Zusammenfassung
Der Kampf um Begriffe ist ein heißes Thema. Die wissenschaftlichen Disziplinen sind aufgerufen, sich der Möglichkeiten und Grenzen der Begriffsvereinheitlichung analytisch und nüchtern anzunehmen. Die unkritische Verwendung von Begriffen in fachlichen Zusammenhängen ist dabei ebenso zu kritisieren, wie die Skandalisierung vermeintlicher Reizwörter als Ersatz für die intensivere inhaltliche Auseinandersetzung in gesellschaftlichen Debatten. Begriffskritik hilft, Sachverhalte nicht suggestiv zu vernebeln, sondern Realitäten möglichst klar zu benennen.
Ungeachtet dessen ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung unterschiedlicher Disziplinen über Begriffe alles andere als trivial: Hier treffen Traditionen der Begriffsverwendung und -deutung aufeinander. Aufs engste damit verknüpft sind die divergierenden Verarbeitungsweisen und Verwendungszusammenhänge in den Disziplinen, Selbstbild und Identität, die Kultur der Auseinandersetzung sowie die Offenheit und Reaktionsbereitschaft, die sich nicht nur an Disziplingrenzen, sondern auch entlang intradisziplinärer Strömungen unterscheiden kann.
So richtig es ist, die Frage der Begriffsvereinheitlichung in interdisziplinären Zusammenhängen aufzunehmen und zu erörtern, so konsequent und richtig scheint die Grundentscheidung der Forschungsverbundvorhaben ENTRIA, die gemeinsame Forschungstätigkeit nicht an der Begriffsarbeit aufzuhängen, sondern gemeinsam Problemlagen – also Spannungsfelder – zu identifizieren, die ebenso gehaltvoll wie orientierend zur weiteren interdisziplinären Arbeit motivieren.
Wissenschaft muss mögliche Kritik an ihren Begriffen und Formulierungen nicht in vorauseilendem Gehorsam bedenken und antizipieren. Die bewusste Auseinandersetzung über Begriffe muss sich immer fokussieren. Immer wieder wird es in der inter- und transdisziplinären Kommunikation und Kooperation geschehen, dass auch Formulierungen und Begriffe verwendet werden, die unreflektiert und belastet sind – die spontane Reaktion in freier Rede ist dafür anfälliger als die durchgearbeitete und von Kolleginnen und Kollegen geprüfte Form wissenschaftlicher Texte. Die Endlagerung wird auf absehbare Zeit eine kontroverse Reizvokabel bleiben!
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Notes
- 1.
Vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2553).
- 2.
Vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geänd. durch V vom 31.8.2015 (BGBl. I S. 1474).
- 3.
Vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212), zuletzt geänd. durch G vom 22.5.2013 (BGBl. I S. 1324).
- 4.
Die Enquete-Kommission des Bundestages hatte schon 1980 eine zügige Entwicklung der Möglichkeit der direkten Endlagerung gefordert.
- 5.
Vom 2.8.2011 (ABl. L 199 S. 48).
- 6.
So erging es Matthias Miersch, MdB, auf der Veranstaltung des Niedersächsischen Umweltministeriums am 23.2.2015 in Hannover.
- 7.
Weitergehend wurde auch der Begriff „Grenzwert“ und die damit verbundenen disziplinären Verständnisse und verknüpften Konzepte beispielhaft aufgegriffen und interdisziplinär aufgearbeitet (vgl. Smeddinck und König, im Erscheinen).
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Brunnengräber, A., Smeddinck, U. (2016). Möglichkeiten und Grenzen der Vereinheitlichung wissenschaftlicher Begriffe in der interdisziplinären Zusammenarbeit. In: Smeddinck, U., Kuppler, S., Chaudry, S. (eds) Inter- und Transdisziplinarität bei der Entsorgung radioaktiver Reststoffe. Energie in Naturwissenschaft, Technik, Wirtschaft und Gesellschaft. Springer Vieweg, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12254-6_8
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