Die Rotatorenmanschette (RM), bestehend aus der Subscapularissehne (SCP), Supraspinatussehne (SSP) und den posterior gelegenen Infraspinatus- (ISP) und Teres-minor-Sehnen (TM), zentriert den Humeruskopf gegenüber dem Glenoid und ermöglicht zudem das präzise und umfangreiche Bewegungsausmaß im Humeroglenoidalgelenk. Läsionen der Rotatorenmanschette zählen zu den Hauptverletzungen im Bereich der Schulter [1, 2]. Entsprechend den anatomischen Gegebenheiten existiert eine Vielzahl an unterschiedlichen Rupturformen und auch klinischen Beschwerden mit nahezu uneingeschränkter bis komplett aufgehobener Beweglichkeit [1, 3]. Eine besondere Herausforderung stellen dabei insbesondere die irreparablen RM-Rupturen dar, welche mit einem Anteil von bis zu 40 % an allen RM-Rupturen eine wesentliche Gruppe ausmachen [4].

Im Rahmen der vorliegenden Studie soll untersucht werden, inwiefern die Rupturmorphologie (Rupturlokalisation, Rupturausdehnung und fettige Infiltration) der als irreparabel eingestuften Rupturen einen Einfluss auf die aktive Schulterfunktion (v. a. aktives Bewegungsausmaß) hat.

Material und Methoden

Im Rahmen einer multizentrisch angelegten Studie wurden nach positiven Ethikvotum (Nummer: 16-101-0185) für die Durchführung der Studie insgesamt 401 Patienten mit diagnostizierter irreparabler Rotatorenmanschettenmassenruptur (RMM-Ruptur) retrospektiv selektiert und 178 Patienten entsprechend den Einschlusskriterien eingeschlossen (Tab. 1).

Tab. 1 Patientenfälle (n)

Die RMM-Ruptur wurde in Anlehnung an das Delphi Consensus Paper [5] als eine mindestens 2‑Sehnen-Ruptur mit einer Medialisation des Sehnenstumpfes der SSP bis mindestens Höhe des Humeruskopfpols (entsprechend einer Retraktion nach Patte ≥ 2) sowie einer fettigen Degeneration des Muskelbauchs ≥ 50 % (entsprechend einer fettigen Infiltration nach Goutallier ≥ 3) definiert. Entsprechend wurde auch der Status der übrigen an der RM beteiligten Sehnen (ISP, SCP, TM) hinsichtlich einer Rupturbeteiligung und ggf. Rupturlokalisation (anterosuperior = Beteiligung SCP + SSP + ggf. ISP/posterosuperior = Beteiligung SSP + ISP + ggf. TM), Rupturausmaß (SSP/ISP/TM = Retraktion gemäß Patte; SCP = Rupturausmaß gemäß Fox/Romeo) und Muskeldegeneration (fettige Infiltration gemäß Goutallier, bzw. adaptiert nach Fuchs [6]) beschrieben. Entsprechend erfolgte eine Gruppierung in 2‑ und 3‑Sehnen-Rupturen, welche nochmals entsprechend den beteiligten Sehnen in anterosuperiore (SCP + SSP + bei 3‑Sehnen-Rupturen ISP) sowie posterosuperiore (SSP + ISP + bei 3‑Sehnen-Rupturen TM) RMM-Rupturen unterteilt wurden.

Die Bewertung der Rupturmorphologie erfolgte durch die jeweiligen beteiligten Zentren auf Basis eines MRT. Die aktive Beweglichkeit des betroffenen Schultergelenks (Anteversion, Abduktion in der Skapulaebene [im Folgenden Abduktion genannt], Innenrotation und Außenrotation) wurde ebenfalls durch die beteiligten Studienzentren klinisch ermittelt und bei eingeschränkter Abduktionsfähigkeit in Pseudoparese (Abduktion > 45 bis ≤ 90°) und Pseudoparalyse (Abduktion 0 bis ≤ 45°) unterteilt. Der Einschluss erfolgte vorbehaltlich einer definitionsgemäß vorliegenden RMM-Ruptur und erhaltenen passiven Beweglichkeit.

