1 Einleitung

Unter den Mechanismen, die zum Selbstschutz des Körpers beitragen, ist das Komplementsystem von herausragender Bedeutung. Als Teil der angeborenen Abwehr ist es jederzeit verfügbar und somit bereits in der Präimmunphase von unschätzbarem Wert, bevor es zur Bereitstellung spezifischer Antikörper und T-Lymphozyten kommt. Zu seinen Effektorfunktionen zählen neben der lytischen Zerstörung pathogener Mikroorganismen die Beseitigung von Immunkomplexen, die Opsonisierung nicht nur von Krankheitserregern, sondern auch von autoantigenem Material für eine effiziente Phagozytose sowie die Rekrutierung und Aktivierung von Entzündungszellen. Darüber hinaus moduliert das Komplementsystem aber auch die Antwort des erworbenen Immunsystems. Außerdem wird in zunehmendem Maße die Rolle des Komplementsystems in so unterschiedlichen biologischen Prozessen wie der Hämatopoese, Fortpflanzung und der Organregeneration deutlich, so dass die Vorstellung von Komplement als reinem Abwehrsystem erweitert werden muss zu einem mit vielen biologischen Funktionen vernetzten und steuernden System zur Aufrechterhaltung der Homöostase.

Etwa 5 % aller Plasmaproteine sind Komplementfaktoren , die zum überwiegenden Teil in der Leber und durch Makrophagen synthetisiert werden. Aber auch Fibroblasten, Epithelzellen der Lunge und des Magen-Darmtraktes und weitere Gewebszellen, wie Astrozyten, Haut-und Muskelzellen, sind prinzipiell zur Synthese zumindest bestimmter Komplementproteine fähig.

Die chromosomale Zuordnung der Komplementproteine ist in Tab. 1 dargestellt, wobei bestimmte Anhäufungen (Cluster) von Genen für funktionsähnliche Komponenten zu erkennen sind. Einige Komplementgene (für C2, C4, Faktor B) liegen als sog. HLA-Klasse-III-Gene auf dem humanen Chromosom 6, dem Träger des Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC) in enger Nachbarschaft zu anderen wichtigen Genen, die für Proteine der Immunabwehr kodieren.

Tab. 1 Komplementdefekte1

2 Aktivierung des Komplementsystems

Das Komplementsystem wird im Wesentlichen über 3 Hauptwege, den klassischen, den alternativen und den Lektin-Weg, in Form einer Kaskade aktiviert (Abb. 1). Einzelne Komponenten, wie C3 oder C5, können aber auch direkt durch Proteasen anderer Mediatorsysteme, wie dem Gerinnungs-und Fibrinolysesystem, in biologisch aktive Peptide gespalten werden.

Abb. 1
figure 1

Vereinfachte Darstellung der 3 Komplementaktivierungswege und deren Regulation (oval/blau= lösliche Regulatoren, rechteckig/weiss = membranständige Regulatoren; SCPN = Serum Carboxypeptidase N)

Jeder dieser auf unterschiedliche Weise initiierten Aktivierungswege mündet in eine gemeinsame Endstrecke, die mit der Bildung der sogenannten C3-Konvertase beginnt und über Zwischenstufen zum lytischen Membranangriffskomplex (membrane-attack complex, MAC) führt (Abb. 1).

Klassischer Weg

Der klassische Weg wird überwiegend durch Bindung von C1q an Antigen-Antikörper-Komplexen aktiviert, die IgG oder IgM enthalten. Nach Antigenbindung kommt es zu einer Konformationsänderung in den Fc-Regionen der Immunglobuline, wodurch die komplementbindenden Bereiche für C1q zugänglich werden. Über mehrere enzymatische Reaktionen, an denen C1r und C1s beteiligt sind, wird die C3-Konvertase aus der 4. und 2. Komponente (C4b2a) gebildet, die bis zu 1000 C3-Moleküle in C3a und C3b spalten kann. Eine Aktivierung des klassischen Weges ist antikörperunabhängig auch über CRP, Gram-negative Bakterien, apoptotische Zellen und bestimmte virale Glykoproteine möglich.

Alternativer Weg

Der alternative Weg wird bevorzugt von Mikroorganismen initiiert, kann aber auch durch ischämisch geschädigtes Gewebe und Fremdoberflächen, wie Membranen von Dialysegeräten oder während der extrakorporalen Oxygenierung aktiviert werden. Ausgangssituation ist die auf niedrigem Niveau ständig ablaufende spontane Hydrolyse der inneren Thioester-Bindung von C3 zu C3(H2O), welche auch als „tickover“-Mechanismus bezeichnet wird. Das C3b-ähnliche C3(H2O) bindet an Faktor B, der daraufhin von Faktor D zu Bb gespalten wird. Die nun gebildete Flüssigphasen-C3-Konvertase, C3(H2O)Bb, wird durch das Regulatorprotein Properdin stabilisiert. Das durch diese Konvertase frisch gespaltene C3b ist für kurze Zeit für Bakterien, Pilze, Viren oder Tumorzellen und auch für körpereigene Zellen bindungsfähig, wird dann jedoch zum großen Teil schnell inaktiviert. An das oberflächengebundene C3b lagert sich Faktor B an, der dann von Faktor D gespalten wird. Die Reaktion resultiert in der Bildung einer nun membranständigen C3-Konvertase (C3bBb).

Lektin-Weg

Der zuletzt entdeckte Lektin-Weg hat als Ausgangspunkt die Bindung des Mannose bindenden Lektins (MBL) an terminale Zuckergruppen auf der Bakterienoberfläche. Diese Kohlenhydratgruppen werden als bakterienspezifische Muster, sog. pathogen associated molecular patterns (PAMPs), erkannt. MBL-assoziierte Serinproteasen (MASP) führen über die Spaltung von C2 und C4 zur Bildung der C3-Konvertase, C4b2b. Wie beim alternativen Aktivierungsweg ist der Lektin-Weg unabhängig von einer vorhergehenden Antikörperantwort und gehört somit zu den frühesten Abwehrmechanismen bei einer Infektion. Im Rahmen eines Ischämie-Reperfusions-Schadens wird der Aktivierung des Lektin-Wegs durch Glykosamine, mitochondriale Proteine und Phospholipide eine besondere Rolle zugesprochen. Ansonsten werden Defekte des Lektin-Wegs zumeist erst bei weiteren Immundysfunktionen klinisch auffällig.

Alle drei Komplementaktivierungswege haben nach der C3-Aktivierung eine gemeinsame Endstrecke, die mit der Bildung des lytischen Membranangriffskomplexes (MAC) abschließt. Dieser setzt sich zusammen aus je einem Molekül C5b, C6, C7, C8 und bis zu 18 Molekülen C9 und hat die Form eines Kanals, der sich in die Lipiddoppelschicht der Zellmembran einlagert. Durch nachfolgende Ionenströme wird die Zellfunktion eingeschränkt und bei genügend hohem Kalziumeinfluss erlischt schließlich die Funktion der Mitochondrien. Wenn eine ausreichende Anzahl an Poren an der Zellmembran gebildet wird, geht die Zelle durch Lyse zugrunde. Für Erythrozyten ist die Bildung von nur einer Pore schon ausreichend, um die Zellintegrität zu zerstören, was sich u. a. in Erkrankungen wie der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) widerspiegelt (siehe unten).

Die nach Spaltung der dritten bzw. fünften Komponente freigesetzten Anaphylatoxine C3a und C5a zählen zu den stärksten Entzündungsmediatoren. Sie erhöhen die Permeabilität der Blutgefäße, induzieren die Kontraktion glatter Muskulatur und führen zur Produktion von Sauerstoffradikalen durch Makrophagen, neutrophile und eosinophile Granulozyten. Basophile Granulozyten und Mastzellen reagieren mit der Freisetzung von Histamin (pseudoallergische Reaktion). Diese Anaphylatoxine modulieren zudem die Synthese von IL-6, TNF-α und anderer Zytokine durch B-Lymphozyten und Monozyten und führen zur Rekrutierung verschiedener Abwehrzellen an den Infektionsort. Anaphylatoxine spielen durch ihre Wirkung auf inflammatorische Zellen in der Infektabwehr eine zentrale Rolle, sind aber auch wesentlich an der Pathogenese verschiedener Erkrankungen beteiligt (siehe unten). Interessanterweise wurden Anaphylatoxinrezeptoren auch auf Zellen parenchymatöser Organe wie Leber, Niere oder ZNS entdeckt, so dass eine systemübergreifende Wirkung dieser Peptide angenommen werden muss.

