1 Einleitung

Eine Befassung mit der Digitalisierung von Arbeit kommt kaum an der Frage vorbei, wie sich mit zunehmender Verbreitung digitaler Arbeitsmittel und Tools Anforderungen an das Wissen und Können der Beschäftigten verändern. Im Feld der betrieblichen Bildung zeichnen Umbach et al. (2020) für die digitalisierte Arbeit im Handel und in der Logistik nach, wie sich Arbeitstätigkeiten verändern. Sie arbeiten heraus, dass sich mit diesen Veränderungen die Inanspruchnahme der für die Kompetenzentwicklung bedeutsamen innerpsychischen Ebenen der Handlungsregulation verschiebt und bezeichnen dies als Kompetenzverschiebungen. Kompetenzverschiebungen ließen sich in organisationaler Hinsicht jedoch auch fassen als eine Verschiebung von Kompetenzanforderungen und ‑entwicklungsmöglichkeiten zwischen einzelnen Funktionen und Stellen im Betrieb. Diesem Schwerpunkt geht die nachfolgend vorgestellte Analyse nach.

Die großen Szenarien im Hinblick auf eindeutige Veränderungen in der Qualifikationsstruktur bezogen auf ein Automatisierungs-, Werkzeug- oder Hybridszenario (Ahrens und Spöttl 2018; Elsholz und Thomas 2021) können hier nicht beantwortet werden. Es steht sogar zu vermuten, dass die konkreten Digitalisierungen in den Unternehmen sehr viel uneindeutiger und widersprüchlicher wirken als die genannten Szenarien suggerieren.

Insofern beschreiben die folgenden Ausführungen vielmehr am konkreten Fall die Folgen der Einführung eines Manufacturing Execution System (MES) und zielen ausdrücklich nicht auf vorschnelle Verallgemeinerungen.

Die vorgestellte Fallskizze beschäftigt sich mit der Implementierung eines MES, das Leistungsdaten von Maschinen und Anlagen in ein ERP-System einspeist (vgl. Kletti 2007). Wie sich im Zuge der Einführung dieses Systems die Arbeit und damit verbunden Kompetenzanforderungen an den betroffenen Stellen verändern, wurde mit Hilfe von Leitfadeninterviews, die mit Maschinenführern, Verantwortlichen für die Montage und die Instandhaltung sowie dem Produktionsmanagement geführt wurden, erfasst. Ergänzt wurde die Datenerhebung durch Beobachtungen, die im Rahmen von Betriebsbegehungen gewonnen wurden, sowie aus der Projekt-Dokumentation, die vom KILPaD-Projektmitarbeiter des Unternehmens angefertigt wurde.

2 Fallprofil: MES in der mittelständischen Serienproduktion

2.1 Betriebliche Rahmenbedingungen

Die nass magnet GmbH stellt Steuerungsventile für den Fahrzeug- und Anlagenbau her, die entsprechend den Kundenspezifikationen entwickelt, pilotiert und in Serie gefertigt werden. Das Unternehmen verfügt über eine große Fertigungstiefe: es produziert die metallischen Ventilkörper und Ankerführungen ebenso wie die im Kunststoffspritzguss gefertigten Ventilgehäuse selbst. Aus beiden Vorprodukten entsteht im Montagebereich das Endprodukt.

Entsprechend dieser Konstellation differenziert sich die Produktion in die Bereiche Teilezentrum (Dreherei), Kunststoff-Center (Kunststoffspritzguss) und Montage aus. Im Rahmen des Projekts KILPaD wurden ausgewählte Maschinen und Anlagen mit einem unternehmensintern entwickelten MES ausgestattet. Die Entscheidung zur Einführung eines MES wurde getroffen, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu sichern und damit den „Anschluss an die notwendige Digitalisierung nicht zu verlieren“, was in der Projektdokumentation in Bezug auf die Ziele des Vorhabens schlagwortartig festgehalten und mit der „Große[n] Überschrift ‚Industrie 4.0‘“ in Verbindung gebracht wurde. Angestrebt wird in diesem Zusammenhang die weitgehende Onlinefähigkeit des Maschinenparks mit dem Ziel, aktuelle Daten über den Zustand von Maschinen und Anlagen in der Produktion transparent sowie orts- und zeitunabhängig darstellen zu können. Dies dient insbesondere auch dem Ziel, Stillstandszeiten zu optimieren, die Produktivität zu steigern und damit zur Standortsicherung beizutragen.

