Künstliche Intelligenz (KI) wird die Onkologie und somit die Versorgung von Patient*innen nachhaltig verändern – bzw. sie tut es bereits. Darin sind wir uns alle einig. Allerdings stehen wir in Deutschland aufgrund einer unzureichenden Digitalisierung und Dateninfrastruktur – die Voraussetzung für jegliche KI-Anwendungen – und einer nicht nur in der Politik großen Skepsis in Sachen digitale Gesundheitsdaten erst am Anfang der Entwicklung. Aber um es positiv zu formulieren: Wir haben ein Riesenpotenzial, das es mit Weitblick und Bedacht auszuschöpfen gilt. Ich freue mich daher, dass die aktuelle Ausgabe des Magazins FORUM sich mit der Thematik „Natürliche vs. Künstliche Intelligenz“ auseinandersetzt und verschiedene Expert*innen zu Wort kommen.

In der Onkologie kann KI sehr breit zum Einsatz kommen. Schauen wir beispielsweise auf die robotische Chirurgie, die sich aktuell stark in Richtung digitale Chirurgie weiterentwickelt. Hier spielen KI-Systeme schon heute eine wichtige Rolle. Es gibt die Möglichkeit, neue KI-gestützte Imaging- und Navigationstechniken zu verwenden sowie zusätzliche Informationsquellen direkt in den Operationssaal einzuspielen. Mithilfe von KI könnten chirurgische Daten künftig während der Operation in Echtzeit analysiert und die medizinischen Fachkräfte somit unterstützt werden. Hierzu wird jedoch geschultes Personal benötigt. An manchen Standorten werden dazu bereits Forschungs- und Ausbildungszentren ausgebaut. Das medizinische Personal kann sich dort spezialisieren und bleibt bei der Thematik am Ball. Und genau das ist bei der Anwendung der robotischen Chirurgie und dem Einsatz von KI-Systemen wichtig.

Auch außerhalb der Chirurgie kommt KI natürlich zum Einsatz. Denken wir an das Hautkrebsscreening mithilfe KI-gestützter Bilderkennung. Anhand der Form und Farbgebung auffälliger Hautveränderungen, etwa bei Muttermalen, können Krebs oder Krebsvorstufen identifiziert werden, die einer weiteren Diagnostik bedürfen. Große Fortschritte verzeichnet der Einsatz von KI in der Pathologie: Hier kann KI diagnostische Prozesse erleichtern und automatisieren sowie den Aggressivitätsgrad von Tumoren bestimmen. Zudem können molekulargenetische Veränderungen und prädiktive Biomarker erfasst werden, die für die Therapieauswahl entscheidend sind. In der Strahlentherapie kann KI-gestützt eine bildgeführte Anpassung der Bestrahlungsplanung an die individuellen anatomischen Gegebenheiten erfolgen; der Einsatz der Strahlentherapie wird so präziser, auch die Toxizität lässt sich reduzieren. Diese Aufzählung beinhaltet nur einige von insgesamt vielen Einsatzmöglichkeiten. All diese Beispiele eint aber, dass mit dem Einsatz von KI Prozesse automatisiert werden sowie zeitgleich zeitsparend und oftmals zielgenauer gearbeitet werden kann. Das ist in Zeiten der Präzisionsonkologie und des Fachkräftemangels ein großer Vorteil für die Patient*innenversorgung.

Vergessen wir aber nicht: Grundvoraussetzung für KI-basierte Technologien ist neben einer digitalen Infrastruktur auch eine gute Datengrundlage sowie ein gesamtgesellschaftliches Umdenken in Sachen Datenspende. Denn viele Anwendungen scheitern aktuell daran, dass für KI-Systeme zu wenige Datensätze zur Auswertung zur Verfügung stehen. Auch der Gesetzgeber hat dies erkannt und will mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digitalgesetz) und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) Abhilfe schaffen. Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach möchte mit dem GDNG eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für die Nutzung von Gesundheitsdaten einführen und den Zugang zu Forschungsdaten erleichtern. Gesundheitsdaten aus verschiedenen Quellen sollen dort zu Forschungszwecken miteinander verknüpft werden können. Flankiert werden die deutschen politischen Initiativen von europäischen. Der Europäische Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, kurz EHDS) soll u. a. die Nutzung von europäischen Daten für Forschungszwecke regeln. Die politischen Verhandlungen zum EHDS sind abgeschlossen und die Verordnung wird – nach ihrer formellen Verabschiedung durch Parlament und Rat – voraussichtlich gegen Ende des Jahres in Kraft treten.

Und nicht zu unterschätzen ist zudem das Expert*innenwissen, das hinter der Entwicklung von KI-basierten Algorithmen und Technologien steht. Wir benötigen speziell geschultes medizinisches Personal mit einem Grundinteresse an Informatik. Oder andersherum: Informatiker*innen, die an medizinischen Fragestellungen arbeiten möchten. Vorreiter auf diesem Gebiet sind die USA oder auch Japan. Dort gibt es Unikliniken mit eigenen Abteilungen für pathologische Informatik oder aber Assistenzärzt*innen werden in Sachen Programmierung gezielt fortgebildet.

Die Herausforderungen, KI-Technologien und Anwendungen in die Versorgung zu bringen, sind groß und die regulatorischen Hürden in Deutschland enorm. Denn schon heute bleibt Deutschland in Sachen Digitalisierung hinter seinen Möglichkeiten zurück. Um das gewaltige Potenzial von KI für die Verbesserung der Patientenversorgung wie auch eine zielgerichtetere und effizientere Gestaltung des Gesundheitssystems voll nutzen zu können, gilt es, den Schulterschluss mit der Politik zu suchen. Denn vom Abbau bürokratischer Hürden über den Aufbau der nötigen digitalen und Dateninfrastruktur bis hin zur Ausbildung geeigneter Fachkräfte gibt es zahlreiche Stellschrauben, an denen gedreht werden kann. Und nicht zuletzt sollten sowohl im Sinne einer vertrauenswürdigen und mit Bedacht ausgewählten Dateninfrastruktur als auch aus Gründen der strategischen Unabhängigkeit ambitionierte KI-Projekte „Made in Europe“ gefördert werden.

Ihr Michael Ghadimi

Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft