Zusammenfassung
Die Armutsforschung, so das Fazit der vorangegangenen Betrachtungen, ist bisher auf die Analyse von Langzeitarmut zugeschnitten. Bei der Analyse der Ursachen, besonders aber der Folgen von Armut wird nicht systematisch nach zeitlichen Kriterien differenziert. Deshalb fehlt bislang auch eine eigenständige Betrachtung des Kurzzeitfalls. Kurzzeitarmut wird meist gar nicht zur Kenntnis genommen oder als vergleichsweise bedeutunglos eingestuft und dann vernachlässigt. Ziel meiner eigenen empirischen Untersuchung ist dagegen, Ausmaß, Ursachen und Folgen von Armut so zu analysieren, daß die Zeitdimension systematisch berücksichtigt wird.
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Literatur
Die Untersuchung von Neuzugängen oder neu begonnenen Sozialhilfeepisoden ist zwar nur eine mögliche Längsschnitterhebung unter anderen. Verglichen mit diesem Ansatz weisen andere Möglichkeiten aber gravierende Nachteile auf: So könnte man alle Fälle, die zu einem bestimmten Zeitpunkt Sozialhilfe beziehen, als Ausgangssample nehmen. In Abständen von mehreren Jahren könnte dann untersucht werden, was aus dieser Gruppe geworden ist. Bei dieser Vorgehensweise ist man allerdings mit einer Linkszensierung konfrontiert, da alle gezogenen Fälle bereits unterschiedliche Sozialhilfedauern “hinter sich” haben. Denkbar wäre auch, eine Abgangskohorte zu untersuchen. Da hier nur Fälle berücksichtigt würden, die ihren Sozialhilfebezug beendet haben, hätte man es hier aber mit einer “Positivauswahl” zu tun (vgl. auch Abschnitt 4.1.1).
Zu Ziehung und Zusammensetzung der Stichprobe vgl. ausführlich Buhr u.a. (1990: 19–28).
Einzelne Antragsteller könnten bereits vor längerer Zeit (also einem länger als fünf Jahre zurückliegenden Zeitraum) schon einmal in Bremen Sozialhilfe bezogen haben. Wenn ihre alte Akte vernichtet worden ist, könnten sie im Jahre 1983 als Neuantragsteller geführt worden sein. Die Aktenanalyse hat ferner ergeben, daß 22 Antragsteller vor Bezug in einer anderen Stadt und 18 Fälle in einer anderen Akte (etwa in der Akte der Eltern) Sozialhilfe erhalten haben. Diese 40 Fälle werden im folgenden als “linkszensierte Fälle” bezeichnet.
Aus formalen Gründen konnten 83 Akten nicht ausgewertet werden: 48 Akten wurden in der Kartei fälschlich unter dem Antragsjahr 1983 geführt, waren aber tatsächlich bereits viel früher angelegt worden; die fehlerhafte Zuweisung zur 1983er Kohorte dürfte in den meisten Fällen darauf zurückzuführen sein, daß im Jahre 1983 ein familiäres Ereignis, beispielsweise eine Trennung, stattgefunden hatte; 23 Akten waren auch nach intensivster Suche in den einzelnen, dezentralen Sozialämtern nicht auffindbar; weitere zehn Akten wurden nicht ausgeweitet, weil Vorbände fehlten oder der Antrag auf Sozialhilfe abgelehnt, aber gleichwohl ein Aktenzeichen vergeben worden war; in zwei Fällen stellte sich heraus, daß die Akte unter anderem Aktenzeichen wieder aufgelebt war; beide Akten wurden jeweils ausgewertet, aber nur eine Fallnummer vergeben. Da ursprünglich vier Fallnummern vorgesehen waren, verringerte sich die Gesamtzahl der Fälle somit um zwei weitere Akten. Weitere 84 Akten wurden aus inhaltlichen Gründen aus der Auswertung ausgeschlossen: Fälle, in denen nur HbL und Landespflegegeld gezahlt wurde, sowie Fälle, bei denen es um HLu innerhalb von Einrichtungen (“Heimhilfe”) ging. Fälle, die sowohl HLu als auch HbL erhalten hatten, wurden dagegen berücksichtigt.
Bei den folgenden Auswertungen liegt die Fallzahl aufgrund von “missing values” teilweise unter 586.