C3b opsonisiert Pathogene und Immunkomplexe für eine effiziente, durch Komplementrezeptor 1 (CR1, CD35) vermittelte Phagozytose und beteiligt sich durch Anlagerung an eine bereits bestehende C3-Konvertase an der Bildung der C5-Konvertasen C4b2a3b oder C3b2Bb. Das nach C3b-Bindung an Antigen durch enzymatischen Abbau verbleibende C3dg/C3d führt durch Bindung an den Komplementrezeptor 2 (CR2, CD21) zur Herabsetzung der Aktivierungsschwelle von B-Zellen. Der zu den β2-Integrinen zählende Komplementrezeptor 3 (CR3,CD11b/CD18) ist während der Leukozytenadhäsion und -transmigration sowie bei der Eliminierung von mit iC3b, einem weiteren C3 Metaboliten, opsonisierten Partikeln von Bedeutung. In ähnlicher Weise stimuliert CR4 (CD11c/CD18) die Phagozytose.

3 Regulation des Komplementsystems

Eine Vielzahl an löslichen und membrangebundenen Komplementregulatoren greift in die Aktivierung des Komplementsystems ein (Abb. 1). Diese Regulatoren wirken als Inhibitoren der C3-Konvertase oder hemmen die Bildung des MAC.

Zu den löslichen Regulatoren der Komplementaktivierung zählen der C1-Inhibitor (C1-INH), Faktor H (fH), das C4-binding protein (C4bp), Faktor I (fI) und Properdin (P). Auf körpereigenen Zellen wird eine potenziell schädliche Komplementaktivierung durch die Oberflächenregulatoren CR1 (neben dessen Rezeptorfunktion), membrane cofactor protein (MCP/CD46) und decay accelerating factor (DAF/CD55) begrenzt.

Der C1-INH verhindert die Aktivierung des C1- und des MBL/MASP-Komplexes. Ein Mangel an diesem auch im Gerinnungs-, Fibrinolyse- und Kininsystem wirksamen multifunktionalen Regulator führt über die vermehrte Freisetzung von Bradykinin zum Angioödem (siehe unten). Faktor H fördert den spontanen Zerfall („decay“) der C3-Konvertase, C3bBb, und fungiert wie MCP und CR1 als Kofaktor bei der C3b-Inaktivierung durch Faktor I. C4bp übernimmt diese Kofaktorfunktion zur Regulation der klassischen C3-Konvertase, C4b2a. Properdin ist der einzig bekannte Regulator mit verstärkender Wirkung auf die Komplementaktivierung. Es stabilisiert die C3-Konvertase des alternativen Wegs. Durch seine kürzlich nachgewiesene Bindungsfähigkeit für Mikroorganismen und apoptotische Zellen ist Properdin auch in der Lage, den Alternativweg zu aktivieren.

DAF (CD55) ist ein Glykosyl-Phosphatidyl-Inositol (GPI)- verankertes Membranprotein, das an C3b und C4b bindet und die Dissoziation des Bb von C3b und des C2b von C4b beschleunigt. MCP (CD46) ist ein membranständiges Glykoprotein, das die durch Faktor I vermittelte Inaktivierung von C3b fördert.

Die Bildung des MAC wird durch CD59, Clusterin und S-Protein/Vitronectin kontrolliert. CD59 ist wie CD55 ein GPI-gebundener Membranregulator, der an C8 und C9 bindet und dadurch die Bildung des MAC verhindert. S-Protein (Vitronectin) und Clusterin binden an C5b67 und verhindern deren Anlagerung an Zellmembranen. Der Nachweis von löslichen SC5b-9-Komplexen ist ein sensitiver Marker zur Abschätzung einer die gesamte Kaskade umfassenden Komplementaktivierung.

Anaphylatoxine werden durch die Carboxypeptidase N durch Abspaltung des C-terminalen Arginins inaktiviert.