Bei der Einführung eines MES kann zwischen einer Greenfield- und einer Brownfieldumgebung unterschieden werden (Cottyn 2012). Eine Greenfield-Umgebung umfasst neue Anlagen, bei denen das MES bereits in der Konstruktion mitberücksichtigt wurde. Eine Brownfield-Umgebung hingegen umfasst bereits bestehende Anlagen mit unterschiedlichen Baujahren sowie Anlagen, bei denen zum Zeitpunkt ihrer Konstruktion kein MES berücksichtigt wurde. Es handelt sich hier um zwei völlig unterschiedliche Ansätze, was sich bei der Umsetzung stark bemerkbar macht.

Aufgrund der bei nass magnet erforderlichen Nachrüstung bestehender Maschinen und Anlagen wird hier ein Brownfield-Ansatz beschritten. Dabei sind die Aufwände in Zeit und Budget im Vergleich zu Neuentwicklungen erheblich umfangreicher, u. a. weil die Umsetzung auf technische Schwierigkeiten stößt, die betriebs- bzw. anlagenbezogene Lösungen erfordern. Diese wurden im Falle von nass magnet im Zusammenspiel der Abteilungen Instandhaltung, Prozessentwicklung und IT entwickelt und implementiert. Das Ergebnis wird nachfolgend in seinen wesentlichen Grundzügen charakterisiert. Abb. 1 zeigt beispielhaft eine der im Zuge des Projekts umgerüsteten Anlagen.

Abb. 1
figure 1

Montageanlage mit MES-Oberfläche. (Foto: Maximilian Locher)

2.2 Zentrale Charakteristika des MES bei nass magnet

Im Zuge des Projekts KILPaD konnten insgesamt 17 Anlagen (drei im Teilezentrum, 14 in der Montage) über das MES an das bereits vorhandene ERP-System (Enterprise Resource Planning) angebunden werden. Der Großteil der so ausgestatteten Anlagen befindet sich somit im Montagebereich, der durch den internen Anlagenbau mit automatisierten Produktionsanlagen ausgerüstet wird. Die Anlagen bestehen aus zahlreichen, sequentiell angeordneten Fertigungsstationen, an denen jeweils spezifische Arbeitsschritte verrichtet werden.

Um das MES einzurichten, waren entsprechend des Brownfield-Ansatzes Eingriffe in die Steuerungstechnik der bereits bestehenden einzelnen Stationen notwendig. Diese senden nun ausgewählte Produktionsdaten an das ERP-System. Abb. 2 zeigt exemplarisch die Übersicht einer Bedienoberfläche. Diese ist sowohl als Desktopvariante an PC-Arbeitsplätzen als auch an den Maschinen sowie an Flachbildschirmen, die an sogenannten Info-Points in jedem Produktionsbereich eingerichtet wurden, aufrufbar. Damit werden relevante Produktionsdaten unternehmensweit transparent gemacht.

„das ist aber auch das, wo wir jetzt als Unternehmen hinwollen, weil die Geschäftsführung möchte da immer mehr Transparenz haben.“ (Produktionsmanagement)

Abb. 2
figure 2

Bedienoberfläche mit Übersicht über Stationen einer Montageanlage. (Bild: nass magnet GmbH)

Die hier abgebildete Übersicht zeigt die einzelnen Stationen einer ausgewählten Anlage. Über die Menüführung können die einzelnen Stationen angesteuert werden, um sich über den Zustand der Station zu informieren. Auch Prüfergebnisse, Teiledaten und Sollwerte können hier abgerufen werden (Abb. 2).

Während maschinenbezogene Einstell- bzw. Rüstdaten nicht übertragen werden, bucht das MES die produzierten Mengen (Gutteile) sowie den entstandenen Ausschuss (Schlechtteile) direkt ins ERP-System ein. Allerdings ist das System momentan noch anfällig für Fehlbuchungen, insbesondere wenn es zu kurzzeitigen Stromausfällen kommt. Ansätze, solche Fehler technisch zu beheben, werden gegenwärtig eruiert.