Zur Bedarfsgemeinschaft gehören die Personen, die bei der Berechnung der Sozialhilfe berücksichtigt werden. Kinder in Haushalten geschiedener oder getrennt lebender Frauen gehören dann nicht zur Bedarfsgemeinschaft, wenn ihr Lebensunterhalt voll durch Unterhaltszahlungen des Vaters oder Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz gedeckt ist. Umgekehrt kann die Bedarfsgemeinschaft auch nur aus Kindern bestehen, etwa dann, wenn die alleinerziehende Mutter wegen eines Studiums keinen Anspruch auf Sozialhilfe hat. Die Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft kann sich im Zeitverlauf ändern, z.B. durch Geburt oder Auszug von Kindern.
Zu Konstruktion und Test des Erhebungsbogens vgl. Buhr u.a. (1990: 34–38).
Während die Sozialhilfezahlungen, auch wenn sie länger zurückliegen, anhand von Akten im Vergleich zu retrospektiven Befragungen vermutlich lückenloser rekonstruiert werden können, sind Angaben zum übrigen Einkommen nicht so eindeutig zu beurteilen: Zwar wird die Höhe des Einkommens bei Umfragen häufig untererfaßt, da bestimmte Personengruppen dazu neigen, ihr Einkommen zu unterschätzen, oder bestimmte Einkommensarten, wie Transfereinkommen, nicht als Einkommen wahrgenommen werden. In Akten ist wiederum nur Einkommen enthalten, das der Hilfeempfänger auch beim Sozialamt angibt; die Höhe dieses Einkommens wird allerdings durch amtliche Belege (z.B. Bescheide des Arbeitsamtes) untermauert. Über zusätzliche Einkommensquellen wie Schwarzarbeit oder Zuwendungen von Verwandten usf. informiert die Akte natürlich nicht. Ob solche Einkommen in standardisierten Befragungen angegeben würden, dürfte allerdings auch nicht sicher sein.
Bestimmte Zahlungsweisen — wöchentlicher Scheck statt Überweisung — können etwa als Hinweis auf Kontrollpraktiken des Sozialamts gedeutet werden. Die Akten enthalten ferner Reaktionen des Amtes auf “unerwünschte” Ereignisse wie Ablehnung von Arbeit durch den Hilfeempfänger oder Verlust der Geldbörse sowie Einschätzungen der Glaubwürdigkeit des Hilfeempfängers oder seiner Arbeitsmarktchancen. no Die Episoden wurden mit Hilfe eines besonderen Retrieval-Programms “shd” (vgl. Rohwer u.a. 1992) gebildet. Eine neue Episode wurde dann angenommen, wenn die einzelnen Zahlungen mindestens vier Wochen (28 Tagen) unterbrochen waren. Dieser Zeitraum wurde gewählt, um zufällige oder verwaltungsbedingte Unterbrechungen auszuschließen, so wenn ein Hilfeempfanger nicht rechtzeitig vorspricht und seinen Scheck verspätet erhält. Unterbrechungen von weniger als 28 Tagen innerhalb eines Bezugszeitraums werden vom Programm “shd” der Dauer der einzelnen Episoden “zugeschlagen”. Bei Fällen, die häufiger solche kürzeren Unterbrechungen aufweisen, wird die Episodendauer und damit auch die Gesamtdauer des Bezugs somit überschätzt.
Die Mediane wurden nach der Produkt-Limit-Methode mit einem von Götz Rohwer entwickelten Programm zur Analyse von Ereignisdaten “tda” berechnet (Rohwer 1993).
In der ISG-Studie (Jacobs/Ringbeck 1992: 117) liegt die durchschnittliche Gesamtbezugsdauer, die vermutlich der Nettodauer entspricht, bei 25 Monaten. Der Unterschied dürfte u.a. darauf zurückzuführen sein, daß in der ISG-Studie einige Formen von Kurzzeitbezug von vornherein ausgeschlossen wurden, so Überbrückung bis zum Einsetzen vorrangiger Leistungen (9). Zudem konnte der Ansatz, eine Antragskohorte (1986) zu analysieren, nicht in allen Städten durchgehalten werden, so daß zum Teil eine Bestandsaufnahme vorgenommen wurde (165), was allerdings durch Gewichtungsfaktoren ausgeglichen werden sollte (vgl. zur Anlage der ISG-Studie auch Abschnitt 4.1.1).
