Zusammenfassung
Die Bundestagswahl 2021 bildete den Schlusspunkt einer Legislaturperiode mit erheblichen Schwankungen der öffentlichen Meinung zu Parteien und Politikern. Im langen Wahlkampf mit drei Kanzlerkandidaten, aber ohne um ihre Wiederwahl bemühte Kanzlerin schälte sich die Rivalität von Union und SPD um die Position als stärkste Partei und damit führende Kraft in alternativen Regierungsbündnissen zunehmend als eine wesentliche Frage heraus. Im Wahlverhalten 2021 fanden nicht generelle oder pandemiespezifische Urteile über die Leistungen der Regierung ihren Niederschlag, sondern eher Urteile über die Leistungen der Regierungsparteien CDU und SPD. Der halbe Regierungswechsel, der die SPD vom Junior- zum Seniorpartner in einer Koalitionsregierung machte, vollzog somit das, was vor der Wahl im Verhalten der Parteien erkennbar war und sich in der Wahrnehmung der Bürger spiegelte.
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Notes
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An dieser Stelle kann nicht geklärt werden, wie diese Entwicklungen miteinander verknüpft sind und inwieweit beispielsweise das gestiegene Ansehen des SPD-Teils der Regierung wesentlich den Ansehensgewinn von Herrn Scholz widerspiegelt.
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Die Reproduktionsmaterialien zu den Analysen sind unter folgender Adresse zu finden: https://doi.org/10.7910/DVN/ECLKVQ.
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Das schließt nicht Wirkungen in der umgekehrten Richtung aus.
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Urteile über die Regierungsleistung können durchaus zur Wahl nicht im Bundestag vertretener Parteien führen. Diese Möglichkeit spricht dafür, weitere Parteien als Wahlmöglichkeiten in die Analyse einzubeziehen. Allerdings enthält der vorliegende Datensatz zu wenige Wähler einzelner nicht im Bundestag vertretener Parteien, als dass deren Einbeziehung in die Analyse möglich wäre. Zugleich ist die Kategorie der nicht im Bundestag vertretenen Parteien so heterogen, dass es fragwürdig erscheint, sie als eine Wahlmöglichkeit in die Analyse einzubeziehen.
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Im Falle der beiden Ministerpräsidenten Laschet und Söder könnten auch Eindrücke von der landespolitischen Performanz, zum Beispiel in Bezug auf die Pandemiepolitik, in die Urteile eingeflossen sein. Insofern könnten Elemente ebenenspezifischen retrospektiven Wählens in den Schätzergebnissen enthalten sein.
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In einer noch konservativeren Modellierung wurden auch die Urteile über die Problemlösungskompetenz der Parteien einbezogen, ohne dass sich die Ergebnisse wesentlich geändert hätten (nicht tabellarisch ausgewiesen).
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Die Ergebnisse zur CSU-Bewertung, die allesamt auf die Abwesenheit relevanter Zusammenhänge hindeuten, sind der Übersichtlichkeit halber nicht graphisch dargestellt.
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Anhang: Operationalisierungen
Anhang: Operationalisierungen
Leistung der Bundesregierung: „Sind Sie mit den Leistungen der Bundesregierung der letzten vier Jahre aus CDU/CSU und SPD eher zufrieden oder eher unzufrieden? (elfstufige Antwortvorgabe von „völlig unzufrieden“ bis „völlig zufrieden“, rekodiert auf den Wertebereich von −1 bis 1).
Leistung der Regierungsparteien: „Und wenn Sie die Regierungsparteien einzeln betrachten, wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit deren jeweiligen Leistungen in den letzten vier Jahren?“ (elfstufige Antwortvorgabe von „völlig unzufrieden“ bis „völlig zufrieden“, rekodiert auf den Wertebereich von −1 bis 1).
Leistung der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Corona-Krise: „Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der Bundesregierung bei der Bekämpfung der Corona-Krise?“ (elfstufige Antwortvorgabe von „völlig unzufrieden“ bis „völlig zufrieden“, rekodiert auf den Wertebereich von −1 bis 1).
