer trotz Maske erkenne. Diese lautet, an seinen Füßen. Vgl. auch zu den Stereotypen des jüdischen Körpers Breitenfeller 1998. Weiter zu ‚jüdischen‘ Stereotypen Volkov 2000b sowie zu den Lebensentwürfen vgl. Kaplan (Hg.) 2003.

  107. 107.

    Hierin ist eine weitere Quelle der Erheiterung zu sehen, insofern es sich bei der Pompadour um die Mätresse des Sonnenkönigs handelte. Dass Frau Ipelmeyer sich zur Mätresse des Königs stilisiert, wo ihr Mann offenbar sein Auge auf andere Damen wirft – hier die Primaballerina der Aufführung im Palais im Speziellen –, steckt voller Widersprüchlichkeit, die als Unwissenheit ausgewiesen ist.

  108. 108.

    Vgl. zu diesem Punkt erneut Schulte-Sasse 1996, bes. S. 239.

  109. 109.

    Pikant, aber ganz im Rahmen des vorliegenden Geschlechterkonzepts ist die erneute Rückfahrt der Kamera nur in diesem Fall, um noch einmal einen erneuten Blick auf die Ballerinen zu erhaschen.

  110. 110.

    Dass auch im Kontext einer fake identity echte Gefühle entstehen können, zeigen Bertrams Avancen gegenüber Frau Ipelmeyer. Von Genuss und Lust können sich auch die beiden Protagonisten nicht gänzlich freimachen, auch wenn das Bertram besser zu gelingen scheint als Robert, der für Exotismen und erotisch-ethnische Transgressionen anfälliger ist, wie es der Traum von den zwei ‚orientalisch‘ anmutenden Bauchtänzerinnen in der ersten Szene des Films verdeutlicht. Am Ende wird deren Bild von dem zweier Polizisten überblendet, die Bertram ‚in der Realität‘ aufgreifen. Das gender bending der visuellen Ebene dient hier der Komik, ist jedoch thematisch als Regulierung der ethnisch-erotischen Transgression durch die ‚reale‘ Ordnungsmacht gedacht. Bertram nähert sich, wie O’Brian korrekt bemerkt, den Ipelmeyers über das Kriterium der Ungebildetheit an, deren Ursachen aber gänzlich verschieden gelagert sind. Bei Bertram ist sie sozial begründet, da er ein „ausgebrochener Bourgeois“ ist. Ipelmeyers Wissensdefizite sind dagegen eindeutig ‚rassisch‘ begründet. Gerade das exotistisch begründete Begehren nach dem Anderen aber produziert und vermehrt zusätzlich das Begehren nach der Transgression gerade über die Verbotsschranke hinweg. Dieses galt es wiederum in der aktuellen Realität wie in den Nürnberger Gesetzen zur Rassentrennung bspw. zu regulieren. Vgl. hierzu erneut O’Brian 2004 sowie Klotz 1998, bes. S. 108 f.

  111. 111.

    Vgl. die ähnliche Interpretation von O’Brian 2004, bes. S. 39 f., sowie Schulte-Sasse 1996, bes. S. 239, die bemerkt, dass durch die Komik auch manche Figuren sympathisch gezeichnet werden wie bspw. Samuel Bantheimer.

  112. 112.

    Genau betrachtet, entsteht die Möglichkeit zum Verlachen der Figuren durch direkte Interaktion mit den beiden Protagonisten lediglich mit Bezug zur Amtsgewalt, sprich zu Strammbach und den beiden Polizisten, die nach ihnen suchen.

  113. 113.

