Die Psychotherapie in Österreich sieht sich mit Veränderungen in den Ausbildungsstrukturen konfrontiert. In Österreich soll das Psychotherapiegesetz nach über 30 Jahren neu geregelt werden. Die damit einhergehenden Veränderungen nehmen wir zum Anlass für ein Schwerpunktheft zum Thema Ausbildungsforschung. Nachdem die Mehrheit der fachspezifischen Ausbildungseinrichtungen in Österreich bereits über zwei Jahrzehnte mit der Kooperation mit Universitäten Erfahrung gesammelt hatte, stellten sich die Herausgeberinnen die Frage, welchen Niederschlag diese Zusammenarbeit in der Ausbildungsforschung gefunden hat und mussten feststellen, dass diese immer noch ein Stiefkind der Forschung zu sein scheint. Es gibt viele Themenfelder innerhalb der Psychotherapieausbildung, in denen die Ausbildungsforschung noch ausbaufähig ist. Die Beiträge dieses Heftes zeigen die Leer- und Schwachstellen als auch die Verbesserungspotenziale der Psychotherapieausbildung auf und können daher besonders auch für die Verantwortlichen der Ausbildung als Anregung dienen.

Natalie Eller und Mathias Berg widmen sich in ihrem Artikel – „Schwer erreichbare psychisch erkrankte Menschen und deren psychotherapeutische Versorgung. Möglichkeiten der Psychotherapieausbildung im Abbau von Zugangsbarrieren zur ambulanten Psychotherapie von hard to reach Klient:innen“ – der mangelnden psychotherapeutischen Versorgung dieser speziellen Zielgruppe. Mit diesem Terminus werden Menschen beschrieben, die neben sozialen und sozioökonomischen Schwierigkeiten oft auch von psychischen Störungen betroffen, aber psychotherapeutisch unzureichend versorgt sind. Präsentiert werden Argumente für eine notwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit und verstärkte Beachtung der Kontextbedingungen im Bereich der Psychotherapie. Die daraus abgeleiteten Konsequenzen für eine notwendige Veränderung der Ausbildungswege sind folgerichtig und überzeugend.

In ihrem Beitrag „Psychotherapie – zwischen Gesetz und Unmöglichkeit“ versuchen Marie-Theres Haas und Anatol Mölle eine Verbindung zwischen dem aktuellen Status quo des Psychotherapiegesetzes und einer geplanten Novellierung herzustellen. Als einen Kristallisationspunkt der Diskussion greifen sie die Frage nach der Bedeutung des Lebensalters heraus und argumentieren als positive Aspekte der voraussichtlichen Senkung des Lebensalters durch die Konzeptionierung als Direktstudium die Offenheit und Neugierde dieser Gruppe der „Emerging Adults“ und plädieren für mehr Generationsdiversität.

Der Artikel von Gisela Grünewald-Zemsch – „Die psychoanalytische Ausbildungssupervision – zwischen institutioneller Undurchsichtigkeit, analytischer Neugier und generativem Impuls“ – adressiert ein wichtiges, bisher wenig berücksichtigtes Thema in der psychotherapeutischen Ausbildung. Anhand einer verdichteten Fallvignette beschreibt sie die komplexe Beziehungsmatrix zwischen Supervisand:in, Supervisor:in, Patien:in und Ausbildungsinstitut. Die Autorin plädiert für mehr Forschung über die Ausbildungsbeziehung und eine supervisionsspezifische Weiterbildung der Lehranalytiker:innen in der auch die Dynamik des Ausbildungsinstituts reflektiert und besprochen wird.