Bei Ausschluß der 40 linkszensierten Fälle ändern sich die Ergebnisse für die Episoden- und die Nettodauer kaum; lediglich bei der Bruttodauer fällt der Median von knapp 17 auf gut 14 Monate. Bei den linkszensierten Fällen liegt der Median mit 35 Monaten für die Bruttodauer und 27 Monaten für die Nettodauer deutlich höher als bei den anderen Fällen.
Beim Vergleich der ersten bis vierten Episode zeigen sich so gut wie keine Unterschiede zwischen den ersten drei Episoden. Die zahlenmäßig relativ gering besetzte vierte Episode fällt dagegen etwas aus dem Rahmen. Bereits nach 15 Monaten sind über 90 Prozent der Episoden beendet, und es finden kaum noch Veränderungen statt.
Dies wurde mir in verschiedenen Gesprächen mit Sachbearbeitern im Sozialamt deutlich gemacht.
Wie in Abschnitt 4.1.1 ausgeführt, sprechen Hauser und Hübinger (1993: 114) bei einer Dauer von ein bis drei Jahren von “temporärer” und bei über dreijähriger Dauer von “langfristiger bekämpfter Armut”.
Verglichen mit anderen Studien (z.B. Strang) ist die Grenze für Langzeitbezug von drei bzw. fünf Jahren relativ niedrig angesetzt. Da der Erhebungszeitraum bisher “nur” sechs Jahre umfaßte, konnten längere Bezugsdauern nicht berücksichtigt werden.
Schließt man die 40 linkszensierten Fälle aus, also diejenigen, die bereits vorher aus einer anderen Akte oder in einer anderen Stadt Sozialhilfe bezogen haben, so erhöht sich der Anteil der Kurzzeitbezieher geringfügig. Bei der Bruttodauer etwa steigt der Anteil der Bezieher mit einer Dauer unter einem Jahr von 46 auf 47 Prozent an. Entsprechend verändern sich auch die Werte bei den Beziehern mit längerer Dauer leicht. Die Verteilung der Zeittypen bleibt auch dann im wesentlichen unverändert, wenn man zusätzlich die Fälle aus der Berechnung ausschließt, bei denen die Zahlungen aus der Akte aus administrativen Gründen eingestellt wurden (etwa weil wegen Heirat oder Trennung eine neue Akte angelegt wurde), sowie diejenigen, bei denen der Bezug “unfreiwillig” (durch Tod oder Haft) beendet wurde, und die, die umgezogen sind und möglicherweise in einer anderen Stadt weiterhin Sozialhilfe bezogen haben. Zu den Ursachen für das Ende des Bezugs vgl. genauer Abschnitt 5.3.1.
Diese Typologie hat Ähnlichkeiten mit der in Abschnitt 3.2 dargestellten Typologie von Ashworth u.a. (1992), wurde aber unabhängig davon entwickelt. Zu empirischen und konzeptionellen Vorarbeiten vgl. bereits die Pilotstudie zum Projekt (Hübinger/Priester 1989). Weil der Erhebungszeitraum von sechs Jahren, zumindest gemessen an US-amerikanischen Studien, relativ kurz war, dürfte insbesondere die Operationalisierung der beiden Langzeittypen “Langzeitbezieher” und “Escaper” noch unbefriedigend sein. Die Typologie bezieht sich auf 516 der 586 Fälle. 70 Fälle fallen in keine der Kategorien (“Unklassifizierte”).
Aufgrund der unterschiedlichen und komplexeren Definitionskriterien liegen diese Verlaufstypen des Projękts “Sozialhilfekarrieren” teilweise quer zu den bisher betrachteten “einfacheren” Verlaufstypen, bei denen lediglich vier Dauerkategorien mit der Kontinuitätsdimension kombiniert wurden. Die komplexen Verlaufstypen fallen also nicht mit einzelnen Kombinationen von Bruttodauer und Kontinuität/Diskontinuität zusammen. So sind etwa “Mehrfachüberbrücker” und “Pendler” bei diskontinuierlichen Beziehern mit mittlerer, langer und sehr langer Dauer zu finden; “Langzeitbezieher” gibt es sowohl bei kontinuierlichen wie bei diskontinuierlichen Beziehern mit sehr langer Dauer, “Escaper” bei kontinuierlichen Beziehern mit mittlerer und langer Dauer und “Überbrücker” bei kontinuierlichen und diskontinuierlichen Beziehern mit kurzer und mittlerer Dauer.