Diese für den Schutz körpereigener Zellen so effektive Komplementregulation steht pathogenen Mikroorganismen in der Regel nicht zur Verfügung. Heute wissen wir aber, dass es vielen Erregern, wie Staphylokokken, Borrelien und HIV, gelingt, sich durch verschiedene Evasionsmechanismen dem Angriff des Komplementsystems zu entziehen. So nutzt das Epstein-Barr-Virus (EBV) CR2 als Eintrittspforte für die B-Zellinfektion.

4 Klinische Bedeutung des Komplementsystems

Die pathophysiologische Bedeutung von Komplementstörungen liegt dabei nicht nur in den relativ selten vorkommenden Komplementdefekten, sondern mehr noch in den Konsequenzen eines überaktivierten und/oder dysregulierten Systems, welche die Basis für eine Vielzahl für zum Teil schwerwiegende Entzündungserkrankungen bilden. So ist Komplement beteiligt an der Entwicklung lebensgefährlicher Zustände, wie dem adult respiratory distress syndrome (ARDS), dem systemic inflammatory response syndrome (SIRS), der Sepsis und dem Multiorganversagen, z. B. nach schweren Traumata, Verbrennungen oder Infektionen. Eine überschießende Komplementaktivierung ist an der Entwicklung der rheumatoiden Arthritis, verschiedenen Formen der Glomerulonephritis, der Entstehung des Ischämie-Reperfusions-Schadens und der Transplantatabstoßung ursächlich beteiligt. Darüber hinaus beeinflusst Komplement die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen, wie Multiple Sklerose, Morbus Alzheimer oder Guillain-Barré-Syndrom. Experimentelle wie auch klinische Studien belegen, dass Komplement für das Vollbild der Entzündung im Rahmen von Allergie und Asthma von Bedeutung ist.

5 Defekte des Komplementsystems

Defekte im Komplementsystem haben – sozusagen als Experimente der Natur – in großem Ausmaß zur Aufklärung der Reaktionsmechanismen sowie der physiologischen und pathophysiologischen Bedeutung dieses Kaskadensystems beigetragen. Sie umfassen je nach nationaler Studie ca. 5–10 % aller primären Immundefekte und sind insbesondere beim Fehlen von C3–C8 mit rezidivierenden Infektionen verbunden. Bei Patienten mit C5-C8-Defekten ist das Risiko einer Meningokokkenerkrankung gegenüber der Normalbevölkerung 1000- bis 10.000-fach erhöht (Tab. 1). Hier ist die Impfung gegen N. meningitidis mit einem tetravalenten Konjugatimpfstoffdringend empfohlen, wenngleich damit nicht alle krankheitsrelevanten Serotypen erfasst werden. Ein weiterer Defekt, der schon in partieller Ausprägung zu rezidivierenden Neisserieninfektionen führt, ist der des Regulators Properdin. Rezidivierenden bakteriellen Infektionen im Kleinkindalter kann auch ein Defekt des Mannose bindenden Leptins (MBL-Defekt) zugrunde liegen.

Interessanterweise sind Defekte von Komponenten der klassischen Aktivierungssequenz (C1, C4, C2) oftmals mit Autoimmunprozessen assoziiert (vor allem SLE und lupusähnliche Krankheitsbilder). Es gibt, je nach betroffener Komponente, eine starke Assoziation von teilweise über 90 % zwischen Defekten im klassischen Aktivierungsweg und der Entwicklung eines Systemischen Lupus erythematodes. Besonders schwerwiegend verläuft diese Krankheit bei C1q-Defekten. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Beobachtung, dass auch ein Mangel an C1-Inhibitor, der zu einer Aktivierung des klassischen Aktivierungswegs führt, die Wahrscheinlichkeit erhöht, an SLE zu erkranken. Hierfür scheint die Entwicklung einer erworbenen C4 und C2 Defizienz verantwortlich zu sein. Sowohl die mangelnde Entsorgung apoptotischen Zellmaterials als auch die starke Beeinträchtigung der Elimination von Immunkomplexen durch Opsonisierung bilden dafür die molekulare Grundlage.

