Der zur Zeit seines Lebens „our English Seneca“Footnote 1 genannte Joseph Hall (1574–1656), Bischof von Exeter und Norwich,Footnote 2 verfasste mehrere theologische und moralische Abhandlungen. 1606 schrieb er eine Abhandlung u. d. T. Heaven upon Earth (Hall 1606), die zu seinen berühmtesten und wichtigsten Werken gehörte. Sie wurde 1632 von Christoph Köler (1602–1658), dem Breslauer Professor, Bibliothekar und Dichter in der Nachfolge von Martin Opitz, ins Deutsche übertragen. Bereits der Untertitel von Halls Werk Of True Peace and Tranquillity of Mind lässt seine philosophisch-religiösen Überlegungen in Anlehnung an die senecanische und lipsianische ‚Ruhe des Gemüts‘ interpretieren, ein philosophischer Standpunkt also also, der Köler, als einem entschiedenen Vertreter des lipsianischen Neustoizismus in Schlesien besonders am Herzen lag.

Der vorliegende Beitrag präsentiert Teilergebnisse des deutsch-polnisch-französischen Editionsprojektes Christoph Köler (1602–1658) als Repräsentant der urbanen Kultur Breslaus im 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Kultur- und Bildungsgeschichte der schlesischen Metropole, indem er sich dabei auf den thematischen Schwerpunkt des dritten Bandes der gesamten Edition: Deutsche Übersetzungen konzentriert.

1 Einige Vorbemerkungen zur Rätselfigur des Übersetzers, Christoph Köler

Man kann nur vergebens nach dem Autornamen „Colerus/ Coler/ Cöler/ Koler/ Köler/ Köhler“Footnote 3 in den neueren einschlägigen Gedichtanthologien des 17. Jahrhunderts suchen – man findet ihn kaum.Footnote 4 Diese Tatsache ist umso mehr befremdlich, als Köler, bewährter Opitzianer und entschiedener Befürworter von Opitz’ Reform, sich enthusiastisch für die neuen Regeln einsetzte und mit seinem Werk (Gedichte) und Wirken (Anlehnung an seinen Dichter-Lehrer) stets als dessen erster Schüler galt. Zeit seines Lebens versuchte er, einen Sammelband seiner Einzelveröffentlichungen herauszubringen, der Plan scheiterte jedoch. Seine verstreuten Gedichte in Form von Einzeldrucken, ev. teilweise in fremde Sammelbände aufgenommen, finden sich heute in vielen Bibliotheken, u. a. in Breslau, Krakau, Warschau, Straßburg, Paris, Berlin, Wolfenbüttel, Heidelberg, Zwickau, München und Göttingen.

Genauso wie Martin Opitz (1597–1639) entstammte auch der fünf Jahre jüngere Christoph Köler einer unbedeutenden schlesischen Stadt – Bunzlau – die jedoch für die deutsche Literaturgeschichte eine besondere Bedeutung hatte. Hier sind nämlich einige bekannte barocke Dichter zur Welt gekommen: Caspar Kirchner (1592–1627), Andreas Senftleben (Sanftleben, od. Sänftleben; 1602–1643), Andreas Tscherning (1611–1659) und der Mystiker Andreas Scultetus (1622–1647).

Der am 1. Dezember 1602 geborene Köler besuchte zuerst die Bunzlauer Stadtschule, deren Schüler u. a. Opitz und Tscherning waren, dann ließ er sich für eine kurze Zeit an der Viadrina-Universität in Frankfurt a. O. immatrikulieren und wechselte von dort auf das akademische Elisabethgymnasium in Breslau.Footnote 5 Ab 1624 studierte er Poesie, Geschichte, Rhetorik und Politik an der Universität Straßburg bei Matthias Bernegger.Footnote 6 Im 17. Jahrhundert war Straßburg neben Leiden eines der beliebtesten akademischen Ziele der schlesischen Jugend.