Der Ursachenschlüssel der amtlichen Sozialhilfestatistik umfaßt acht Kategorien: “Krankheit”, “Tod des Ernährers”, “Ausfall des Ernährers”, “Unwirtschaftliches Verhalten”, “Arbeitslosigkeit”, “Unzureichende Versicherungs- oder Versorgungsansprüche”, “Unzureichendes Erwerbseinkommen” und “Sonstige Ursachen”.
Gegenüber früheren Veröffentlichungen (z.B. Buhr/Voges 1991 und Zwick/Buhr 1992) wurden einige Veränderungen vorgenommen. So wurden die Ursachen teilweise nach anderen Kriterien zusammengefaßt, und auch das Konzept der “Hauptursache” wurde neu gefaßt.
Salentin (1992) verglich die Ursachenerhebung im Rahmen eines EDV-gestützten Zahlbarma-chungsverfahrens und Akten. Interview- und Aktendaten wurden von Jacobs und Ringbeck (1992) gegenübergestellt. Unsere eigenen Interviews haben gezeigt, daß in der Tat fast immer mehrere Ursachen zum Sozialhilfebezug führen. Bei den interviewten Personen, die die Genehmigung zur Akteneinsicht erteilt haben, können Aktendaten und Interviewmaterial aufeinander bezogen und mögliche Widersprüche oder Unvollständigkeiten im Einzelfall aufgedeckt werden. Ein solcher systematischer Abgleich müßte allerdings in einer eigenständigen, methodisch zu fundierenden Abhandlung erfolgen und sprengt den Rahmen dieser Arbeit.
Zu erwähnen sind eine ausführliche Schulung der Erheberinnen, bei der anfangs mehrere Akten von denselben Erheberinnen ausgeweitet wurden, sowie detaillierte “Ausfüllregeln” und verschiedene Verfahren der Datenkontrolle, so der Vergleich der erhobenen Ursachen mit dem Erwerbsstatus oder dem Familienstand. Als Regel gilt für die Datenerhebung, daß die erste Nennung jeweils den unmittelbaren Anlaß des Sozialhilfebezugs, die weiteren Nennungen zusätzlich relevante Konstellationen enthalten sollten. Ob dies in jedem Einzelfall durchgehalten werden konnte, kann nicht festgestellt werden. Da aber bei der folgenden Analyse nicht allein auf einzelne Ursachennennungen abgestellt wird, sondern differenziertere Ursachenkonzepte angewendet werden, ist ein etwaiger Erhebungsbias vermutlich nicht sehr ausgeprägt.
Soll etwa eine alleinerziehende Frau, die zu geringes Arbeitslosengeld bezieht, als “alleinerziehende Arbeitslose”, als “arbeitslose Alleinerziehende”, nur als “Arbeitslose” oder nur als “Alleinerziehende” eingestuft werden? Eine Studie zur “Neuen Armut” dürfte dabei insbesondere den Aspekt der Arbeitslosigkeit betonen, während eine Studie über Armut von Frauen eher auf den Aspekt “Alleinerziehend” abheben würde.
Nicht zu entscheiden dürfte beispielsweise sein, in welchem Ausmaß Krankheit oder Drogenmißbrauch neben einer anderen Ursache wie Arbeitslosigkeit mit für den Sozialhilfebezug verantwortlich sind. Da es sich hier um besondere Problemkonstellationen handelt, die die Chancen zum Ausstieg aus der Hilfe mit beeinflussen dürften, macht es jedoch Sinn, solche Aspekte der Lebenslage als mögliche Ursachen mit zu berücksichtigen.
Geht man nicht nur von der Hauptursache Arbeitslosigkeit aus, sondern legt alle Ursachennennungen zu Grunde, bei denen Arbeitslosigkeit auftaucht, erhöht sich dieser Anteil auf ein Viertel.