Neben den Mengen an Gut- und Schlechtteilen erfasst das System automatisch Stillstandzeiten, die beispielsweise aus Rüstzeiten und Störungen resultieren, sowie auch, an welchen Stationen in der Produktionsanlage diese entstehen:

„Und jetzt ist es ja so, dass wir bei Maschinenstillstand wirklich ne Gliederung haben, welche Stationen zu der Störung geführt haben. Das wiederum muss ja der Mitarbeiter nicht selber machen, das macht ja die Anlage. Die meldet ja gleich selber: die Station 400 hat jetzt die Störung.“ (Produktionsmanagement)

Zudem zeigt das System auch ausgewählte Störgründe an, die von den Maschinenbediener:innen quittiert und ggf. auch korrigiert werden können (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Arbeitsplatzbezogene Anzeige von Verlustzeiten und –gründen. (Bild: nass magnet GmbH)

Allerdings stößt das Detektieren von Störgründen durch eingebaute Sensorik insbesondere da an steuerungstechnische Grenzen, wo schnelle Taktzeiten auftreten. Daher werden konkrete Störgründe oft indirekt über Ausschuss- und Störungskennzahlen ermittelt.

„Also: Wir produzieren, ich sag mal, alle 3–4 Sekunden ein Teil. In 3–4 Sekunden das steuerungstechnisch zu überwachen, ob ein Zylinder langsamer oder schneller geworden ist? NICHT! Aber natürlich aufgrund von Überwachung der Ausschusskennzahl und auch der Kennzahlen der Störung, ist natürlich festzustellen, dass an dieser Station irgendwas faul ist, was betrachtet werden muss.“ (Instandhaltungsmanagement)

Somit werden mit dem neuen MES auf unterschiedliche Weise Parameter ermittelt, die wiederum zu aussagekräftigen Kennzahlen aggregiert werden. Störungen und Stillstandzeiten werden erfasst und mit der theoretisch möglichen Maschinenverfügbarkeit ins Verhältnis gesetzt, wodurch die reale Verfügbarkeit ermittelt wird. Der automatisch erfasste Output der Anlage gibt Aufschluss über deren Produktivität und der Ausschuss weist auf die Qualitätsaspekte hin. Diese Daten werden zu einem zentralen Kennwert, der Overall Equipment Efficency (OEE) aggregiert (Abb. 4):

„Das heißt, wenn ich jetzt sehe – ich weiß nicht: OEE, ob Ihnen das was sagst? Das ist 'ne Kennzahl für die Produktion, die Overall Equipment Efficiency – heißt das, wo wir dann sehen: Wie effizient sind wir? Wie sind die Verfügbarkeit, Leistungen und Qualität der Anlage? (mmh) und da kann ich jetzt im ERP drauf gehen.“ (Produktionsmanagement)

Abb. 4
figure 4

OEE-Kennzahlen und Kennwertanzeige. (Bild: nass magnet GmbH)

Insbesondere bei komplexen Anlagen im Montagebereich, in denen viele Stationen in Fertigungslinien hintereinanderstehen, entstehen anfangs bei der Ermittlung der OEE wenig aussagekräftige OEE-Werte. Dies ist darin begründet, dass die Störung einer Station von den nachfolgenden nicht als Folgefehler, sondern als eigenständiger Fehler registriert und damit der Störungsgrad der Anlage in die Höhe getrieben wird. Daran wird zudem deutlich, dass die OEE-Auswertung von Anlage zu Anlage sowie von Bereich zu Bereich unterschiedlich betrachtet werden muss. Denn ein und derselbe OEE-Kennwert kann für den Bereich „Teilezentrum“ hervorragend sein, sich im Bereich Montage jedoch als mittelmäßig oder sogar unterdurchschnittlich erweisen. Dennoch hilft die OEE-Auswertung grundsätzlich dabei Wartungen aber auch die Auftragsabarbeitung bzw. Maschinenbelegung zu planen.

3 Arbeit mit dem MES

3.1 Auswirkungen auf operativer Ebene

Die konkreten Auswirkungen der Einführung des MES zeigen sich auf der Ebene der operativen Umsetzung eher in Form kleinerer Veränderungen.

