In Anbetracht steigender Patientenzahlen und neuer, hochpreisiger Medikamente hat Karl Lauterbach ein Buch über Aktivitäten und Hintergründe der von ihm als „Krebsindustrie“ gebrandmarkten im Bereich „Onkologie“ aktiven Pharmaindustrie verfasst. Zunächst werden in diesem an Laien und Professionelle gerichteten Werk allgemein verständlich die Krebsentstehung und die Entwicklung neuer Therapieformen, wie Tyrosinkinasehemmer (TKI) und Checkpointinhibitoren entsprechend dem aktuellen Wissensstand dargestellt. Lauterbach moniert den oft nur marginalen Nutzen dieser neuen Medikamente, deren Preise in schwindelerregende Höhen steigen. Durch die Checkpointinhibitoren mit Medikamentenkosten von über 150.000 € pro Jahr werden die bereits immensen Jahrestherapiekosten für TKI ungefähr verdoppelt. Hierdurch komme unser Gesundheitssystem an seine Grenzen.

Lauterbach rechnet bei der Generation der Baby-Boomer mit mehr als 10 Millionen Krebsfällen in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland. Er erwartet — konservativ geschätzt — durch den Einsatz der neuen Medikamente zusätzliche Kosten von über 45 Milliarden Euro jährlich. Die von der Industrie angesetzten Preise würden vor allem einer Gewinnmaximierung der Konzerne dienen. Die Kosten für Entwicklung und Herstellung dieser Substanzen würden diese Preise nicht rechtfertigen. In einem System ohne kontrollierte Preisgestaltung und bei fehlendem Wettbewerb über den Preis haben sich in den USA und bei uns dramatische Fehlentwicklungen vollzogen, deren Auswirkungen wir in den kommenden Jahren spüren werden.

Häufig seien die Zulassungsstudien für die neuen Substanzen manipuliert oder für das Produkt begünstigend vorgeplant. Nur noch wenige große Player könnten die immer komplexeren und unter Zeitdruck zu absolvierenden Zulassungsverfahren überhaupt durchführen. Die eigentliche Grundlagenforschung finde aber immer noch überwiegend in öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen statt. Während in den USA zunehmend über die „financial toxicity“ der Medikamente diskutiert wird, werde das Thema in Deutschland kaum berührt. Hier seien die Meinungsführer von der Industrie abhängig und dadurch nicht zur Kritik ermuntert.

Als Vorschläge für die Politik empfiehlt Lauterbach Maßnahmen, wie klinische Krebsregister und Nachzulassungsstudien, mit denen die Wirksamkeit der neuen Therapien im wahren Leben hinsichtlich Nutzen und Nebenwirkungen kontrolliert werden könnte. Ein verschärftes AMNOG könnte dann deutlich wirksamer in die Preisgestaltung eingreifen. Auch die seiner Meinung nach von Lobbyisten unterwanderte EMA sollte reformiert werden und Zulassungsverfahren auf relevantere Endpunkte ausrichten.

Nach einem Seitenhieb auf das Zweiklassensystem in der Krankenversicherung kritisiert er finanzielle Anreize für Chefärzte und niedergelassene Onkologen. Durch diese sei eine Behandlung lukrativ, während die Entscheidung zum Therapieabbruch mühsam sei und nicht honoriert werde. Die Problematik einer Beratung, die mit Verzicht auf eine Therapie vom Patienten aber auch als Vorenthalten einer möglicherweise wirksamen Behandlung empfunden werden kann, wird jedoch gesehen.

Die zunehmenden personellen Lücken in Pflege und ärztlichem Bereich besonders in ländlichen Gebieten könne durch verbesserte Arbeitsbedingungen für medizinische Berufe und höhere Medizinstudentenzahlen geschlossen werden.

Ein langes Kapitel ist der Prävention und Vorsorge bestimmter Krebserkrankungen gewidmet, das sehr gut recherchiert ist und besonders Laien empfohlen werden sollte. Durch Ungenauigkeiten, Verallgemeinerungen und ständiges Wiederholen bekommt das Buch leider einen politisch gefärbten, populärwissenschaftlichen Charakter. Neben Laien ist es aber auch onkologisch Tätigen und vor allem politisch Aktiven durchaus zu empfehlen.

Mit seinem hochaktuellen Buch über die „Krebsindustrie“ ist Lauterbach einer der ersten, der in Deutschland laut über die auf uns zurollende Kostenlawine aufmerksam macht. In der Tat befinden wir uns noch in der Ruhe vor dem Sturm. Die mit den ersten Zulassungen gerade anlaufenden Therapien werden sich in einigen Monaten bei den Krankenkassen bemerkbar machen und diese aufwecken. Hier sollten die Fachverbände proaktiv Diskussionen anstoßen und gemeinsam mit Politik und Krankenkassen neue Strategien entwickeln, bevor die Geldgeber Ideen entwickeln, die Betroffenen und Ärzten ebenso unethisch erscheinen, wie manche Arzneimittelpreise.

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Karl Lauterbach Die Krebs-Industrie — Wie eine Krankheit Deutschland erobert

Reinbek: Rowohlt Verlag. 2015

ISBN 978-3871347986 (Hardcover); 978-3644119512 (eBook)