Dieser Typ wurde im Rahmen der Interviewauswertung “entdeckt”. Mit Hilfe der Aktendaten läßt er sich nur schwer quantifizieren, da bei den Ursachen für das Ende des Bezugs nicht erhoben wurde, ob eine Ausbildung geplant war oder nicht. Nimmt man die Kriterien “nur eine Episode” und “Ende des Sozialhilfebezugs durch Ausbildungsbeginn oder Bundeswehr/Zivildienst” zusammen, kommt man auf eine Anzahl von höchstens 19 Fällen oder drei Prozent, bei denen diese Konstellation — Nicht-Warten, aber befristeter Bezug — zutreffen könnte. Unter den Kurzzeitbeziehern mit einer Bezugsdauer bis zu einem Jahr gibt es weniger als zehn Personen mit dieser Merkmalskombination.
Zu Ursachenwechseln vgl. auch Buhr/Voges (1991).
So konnten wir in unserem Sample Fälle feststellen, bei denen ursprünglich ein Antrag auf Arbeitslosengeld abgelehnt wurde, dann aber doch Zahlungen eingingen.
Episoden, die durch Sperrzeiten ausgelöst werden, wurden in den vorangegangenen Analysen nicht als Warteepisoden eingestuft, da es sich hier nicht um administrativ verzögerte Zahlungen handelt. Sie wurden vielmehr der Ursache “Arbeitslosigkeit” zugeordnet.
Die Ursache “Zu geringe Rente” wird nicht gesondert betrachtet, da die Fallzahlen hier äußerst gering sind. Hierin spiegelt sich, wie bereits ausgeführt (Abschnitt 5.3.1), der Rückgang der Armut im Alter.
Von den Personen mit familiären Ursachen sind 44 Prozent alleinerziehend.
Eine zusätzliche Unterscheidung nach Geschlecht und Alter bestätigt die aus der Arbeitslosenforschung bekannte Benachteiligung von “Problemgruppen des Arbeitsmarktes”: Arbeitslose Frauen und Personen über 40 Jahre, die nicht warten, sind häufiger Langzeitbezieher.
Für die Nettodauer ergaben sich fast identische Anteile: 49 Prozent Wartefälle, davon 34 Prozent “Nur Warten” und 15 Prozent “Warten + andere Ursachen”. Deshalb habe ich auf die gesonderte Darstellung der Nettodauer in Schaubild 9 verzichtet.
Sofern sich bei solchen individuellen oder haushaltsstrukturellen Variablen eine Veränderung ergeben hat — etwa ein Kind geboren wurde, eine Scheidung stattgefunden hat oder der Arbeitsplatz verloren wurde — ist diese Veränderung auch als Ursache des Bezugs erfaßt worden.
Die (wenigen) alleinerziehenden Männer in unserem Sample wurden ebenfalls diesem Typ zugeordnet.
Hierunter fallen insbesondere (Ehe-) Paare, aber auch Personen, die mit Verwandten oder Bekannten in einem Haushalt wohnen.
Das BSHG enthält, wie bereits erwähnt (Abschnitt 2.4), keine klare Altersgrenze für Kinder, bis zu der auf den Einsatz der Arbeitskraft der Mutter verzichtet wird und die hier als Variable eingehen könnte. Aus Interviews mit Sachbearbeitern wissen wir allerdings, daß von Alleinerziehenden erwartet wird, daß sie sich um eine “leichte Arbeit” bemühen, wenn das jüngste Kind im zweiten Schuljahr ist. Im folgenden werden als Altersgrenzen drei und sieben Jahre verwendet, d.h. es wird überprüft, ob Antragsteller mit Kindern unter drei bzw. sieben Jahren eine längere Dauer aufweisen als solche ohne Kinder bzw. mit älteren Kindern.
Die Analyseebene ist die Akte bzw. die Bedarfsgemeinschaft und nicht die Person. Somit müßte statt von Frauen, Jüngeren, Alleinerziehenden usw. jeweils von Bedarfsgemeinschaften mit weiblichem Antragsteller, mit einem Antragsteller unter 40 bzw. 50 Jahren, mit alleinerziehendem Antragsteller usw. gesprochen werden. Da diese Bezeichnungen sehr schwerfällig sind, wird im folgenden immer die abgekürzte, wenn auch ungenaue Schreibweise verwendet.