Die statistische Auswertung erfolgte mittels SPSS Software Version 23.0 (SPSS, Chicago, IL, USA). Die Ergebnisse wurden als Mittelwerte ± Standardabweichung bzw. als absolute Werte mit Angabe des prozentualen Anteils angegeben. Zur qualitativen Ermittlung signifikanter Unterschiede wurde der Kruskal-Wallis-(H‑)Test bzw. Mann-Whitney-U-Test angewandt. Zur quantitativen Analyse wurde der Spearman-Korrelationstest eingesetzt. Das Signifikanzniveau wurde zuvor als p-Wert ≤ 0,05 definiert.

Ergebnisse

Bezüglich der ausgewerteten RMM-Rupturen zeigten sich die SSP-Sehne in allen Fällen sowie die ISP-Sehne in nahezu 93 % der Patientenfälle betroffen. Die SCP-Sehne war dagegen nur in knapp über der Hälfte der Fälle (53 %) und die TM in wenigen Fällen (3 %) beteiligt. Entsprechend den anatomischen Gegebenheiten wurden daher die RMM-Rupturen in anterosuperiore (SSP + SCP [+ ISP]) und posterosuperiore (SSP + ISP [+ TM]) jeweils 2‑ oder 3‑Sehnen-Rupturen unterteilt.

Die Auswertung ergab hinsichtlich der allgemeinen Daten signifikante Unterschiede bezüglich der Altersverteilung der jeweiligen Gruppen (p = 0,004; Tab. 2). Bezüglich der Geschlechterverteilung sowie auch Verteilung der betroffenen Seiten und Beteiligung der dominanten Seiten zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in den jeweiligen Gruppen.

Tab. 2 Allgemeine Daten

Bei der Evaluation der Abduktionsfähigkeit zeigte insbesondere die zusätzliche Beteiligung der TM bei posterosuperioren 3‑Sehnen-Rupturen einen signifikanten Effekt in Form einer geringeren Abduktionsfähigkeit gegenüber posterosuperioren 2‑Sehnen-Rupturen (p = 0,046) sowie auch gegenüber anterosuperioren 2‑Sehnen-Rupturen (p = 0,04). Insgesamt wiesen 24,2 % (n = 43) eine Pseudoparese und 51,1 % (n = 91) eine Pseudoparalyse auf. Bezogen auf die einzelnen Gruppen zeigten sich bei den 2‑Sehnen-Rupturen anterosuperior keine Pseudoparesen und in 76,9 % (n = 10) der Fälle Pseudoparalysen, posterosuperior lag dagegen bei 21,8 % (n = 17) eine Pseudoparese und bei 51,3 % (n = 40) eine Pseudoparalyse vor. In der Gruppe der 3‑Sehnen-Rupturen fiel bei den anterosuperioren RMM-Rupturen bei 29,6 % (n = 24) eine Pseudoparese und bei 45,7 % (n = 37) eine Pseudoparalyse auf. Bei den posterosuperioren 3‑Sehnen-Rupturen lag der Anteil der Pseudoparesen bei 33,3 % (n = 2) und der Pseudoparalysen bei 66,7 % (n = 4).

Zu einem geringeren Maße wirkt sich die Beteiligung der TM auch auf die Anteversionsfähigkeit aus. Bezogen auf posterosuperiore 3‑Sehnen-Rupturen zeigte sich gegenüber anterosuperioren 2‑Sehnen-Verletzungen ebenfalls ein signifikanter Effekt (p = 0,046).