In die Straßburger Zeit fallen die ersten Anzeichen von Kölers Faszination für die Dichtung:

Bereits zwei Jahre nach seiner Übersiedlung nach Straßburg hatte er durch diese Versuche auf dem Gebiete deutscher Dichtung so viel Beifall bei seinen Studiengenossen und Lehrern gefunden, daß er es wagen durfte, den Plan zu einer Veröffentlichung dieser Jugendgedichte zu fassen,

bemerkt Kölers Biograph Max Hippe.Footnote 7 Aus dem erhaltenen Briefwechsel Kölers mit großen Gelehrten seiner Zeit wird ersichtlich, mit welchem Enthusiasmus und Entgegenkommen sie auf diesen Plan reagierten, darunter u. a. der Schriftsteller und Polyhistor Jan Gruter (Jan de Gruytere; 1560–1627), Bernegger oder der neulateinische Dichter Balthasar Venator (1594–1664).Footnote 8 Die Sammlung u. d. T. Christoph. Coleri Teutsche Gedichte sampt einem Anhange anderer Teutschen Poeten, Straßburg bey den Rihelischen wurde zwar im Messkatalog für den Herbst 1626 angekündigt,Footnote 9 sie wurde jedoch aus materiellen Gründen nie gedruckt, was den jungen Dichter mit Sicherheit tief erschüttern musste.

Dennoch kamen Anerkennungsworte für Kölers dichterisches Können von nun an von vielen Seiten: Balthasar Venator, Caspar Senftleben oder der Rektor am Gymnasium in Gotha Johannes Weitz (1576–1642) sahen in Köler einen hervorragenden Nachahmer und Fortsetzer der Opitzʼschen Dichtkunst.

Finanziell bedrängt fasste Köler im Frühjahr 1629 den Entschluss, nach Schlesien zurückzukehren und sich im Mai desselben Jahres in seiner Heimatstadt Bunzlau niederzulassen. Bald danach gelangte er an den Brieger Hof. Hier konnte er sich u. a. seiner literarischen Tätigkeit widmen. Stets konnte er auf Zuspruch und Unterstützung seiner Freunde und Gönner rechnen, u. a. Matthias Berneggers, Martin Opitz’, Andreas Senftlebens, Bernhard Wilhelm Nüßlers (1598–1643), des Breslauer Ratsherrn Valentin von Sebisch (1577–1657), des Juristen und Fürstlich Liegnitzischen Kanzlers Gottfried Baudis (1594–1640), des Rektors des Brieger Gymnasiums Melchior Lauban (1567–1630), wie auch des Polyhistors, Orators, Poeten und Liegnitz-Brieger Rats Caspar Dornau (1577–1632).Footnote 10

Als sich Christoph Köler 1631 an die Übertragung von Joseph Halls Seneca Christianus machte, war er also schon – obwohl stark verschuldet und ohne eigene Drucksammlung von Gedichten – ein äußerst anerkannter Autor u. a. von Gelegenheitsgedichten.Footnote 11 Der bereits erwähnte, berühmte Straßburger Philologe, Hochschullehrer und neulateinische Schriftsteller Matthias Bernegger nannte Köler noch zu dessen Lebzeiten „alter Opitius“, d. h. einen „zweiten Opitz“Footnote 12. Köler selbst bevorzugte lieber den bescheidenen Namen „Gans unter Schwänen“, den er u. a. in der lateinischen Vorrede zum Epitalamium vom 16. August 1652 für den ehemaligen Schüler und Freund Christian Rüdinger erwähnt. Der ganze Text der Vorrede ist einerseits als Topos der Bescheidenheit und andererseits als eine Verehrung der dichterischen Gewandtheit von Andreas Gryphius anzusehen.

Ich wundere mich freilich, mein RÜDINGER, dass du von mir ein Hochzeitsgedicht verlangst: Da doch der berühmte Mann ANDREAS GRYPHIUS, der heute allein so gut wie alle anderen Dichter Schlesiens zusammen ist, ein wahres Kind der Musen. […] Ich, wie ich mich selbst kenne, komme mir vor wie ‚eine unter wohltönenden Schwänen schnatternde Gans‘.Footnote 13

Im Sommer 1634 wurde Köler zum Professor für Poesie und Philologie am Elisabeth-Gymnasium, drei Jahre später zum Professor Historiarum et Eloquentiae und 1639 zum Bibliothekar und Archivar an der Kirchenbibliothek zu St. Maria-Magdalena. Diese Funktion übte er bis zu seinem Tod 1658 aus.