Um den Einfluß der Nationalität zu ermitteln, wurde nicht nach einzelnen Ausländergruppen, sondern lediglich zwischen den Ausprägungen “deutsch” und “nicht deutsch” unterschieden. Zu einer Analyse des Sozialhilfebezugs von Ausländern, in der zwischen zugewanderten und bereits ansässigen Ausländern unterschieden wird, vgl. Voges (1992).
Da es im Kurzzeitbereich nur wenig diskontinuierliche Fälle gibt, wird hier auf eine Unterscheidung zwischen kontinuierlichen und diskontinuierlichen Verläufen verzichtet.
Femer sind junge Menschen unter 20 Jahren überproportional häufig unter den Beziehern mit mittlerer und langer Bezugsdauer vertreten, nicht aber bei den Sozialhilfebeziehern mit sehr langer, also über fünfjähriger Dauer. Die Nationalität hat dagegen keinerlei Einfluß darauf, welchem Zeittyp ein Antragsteller angehört, und wurde deshalb nicht gesondert ausgewiesen.
Die Unterschiede zwischen kontinuierlichen Beziehern mit kurzer Dauer und solchen mit mittlerer und langer Dauer sind demgegenüber weniger stark ausgeprägt und nur hinsichtlich des Berufs statistisch signifikant. Bezieher mit sehr langer Dauer unterscheiden sich von solchen mit mittlerer und langer Dauer signifikant nur hinsichtlich der Variablen “Alleinerziehend” und “Alter”.
Für die verschiedenen Gruppenvergleiche wurde jeweils eine schrittweise Diskriminanzanalyse durchgeführt, bei der nach und nach jeweils die Variable in die Diskriminanzfunktion aufgenommen wird, die ein bestimmtes Gütekriterium — hier Wilks’ Lambda — optimiert. Wilks’ Lambda ist ein “inverses Gütemaß”, bei kleinen Werten gibt es also eine bessere Gruppentrennung. Die Diskriminanzanalyse setzt voraus, daß die unabhängigen Variablen metrisches Skalenniveau aufweisen, wobei binäre Variablen wie metrische behandelt werden können. Neben den sozialstrukturellen Variablen wurden in einem zweiten Schritt auch die Ursachen für den Sozialhilfebezug berücksichtigt. In die Diskriminanzanalysen wurden folgende sozialstrukturelle Merkmale einbezogen: Geschlecht (männlich/weiblich), Nationalität (deutsch/nicht deutsch), Alter (metrisch), Berufsangabe (vorhanden/nicht vorhanden), Alleinerziehend (nein/ja), Haushaltsgröße (metrisch), Jüngstes Kind unter sieben Jahren (nein/ja), Zahl der Kinder des Antragstellers (metrisch); ferner wurden die folgenden Ursachen berücksichtigt: Multikausalität, also mehr als eine Ursache für den Sozialhilfebezug, Warten auf vorrangige Leistungen, Arbeitslosigkeit (ohne Warten), Familiäre Ursachen (ohne Warten), Soziale Probleme (ohne Warten).
a) Ergebnisse der Diskriminanzanalyse ohne Ursachen. Diskriminierende Variablen: Geschlecht, Beruf, Alter, Haushaltsgröße, jüngstes Kind unter 7 Jahren, Zahl der Kinder und Alleinerziehend; Wilks’ Lambda: 0.8706; Anteil richtig klassifizierter Fälle: 71 Prozent.
b) Ergebnisse der Diskriminanzanalyse mit Ursachen. Diskriminierende Variablen: Ursache Warten, Ursache Arbeitslosigkeit, Alter, Ursache Soziale Probleme, Haushaltsgröße, Zahl der Kinder, Jüngstes Kind unter 7 Jahren und Geschlecht; Wilks’ Lambda: 0.7875; Anteil richtig klassifizierter Fälle: 76 Prozent. Die Gruppen können erwartungsgemäß schlechter getrennt werden, wenn Kurz-und Langzeitbezieher in die Analyse einbezogen werden, ohne daß die Kontinuitätsdimension berücksichtigt wird. Vergleicht man kontinuierliche Kurzzeitbezieher und kontinuierliche Bezieher mit mittlerer und langer Dauer, so ergibt sich auch eine schlechtere Trennung.