Komplementdefekte können primär (hereditär) oder sekundär (erworben) sein. Die Vererbung erfolgt in der Regel autosomal-rezessiv (Ausnahme: Properdindefekt X-chromosomal, C1-INH- und MCP/CD46-Defekt autosomal-dominant). Heterozygote Träger bleiben meist klinisch unauffällig. Hereditäre Defekte lassen sich durch exakte Anamnese und Familienanalyse weiter abklären. Vollständige Defekte sind für praktisch alle Komplement- und Regulatorproteine mit Ausnahme der Serum-Carboxypeptidase N beschrieben. Sekundäre Defizienzen werden durch entzündungsbedingten Komplementverbrauch, Autoantikörper (z. B. gegen C1q oder C1-Inhibitor), verminderte Synthese und/oder gesteigerten Katabolismus verursacht.

Auch bei Defekten verschiedener Regulatorproteine (Faktor H, Faktor I, Properdin) stehen bakterielle Infektionen im Vordergrund des Krankheitsgeschehens (Tab. 1). Sind die beiden Membranregulatoren, DAF/CD55 und CD59 betroffen, so resultiert daraus das Bild der „paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie“ (PNH, siehe unten).

Hereditäres Angioödem durch C1-INH-Mange (HAE-C1-INH)l

Der weitaus häufigste, klinisch relevante Defekt eines Komplementregulators, der oftmals erst ab der 2. Lebensdekade auftritt, betrifft den C1-INH. Das Fehlen dieses multifunktionellen Regulators führt zu Permeabilitätsstörungen mit der Symptomatik eines Angioödems (Quincke-Ödems). Von der genetischen Form des C1-INH-Mangels, dem hereditären Angioödem durch C1-INH-Mangel (HAE-C1-INH), sind andere Formen der bradykininvermittelten Angioödeme abzugrenzen, wie das hereditäre Angioödem mit normalem C1-INH (HAE-Typ III; bei einem Teil der Patienten Mutationen im FXII-Gen), das Angioödem durch ACE-Hemmer und das seltene erworbene Angioödem durch C1-INH-Mangel (AAE-C1-INH) sowie die histaminvermittelten Haut- und Schleimhautschwellungen infolge von Allergien oder bei idiopathischer Urtikaria. Das HAE-C1-INH ist durch akute, anfallsweise auftretende Schwellungen an Händen, Füßen und im Gesicht, im Gastrointestinaltrakt (Koliken) und – besonders gefährlich – an Larynx und Pharynx charakterisiert.

Beim HAE-C1-INH Typ I (ca. 85 % der Fälle) findet man verminderte Plasmaspiegel des C1-INH wie auch des C4. Die Synthese eines dysfunktionellen Inhibitors führt zum HAE Typ II, bei dem der C1-INH-Plasmaspiegel normal oder erhöht, die Funktion jedoch deutlich reduziert ist.

Die Therapie des HAE-C1-INH unterscheidet sich grundlegend von der allergischer Angioödeme oder gar einer Urtikaria durch die fehlende Wirksamkeit von Kortikosteroiden und Antihistaminika.

Für die Behandlung akuter Angioödemattacken des HAE-C1-INH sind in Deutschland zurzeit 4 Medikamente (C1 INH Konzentrate: Berinert, Cinryze; rekombinanter humaner C1 INH: Ruconest; Bradykinin-B2-Rezeptor-Antagonist: Firazyr) zugelassen, bei Kindern und Jugendlichen Berinert und bei Jugendlichen Cinryze). Ein aus humanem Plasma gewonnenes C1-Inhibitor-Konzentrat wird seit über 30 Jahren erfolgreich in der Akuttherapie eingesetzt (Berinert). Eine wirksame Therapie bildet auch der Einsatz von Icatibant (Firazyr), das akute Attacken eines HAE-C1-INH rasch zum Abklingen bringt. Berinert, Cinryze und Firazyr sind EU-weit auch zur Selbstanwendung bei der Behandlung akuter Attacken zugelassen.

Darüber hinaus ist in schweren Fällen eines HAE-C1-INH auch eine Langzeitprophylaxe möglich. Diese erfolgt am häufigsten mit synthetischen, von Testosteron abgeleiteten attenuierten Androgenen (z. B. Danazol, Stanozolol), die zur Synthesesteigerung des C1-Inhibitors auf über ca. 30–40 % des Normmittelwerts führen, bei der in der Regel genügend Schutz gegen Angioödemanfälle erreicht wird. Eine weitere Möglichkeit besteht in regelmäßigen Injektionen von C1-INH-Konzentrat. Zugelassen für diese Indikation ist Cinryze. Unter Berücksichtigung möglicher Nebenwirkungen (z. B. Thrombosen) kann im pädiatrischen Bereich die Anwendung des Antifibrinolytikums Tranexamsäure in Erwägung gezogen werden.

Beim AAE-C1-INH zeigen sich eine verminderte Konzentration und Funktion des C1-INH und ein vermindertes C4. Bei einem Teil dieser Patienten ist zusätzlich noch C1q im Plasma vermindert. Besonders wichtig bei dieser erworbenen Krankheit ist, dass bei einigen Patienten ein malignes Lymphom oder eine andere B-Zell-Störung zugrunde liegt. Autoantikörper gegen C1-INH können vorhanden sein.

Paroxysmal nächtliche Hämoglobinurie

Die paroxysmal nächtliche Hämoglobinurie (PNH) ist eine klonale Erkrankung der Hämatopoese, bei der eine oder mehrere pluripotente Stammzellen einen charakteristischen Defekt Glycosylphosphatidylinositol (GPI)-verankerter Oberflächenmoleküle aufweisen. Besonders betroffen davon sind Erythrozyten, deren fehlende Komplementregulation zu einer erhöhten Empfindlichkeit für die lytische Zerstörung durch Komplement führt. Das Fehlen der Regulatoren CD55 und CD59 beruht auf einer Mutation des Gens für Phosphatidyl-Isonitol-Glykan-A (PIGA) in den multipotenten hämatopoietischen Stammzellen im Knochenmark. Die Diagnose wird mittels zytofluorometrischem Nachweis der fehlenden Regulatoren gestellt, neuerdings auch mithilfe des Markers FLAER auf Granulozyten und Monozyten, wodurch direkt das Fehlen der GPI-Anker nachgewiesen werden kann. Komplikationen der PNH sind Thrombosen und Niereninsuffizienz. Eine wirkungsvolle Therapie ist die Erythrozytentransfusion, zunehmend auch die Behandlung mit einem die Komplementlyse unterbindenden Anti-C5-Antikörper (Eculizumab, Soliris).

Atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom

Das zu den thrombotischen Mikroangiopathien zählende atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS, D(−)-HUS) wird charakterisiert durch die Trias: mikroangiopathische hämolytische Anämie, Thrombozytopenie und akutes Nierenversagen bei Ausschluss eines ADAMTS13-Defekts. Erst in den letzten Jahren sind viele dieser Fälle mit zumeist heterozygoten Mutationen in Genen der Komplementregulatoren fH, fI und MCP/CD46 in Verbindung gebracht worden. Dabei ist fH zwar serologisch oftmals unverändert, seine Bindungsfähigkeit an die Basalmembran der Glomeruli aufgrund von Mutationen in den für die Membranbindung wichtigen SCR19/20-Bereichen des fH-Moleküls jedoch gestört. Daneben werden, meist in Assoziation mit Defekten sog. fH-verwandter Moleküle (FHR1, FHR3), bei aHUS-Patienten fH-Autoantikörper nachgewiesen, die die Funktion des Regulators neutralisieren. Meist sind bei aHUS, aber auch bei der weitaus häufigeren infektiösen Form dieses Krankheitsbildes (D(+)HUS, EHEC-HUS), neben C3 die Komplementgesamtfunktionen (CH50, AH50) vermindert sowie die Spiegel der Komplementaktivierungsprodukte C3a/C3d und SC5b-9 erhöht. Neben der Untersuchung auf Autoantikörper gegen Faktor H ist, auch zur Abgrenzung zu anderen Formen der mikroangiopathischen Thrombopenien (z. B. TTP), die gleichzeitige molekulargenetische Analyse der Komplementregulatoren fH, fI, MCP und der Proteine C3 und Faktor B unabdingbar. Viele der bisher nachgewiesenen Mutationen führen zur lokalen Dysregulation des Komplementsystems in der Niere. Da die inhibitorische Funktion des fH in der flüssigen Phase aber meist erhalten ist, werden diese Mutationen durch die serologische Diagnostik alleine nicht erfasst.

