Dissonante Diskurse und fragmentierte Außenpolitik — Russland und der Krieg der NATO im Kosovo

Zusammenfassung

Die Außenpolitik des neuen, unabhängigen Russland war eine schwer kalkulierbare Größe in den internationalen Beziehungen der 1990er Jahre. Sprache und außenpolitisches Verhalten stimmten häufig nicht überein; meist ließ sich eine deutliche Diskrepanz zwischen nationalistisch tönender rhetorischer Abgrenzung und letztendlich konzilianter und kompromissbereiter Außenpolitik feststellen. Diese Widersprüche traten besonders in Phasen politischer Verstimmung zwischen Russland und den westlichen Staaten zutage. Der Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien war eine solche, wohl die schwierigste Krisensituation, die Russland und der Westen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu bewältigen hatten. Die russische Außenpolitik war in den ersten sechs Monaten des Jahres 1999, in denen zunächst die Kosovo–Krise und dann die Luftschläge der NATO auf Belgrad die Welt in Atem hielten, von extremen Schwankungen gekennzeichnet. Fast schien es, als spielten sich sämtliche außenpolitische Wandlungsprozesse der Jahre seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in komprimierter Form noch einmal ab. Am Ende dieser Phase standen die UN–Resolution 1241 und die Entsendung einer gemeinsamen Friedenstruppe in das Kosovo — Russland und der Westen waren also wieder einmal zu einer Einigung gekommen. Die Schwankungen der russischen Außenpolitik während des Kosovo–Krieges zu erklären, macht sich der folgende Beitrag zur Aufgabe.