a) Ergebnisse der Diskriminanzanalyse ohne Ursachen. Diskriminierende Variablen: Beruf, Geschlecht, Alter, Haushaltsgröße, Zahl der Kinder und Jüngstes Kind unter sieben Jahren; Wilks’ Lambda: 0.8166; Anteil richtig klassifizierter Fälle: 71 Prozent.
b) Ergebnisse der Diskriminanzanalyse mit Ursachen. Diskriminierende Variablen: Ursache Warten, Ursache Arbeitslosigkeit, Multikausalität, Alter, Haushaltsgröße, Zahl der Kinder, Jüngstes Kind unter sieben Jahren, Beruf und Ursache Soziale Probleme; Wilks’ Lambda: 0.6754; Anteil richtig klassifizierter Fälle: 74 Prozent.
Es gelten dabei drei Einschränkungen: Erstens konnte nur ein relativ geringes Spektrum von Variablen in die Untersuchung von Kurz- und Langzeitbezug einbezogen werden, weil der vorliegende Datensatz beschränkt ist; Bildung und berufliche Qualifikation etwa konnten gar nicht bzw. nur sehr begrenzt berücksichtigt werden. Andere mögliche Einflüsse auf die Dauer wurden ebenfalls nicht berücksichtigt, so institutionelle Variablen, “Sozialhilfeerfahrung”, Arbeitsmarktsituation oder Einstellungen und Orientierungen. Zweitens wurden die Gruppen aufgrund der Ausprägungen der unabhängigen Variablen zu Beginn des Sozialhilfebezugs getrennt: Möglicherweise sind aber Veränderungen während des Sozialhilfebezugs wichtiger als der Ausgangszustand. Drittens unterscheiden sich verschiedene Zeittypen möglicherweise eher hinsichtlich der Folgen als hinsichtlich der Ursachen und sozialstruktureller Korrelate.
Zu den Schwierigkeiten, Diskontinuität zu erklären, vgl. auch Buhr u.a. (1991a: 26 ff.).
Vgl. zu parametrischen Regressionsmodellen und zeitabhängigen Übergangsraten-Modellen allgemein Diekmann/Mitter (1984) und Biossfeld u.a. (1986). Ein semi-parametrisches Modell ohne Annahmen über die Verteilung der Hazard-Rate ist das Cox-Modell.
Berechnet wird der Likelihood-Ratio-Test wie folgt: 2 * (L1-L0), wobei LO die Maximum-Log-Likelihood des Modells ohne Kovariaten (Nullhypothese) bezeichnet und LI die des Modells mit Kovariaten (Alternativ-Hypothese).
Wenn die linkszensierten Fälle nicht ausgeschlossen werden, ändern sich die Koeffizienten allerdings nur geringfügig.
Eine solche Vorgehensweise empfielt sich u.a., weil sich die Ergebnisse, je nachdem welche funktionale Form für die Übergangsrate zu Grunde gelegt wird, stark unterscheiden können (vgl. auch Blank 1989). In dieser Arbeit werden die Weibull- und die log-logistische Verteilung berücksichtigt, zwei flexible Verteilungen, die sich für die Modellierung unterschiedlicher Verläufe der Übergangsrate eignen. In den folgenden Tabellen werden der Übersichtlichkeit halber nur die Ergebnisse eines Modells dargestellt: Für die Netto- und die Bruttodauer ist dies das Weibull-Modell, für die Episodendauer das log-logistische. Sofern sich bei unterschiedlichen Modellannahmen unterschiedliche Ergebnisse ergeben, wird hierauf gesondert hingewiesen.
Dies zeigt sich auch im, hier nicht gesondert ausgewiesenen, log-logistischen Modell.
Bei der Bruttodauer ist der Einfluß der Variablen “Beruf nur im log-logistischen Modell signifikant.
Auch Paare mit Kindern weisen längere Dauern auf. Dieser Effekt ist allerdings nur bei der Nettodauer im log-logistischen Modell schwach signifikant. Alleinstehende Männer beenden den Bezug dagegen schneller als andere Gruppen: Bei der Nettodauer zeigt sich ein positiver, allerdings nicht signifikanter Einfluß auf die Übergangsrate.
Bei der Bruttodauer zeigt sich ein negativer, allerdings nicht signifikanter Einfluß der Ursache “Soziale Probleme” (vgl. erneut Tabelle 18).