Der Ruhm, den Köler zeit seines Lebens genießen konnte, war groß, und dies nicht nur in Schlesien. In einer in Rostock herausgegebenen Sammlung von Andreas Tschernings Gedichten findet sich eine Ode auf Köler, deren Worte als Beweis dafür angeführt werden können:

Goldast/ Gruter/ anderweit/

Berneck/ Zinckgreff (das sind Leute!)

Rühmten dich schon jener Zeit.

Merckte nicht Virdungus Fewer:

War Venator nicht dein Trewer?

Wann wird Lingelsheim gelesen?

Hielt dich dieser Mann nicht hoch?

Seußio gefiel dein Wesen/

Buchner muß auff heute noch

Deiner Schriften Früling preisen/

Wie die Schreiben an dich weisen.Footnote 14

2 Zum Köler-Editionsprojekt

Christoph Kölers dichterischer Ruhm ist gleich nach seinem Tod für eine längere Zeit abgeklungen, bis der Dichter völlig der Vergessenheit anheimfiel. Im 19. Jahrhundert findet man nur noch vereinzelte Versuche, Kölers Werke noch einmal in Erinnerung zu rufen.Footnote 15 Erst Anfang des vorigen Jahrhunderts, also rund 300 Jahre nach seiner Geburt, wurden seine literarische Gestalt und sein Werk einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Mit einer gut fundierten biographischen Studie Max Hippes (1902) setzte die Köler-Forschung am Anfang des 20. Jahrhunderts ein. Die Arbeit Hippes bietet ein verlässliches Material, das aufschlussreiche und aus den Quellen zusammengeführte Informationen zu Leben und Werk des Autors enthält. Ihre Herangehensweise gründet allerdings allzu sehr auf den literarischen Kriterien und Methoden des 19. Jahrhunderts. Hippe entwirft nämlich das Porträt des Dichters nur anhand von dessen deutschen Gedichten, die lateinische Dichtung des Schlesiers bleibt unberücksichtigt. Außerdem werden Kölers Übersetzungen aus Hugo Grotius, Pierre Du Moulin und besonders aus Joseph Hall, die für die Verbreitung des lipsianischen Neustoizismus in Schlesien besonders relevant waren, nur in Bezug auf ihre Entstehungsgeschichte untersucht und eine Interpretation ihrer erbauenden Funktion bleibt völlig aus. Bis auf wenige AusnahmenFootnote 16 fehlt es im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts an Untersuchungen zu Christoph Köler. Eine Intensivierung der Köler-Forschung beobachtet man erst am Anfang des 21. Jahrhunderts. Ihr Fokus richtet sich von nun an nicht mehr nur auf Köler, den Dichter, sondern auch auf Köler, den Übersetzer.Footnote 17

Das Köler-Editionsprojekt umfasst Erschließung und Strukturierung des Gesamtwerkes des Breslauer Autors samt philologischem Kommentar. Die wissenschaftliche Ausgabe des Gesamtwerks Kölers umschließt also deutsche Gedichte, die handschriftlich und gedruckt überliefert sind, lateinische Gedichte, gedruckt überliefert, deutsche Übersetzungen in gedruckter Überlieferung wie auch gedruckte lateinische und deutsche Schulactus.

Den Textkorpus des dritten Bandes bilden die deutschen Übersetzungen Kölers, die zwischen 1631 und 1637 entstanden und gedruckt wurden.Footnote 18 Die meisten erschienen im berühmten Breslauer Verlag David Müllers, darunter Joseph Hallens Himmel auf Erden. Müller (1591–1636) war Opitz’ Verleger, mit dem ihn auch freundschaftliche Beziehungen verbanden. Eben durch Opitz, der durch seine Aufträge bei Köler das Interesse am Übersetzen aufkeimen ließ, trat Köler in Kontakt zu Müller. Dieses Geschäftsverhältnis erwies sich zwar als äußerst produktiv, aber für Köler war es höchst heikel wegen der Schikanen von Seiten Müllers, denen er wegen seiner nicht abbezahlten Geldschulden ausgesetzt war.