Bezüglich des Ausmaßes der Innenrotationsbeweglichkeit zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den antero- und posterosuperioren 2‑Sehnen-Läsionen (p = 0,02). Bezüglich der 3‑Sehnen-Rupturen zeigte sich im Hinblick auf eine SCP Beteiligung ein niedrigerer Durchschnittswert, welcher nicht-signifikant war. Die übrige Auswertung der Innenrotation ergab keine relevanten signifikanten Unterschiede (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Bewegungsfähigkeit bei Rotatorenmanschetten- (RMM-)Rupturen: Bei ac angegeben in Grad, bei d angegeben mit der erreichbaren Höhe beim Schürzengriff (0° abduzierter Oberarm). Die jeweiligen signifikanten Unterschiede sind mit einem Strich und Sternchen gekennzeichnet. Im Text aufgrund fehlender Relevanz nicht angegebener p-Wert: d 2-Sehnen-Ruptur posterosuperior vs. 3‑Sehnen-Ruptur anterosuperior (p = 0,02)

Die Untersuchung der RM-Qualität (Retraktion, fettige Infiltration) der betroffenen RM-Anteile ergab nur geringfügige Unterschiede hinsichtlich der Muskel‑/Sehnendegeneration. Die Supraspinatussehne zeigte sich in der 2‑Sehnen-Rupturgruppe anterosuperior im Vergleich zu den übrigen Gruppen signifikant weniger retrahiert (p = 0,02). Signifikante Unterschiede hinsichtlich des fettigen Umbaus wurden nicht gefunden. Der Vergleich der anterosuperioren 2‑Sehnen-Rupturgruppen vs. der 3‑Sehnen-Rupturgruppen ergab eine weniger ausgeprägte Ruptur und Degeneration zu Gunsten der 3‑Sehnen-Rupturgruppe (Rupturausmaß: p = 0,005; fettige Degeneration: p = 0,044; Tab. 3).

Tab. 3 Rotatorenmanschettenqualität

Insgesamt zeigte lediglich die Subscapularisqualität eine signifikante Korrelation mit der aktiven Innenrotationsbeweglichkeit (Rupturausprägung: p ≤ 0,001; fettige Degeneration: p = 0,006). Die weiterführende Auswertung ergab keine signifikante Korrelation zwischen RM-Qualität und aktiver Schulterbeweglichkeit.

Diskussion

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde entsprechend der aktuellen Literatur die bislang größte Kohorte mit einer RMM-Ruptur hinsichtlich eines Zusammenhangs der Rupturmorphologie auf die aktive Beweglichkeit untersucht. Die Daten zeigen, dass die Abduktionsfähigkeit bei RMM-Rupturen insbesondere von der Zahl der betroffenen Sehnen abhängt. Im Fall von 3‑Sehnen-Rupturen wurde insgesamt ein niedrigeres Bewegungsausmaß im Vergleich zu 2‑Sehnen-Rupturen detektiert, wobei sich insbesondere die Beteiligung des Teres minor (posterosuperioren 3‑Sehnen-Rupturen) signifikant von den antero- und posterosuperioren 2‑Sehnen-Rupturen abhebt. Dies deutet auf eine besondere Funktion des TM hin und unterstreicht die Erkenntnisse von Williams et al. [7], die dem TM insbesondere auch bei RMM-Rupturen eine besondere Bedeutung bei der Balancierung des Glenohumeralgelenks zuschreiben. Ebenso detektierten auch Collin et al. in ihrer Studie bezüglich eines Zusammenhangs zwischen einer chronischen RMM-Ruptur und dem konsekutiven Verlust an aktiver Beweglichkeit an 100 Patienten mit einer RMM-Ruptur 3-Sehnenrupturen als Risikofaktor für die Entwicklung einer Pseudoparalyse [8]. Während Collin et al. [8] oder auch Ernstbrunner et al. [9] allerdings auch anterosuperiore Rupturmuster bei vollständiger Beteiligung des unteren SCP-Anteils als Risikofaktor für die Entwicklung einer Pseudoparalyse oder -parese ausmachten, konnte dies, vermutlich aufgrund der kleinen Gruppengröße und gegebenenfalls auch fehlenden weiterführenden Differenzierung der SCP-Läsion, nicht nachvollzogen werden.