Der Effekt dieser Variable ist jedoch nur im Weibull-Modell signifikant.
Dieser Effekt ist im Weibull-Modell nicht signifikant.
Mayerhofer und Ludwig-Mayerhofer (1994) verzichten darauf, die Arbeitslosenquote in ihre Modelle einzubeziehen: “Da die Arbeitslosenquoten ab 1985 stark gestiegen sind, hängt diese Variable sehr stark mit langen Verweildauern in der Sozialhilfe zusammen” (27). Auffällig ist zudem, daß die Arbeitslosenquote besonders stark die Chance beeinflußt, den Bezug durch vorrangige Leistungen zu beenden, dagegen nur schwach die Beendigung durch Arbeitsaufnahme (so auch das Ergebnis von Leisering/Voges 1992: 464). Leisering und Voges folgern daraus, daß nicht die Höhe der Arbeitslosigkeit selbst, sondern die höhere Arbeitsbelastung der Arbeitsämter in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit von Bedeutung ist. “Trotzdem bleibt problematisch, daß es wahrscheinlich weniger saisonale Schwankungen sind, die die Übergangsraten beeinflussen — wie nach diesem Argument zu erwarten wäre -, sondern der langfristige Anstieg der Arbeitslosenquoten. Bei den Fällen, die die Sozialhilfe nicht relativ bald durch Übergang in vorrangige Leistungen beenden, dürften jedoch häufig andere Gründe als die Überlastung der Arbeitsverwaltung ursächlich sein” (Mayerhofer/Ludwig-Mayerhofer 1994: 28).
Hinsichtlich dieser beiden Variablen zeigt sich lediglich im Weibull-Modell für die erste Episode ein signifikant negativer Effekt: Ausländer haben also längere Bezugsdauern als Deutsche, und auch eine angespannte Arbeitsmarktsituation zu Beginn des Bezugs führt zu längeren Bezugsdauern.
Lediglich im log-logistischen Modell für die Nettodauer ergibt sich kein signifikanter Effekt.
Dies wird in den Tabellen 18 ff. durch den Parameter p bzw. ln(p) angezeigt. Im Weibull-Modell bedeutet p < 1 bzw. ln(p) < 0, daß die Hazardrate im Zeitverlauf sinkt. Im log-logistischen Modell impliziert p < 1 bzw. ln(p) < 0 ebenfalls eine fallende Hazard-Rate und p > 1 bzw. ln(p) > 0 eine zunächst steigende und dann fallende Rate.
In diesem Modell werden nur die erste und zweite Episode berücksichtigt. Aufgrund der geringen Fallzahlen wurde darauf verzichtet, die dritte Episode und alle weiteren Episoden in ein solches Modell einzubeziehen.
Auf die Einbeziehung der Ursachen wird verzichtet, da sie, wie gezeigt, sehr stark mit sozial- und haushaltsstrukturellen Variablen zusammenhängen und den Einfluß anderer Variablen überlagern.
Auch die Dauer der Unterbrechung zwischen den Episoden, also die Zeit ohne Bezug kann als Teil der “Vorgeschichte” angesehen werden. Es wurde jedoch darauf verzichtet, diese Variable in die Modelle einzubeziehen. Bei einem Beobachtungszeitraum von (nur) sechs Jahren bleibt bei längeren Unterbrechungen nur noch wenig “Spielraum” für weitere längere Episoden.
Da die mittlere Bezugsdauer (Median) der ersten Episode bei vier Monaten liegt (vgl. Abschnitt 5.2.1), wurde diese Dauer als “Schwellenwert” herangezogen. Wird die Dauer der ersten Episode als metrische Variable in die Modelle einbezogen, ergibt sich kein signifikanter Effekt.
Diese Frage detaillierter zu untersuchen, erforderte “unbeobachtete Heterogenität” zu berücksichtigen. Modelle, in denen unbeobachtete Heterogenität berücksichtigt wird, sind jedoch schwer zu interpretieren und können letztlich auch keine endgültige Klärung der Frage herbeiführen (vgl. z.B. Blank 1989).
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Buhr, P. (1995). Ausmaß und Ursachen von Kurz- und Langzeitbezug in der Bremer Längsschnitt-Stichprobe von Sozialhilfeakten. In: Dynamik von Armut. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 153. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93522-9_6
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