Im Mai 1631 erschienen bei David Müller zwei Übersetzungen von Grotius’ religiösen Texten. Die eine war Opitz’ Versübersetzung u. d. T. Von der Warheit der Christlichen Religion. Auß Holländischer Sprache Hochdeutsch gegeben. Als Vorlage diente ihm ein durch Hugo Grotius (1583–1645) 1622 verfasstes Lehrgedicht Bewijs van den waren Godsdienst (Grotius 1622). 1627 übersetzte Grotius den Text ins Lateinische und formte ihn zu einem Traktat um, wodurch er mit seinem irenischen Gedankengut an einen breiteren Leserkreis gelangen sollte. Diese Fassung wurde wiederum zur Vorlage für Kölers Prosaübersetzung, die im gleichen Jahr wie die von Opitz veröffentlicht wurde:

Die Meinung der Bücher HUGONIS GROTII Von der Warheit der Christlichen Religion. Von Jhm Selbst | Auß dem Holländi= | schen inn Latein, | Vnd | Auß Diesem inn das | Deutsche gezogen | Durch CHRISTOPH COLERUNG.

Man kann annehmen, dass zwei weitere Übersetzungsaufträge, die Köler gerade 1631 erhielt, direkt von Müller über Opitz kamen: Seneca Christianus von Joseph Hall und Tractatus de cognitione DeiFootnote 19 von Pierre Du Moulin (1568–1658). Köler hatte bei Müller Geldschulden und die beiden von ihm in Auftrag gegebenen Übersetzungen sollten seine Rechnung dem Verleger gegenüber begleichen.Footnote 20 Es verwundert daher nicht, dass der Übersetzer die beiden Arbeiten ohne große Begeisterung und eher als Lohnarbeit annahm. Andererseits aber zeugt die Auswahl des Stoffes durch Müller von seinem feinen humanistischen Geschmack und seinem vortrefflichen Gespür für Zeiterscheinungen in der Gelehrtenwelt. In unbescheidenem Ton verweist er selbst darauf in der Vorrede zu Himmel auf Erden:

Wie ich mich bey meinem wenigen Bücher verlage bißhero sonderlich darauff befließen/ das ich guete Deutsche Schrifften dem allgemeinen Vaterlande zum besten entweder von den Autoren selbst an mich brächte/ oder sonderlich berhümbte werke in vnsere sprache übersetzen ließe: also nach dem mir Joseph Hallens deß gelehrten Engelländischen Theologen vnterschiedene sachen […] sonderlich aber das herrliche Buch/ Der Himmel auff der Erden genannt/ von verständigen leuten gerühmet vndt an die handt gegeben worden sindt/ habe ich dieses letzte auch der beschaffenheit jetzigen schwerigen zeit wegen am bequemesten zu sein vermeinet/ daß ich es mit Deutschen worten sauber vndt rein geben vndt also an den tag kommen ließe.Footnote 21

Mit raffinierter Geschicklichkeit vermeidet Müller jeglichen Hinweis auf den tatsächlichen Übersetzer, indem er die Zustände aus der Ich-Perspektive kommentiert. Mit Konsequenz verschweigt er Kölers Namen auch im Vorwort zur Übersetzung des Traktats von Petrus Molineus.

Unter dem latinisierten Namen Molineus versteckt sich Pierre Du Moulin, ein französischer reformierter Theologe und Hochschullehrer. Seine lateinische Abhandlung De cognitione Dei erfreute sich im 17. Jahrhundert großer Popularität in den meisten europäischen Ländern, in einigen war ihre literarische Freiheit durch die Zensur beschränkt.Footnote 22

Mit der Übertragung von Moulins Traktat ins Deutsche leistete Köler einen wichtigen Beitrag zur Rezeption von Texten ausländischer, protestantischer Autoren, deren Gedankengut sich in Deutschland immer größerer Beliebtheit erfreute. Ein weiterer Schritt auf diesem Weg war die Verdeutschung von Halls Himmel auf Erden. Die Übersetzung des Tractatus, mit der er voraussichtlich im März oder im April 1631 begonnen hatte,Footnote 23 war schon nach ein paar Monaten fertig, was einem Brief Kölers an Martin Opitz vom 4. August zu entnehmen ist:

Unterdessen sende ich das Büchlein des Molinaeus, das Du, so bitte ich inständig, in Deiner Muße überfliegen und hier und da nacharbeiten möchtest, besonders auch die vergilianischen und euripideischen Verse.Footnote 24

Das übersetzte Traktat Vom Erkenntnis Gottes erschien als erstes mit einer Widmung an Herrn Jacob Schmid von Linden vom 8. Oktober 1631. Ein Jahr später wurde die Übersetzung von Halls Traktat veröffentlicht.

