Liebe Leserinnen und Leser,

das akut-auf-chronische Leberversagen (ACLF) ist ein weit verbreitetes und schwerwiegendes klinisches Syndrom, mit dem Medizinerinnen und Mediziner auf allen Versorgungsebenen konfrontiert werden können. Lange fehlte eine einheitliche Definition für die häufige klinische Beobachtung einer akuten Verschlechterung einer chronischen Lebererkrankung, die von hepatischem oder extrahepatischem Organversagen begleitet wird und eine hohe kurzfristige Letalität aufweist.

Die derzeit in Europa vorherrschende Definition des ACLF stützt sich auf die wegweisende CANONIC-Studie, die 2013 vom EASL-CLIF-Konsortium veröffentlicht wurde. Diese Definition umfasst 3 Kernaspekte: das Auftreten einer akuten Dekompensation der Leberzirrhose, das Vorliegen spezifischer Organversagen und eine hohe kurzfristige Sterblichkeitsrate. Zu den Kriterien für eine Akutdekompensation zählen klinisch manifester Aszites, eine manifeste hepatische Enzephalopathie, gastrointestinale Blutungen – sowohl varikös als auch nichtvarikös – sowie bakterielle Infektionen. Für die Feststellung der Organfunktionsstörung wurde ein Letalitätsschwellenwert von 15 % innerhalb von 28 Tagen festgelegt.

Trotz der Vielfalt seiner Auslöser, der Muster der Organversagen und der Krankheitsverläufe lassen sich beim ACLF bestimmte Schlüsselmerkmale identifizieren. Diese unterscheiden es klar vom akuten Leberversagen bei Patienten ohne vorherige Lebererkrankungen sowie von der dekompensierten Leberzirrhose ohne Organversagen. Zu diesen Merkmalen zählen neben hämodynamischen und neurohumoralen Charakteristika der dekompensierten Leberzirrhose vor allem systemische Inflammation, Immundefizienz und spezifische metabolische Veränderungen. In dieser Ausgabe diskutieren Frank Uschner und Jonel Trebicka die neuesten Entwicklungen bezüglich der Definition und des Verständnisses der Pathophysiologie des ACLF. Sie bieten zudem praktische Hinweise zum Einsatz validierter Prognosescores, die eine präzise Einschätzung des Krankheitsverlaufs in der klinischen Praxis ermöglichen.

Trotz der Vielfalt seiner Auslöser lassen sich beim ACLF bestimmte Schlüsselmerkmale identifizieren

Ein wesentlicher Erkenntnisgewinn der letzten Jahre betrifft die zentrale Rolle von Infektionen sowohl als Auslöser von Akutdekompensationen und Organversagen als auch als bedeutender Risikofaktor für die Letalität bei Leberzirrhose. Rund ein Drittel der ungeplant stationär aufgenommenen Patientinnen und Patienten mit Leberzirrhose weisen bereits bei der Aufnahme mikrobielle Infektionen auf oder entwickeln diese während des Krankenhausaufenthalts. Neben einem erhöhten Risiko für typische mit Zirrhose assoziierte Infektionen, wie spontan-bakterielle Peritonitis und Bakteriämie, kommt es auch häufig zu Infektionen der Harn- und Atemwege. Der Beitrag von Marcus M. Mücke liefert einen umfassenden Überblick über bakterielle, virale und Pilzinfektionen, die zu Akutdekompensationen und ACLF führen, und beleuchtet die Herausforderungen durch multiresistente Erreger sowie aktuelle effektive Therapie- und Prophylaxeansätze.

Im klinischen Alltag stellen extrahepatische Organversagen von Niere und Gehirn, die im Rahmen einer Akutdekompensation der Leberzirrhose auftreten, gefürchtete und prognoserelevante Komplikationen dar. Das akute Nierenversagen (AKI) und die manifeste hepatische Enzephalopathie müssen zügig und präzise diagnostiziert sowie effektiv behandelt werden. Insbesondere die Definition des hepatorenalen Syndroms Typ 1 hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. Sie ermöglicht jetzt eine frühere Diagnose und eine deutlichere Abgrenzung von anderen Ursachen des AKI wie von akuter Tubulusnekrose und Hypovolämie. Zudem wird es klar vom chronischen nichtakuten hepatorenalen Syndrom (NAKI-HRS, ehemals HRS Typ 2) unterschieden. Cristina Ripoll beleuchtet diese und andere wichtige Entwicklungen im Management des Nierenversagens bei dekompensierter Leberzirrhose in dieser Ausgabe.

Die Behandlung akuter Bewusstseinsstörungen stellt selbst erfahrene Internisten und Gastroenterologen gelegentlich vor Herausforderungen. Christian Labenz erläutert in seinem Beitrag umfassend die Besonderheiten im Management der hepatischen Enzephalopathie bei Patientinnen und Patienten mit ACLF. Er hebt dabei die Bedeutung der Überwachung, des Atemwegsmanagements, der systematischen Suche nach Auslösern und des schnellen, sicheren Ausschlusses von Differenzialdiagnosen hervor. Der Artikel bietet praxisnahe Algorithmen für die Akuttherapie und Möglichkeiten der Sekundärprophylaxe. Zudem diskutiert Labenz die Rolle der Ammoniakbestimmung im klinischen Alltag, ein zentraler Aspekt für die Diagnose und Behandlung dieser Patientengruppe.

Die hohe Letalitätsrate des ACLF führt zu intensiven Diskussionen darüber, welche kritisch kranken Patientinnen und Patienten für eine Lebertransplantation infrage kommen. Neuere Studien belegen, dass Lebertransplantationen bei ausgewählten Patienten mit Multiorganversagen prinzipiell möglich sind, vorausgesetzt, es erfolgt eine sorgfältige interdisziplinäre Bewertung des Schweregrads unter Berücksichtigung möglicher Kontraindikationen. Aufgrund der Dynamik des Krankheitsbilds besteht oft nur ein enges Zeitfenster, in dem eine Transplantation sowohl möglich als auch sicher durchführbar ist. In Großbritannien wurde daher eine Priorisierung von Patienten mit ACLF bei der Leberallokation eingeführt. Julian Allgeier und Christian Lange diskutieren in ihrem Beitrag die Möglichkeiten und Herausforderungen, die Lebertransplantation als Therapieoption bei ACLF zu nutzen.

Seit der Etablierung der Konsensusdefinition hat sich das ACLF zu einer klinisch und wissenschaftlich etablierten Entität entwickelt. Diagnose- und Therapiealgorithmen des Organversagens sind mittlerweile fest in der klinischen Praxis verankert. Die hohe Letalität dieses Krankheitsbilds macht eine präzise Erkennung von Komplikationen und kontinuierliche Überwachung unerlässlich. Zudem erfordert die Vielfalt der Auslöser und Organmanifestationen maßgeschneiderte und oft interdisziplinäre Therapieansätze.

Wir hoffen, dass Ihnen dieses Themenheft zum ACLF wertvolle Einblicke in das sich rasch entwickelnde Verständnis dieses komplexen Krankheitsbilds bietet, und wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre.

Prof. Dr. Tony Bruns

Prof. Dr. Christian Lange