Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird untersucht, wie eine angemessene Selbstinterpretation aussehen könnte und welche Rolle das Selbstgefühl dabei spielt. Wir können vier mögliche Kombinationen von Selbstgefühl und Selbstinterpretation unterscheiden. Erstens gibt es ein unangemessenes Selbstgefühl, das mit einer entsprechenden Selbstinterpretation verbunden ist. Der Fall der Depression kann als Beispiel dafür dienen. Zweitens kann ein angemessenes Selbstgefühl mit einer nicht entsprechenden Selbstinterpretation einhergehen. Drittens können wir ein unangemessenes Selbstgefühl haben, das mit einer nicht entsprechenden Selbstinterpretation verbunden ist. Der Fall der narzisstischen Persönlichkeitsstörung kann als Beispiel herangezogen werden. Sowohl die zweite als auch die dritte Kombination können als Fälle von Selbsttäuschung bezeichnet werden. Die vierte mögliche Kombination besteht darin, dass ein angemessenes Selbstgefühl mit einer entsprechenden Selbstinterpretation verbunden ist. Dies kann als Authentizität bezeichnet werden. Zusammenfassend lassen sich drei Arten von Selbstbezogenheit unterscheiden: „Normalität“, „Pathologie“ und „Authentizität“.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Ganz abgesehen davon, dass auch die anderen Quellen für Anhaltspunkte zur Selbstinterpretation ihre Schwächen haben.
- 2.
Apropos Filme: Ein anderer Blockbuster, Christopher Nolans „Inception“, befasst sich mit einem ähnlichen Problem. Eine der Hauptfiguren ist der festen Überzeugung, dass ihr Leben nur ein Traum ist. Diese Überzeugung ist so stark, dass sie sich das Leben nimmt.
- 3.
Es scheint gerechtfertigt, in diesem Fall von der Angemessenheit des Selbstgefühls von Rosie auszugehen. Ihr Selbstgefühl verstößt nicht gegen das Kriterium der Offenheit für Alternativen, da sie ausdrücklich über mögliche Gründe für ihr Unbehagen nachdenkt. Es verstößt nicht gegen die Offenheit gegenüber anderen Menschen, da sie zumindest einige Beziehungen zu ihren Kollegen und ihrer Mutter unterhält. Es ist über einen bestimmten Zeitraum hinweg stabil, verstößt also nicht gegen dieses Kriterium. Es verstößt nicht gegen die biologische Funktionalität und die soziale Passung, da sie weiterhin in der Lage ist, ihr normales Leben zu führen. Schließlich haben wir das Kriterium der Konsistenz, das eine Spannung zwischen ihrer Selbstinterpretation und ihrem Selbstgefühl offenbart. Wichtig ist, dass diese Inkonsistenz allein kein Indikator für ein unangemessenes Selbstgefühl ist. Alles in allem scheint Rosies Selbstgefühl durchaus angemessen zu sein. Vor allem zeigt es ein authentischeres Leben, das viel mehr von ihrem Potenzial als Mensch ausschöpfen würde.
- 4.
Dies gilt auch für die moderne Schematherapie (Young et al. 2003).
- 5.
Offensichtlich arbeitet die psychoanalytische Theorie nicht mit dem Begriff „existenzielles Gefühl“ oder „Selbstgefühl“, wie er in diesem Buch verwendet wird. Man kann jedoch davon ausgehen, dass ihre Grundannahmen über das Wesen des pathologischen Narzissmus größtenteils auch innerhalb des in diesem Buch verwendeten theoretischen Rahmens gültig sind.
- 6.
Dies ist ein willkürlich gewähltes Beispiel, das kein moralisches Vorurteil implizieren soll. Man könnte ähnliche Beispiele mit ganz anderen Lebensentscheidungen anführen.
- 7.
Offensichtlich verwendeten sie nicht den Begriff des „Selbstgefühls“, wie er in diesem Buch entwickelt wurde.
Literatur
Heidegger, M. 2006 [1927]. Sein und Zeit. Tübingen: Niemeyer.
Kernberg, O. 1984. Severe personality disorders: Psychotherapeutic strategies. New Haven: Yale University Press.
Kohut, H. 1971. The analysis of the self: A systematic approach to the psychoanalytic treatment of narcissistic personality disorders. New York: International Universities Press.
Pothast, U. 1988. Philosophisches Buch. Schrift unter der aus der Entfernung leitenden Frage, was es heißt, auf menschliche Weise lebendig zu sein. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
———. 1998. Lebendige Vernünftigkeit. Zur Vorbereitung eines menschenangemessenen Konzepts. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Ratcliffe, M. 2005. The feeling of being. Journal of Consciousness Studies 12(8–10): 45–63.
———. 2008. Feelings of being. Oxford: Oxford University Press.
Young, J. E., J. S. Klosko, und M. E. Weishaar. 2003. Schema therapy: A practitioner’s guide. New York: Guilford Press.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2023 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Nature Switzerland AG
About this chapter
Cite this chapter
Kreuch, G. (2023). Angemessenheit und Unangemessenheit in der Selbstinterpretation. In: Selbstgefühl. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-031-25097-2_15
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-031-25097-2_15
Published:
Publisher Name: Springer, Cham
Print ISBN: 978-3-031-25096-5
Online ISBN: 978-3-031-25097-2
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)