Einige Zeit zuvor kündigte Opitz in einem Brief vom 8. März 1631 seinem Freund an, dass Müller sein neues Verlagsvorhaben, d. i. die Ausgabe von Halls Traktat in deutscher Sprache, bereits in Angriff genommen habe, an dem sich Köler als Übersetzer beteiligen sollte. Auf geschickte Art und Weise verschwieg er aber die wirkliche Absicht des Verlegers, Kölers Arbeit an der Übersetzung als Abgeltung seiner Geldschulden zu nehmen:

Müller hat ein Büchlein an dich geschickt, tatsächlich eine gute Nachricht. Wenn Du es während Deiner Mußestunden ins Deutsche übersetzt, wirst Du Dir diesen Mann in hohem Grade verpflichten, und an seiner Dankbarkeit kann kein Zweifel mehr bestehen. Du kannst dies ja zum Spiel und Scherz tun, und die Last der Arbeit scheint nicht allzu groß zu sein.Footnote 25

Köler versicherte Martin Opitz in seinem Brief vom 4. August 1631, dass „Halls ‚Seneca Christianus‘ nach bestem Wissen und Gewissen nächste Woche folgen [wird]“.Footnote 26

Joseph Hall wurde 1574 im englischen Ashby de la Zouch, Leicestershire geboren. Bereits in seiner Kindheit und dann in der Jugend stand er unter starkem Einfluss des Puritanismus. Nach dem Studium nahm er eine Arbeit als Pfarrer von Hawstead in Suffolk an, 1627 wurde er zum Bischof von Exeter und von 1641 bis 1656 von Norwich. Nach einigen Reisen, u. a. nach Frankreich, Schottland, Holland und Deutschland, erhielt er 1641 wegen der Teilnahme an einem politischen Protest gegen das Parlament eine Gefängnisstrafe. Er starb 1656 in Higham, Norfolk.Footnote 27 Hall hinterließ nach seinem Tod eine beträchtliche Anzahl von Schriften, darunter Predigten, Satiren, religiöse und philosophische Abhandlungen, moralische und polemische Schriften. Seine Bücher und Traktate über die Kunst der Meditation erfreuten sich großer Popularität auf dem alten Kontinent. Seine Sammlung von Charakterskizzen Charakters of Virtues and Vices (1608) sollte das erste englischsprachige Buch sein, das in französischer Übertragung dem französischen Leser zugänglich gemacht wurde.Footnote 28

Unter allen anderen Werken Halls drückt wohl der zum ersten Mal 1606 erschienene und innerhalb von drei Jahren zwei weitere Auflagen (1607, 1609) erlebende Heaven upon Earth seine Moralphilosophie am besten aus.Footnote 29 Das Buch wurde Henry Earl of Huntingdon (1586–1643), einem prominenten englischen Adligen und Literaturmäzen, gewidmet. In seiner kurzen Vorrede formuliert Hall das Ziel seines Vorhabens: „to teach men, how to be happy in this life“.Footnote 30 Im Grunde genommen bietet er aber kein neues Rezept für Glück, sondern paraphrasiert die Gedanken von Seneca und dem Heiligen Augustinus wie auch die Weisheiten der Heiligen Schrift.Footnote 31 Die senecanische Philosophie ist Halls Bezugspunkt, allerdings unter starker Anlehnung an die christliche Religion: „Wherein I have followed Seneca, and gone beyond him: followed him as a philosopher, gone beyond him as a Christian, as a Divine“.Footnote 32

