Unser Gesundheitssystem steht vor enormen Herausforderungen. Allein durch die demografische Entwicklung wächst der Behandlungsbedarf erheblich. Gleichzeitig steigen die Möglichkeiten, durch aufwendige Therapien die Grenzen der Behandelbarkeit von Krankheiten weiter hinauszuschieben.

Die Kosten dafür aufzubringen, wird immer schwieriger. Und was noch sehr viel schwerer wiegt, ist der zunehmend spürbare Mangel an Fachkräften, um qualifizierte Gesundheitsversorgung zu erbringen.

Die internistische Intensivmedizin ist in besonderer Weise von diesen Entwicklungen betroffen. Gleichzeitig kommt ihr eine Vorreiterrolle bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu. Allein die Verlagerung von Gesundheitsversorgung in den ambulanten Bereich wird den Anteil der Intensivmedizin an der stationären Versorgung wachsen lassen.

Die Notwendigkeit, in der internistischen Intensivmedizin spezialisiertes Fachwissen aus unterschiedlichen Bereichen der Inneren Medizin mit der Kompetenz für die Versorgung kritischer Krankheitsphasen bis hin zum temporären Ersatz mehrerer Organe zu bündeln, bedeutet eine enorme Herausforderung. Dabei gilt es in besonderer Weise, die Perspektiven der Patientinnen und Patienten im Kontext von Krankheitshistorie und individueller Prognose jederzeit im Blick zu behalten. Schon heute sind internistische Intensivstationen und Notaufnahmen in der Regel die thematisch breitesten und interdisziplinärsten Bereiche von Kliniken.

Durch die demografische Entwicklung wächst der Behandlungsbedarf erheblich

Das Motto des diesjährigen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensiv- und Notfallmedizin (DGIIN) „360° – ein Rundumblick“ soll diese zentrale Rolle der internistischen Intensivmedizin, quasi im Mittelpunkt eines Versorgungskreises, ebenso widerspiegeln wie die Notwendigkeit, „rundum“ Erfordernisse und Entwicklungen zu erfassen und innovative Konzepte zu erarbeiten. Die Beiträge, die Kolleginnen und Kollegen im Vorfeld des Kongresses für dieses Heft erstellt haben, beleuchten diese Zusammenhänge an ausgesuchten Beispielen. (Abb. 1).

Abb. 1
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Alle Beiträge der Kongressausgabe auf einen Blick

Die traditionelle Organisation eines Kongressprogramms in organspezifische thematische Schwerpunkte ist hilfreich, um den aktuellen Kenntnisstand systematisch darzustellen. Sie darf aber nicht zu der Annahme verleiten, dass sich die Herausforderungen der internistischen Intensivmedizin vor allem über Spezialisierung angehen lassen. Auch für die immer notwendige Einordung über Subspezialitäten hinweg soll „360° – ein Rundumblick“ stehen. Gerade die Interaktion zwischen verschiedenen Organen und physiologischen Systemen ist vielfach in ihren Grundlagen noch unzureichend verstanden.

Die akute Nierenfunktionseinschränkung bis hin zum Nierenversagen stellt dafür eines von vielen Beispielen dar, zu dem T. Mayerhöfer et al. den aktuellen Kenntnisstand zusammenfassen. Exemplarisch diskutieren sie die Bedeutung von Biomarkern für die Früherkennung von Schäden und deren Potenzial für die Therapieoptimierung.

Die Erweiterung der notfallmedizinischen Möglichkeiten mit der Akutanlage der venoarteriellen extrakorporalen Membranoxygenierung (va-ECMO) bei einem refraktären Kreislaufstillstand stellt ein konkretes Beispiel dar für die zunehmenden technischen Möglichkeiten und die logistischen Herausforderungen der Umsetzung. Kruse et al. diskutieren diese Optionen kritisch abwägend auf der Basis der bislang vorhandenen wissenschaftlichen Evidenz.

Klinische Forschung ist unverzichtbar, um die Erfüllung des Versorgungsauftrags der internistischen Intensiv- und Notfallmedizin kontinuierlich zu optimieren. Anders als andere Teilgebiete der Inneren Medizin ist die Intensivmedizin weniger durch zell- und molekularbiologisch ausgerichtete translational experimentelle Forschung im Sinne von „bench to beside“ und umgekehrt geprägt.

Umso wichtiger erscheint es, die beginnende Entwicklung im Bereich der „data science“ nicht zu verpassen. In kaum einem anderen Versorgungsbereich werden so viele granuläre Daten über Patienten gesammelt, in denen das Potenzial steckt, Zusammenhänge besser zu verstehen, Verläufe zuverlässig vorherzusagen und die Therapie damit zu optimieren. J.H. Hardenberg erläutert in seinem Beitrag, dass die Zusammenarbeit über Klinikgrenzen hinweg dabei von großer Bedeutung ist, weil nur so Datensätze von ausreichender Größe und Diversität entstehen können. Voraussetzung dafür sind kompatible Datenstrukturen und natürlich die Gewährleistung des Datenschutzes mit einer Minimierung von Reidentifikationsrisiken.

Die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit über Klinikgrenzen hinweg gilt gleichermaßen für Therapiestudien und wird ebenfalls auf der Jahrestagung adressiert werden.

Neben der Interdisziplinarität ist die Interprofessionalität in der Intensiv- und Notfallmedizin obligat und heute schon weiterentwickelt, als in vielen anderen Versorgungsbereichen. Dennoch haben wir auch diesbezüglich noch einen weiten Weg vor uns. N. Weeverink, M. Höwler, und M. Eicher runden die Serie der Beiträge in diesem Kongressheft mit ihrem Artikel zur Dynamik des Wandels von intensivmedizinischen Teamstrukturen ab. Ihr Beitrag reflektiert damit auch die Entwicklung des DGIIN-Kongresses hin zu einer interprofessionellen Tagung, in der auch die Strukturfragen der internistischen Intensivmedizin umfassend thematisiert werden.

Wir danken allen Autorinnen und Autoren für ihre Unterstützung und hoffen, dass wir gemeinsam dem Motto „360° – ein Rundumblick“ gerecht werden.

Prof. K.-U. Eckardt

N. Weeverink, BA