Schon im vor 10 Jahren erschienen Themenheft wurden die Leukämien als Modellerkrankungen bezeichnet und mit dem Goethe-Zitat, „dass das Allgemeine im Besonderen deutlich werde“, belegt. Daran hat sich im Grundsatz nichts verändert: Besonders die neue Therapierichtung der individualisierten Tumortherapie wird bei dieser Krankheitsentität im Detail deutlich.

Leukämien kommen in allen Altersgruppen vor

Leukämien sind wegen ihrer Häufigkeit in allen Altersgruppen eine große gesellschaftliche Herausforderung. Sie dienen unverändert in der Forschung als Modell für verschiedenartige Krankheiten und haben exemplarischen Charakter in der Versorgung.

Nach einer Erhebung des Robert-Koch-Instituts erkranken in Deutschland jährlich etwa 11.400 Menschen an einer Leukämie. Bei etwa einem Drittel von ihnen liegt die chronische lymphatische Leukämie (CLL), bei einem Viertel die akute myeloische Leukämie (AML) vor. Bei Einbeziehung der verwandten myelodysplastischen Syndrome (MDS) und der chronischen myeloproliferativen Neoplasien (CMPN) liegt die Neuerkrankungsrate bei etwa 20.000 Personen pro Jahr. Da das Auftreten mit dem Alter deutlich zunimmt, wird durch die Verschiebung der Alterspyramide der Bevölkerung in Richtung auf ein höheres Lebensalter und durch die jüngsten Therapieerfolge die Prävalenz der Leukämiepatienten in den kommenden Jahren steigen.

Systematische Therapieoptimierungsstudien begannen in den 1980er Jahren mit der Gründung von Studiengruppen für die AML, die akute lymphatische Leukämie (ALL) und die chronische myeloische Leukämie (CML), die damals aus Bundesmitteln gefördert wurden. Diese akademischen Studiengruppen haben während der vergangenen 30 Jahre wesentlich zur Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung und zur Förderung einer innovativen, interdisziplinären Leukämieforschung beigetragen. Umfangreiche Begleitforschungsprogramme haben das Verständnis über die Biologie der Leukämien verbessert. Gerade durch diese Studien hat Deutschland in der Welt eine führende Position auf dem Gebiet der Hämatologie erlangt. Die Novellierung des Arzneimittelgesetzes im Jahre 2004 hat die Durchführung von industrieunabhängigen Therapiestudien und somit diese wichtige standardisierte Qualitätskontrolle der klinischen Forschung leider erheblich erschwert und indirekt industrieinitiierte Studien gefördert.

Meilensteine der kooperativen klinischen Forschung in Deutschland und Europa waren die Etablierung des Kompetenznetzes „Akute und chronische Leukämien“ im Jahre 1999 und die Gründung des European LeukemiaNet im Januar 2004.

Leukämien dienen als Modell für neoplastische, genetische und infektiöse Erkrankungen

Leukämien dienen als Modell für eine Vielzahl anderer Krankheiten, wie neoplastische, genetische und infektiöse Erkrankungen. So stellen sie Modelle für initial disseminierte Erkrankungen dar, die allein mit Chemotherapie heilbar sind. In Bezug auf unser Pathogeneseverständnis, die Entwicklung innovativer Therapieansätze und neuer diagnostischer Verfahren wurde Pionierarbeit geleistet. Beispiel hierfür ist die CML als erste neoplastische Erkrankung, die mit einem erworbenen Chromosomendefekt (Philadelphia-Chromosom) assoziiert wurde, und mittlerweile die molekular am besten charakterisierte und therapierbare maligne Erkrankung darstellt. 88% der mit Imatinib behandelten Patienten sind nach 8 Jahren noch am Leben. Die Progressionsrate der Erkrankung und die Geschwindigkeit molekularer Remissionen konnte durch die Zweitgenerationsinhibitoren Nilotinib und Dasatinib weiter verbessert werden, sodass heute im Rahmen klinischer Studien das Ziel der Heilung untersucht wird. Klar definierte zeitabhängige Meilensteine des Ansprechens erleichtern die Auswahl der optimalen Therapieoption.

Auf individuelle molekulare Ziele der jeweiligen Tumorerkrankung ausgerichtete Therapien fanden nicht nur Eingang in die Routinebehandlung hämatologischer Erkrankungen. Auch bei soliden Tumoren konnten durch eine verbesserte Erkenntnis der essenziellen Signalwege der Tumorzellen wirksame Medikamente entwickelt und gezielt eingesetzt werden.

Das vorliegende Schwerpunktheft zeichnet die oben beschriebene Entwicklung bei Leukämien, Myelodysplasien und CMPN nach und fasst den neuesten Stand der biologischen, diagnostischen und therapeutischen Kenntnisse bei diesen Erkrankungen zusammen. Die Arbeitsgruppen aus München, Mannheim, Köln, Frankfurt, Dresden und Jena geben dem Leser einen umfassenden Überblick über aktuelle Daten und Entwicklungen.

So wird einerseits das allgemeine Prinzip der individualisierten Therapie in der Besonderheit der malignen hämatologischen Systemerkrankungen deutlich, andererseits aber auch die Dynamik in der Erforschung und deren Erfolge in der Bekämpfung der Leukämien erkennbar. Leukämien werden auch in den nächsten Jahrzehnten Modellerkrankungen für die Fortschritte in der Onkologie bleiben.

A. Hochhaus

Für die Herausgeber des Schwerpunkthefts

K. Höffken

Für die Herausgeber