Halls Traktat gelangte unter die Gelehrtenkreise in ganz Europa unter dem gekürzten lateinischen Titel Seneca Christianus. Die Rezeption eines erfolgreichen Textes in der Nationalsprache erfolgte im 17. Jahrhundert meistens über das Lateinische – die klassische Kommunikationssprache des gelehrten Europa – und war eine relativ häufige Praxis. Analog dazu waren Griechisch und Hebräisch die Sprachen der Theologen, ein weltgewandter Politicus verfügte über Französischkenntnisse, Italienisch und Spanisch waren dagegen die Sprachen, deren Kenntnis den Literaturkennern eigen war.Footnote 33 Englisch jedoch war damals weder eine Gelehrtensprache, die den innereuropäischen Austausch unter der gebildeten Elite garantieren konnte, noch erfreute sie sich einer vergleichbaren Popularität wie der der oben erwähnten Nationalsprachen.Footnote 34

Dieser Zustand änderte sich allerdings im Verlauf des 17. Jahrhunderts mit dem allmählich wachsenden Interesse an englischer Erbauungsliteratur in Deutschland: Englisch wurde als Literatursprache aufgewertet.Footnote 35 Diesen Prozess beobachtete und kommentierte u. a. der Chronist der Fruchtbringenden Gesellschaft, Carl Gustav von Hille (vor 1590–1647), der bemerkte, dass die englische Sprache

in einer solchen Lieblichkeit und hohen Sinnbegriff [bestehet]/ daß auch die allerwürdigste Geist= und weltliche Bücher/ nicht von ihnen in der Lateinischen; sondern viel ehe in ihrer eigenen Muttersprache beschrieben/ zu lesen seynd. […] Dannenhero hertzlich zu wünschen/ daß wir Teutsche ein mehrern Fleiß an solcher Sprache legten/ ob leider nicht geschiehet/ damit wir ihre übrige Geistliche Bücher/ die sie artlich und wol gegeben/ in unsere hochteutsche Sprache gleichfalls übersetzen könnten.Footnote 36

Diese Worte schrieb er allerdings erst 1647, also fünfzehn Jahre nach der Fertigstellung der Hall-Übersetzung durch Köler.

Mit großer Wahrscheinlichkeit kann man davon ausgehen, dass Köler bei seiner Intermediärübersetzung die lateinische Übersetzung des Everhardus Schuttenius (ca. 1595–1654), eines reformierten Pfarrers im niederländischen Zwolle, als Vorlage benutzte: Coelum in terra, Hoc est, Seneca Christianus, de vera tranquillitate animi, Libellus plane aureus/ authore … Iosepho Hallio. Interprete Everhardo Schuttenio.Footnote 37 Außerdem übersetzte Schuttenius auch ein anderes Werk Halls ins Niederländische: Contemplationes Sionis Dat is: heylige bedenkingen, En Leeringen, over de voornaamste Passagien en Historien van’t Oude en ’t Nieuve Testament: In ’t Engesch beschr En … in’t Nederduijts vertaelt. Dieses Beispiel zeigt, dass englische Texte in dieser Zeit oft indirekt über das Lateinische und Niederländische weiterübersetzt wurden.Footnote 38

Der Nutzen dieser Übersetzungspraxis für die Verbreitung fremder Denkansätze und Ideen war natürlich sehr groß, doch nicht unbedingt frei von jeglichen translatorischen Missverständnissen und Abweichungen. Besonders dann, wenn die Texte nicht direkt aus dem fremdsprachigen Original übersetzt wurden, sondern sich auf die lateinische Zwischenstufe stützten – ein Fall, in dem die Wahrscheinlichkeit eines versehentlichen Irrtums doch noch größer war. Nach Guillaume van Gemert kann man sagen, dass „die geistliche Literatur der Frühen Neuzeit ein kompliziertes Geflecht aus vielfältigen Querbeziehungen darstellt, wobei Vorlagentreue nicht groß geschrieben […] wurde. Hier heiligte der Zweck die Mittel […]“.Footnote 39 Christoph Köler, der die Korrekturen der poetischen Übersetzung Opitz’ von Hugo Grotius’ BewijsFootnote 40 las, informiert in einem Brief vom 9. März 1631 Martin Opitz, dass ihm einige Verse in dessen Verdeutschung unverständlich gewesen wären und dass Opitz sie sich nochmals ansehen solle. Ferner macht Köler eine Bemerkung, die im Kontext der Übersetzungspraxis englischer Texte im 17. Jahrhundert eine besondere Bedeutung gewinnt: „Den Seneca Christianus (dem das allgemeine Schicksal englischer Autoren zuteil wurde, d. h. ein schlechter Übersetzer) werde ich auf deinen Rath hin übersetzen“. Ob Köler dabei an die bereits vorliegende lateinische Übersetzung dachte oder an seine eigene, im Sinne des Topos der Bescheidenheit, bleibt offen. Im zweiten Teil desselben Satzes formuliert er anschließend folgenden Anspruch: „aber nur unter Bedingung, daß es mir freisteht, es dem hochachtbaren Sebisius, meinem großen Patron, zu widmen“.Footnote 41