„Die größte Veränderung? (.) Ja, wie gesagt: ich kann halt jetzt, äh, mehrere Daten einsehen, die spezifisch bei, zum Beispiel der Prüfung, anfallen. Und dadurch halt eine schnellere Fehlermeldung erzielen.“  (Maschinenbediener)

Der Werker schätzt das MES als Arbeitserleichterung, weil lästige Tätigkeiten wie das Zählen von Gut- und Schlechtteilen ihm nun von der Technik abgenommen werden

„Genau, ganz genau. Also ich muss jetzt nicht mehr zur Waage rennen und die Teile abwiegen, oder. Das System gibt mir halt vor. Ach so und auch zum Beispiel, sag ich jetzt mal bei dieser Anlage, seh‘ ich dann halt, welche Schlechtteile das sind. Also sprich Funktionsmaße oder Eindrucktiefe oder je nachdem, wie die Bezeichnung also heißt. Und wenn wir die Teile als Ausschuss buchen, dann geben wir das ja auch im System an. Also so und so viele Teile jetzt meinetwegen beim Funktionsmaß und so viele Teile bei Dichtigkeit usw. Und somit muss ich das halt nicht mehr trennen und alle – ich nehm‘ halt die Werte und gehe damit dann halt buchen.“ (Maschinenbediener)

Damit zielt das MES auf operativer Ebene darauf, Tätigkeiten des Registrierens und Dokumentierens von Sachverhalten zu automatisieren, die wenig kreative Momente beinhalten. Eine aktive Auseinandersetzung mit den Daten ist eher ein fakultativer Tätigkeitsbestandteil.

Ebenfalls positiv wird gesehen, dass durch das MES Störungen und Fehler detaillierter angezeigt werden als zuvor, was die Ursachenforschung in Zusammenarbeit mit der Instandhaltung erleichtert und dazu führt, dass ein Problem schneller und zielführender gelöst werden kann. Somit kann die eigentliche Arbeit effizienter ausgeführt werden. Diese Art der Arbeitserleichterung adressiert problemlösende Tätigkeiten und verringert mitunter die Anforderungen, die die Ursachensuche an die Werker:innen stellt.

Im Instandhaltungsbereich gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Instandhalter:innen mit dem MES Möglichkeiten erhalten, ihre Tätigkeiten eigenständiger als zuvor auszuüben, weil hilfreiche Daten und Informationen durch das System bereitgestellt werden. Der Instandhaltungsmanager beschreibt dies so:

„Die Mitarbeiter, denen werden viele Entscheidungen, die sie vorher bei mir angefragt haben, quasi abgenommen. Also viele Sachen, die sie früher vom Hintergrundwissen her nicht wussten oder nicht wissen können, sind jetzt im System abgelegt. Und somit können sie eigenständiger arbeiten und eigenständiger entscheiden.“

Diese neuen Handlungsspielräume ergeben sich dadurch, dass Störungen digital dokumentiert werden und sozusagen als Handlungshilfen und Hintergrundwissen in aktuellen Störsituationen herangezogen werden können:

„dann ist für die natürlich auch klar über die Historie der alten Störungen, die es dort gibt, über die Behebungshistorie und die sind hier so abgelegt. Das da schon gegebenenfalls Maßnahmen eingeleitet wurden, früher überprüft wurden, natürlich das erst. Und es hat so einen Leitfaden, wo man sich lang repariert, sagen wir jetzt einfach mal und dann am Ende natürlich einfach die Wirksamkeit überprüfen kann.“ (Instandhaltungsmanagement)

Auch hier wird der Wechsel ins Digitale positiv aufgenommen, weil die Instandhaltungsaufträge durch digital abgelegte Störgründe zielgerechter abgearbeitet werden können. Das Problem ist bereits eingegrenzt und eine langwierige Beobachtung der gestörten Anlage entfällt daher. Zwar arbeitet man weiterhin eng mit dem Anlagenführer zusammen, der die Datenlage idealerweise durch seine Beobachtungen zu Störungen ergänzt:

„das ist immer noch genauso wichtig, würde ich sagen, weil der Instandhaltungsmitarbeiter den Fehler ja nicht live sieht und somit ist die Beschreibung des Fehlers natürlich genauso wichtig wie das System, was die Steuermeldung mitloggt.“ (Instandhaltungsmanagement)

Jedoch verkürzt sich der Aufenthalt an den Anlagen auch dadurch, dass die Überprüfung der Wirksamkeit der gefundenen Lösung der automatischen Datenerfassung durch das MES überlassen werden kann.