    Im Rahmen des Verlachens anderer Figuren durch Wissensvorsprung seitens des Filmpublikums ist ihre Geschlechtermaskerade in der Kirmesszene angesiedelt. Primär dient sie dazu, noch einmal die Dummheit und Borniertheit der Amtsmacht vorzuführen. Strammbach wird zur Zielscheibe des Verlachens, weil er die Charade der beiden aufgrund seiner gockelhaften Verliebtheit nicht durchschaut. Die Differenz von geschlechtlicher Identität und geschlechtlicher Aufführung dient hier inhaltlich dem Zweck, sich sicher in einem ansonsten ‚feindlich gesinnten‘ Umfeld zu bewegen. Was sich auch zeigt, wenn sie verfolgt werden, sobald die Maskerade fällt. Es wird hier natürlich mit dem audiovisuellen Reiz der Effeminierung der beiden Figuren bewusst im Rahmen der Komik der Farce gespielt. Durch das Verschwimmen der Motivation – Verfolgung wegen Stehlens, Verfolgung wegen Gesetzesübertretung, Verfolgung auf Basis des § 175 – wird aber die thematische Implikation deutlich.

  114. 114.

    Folgender Dialog entspannt sich hier. Robert sagt: „Eine schreckliche Welt! Diese Überschriften. Ach, die Kämpfe im Fernen Osten, der Aufstand in Indien, neue Attentate in Russland, Unruhen in Spanien, die Rassenkämpfe zwischen Weißen und Negern in Amerika. Ja, gibt’s denn nun gar keine Ruhe? Wir leben doch schließlich im Jahre 1839.“ Daraufhin antwortet ihm Bertram: „Lass mal, mein Junge. In 100 Jahren sieht das alles anders aus.“

  115. 115.

    Auch nicht unerheblich ist Bertrams Reaktion auf diesen Ausspruch, er hält nämlich Robert den Mund zu mit der kurzen Bemerkung: „Halt’s Maul!“, wobei er sich besorgt umschaut.

  116. 116.

    Zwar wird der König hier als einsichtiger, benevolenter Patriarch skizziert. Wie aber die letzte Szene mit der amtlichen Bekanntmachung zeigt, worin für ihre Erfassung eine Belohnung von 100 Mark ausgesetzt ist, bedeutet das keineswegs, dass sie ungestraft blieben. Obwohl sie keine Straftaten begangen haben, sind ‚die Jüd*innen‘ dennoch als die ‚wahren Verbrecher*innen‘ abgestempelt.

  117. 117.

    Die Produktion von Wunschkonzert oblag der Cine-Allianz Tonfilm Produktion GmbH, die bis 1937 von ihren Gründern, Arnold Pressburger und Gregor Rabinowitsch, geführt wurde. 1932 entstand sie als Union-Tonfilm und war bis zum 1935 eingeleiteten Liquidationsverfahren sehr erfolgreich. Pressburger und Rabinowitsch wurden 1937 enteignet und verließen das Land. Sie hatten ihre Firma deshalb gegründet, weil sie aufgrund sich durch ihre ethnische und religiöse Herkunft stetig verschlechternder Arbeitsbedingungen in der Ufa aus dieser austraten.

  118. 118.

    Zu den Produktionen sogenannter reichsmittelbarer Firmen vgl. erneut Rentschler 1996a, O’Brian 2004 sowie Heins 2013. Ihr Anteil betrug 1940 einundsechzig Prozent.

  119. 119.

    Vgl. hierzu Bathrick 1999, bes. S. 130.

  120. 120.

    Vgl. erneut Albrecht 1969, Barkhausen 1982 sowie Welch 1993.

  121. 121.

    Vgl. erneut Schulte-Sasse 1996, bes. S. 295 sowie Heins 2013 und Lowry 1991, 1998. Weiterhin wird der Film als Kriegs- bzw. Liebesfilm kategorisiert. Vgl. zur Debatte erneut Welch 1993, dagegen Bathrick 1999 sowie Andress 1991.

  122. 122.

    Vgl. erneut Lowry 1991 sowie O’Brian 1997. Auch Bathrick schreibt in diesem Zusammenhang vom Krieg, der zur Metapher von der Geschichte, die von der Liebesgeschichte kleingehalten wird, und von „Domestizierung des Weltkrieges“ (Bathrick 1999, S. 129). Der Film „verharmlos[e]“ den Krieg (Andress 1991, S. 361).