Köler wollte seine Übersetzung einem seiner wichtigsten Gönner aus der Straßburger Zeit, Dr. Valentin von Sebisch (1577–1657) widmen.Footnote 42 Leider war der Breslauer Verleger David Müller mit Kölers Vorhaben gar nicht einverstanden und er selbst stellte dem Hallʼschen Text eine Widmung an die Gebrüder Michael Anthon und Georg (1600–1654) Flandrin vom 8. Februar 1632 voran. Georg war Breslauer Kaufmann und herzoglicher liegnitzischer Rat. Er unterhielt Kontakte zu Opitz, der ein Epicedium auf den Tod seiner ersten Frau Dorothea von Eben und Brunnen (1634) verfasste und ein Epitalamium auf seine zweite Hochzeit mit Catharina von Oelhafen und Schöllenbach (Februar 1638). Einige Jahre zuvor (1631) verfasste Opitz wiederum ein Trauergedicht auf den Tod eines Kindes von Michael (Anton) Flandrin, einem Breslauer Patrizier.Footnote 43 Mit folgenden Worten teilt der erbitterte Köler seinem Freund Opitz die entmutigende Nachricht über Müllers Entscheidung und seine eigene Ratlosigkeit mit:

Mit Müller kann ich mich nicht einigen, da er mir die Freiheit der Widmung abschlägt. Unterdessen bewirkt es das Geld, daß ich ihm unwillig zu Willen bin.Footnote 44

Offensichtlich war das eine Schikane Müllers, eine Art Rache. Dazu kam noch, dass Müller das vorgesehene Honorar nicht auszahlen wollte und die dem Autor zustehenden Freiexemplare zurückbehielt. Das sprichwörtliche ‚Tüpfelchen auf dem i‘ war, wie bereits angedeutet, dass die beiden Übersetzungen anonym erschienen sind und der Name Kölers weder auf den Titelseiten noch in den beiden durch Müller verfassten Vorreden stand.Footnote 45

Seiner Erbitterung, Frustration und Hilflosigkeit gibt Köler Ausdruck in einem Brief vom 11. Oktober 1631 an Opitz, in dem er seine prekäre finanzielle Lage wie folgt schildert:

Obwohl Du fleißig die Sorge um mich auf Dich genommen hast, sehe ich doch, daß mir der Dank für das Grotiusbüchlein entgangen ist. Der Lauf meines Schicksals kann durch keinen klugen Rat umgekehrt oder verbessert werden. Müller verzögert immer wieder die Auszahlung des kleinen Lohnes. Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du ihn dazu brächtest, meinen Wunsch zu erfüllen. Unser Senftleben ist den Mann angegangen, ich weiß aber nicht, mit welchem Ergebnis. Auch wenn Armut die Schwester guter Gesinnung ist, verläßt sie doch nicht selten den Weg eifriger Tugend. Nichts reut mich mehr, als die goldene Zeit, die ich vergeudet habe, indem ich nicht, wie vorher beabsichtigt, einer ertragreichen Kunst nachgegangen bin. Daher bitte ich Dich inständig mir anzuzeigen, ob irgendeine Hoffnung besteht oder keine, damit ich nicht so sehr in der schwankenden Strömung der Gefühle hin und her geworfen werde.Footnote 46

Derart und ähnliche Vorwürfe findet man mancherorts in Kölers Briefen an Opitz bis in das Jahr 1632.Footnote 47 Sie sind Ausdruck der Ratlosigkeit und Resignation eines Mannes, der nicht im Stande ist, seinen Willen und seine Erwartungen durchzusetzen. Am 4. Februar 1632 reagiert darauf der irritierte und der nüchterne, seinen eigenen Nutzen suchende Opitz, wie folgt:

Im übrigen wünschte ich nicht, daß Du so sehr mit Müller aneinandergeraten wärst, doch Ihr müßt selbst zusehen. Ich werde aufpassen, daß Dir danach aus meiner Vermittlung kein Ärger entsteht. Ich möchte kaum glauben, daß er von Dir und Deinen Studien schlecht gesprochen hat; ich werde ihn mahnen und verbürge auch, daß er Deinen Ruf und Deine Ehre in acht nimmt.Footnote 48

Doch erst durch den Einsatz von Martin Opitz’ und Andreas Senftlebens ist es Köler gelungen, das Honorar ausgezahlt zu bekommen.