Die Instandhaltungsarbeit wird mit dem MES folglich effizienter, was jedoch nicht bedeutet, dass weniger Instandhalter:innen benötigt werden. Vielmehr scheint die Arbeit dadurch umfangreicher zu werden, dass Störungen behoben werden können, die zuvor nicht erfassbar waren.

Insgesamt gesehen verändert sich die Tätigkeit in der operativen Instandhaltung dahin gehend, dass mehr Spielräume für eigenständiges Handeln sowie neuartige Problemstellungen entstehen und weniger unproduktive Arbeitszeiten anfallen.

3.2 Auswirkungen auf Managementebene

Auf Ebene des mittleren Managements in der Produktion bzw. in der Instandhaltung ist das MES ein Werkzeug zur strategischen Steuerung dieser Bereiche. Die Tätigkeit der Führungskräfte verändert sich insofern, als mithilfe des MES neue Formen von Analysen möglich werden:

„Vorher konnte man das gar nicht so in dieser Tiefe machen, weil wir das System einfach nicht hatten: Wir hatten gar nicht diese Daten.“ (Produktionsmanagement)

Man kann anhand der Daten, die das MES liefert

„mehr ins Detail gehen und sagen: woran liegt es? Wie können wir den Fehler abstellen – kurzfristig, langfristig? Woran liegt das überhaupt, dass der Fehler entsteht. Damit beschäftige ich mich halt.“ (Abteilungsleitung Montage)

Auch im Instandhaltungsmanagement wird eine Veränderung der Arbeit wahrgenommen. Denn

„man hat auch ganz andere Aufgaben dadurch, wenn man Störungen sieht, die man früher nie gesehen hat. Man hat früher nie in die Leistung der Anlagen so Einblick gehabt wie jetzt.“

Die mit den detaillierteren Daten verbundenen Anforderungen der Datenanalyse werden von keinem der Gesprächspartner als problematisch empfunden. Dies mag einerseits dem Umstand geschuldet sein, dass sie durchweg über eine höhere berufliche oder auch akademische Qualifikation verfügen und entsprechende Kompetenzen mitbringen. Andererseits scheint die Arbeit mit den Daten keinen deutlich spürbaren zusätzlichen Aufwand zu verursachen, weil die Automatismen der Datengenerierung und ‑analyse von registrierenden Tätigkeiten und händischen Rechenoperationen entlasten. Hier werden Kapazitäten freigespielt, um in komplexere Analysetätigkeiten und kreatives Problemlösen eintreten zu können. Dies erfolgt u. a. auch gemeinsam im Leitungsteam des Produktionsbereichs, wenn die Abteilungsleiter in regelmäßigen Besprechungen auffällige Daten vorstellen und erörtern. Dieses gemeinsame Arbeiten mit den Daten wird als bereichernd wahrgenommen, denn „man kommt schneller auf eine Lösung. Eine Vorgehensweise wie man das Ganze optimieren kann“  (Abteilungsleitung Montage).  Diese neue strategische Ausrichtung des Produktionsbereichs ist von der Unternehmensleitung so gewünscht und somit wesentlicher Bestandteil der Arbeitstätigkeiten auf diesem Niveau.

Abgesehen von den geschilderten Veränderungen auf der Sachebene stellt das MES neue Anforderungen auf der sozialen Ebene, insbesondere im Bereich der Mitarbeiterführung. Als vorteilhaft wird in diesem Zusammenhang gesehen, dass man nicht mehr darauf angewiesen ist, beispielsweise beim Schichtwechsel im persönlichen Austausch mit den Beschäftigten über den Zustand der Anlagen informiert zu werden (was teilweise problematisch war, da bspw. der Mitarbeiter aus der Nachtschicht gar nicht mehr vor Ort war). Somit verringert sich einerseits der soziale Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:innen, weil die objektivierten Messwerte Nachfragen obsolet machen. Andererseits können Vorgesetzte die Mitarbeiter:innen gezielter und problemorientierter als zuvor ansprechen, weil das MES konkrete Anhaltspunkte für Störungen und Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Der zeitlich entkoppelte Kommunikationsfluss führt mitunter zu einer qualitativen Veränderung der Kommunikationsinhalte.