  123. 123.

    Vgl. zum Wunschkonzert der Wehrmacht Koch 2006a.

  124. 124.

    Von 1936 bis 1938 hieß es noch Wunschkonzert für das Winterhilfswerk, erst ab 1939 wurde der Name in „für die Wehrmacht“ umbenannt. Vgl. zu Entstehung und Geschichte des Wunschkonzerts ausführlicher erneut Koch 2006a, S. 162 ff. und S. 188 f. sowie Bathrick 1999, bes. S. 116 ff. Beide Autoren merken an, das Prinzip des Hörer*innenwunsches habe bereits seit Beginn der Einführung des Radios 1923 in Deutschland existiert.

  125. 125.

    Vgl. Currid 2006, bes. S. 54 ff.

  126. 126.

    Vgl. hierzu erneut auch Schulte-Sasse 1996, bes. 295 f. sowie S. 298.

  127. 127.

    Es ist dafür bezeichnend, dass in der Titelsequenz lediglich die Namen der Schauspieler*innen, nicht aber ihre jeweiligen Rollennamen aufgeführt sind.

  128. 128.

    Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass Schwarzkopf Musiker ist und mit seiner Mutter im selben Haus wie die Friedrichs wohnt.

  129. 129.

    Zur Funktion von „Beethoven“ als kulturellem Versatzstück vgl. erneut Schulte-Sasse 1996. Sie argumentiert, durch die Musik sollte persönliche Innerlichkeit der Figuren hergestellt werden, wobei sich die Männer gemäß ihrer sozialen Herkunft unterschiedlich zu dieser Musik verhielten. Sinnstiftend wirke schlussendlich nicht die Musik an sich, sondern der Name ‚Beethoven‘ als Inbegriff deutscher (Hoch-)Kultur.

  130. 130.

    Die Konstruktion der zivilen Gefühlsgemeinschaft bedarf der Mutter und der werdenden Mutter, sonst wäre sie einmal in dieser Funktion unglaubwürdig und zum zweiten liefe sie in der Konstellation einer männlich-exklusiven ganz leicht Gefahr, als homoerotische missverstanden zu werden.

  131. 131.

    Diese Sequenz käme, so der Tenor in der Forschung, einer ‚adäquaten‘ Darstellung des Krieges am nächsten. In der Logik meiner Analyse des Films sind gerade diese Szenen besonders scheinhaft, weil darin auf Stereotype zurückgriffen wird, die illusionistisch, also unvermittelt präsentiert werden. Hier sieht man einen Schützengraben, der wie eine Schwarzwaldhütte anmutet, inklusive Spruchschild über dem Eingang!

  132. 132.

    Gerade als ziviles akustisches Signal ist es aber besonders störanfällig.

  133. 133.

    Schwarzkopf bleibt zu lange in der zwischenzeitlich unter Feindesbeschuss stehenden Kirche, sodass er bei deren Zusammenbruch von einem herabstürzenden Balken während des Orgelspielens erschlagen wird.

  134. 134.

    Die männlichen Figuren gehören der Wehrmacht und nicht der SA oder der SS an.

  135. 135.

    Vgl. zum Punkt des Rauschs vor allem durch Geschwindigkeit, wie sie insbesondere beim Fliegen erlebt und durch ein phänomenologisches Moment der Stille reguliert wird, Streim 2002. Zur Figuration des Fliegers als jugendlichem Helden im NS vgl. Schütz 2002a.

  136. 136.

    Vgl. erneut Schulte-Sasse 1996, O’Brian 2004, Heins 2013 sowie Andress 1991.

  137. 137.

    Im Stadion gruppieren sich um Inge und Herbert Menschen auffällig viele Menschen, die als ‚fremd‘ markiert sind, u. a. blacks.

