Jakob Ganslmeier dokumentiert in einem zweiteiligen Fotoprojekt Spuren nationalsozialistischer Symbole - auf Gebäuden und auf menschlicher Haut.

Wie vergangen ist die deutsche Vergangenheit? Diese Frage leitete Jakob Ganslmeier bei seinem Projekt "Haut, Stein", das die Ambivalenz zwischen dem Versuch des Verwischens und dem Fortbestehen nationalsozialistischer Zeichen beleuchtet . Dies geschieht mittels zweier Serien, die einander gegenübergestellt werden: Fotos von Architektur und baulichen Ornamenten zeugen vom Beharrungsvermögen einschlägiger Symbolik im öffentlichen Raum. Aufnahmen von Tätowierungen verweisen auf ein - mittlerweile überwundenes - individuelles Bekenntnis zum Rechtsextremismus. Ganslmeiers Bilder zeigen ehemalige Neonazis im Prozess ihres Ausstiegs, indem sie die Entfernung oder Veränderung von Tätowierungen dokumentieren. Diese sichtbare Veränderung des Ausdrucks ihrer früheren Identität, ihres einstigen Bekenntnisses zu rechter Weltanschauung, ist für die Betroffenen ein langer, kostspieliger und schmerzhafter Prozess - und ein bewusster Ausdruck veränderter Gesinnung.

In Stein gemeißelt

An zahlreichen Stellen im Außenraum, etwa an Gebäudefassaden und Denkmälern, lassen sich nach wie vor historische NS-Symbole ausmachen, die trotz Entnazifizierung dort belassen wurden oder nach Veränderungsversuchen noch immer sichtbar sind. Schwarz-Weiß-Fotografien werfen einen nüchternen, objektiven Blick auf diese überdauernden, oftmals steinernen Zeugen. Die "Bilder von verlassenen Gebäuden und Stadträumen bilden die Beiläufigkeit der historischen Vergangenheit und ihrer Spuren ab und verweisen mit kühler Distanz auf die unreflektierte 'Normalität' der Präsenz dieser faschistischen Requisiten in unserer kollektiven Erinnerung und Wahrnehmung", schreibt Ulrike Kremeier, freie Kuratorin und Direktorin des Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst.

Demgegenüber wird die Transformation ehemaliger Neonazis oder "Aussteiger" in Farbporträts dokumentiert. Die Bildausschnitte rücken ihnen "zu Leibe" und fragmentieren ihre Körper: Niemand wird zur Gänze abgebildet - im Fokus stehen die tätowierten Körperteile.

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© Jakob Ganslmeier

Nach mehreren Laserbehandlungen verblassen Runen und Schwarze Sonne auf der Haut dieses Mannes langsam.

Ideologie geht unter die Haut

Im Nationalsozialismus dienten Tätowierungen als Identitätsbekenntnisse der Täter und Zwangszuschreibungen der Opfer: So ließen sich Angehörige der SS ihre Blutgruppe auf die Innenseite des linken Oberarms schreiben. KZ-Häftlingen hingegen wurde ihre Häftlingsnummer auf den Unterarm tätowiert - Name und Identität des Individuums wurden damit "überschrieben".

"Haut, Stein" untersucht die Spuren von (De-)Radikalisierungsprozessen und rechtsextremer Ideologien von gestern und heute und stellt die individuellen Geschichten in einen gesellschaftlich-politischen Zusammenhang. Die fotografierten Tattoos gehen auf ein sichtbares ideologisches Bekenntnis zurück. In ihrer Dokumentation wahrt Ganslmeier eine künstlerische Distanz: Alle Personen wurden vor einem neutralen, grauen Hintergrund abgelichtet, jeglicher Hinweis auf die Person und ihre Lebensumstände bleibt ausgespart. "Durch diese Dekontextualisierung und die strikte Abschottung des Subjekts dokumentiert die Fotografie die Entfremdung der Porträtierten von ihrem rechtsradikalen Netzwerk", so Kremeier. Gegenstand des Bildes ist lediglich die ideologische Identität der Person, deren Wandel anhand der Veränderung oder Auslöschung einschlägiger Symbole ablesbar wird.

Auch die Tattoos selbst sind nicht vollständig zu sehen - entweder aufgrund der Körperhaltung, oder weil sie bereits durch Lasereingriffe reduziert oder mittels zusätzlicher Tattoos verändert wurden. Die Zeichen wurden somit ihrer einstigen Bedeutung, ihres früheren ideologischen Bekenntnisses "entladen". Der Prozess dieser "Neutralisierung" ist besonders aussagekräftig, offenbart er doch einen radikalen Wandel in der Haltung der Protagonisten.