3 Abschluss

Abgesehen von seiner kulturstiftenden Tätigkeit als Dichter und Gelehrter ist Christoph Köler auch als Übersetzer von Werken englischer, niederländischer und französischer Autoren in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen. Man muss diese Feststellung jedoch ein wenig nuancieren und hinzufügen, dass es sich dabei jeweils um Intermediärübersetzung aus lateinischer Sprache handelt. Trotz immer deutlich sichtbarer Prozesse der Etablierung der Nationalsprachen dem Lateinischen gegenüber war ihre Wertschätzung in der gelehrten Welt im 17. Jahrhundert immer noch ambivalent. Einerseits bereicherten die Übersetzungen, besonders diejenigen von hohem künstlerischen Wert, die deutsche Sprache durchaus, indem sie die Bedeutung des Deutschen als Literatursprache bekräftigten. Andererseits aber wurde etwa Englisch seinerzeit ähnlich wie andere „exotische“Footnote 49 Sprachen betrachtet, was die Vorreden mancher Übersetzungen und Beispiele aus der gelehrten Korrespondenz beweisen. In einem Brief vom 24. Mai 1700 Philipp Jakob Speners (1635–1705) an den Pädagogen und einen der wichtigsten Vertreter des Halleschen Pietismus, August Hermann Francke (1663–1727), gibt der Autor von Pia Desideria eine Empfehlung für einen Studenten, der nach Halle gehen möchte und bemerkt hierbei:

[I]ch habe ihn […] gestärckt in seiner intention […] wegen der sprach, in dem die rechte Ungarische sprach seine muttersprach ist, solche aber zu lernen, hat man in Teutschland weniger gelegenheit als die Englische.Footnote 50

Im Widmungstext zu Halls Die Alte Religion, die Theophil Großgebauer 1662 aus dem Englischen ins Deutsche übertragen hat, findet sich dagegen folgende Bemerkung des Übersetzers zur aktuellen Kenntnis der englischen Sprache in Deutschland: „Ob ich nun zwar diesen Schatz nicht selbst gesamblet/ so habe ich ihn doch/ weil er wegen seiner uns Teutschen unbekanten Engelländischen Sprache/ den Teutschen zu lieb ans Liecht gebracht […]“.Footnote 51 Diese wenigen Beispiele zeigen uns, dass die Rezeption fremder Texte am Beispiel des Englischen und des Deutschen das historische Bewusstsein der Menschen damals über Bedarf und Nutzen (und manchmal sogar Notwendigkeit) der Übersetzung aus einer Fremdsprache und bestenfalls ihrer Aneignung stark prägte.

Halls philosophische Abhandlungen und andere, meist religiöse, Texte erfreuten sich unter den deutschen Übersetzern im 17. Jahrhundert einer großen Beliebtheit. Man könnte nur einige Dichternamen nennen, die sich mit Halls Texten beschäftigten: Georg Philipp Harsdörffer (1607–1668), Martin Kempe (1642–1683) wie auch der bereits erwähnte Theophil Großgebauer (1627–1661). Mehr als dreißig seiner Bücher wurden ins Deutsche übersetzt, und Hall selbst ist der englische Autor mit der höchsten Zahl der übersetzten Werke.Footnote 52

Abschließend lässt sich auf eine Einschätzung Peter Damraus verweisen: „Joseph Hall believed that devotional literature was the great need of his age. For the development of Pietism, the German reception of his meditations are particularly important“.Footnote 53 Man kann diesen Gedanken erweitern und feststellen, dass Christoph Köler mit seiner translatorischen Arbeit an einem der wichtigsten Werke Halls dabei eine zentrale Rolle spielte.