  138. 138.

    Schulte-Sasses These stimme ich darin nicht zu, dass Hitler als überhöhte Gestalt qua Abwesenheit in jeder Einstellung des Films über dem Geschehen ‚schwebe‘. Vielmehr wird er als dieser überhöhte, darin exklusive Bezugspunkt verstärkt visualisiert. Daraus entsteht aber auch die Gefahr, dass er ‚nur‘ als ‚individueller Mensch‘ sichtbar wird.

  139. 139.

    Vgl. erneut O’Brian 1997 sowie Schulte-Sasse 1996. Die Olympiade wurde 1936 als großes Medienereignis inszeniert, sprich sie war darauf angelegt, von einem TV-Publikum an den Bildschirmen live goutiert zu werden. Vgl. hierzu erneut Kittler 1989.

  140. 140.

    Vgl. die ähnliche Argumentation bei Andress 1991.

  141. 141.

    Dass die Menge keine undifferenzierte Masse, sondern eine partikularisierte Quantität sein soll, zeigt sich in einem selbstreflexiven Dialog zwischen Inge und Herbert. Zunächst antwortet Herbert Inge auf ihren Ausruf: „Gott, ist das schön. Diese vielen Menschen. Wie viele mögen das wohl sein?“ mit der genauen Zahl 89968. Dann möchte Inge von Herbert wissen, wieviel der Platz in Block C in der 17. Reihe wohl koste.

  142. 142.

    Es spricht Bände, dass Inge, daraufhin von ihrer Großmutter angesprochen, ob sie immer noch „an den damals in Berlin“ denke, antwortet: „Ganz vergessen kann man das ja nie.“ Sie bezieht sich also nur unbestimmt auf Person und/oder Ereignis.

  143. 143.

    Vgl. hierzu erneut Kater 1992.

  144. 144.

    Legion ‚Condor‘ waren Einsätze von Wehrmachtsoffizieren im Dienst Franco’scher Putschisten, die die republikanische Regierung abschaffen und die Demokratie beenden wollten. Es kamen dort zu Erprobungszwecken die neuesten Modelle der Flugzeugbomber von Junkers, Heinkel, Dornier und Messerschmidt zum Einsatz. Die Offiziere reisten dabei in Zivil an und gaben sich, wie im Film dargestellt, als Angehörige der Lufthansa aus.

  145. 145.

    Vgl. erneut O’Brian 1997, bes. S. 42 f.

  146. 146.

    Helmut, der Fliegerleutnant unter Herberts Führung geworden ist, erzählt ihm von einem Mädchen, das er gerne heiraten würde. Beide wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es sich um Inge handelt. Später erfährt Herbert dies durch Zufall und denkt, Inge würde sich nicht mehr für ihn interessieren. Daher muss Inge ihn im Krankenhaus vom Gegenteil überzeugen.

  147. 147.

    Die zudem in der Funktion der Vermittlerin noch medial vermittelt wird, insofern ihr Foto zwischen den beiden Männern als Medium des (trennenden) Begehrens getauscht wird.

  148. 148.

    Natürlich soll das Filmpublikum sich dabei auch jeweils an der schmucken, athletischen Körperlichkeit der beiden ergötzen. Heins schreibt, im Kino der Nazi-Zeit sei der nackte Körper als schöner, natürlicher Körper extra sichtbar gemacht worden, wobei das homoerotische Potenzial, im Gegensatz zum Hollywoodkino dieser Zeit, durchaus in Kauf genommen wurde. Vgl. erneut Heins 2013, S. 33 sowie zu männlicher (erotischer) Körperlichkeit Herzog 2005.

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König, C. (2020). Nationalsozialismus/Deutschland – Film und Kino, Geschlecht und Sexualität. In: Performative Figuren queerer Männlichkeit. Szene & Horizont. Theaterwissenschaftliche Studien, vol 5. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05146-2_4

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