Paley, Grace

Zusammenfassung

»Zunächst schwieg mein Vater, dann sagte er: Punkt eins, dein Humor ist bedenklich. Punkt zwei, wie ich sehe, bist du nicht imstande, einfache Geschichten zu erzählen.« Der Vorwurf gilt seiner Tochter Faith, der Schriftstellerin, von der er sich Geschichten wünscht »so wie Maupassant geschrieben hat oder Čechov.« Obwohl die Tochter ihrem sterbenden Vater diesen Wunsch erfüllen möchte, erzählt die »Unterredung mit meinem Vater« aus der 1974 erschienenen Kurzgeschichtensammlung Enormous Changes at the Last Minute eine Geschichte, die der Vater nicht hören will, die er nicht akzeptiert, weil sie keine klar definierte Exposition enthält, keine lineare Entwicklung des Handlungsgeschehens, keine erkennbare Lösung der Konflikte. Doch die Geschichte dieser Auseinandersetzung zwischen Vater und Tochter bietet gleichzeitig einen brillanten Einblick in die Poetik einer Schriftstellerin, die — wie Christa ↗ Wolf in ihrem Vorwort zu einer Auswahl von Paleys Erzählungen und Gedichten bemerkt — »surrealistische Portraits nur aus Sprache« schafft (Die schwebende Wahrheit, 1991). Anstelle der erwarteten »tieferen Bedeutung«, die den Erzählungen des 19. Jh.s ihre Autorität verlieh, schildern diese Portraits ganz gewöhnliche Erfahrungen, die ohne Ironie und Selbstironie nicht erzählt werden können, die v. a. von keiner Erzählperspektive aus zu erklären sind; denn die Normalität dieser Erfahrungen und die Meinungen der ganz alltäglichen Figuren in diesen Geschichten sind zugleich unlogisch und verständlich, hoffnungslos und voller Lebensfreude, aggressiv und phantasievoll.