So sieht sich der Instandhaltungsmanager hinsichtlich der Evaluation der Wirksamkeit durchgeführter Reparatur- bzw. Instandhaltungsarbeiten weniger auf den kommunikativen Austausch mit seinen Mitarbeitenden angewiesen, denn die Anlage

„überprüft sich selber. Ich hab‘ sie mit einem Knopfdruck dann überprüft und wenn das in Ordnung ist, dann ist das Thema für mich abgehakt und wenn es nicht in Ordnung ist, dann muss ich nochmal bei. Ich muss nicht auf Aussagen hoffen und die Richtigkeit von Aussagen oder die ja die Genauigkeit von Aussagen. Ich kann alles systemseitig abgleichen.“ (Instandhaltungsmanagement)

Die Ergebnisse des Arbeitshandelns von Werker:innen und Instandhalter:innen objektivieren sich gewissermaßen in der Datenlage. Allerdings sind sich die Führungskräfte dessen bewusst, dass es diese abstrakten Kennwerte an der Realität zu spiegeln gilt, wie diese exemplarische Äußerung des Produktionsmanagers nahelegt:

„Ich würde schon sagen, man kann sie [die Mitarbeiter:innen] ein bisschen spezifischer führen. Weil teilweise gibt es auch Probleme. Ähm, zum Beispiel in dem Fall: der Mitarbeiter hat jetzt eine halbe Stunde nichts gemacht. so sieht’s im System aus, aber vielleicht gab's ein anderes Problem, wo er unterstützt hat. Wenn man mit dem Mitarbeiter spricht, man möchte dem ja nichts Böses. Man fragt wie es war, geht in den Dialog – dann können eben solche Probleme herauskommen, die wir wieder als Vorgesetzte mitnehmen können und vielleicht an einer anderen Stelle platzieren müssen, weil natürlich die Mitarbeiter versuchen dann alles bestmöglich zu machen, aber manches geht ja auch über ihren ja Verantwortungsbereich oder über Fähigkeiten einfach hinaus. Und dass man da mehr Input von den Mitarbeitern bekommt.“ (Produktionsmanagement)

Produktions- und Instandhaltungsmanagement aber auch der Abteilungsleiter des Montagebereichs nutzen das MES, um Daten zu analysieren und aus den Befunden im Bedarfsfall Problemlösungen u. U. auch gemeinsam zu generieren. Dies ist integraler Bestandteil ihrer Arbeit, die mit der Digitalisierung von einfachen Tätigkeiten des Datensammelns und Aggregierens entlastet wird und nun tiefer gehende Analysetätigkeiten und stärker strategische Gestaltungsmöglichkeiten bietet.

4 Fazit

Am Beispiel der Einführung des MES bei nass magnet wurde nachgezeichnet, wie sich dadurch die Arbeit unterschiedlicher Beteiligter in der Produktion, aber auch deren Kommunikation und die Anforderungen verändern. Ziel dieser Analyse war es, herauszuarbeiten inwiefern sich Kompetenzen zwischen Bereichen oder Hierarchieebenen verschieben. Es zeigt sich, dass sich solche Kompetenzverschiebungen eher als inkrementell erweisen. Am deutlichsten zeichnen sie sich im Instandhaltungsbereich ab, wo Mitarbeiter:innen mehr Handlungsspielräume zum eigenständigen Problemlösen erlangen. Die Verhältnisse zwischen Maschinenführer:innen und Instandhalthalter:innen scheinen weitgehend unverändert zu bleiben. Für die Managementebene scheint das MES ein Medium zu sein, das die gemeinsame Arbeit an einer strategischeren Ausrichtung der Produktion unterstützt. Hier gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Zusammenarbeit zwischen den untersuchten Bereichen durch die Digitalisierung gestärkt wird. Man zieht gemeinsam an einem Strang, um die Produktion weiterhin zu optimieren. Dieses Anliegen könnte den thematischen Kern einer Community of Practice (Wenger 1999) darstellen, die es ermöglicht, durch Partizipation an dieser Optimierungsarbeit individuelle Kompetenzen und gleichsam praktische Vollzüge (weiter)zuentwickeln.

Zwar ist weiter nicht ausgeschlossen, dass die Summe vielfältiger Digitalisierungsvorhaben auch in produzierenden Unternehmen zu grundlegenderen Veränderungen im Hinblick auf Qualifikationsanforderungen und Qualifikationsstrukturen führt, doch deutet das dargestellte Fallbeispiel nicht darauf hin.