Paolo Raile zeichnet in seinem Beitrag – „Die historische Entwicklung der Psychotherapiewissenschaft im Kontext der Gesetzwerdung im deutschsprachigen Raum“ – nach und zeigt auf, welche Auswirkungen die unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen auf die Entwicklung der Psychotherapie haben. Während in Deutschland und (tw.) in der Schweiz die Dominanz des naturwissenschaftlich-positivistischen Paradigmas eindeutig nachgezeichnet werden kann, ist die Situation in Österreich derzeit noch offener. Er setzt sich dafür ein, dass die Forderungen des aktuellen Positionspapiers der Interessensvertretungen bei der Neukonzeption des Psychotherapiegesetzes berücksichtig werden, um die Methodenvielfalt auch zukünftig sicherzustellen.

Ausgehend von vier qualitativen Studien analysieren Brigitte Schigl und Corinna Ahlers die Genderkompetenz und das Genderbewusstsein von österreichischen Psychotherapeut:innen. Die Autorinnen kommen zum Schluss, dass Psychotherapeut:innen der fachspezifischen Ausrichtungen Integrative und Systemische Therapie – in ihrem Denken tendenziell in einer traditionellen heterosexuellen Matrix verhaftet sind. Es braucht Lehrende, die erkennen, welche Themen und Dynamiken im therapeutischen Prozess gender-konnotiert sind und auch das eigene Doing Gender in den Blick nehmen und Gender insgesamt als Querschnittsmaterie und Analysekategorie wahr- und aufnehmen.

Adalet Akgün, Roxane Forghani, Jutta Fiegl und Elitsa Tilkidzhieva beschreiben anhand einer explorativen Querschnittstudie im Mixed Method Design Auswirkungen der Online-Lehre auf die Psychotherapieausbildung, wie sie durch den Ausbruch der COVID-19 Pandemie notwendig wurde. Die Anpassung an das neue Format benötigte für Lehrende und Lernende eine gewisse Zeit, wenn diese didaktische und persönliche Anpassung gelungen ist, konnten auch Vorteile des Online-Angebots (insbesondere für berufstätige Personen) ausgemacht werden. Für Personen, bei denen der Beginn der Ausbildung in die Pandemie gefallen ist, war die Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls sehr schwierig. Insgesamt deutet die Studie darauf hin, dass der Präsenzmodus über weite Strecken für die Psychotherapieausbildung unerlässlich ist.

Henriette Löffler-Stastka, Martin Lugsch und Martin Aigner beschreiben in ihrem Artikel die Entwicklung der psychotherapeutischen Medizin innerhalb der ärztlich-psychiatrischen Fachärzt:innen-Ausbildung. Reflexionen der therapeutischen Beziehung, interaktionelle Dynamiken und der adäquate Einsatz von psychotherapeutischen Interventionen werden in den Ausbildungsalltag von der Visite bis hin zum psychotherapeutischen Setting beachtet und fördern eine kontinuierliche Entwicklung der Assistenzärzt:innen in Richtung einer umfassenden bio-psycho-sozialen Ausrichtung mit verschiedenen psychotherapeutisch-methodischen Schwerpunktsetzungen. Die konsequente Integration einer psychotherapeutischen Perspektive in den Ausbildungsalltag stellt neue didaktische und organisatorische Herausforderungen dar.

Michaela Badegruber und Bettina Leibetseder präsentieren die Ergebnisse der Evaluierung eines personenzentrierten Lehrgangs für psychotherapeutischer Medizin an der Kepler Universitätsklinik Linz. Die Autorinnen kommen zum Schluss, dass die Ausbildungsziele und Handlungskompetenzen entsprechend der ÖAK-Diplomrichtlinien erfüllt werden. Im Vergleich zur personenzentrierten Psychotherapieausbildung wird jedoch eine niedrigere Taxonomiestufe erreicht, d. h. dass die Praxis der psychotherapeutischen Medizin ein höher entwickeltes Fachwissen und Fähigkeit zur eigenständigen Theoriebildung benötigt.

Die Originalarbeiten werden durch zum Themenschwerpunkt passende Buchrezensionen ergänzt. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Doris Beneder und Céline Dörflinger

Verantwortliche Editorinnen in Chief für die Doppelausgabe „Psychotherapie – Ausbildung“