Neben der Substitution von fH durch Plasmaaustausch wird auch der 2011 für diese Indikation zugelassene Anti-C5 Antiköper (Eculizumab) erfolgreich eingesetzt. Seine Wirksamkeit sollte aber durch eine begleitende Komplementanalytik auch biochemisch kontrolliert werden (empfohlene Parameter: CH50, C3, SC5b-9). Als kurativer Ansatz und ultima ratio wurde die kombinierte Leber-Nieren-Transplantation beschrieben.

Membranoproliferative Glomerulonephritis

Als weitere mit Störungen des Komplementsystems assoziierte Krankheit muss die Membranoproliferative Glomerulonephritis (MPGN) erwähnt werden, bei der, insbesondere beim histologisch definierten Typ 2 (DDD, dense deposit disease) eine Dysregulation des Komplementsystems durch den die C3-Konvertase stabilisierenden Autoantikörper C3-Nephritisfaktor bewirkt wird.

Altersbedingte Makuladegeneration

Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) als genetisch komplexe, multifaktorielle Erkrankung der Netzhaut und angrenzender Strukturen ist hierzulande die führende Ursache der Blindheit im höheren Alter. Die Bildung von sog. Drusen führt zu einem ausgeprägten zentralen Visusverlust. Der Austausch von Thymin (T) durch ein Cytosin (C) im fH-Gen (Y402H-Polymorphismus) ist bereits im heterozygoten, mehr noch im homozygoten Zustand, mit einem deutlich erhöhten Erkrankungsrisiko vergesellschaftet.

Leukozyten-Adhäsionsdefekt 1

Komplementrezeptoren befinden sich auf einer Vielzahl von Körperzellen. Defekte von CR1 sind oft mit dem Bild eines SLE assoziiert. Sind die zu den Adhäsionsmolekülen (β2-Integrine) zählenden Komplementrezeptoren CR3 und CR4 betroffen, so äußert sich diese Defizienz als Leukozyten-Adhäsionsdefekt 1 (LAD-I) mit kaum beherrschbaren bakteriellen Infektionen. Dieser Defekt stellt eine lebensbedrohliche Beeinträchtigung der Leukozytenfunktion dar. Ein früher Hinweis auf diese Störung ist häufig eine verzögerte Abstoßung und Entzündung des Nabelschnurstumpfs des Neugeborenen. Aufgrund eines Defekts von Adhäsionsmolekülen können die Leukozyten nicht an die Gefäßwand binden, um ins Gewebe zu wandern. Ursache ist das Fehlen der gemeinsamen CD18-Untereinheit von CR3 (CD11b/CD18) und CR4 (CD11c/CD18). Eine Diagnosestellung kann mittels zytofluorometrischer Analyse des CD18-Moleküls erfolgen. Als Therapie ist vor allem in schweren Verlaufsformen eine Stammzelltransplantation indiziert.

6 Diagnostik des Komplementsystems

Die moderne Komplementanalytik geht weit über die traditionellen Parameter C3 und C4 hinaus, die nur in wenigen Fällen eine Aussage über eine Defizienz, eine Funktionseinschränkung oder gar den Aktivierungszustand dieses komplexen Systems erlauben. Die bisher nur in wenigen Speziallabors verfügbare umfassende Diagnostik ist in Tab. 2 dargestellt. Unabdingbar ist hier, dass Blutproben möglichst zügig zu Serum und EDTA-Plasma verarbeitet werden und – sofern die Analyse nicht sofort möglich ist – das Probenmaterial tiefgefroren wird und der Versand in die Speziallabors auf Trockeneis per Courier erfolgt. Während für die Analyse der Gesamtfunktionen (CH50 und AH50), der Komplementproteine und -regulatoren sowie der Autoantikörper Serum ausreicht bzw. erforderlich (Funktionstest für den C3 Nephritisfaktor) ist, ist eine Quantifizierung von Aktivierungsprodukten nur im EDTA-Plasma möglich. Die Erstuntersuchung sollte immer die globale Funktionsbestimmung des gesamten Komplementsystems (CH50, AH50) und die Analyse eines Aktivierungsprodukts beinhalten.

Tab. 2 Komplementdiagnostik und Indikation