Zusammenfassung
Die politische wie die politikwissenschaftliche Staatsdebatte in der Bundesrepublik Deutschland verlief in konjunkturellen Zyklen. Die beiden Diskurse verhalten sich wie kommunizierende Röhren: War der sozialdemokratische Politiktyp der 70er Jahre durch eine Expansion des Staates und eine Steigerung staatlicher Regelung und Steuerung geprägt, so kennzeichnete den Mainstream der politikwissenschaftlichen Debatte dieser Zeit den Verzicht auf das Konzept „Staat“; an seine Stelle trat das Paradigma des „politischen Systems“ (Easton 1967), das gegenüber der geisteswissenschaftlichen und staatsrechtlichen Tradition der Disziplin deutliche Vorteile bot: Der Begriff des „politischen Systems“ trug zur Entmystifizierung „des“ Staates, des Hegelschen Phantasmas, bei. Die idealistische Imagination wurde mit dem Systembegriff gleichsam materialisiert und verwirklicht, hatte doch die institutionell-normativ orientierte Staatslehre nur wenig Spielraum für empirische Analysen staatlicher Politiken gelassen. Ausgangspunkt der Analyse sollten nun nicht mehr die Form, sondern vielmehr die Funktionen des Staates, mithin seine Leistungsfähigkeit in vergleichender Perspektive sein. Auch Fragen der Teilhabe und Teilnahme am Staat ließen sich so politikkritisch anpeilen.
„Soviel ich erkenne und soviel ich selbst erfahren habe, haben die Sekretäre hinsichtlich der Nachtverhöre etwa folgendes Bedenken: Die Nacht ist deshalb für Verhandlungen mit den Parteien weniger geeignet, weil es nachts schwer oder geradezu unmöglich ist, den amtlichen Charakter der Verhandlungen voll zu wahren … Man ist unwillkürlich geneigt, in der Nacht die Dinge von einem mehr privaten Gesichtspunkt zu beurteilen… (E)s mischen sich in die Beurteilung gar nicht hingehörende Erwägungen der sonstigen Lage der Parteien, ihrer Leiden und Sorgen, ein; die notwendige Schranke zwischen Parteien und Beamten … lockert sich, und wo sonst … nur Fragen und Antworten hin- und widergingen, scheint sich manchmal ein sonderbarer, ganz und gar unpassender Austausch der Personen zu vollziehen.“
Franz Kafka, Das Schloß
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Sauer, B. (1997). Die Magd der Industriegesellschaft. In: Kerchner, B., Wilde, G. (eds) Staat und Privatheit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95832-7_2
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