Parteibindung: „Und jetzt noch einmal kurz zu den politischen Parteien. In Deutschland neigen viele Leute längere Zeit einer bestimmten politischen Partei zu, obwohl sie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Neigen Sie – ganz allgemein – einer bestimmten Partei zu? Und wenn ja, welcher?“ Aus den Antworten wurden Dummyvariablen für die jeweiligen Parteien und die Personen ohne Parteiidentifikation kreiert.
Klimapolitik: „Manche meinen, dass die Bekämpfung des Klimawandels auf jeden Fall Vorrang haben sollte, auch wenn das dem Wirtschaftswachstum schadet. Andere meinen, dass das Wirtschaftswachstum auf jeden Fall Vorrang haben sollte, auch wenn das die Bekämpfung des Klimawandels erschwert.“ (siebenstufige Antwortvorgabe von „Vorrang für Bekämpfung des Klimawandels, auch wenn es dem Wirtschaftswachstum schadet“ bis „Vorrang für Wirtschaftswachstum, auch wenn es die Bekämpfung des Klimawandels erschwert“, rekodiert auf den Wertebereich von 0 bis 1).
Steuern und sozialstaatliche Leistungen: „Manche wollen weniger Steuern und Abgaben, auch wenn das weniger sozialstaatliche Leistungen bedeutet, andere wollen mehr sozialstaatliche Leistungen, auch wenn das mehr Steuern und Abgaben bedeutet. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema?“ (siebenstufige Antwortvorgabe von „weniger Steuern und weniger sozialstaatliche Leistungen“ bis „mehr sozialstaatliche Leistungen und mehr Steuern“, rekodiert auf den Wertebereich von 0 bis 1).
Zuwanderungspolitik: „Jetzt geht es um Zuzugsmöglichkeiten für Ausländer. Sollten die Zuzugsmöglichkeiten für Ausländer erleichtert oder eingeschränkt werden? Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema?“ (siebenstufige Antwortvorgabe von „Zuzug von Ausländern erleichtern“ bis „Zuzug von Ausländern einschränken“, rekodiert auf den Wertebereich von 0 bis 1).
Gleichstellungspolitik: „Nun möchten wir noch wissen, wie Sie zu staatlichen Maßnahmen zur Gleichstellung der Frauen in der Gesellschaft stehen. Manche meinen, dass die staatlichen Gleichstellungsmaßnahmen noch lange nicht weit genug gehen, andere meinen, dass diese heute schon viel zu weit gehen. Wie ist Ihre Meinung zu staatlichen Maßnahmen zur Gleichstellung der Frauen in der Gesellschaft?“ (siebenstufige Antwortvorgabe von „staatliche Gleichstellungsmaßnahmen gehen noch lange nicht weit genug“ bis „staatliche Gleichstellungsmaßnahmen gehen schon viel zu weit“, rekodiert auf den Wertebereich von 0 bis 1).
Politikerbewertungen: „Bitte geben Sie nun an, was Sie von einigen führenden Politikerinnen und Politikern halten.“ Angela Merkel, Armin Laschet, Markus Söder, Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Christian Lindner, Dietmar Bartsch, Alice Weidel (elfstufige Antwortvorgabe von „halte überhaupt nichts von der Person“ bis „halte sehr viel von der Person“, rekodiert auf den Wertebereich von −1 bis + 1).
Wahlentscheidung: (1) „Bei der Bundestagswahl am 26. September kamen viele Bürgerinnen und Bürger nicht dazu, ihre Stimme abzugeben oder nahmen aus anderen Gründen nicht an der Wahl teil. Wie war das bei Ihnen? Ich habe gewählt; Ich habe nicht gewählt; Ich hatte zuvor bereits Briefwahl gemacht.“
(2) „Bei der Bundestagswahl konnten Sie ja zwei Stimmen vergeben. Die Erststimme für eine Kandidatin oder einen Kandidaten aus Ihrem Wahlkreis und die Zweitstimme für eine Partei. Was haben Sie auf Ihrem Stimmzettel angekreuzt?“
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Schoen, H. (2022). Ein halber Regierungswechsel nach einer politischen Achterbahnfahrt. Eine Analyse der öffentlichen Meinung zur vierten Regierung Merkel und des Wahlverhaltens bei der Bundestagswahl 2021. In: Zohlnhöfer, R., Engler, F. (eds) Das Ende der Merkel-Jahre. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38002-1_2
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