Die Beteiligung des SCP an RMM-Rupturen machte sich dagegen in der Studie vielmehr bei der Beurteilung des Ausmaßes der Innenrotationsbeweglichkeit bemerkbar. Diese zeigte sich bei anterosuperioren Rupturmustern im Vergleich zu posterosuperioren Rupturmustern im Fall von 2‑Sehnen-Rupturen signifikant und im Fall von 3‑Sehnen-Rupturen trendbezogen reduziert. Ein entsprechender Einfluss ist durch die Anatomie bedingte SCP-Funktion zu erklären und zeigt sich ebenso trendbezogen in der Studie von Collin et al. [8]. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das verminderte Ausmaß der Außenrotationsbeweglichkeit bei posterosuperioren RMM-Rupturen im Vergleich zu anterosuperioren RMM-Rupturen zu sehen. Während sich in der vorliegenden Studie, aufgrund der wohl zu kleinen Gruppe von Patienten mit TM-Beteiligung, lediglich Trends ablesen ließen, zeigten die Ergebnisse von Collin et al. [8] signifikante Unterschiede hinsichtlich der Außenrotationsfähigkeit. Das Ausmaß der Anteversionsbewegung wird basierend auf den Untersuchungsergebnissen der vorliegenden Studie ebenso wie die Abduktionsfähigkeit durch die zusätzliche Beteiligung der TM bei RMM-Rupturen beeinflusst, wobei der Effekt weniger stark ausfällt. Wattanaprakornkul et al. [10] zeigten in diesem Zusammenhang, dass neben dem SSP und ISP insbesondere auch Muskeln in direkter anatomischer Nachbarschaft zur RM, wie beispielsweise der M. deltoideus, M. trapezius oder auch M. serratus anterior, während der Anteversionsbewegung aktiviert werden und somit entsprechende RM-rupturbedingte Defizite kompensieren können, sodass die Zusammenhangsfrage der Rupturmorphologie mit der aktiven Schulterbeweglichkeit hinsichtlich der Anteversionsfähigkeit nicht unverfälscht beantwortet werden kann.

Neben der Rupturlokalisation ist auch die RM-Qualität für die Beurteilung der Rupturmorphologie von Bedeutung. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigten diesbezüglich lediglich eine signifikante Korrelation zwischen der RM-Qualität (Rupturausmaß und fettige Infiltration) der SCP und der aktiven Innenrotationsfähigkeit, so dass in diesem Zuge von keinem klinisch relevanten Zusammenhang der RM-Qualität bei RMM-Rupturen mit der aktiven Schulterbeweglichkeit ausgegangen werden kann. Diese Feststellung bestätigt die Ergebnisse von Mc Cabe et al. [3], die den Effekt der RM-Rupturgröße auf die Kraft und Beweglichkeit der Schulter an 60 Patienten untersuchten und in diesem Rahmen u. a. feststellten, dass der Beweglichkeitsverlust nicht von der Sehnenretraktion beeinflusst wird. Dem sind die Studienergebnisse von Ernstbrunner et al. [9] gegenüberzustellen. Im Rahmen einer Studie zur Unterscheidung von Patienten mit Pseudoparalyse von Patienten mit einer Pseudoparese detektierten sie beweglichkeitsabhängig signifikante Unterschiede bezüglich der fettigen Degeneration der SSP, ISP und SCP sowie auch signifikante Unterschiede bezüglich der Rupturausprägung der SCP.

Im Zusammenhang mit der vorliegenden Studie muss auch auf einige Limitationen hingewiesen werden. Im Rahmen des multizentrischen Ansatzes und der zentrumsbezogenen Datenerhebung kann keine Inter- und Intraobserverreliabilität berechnet werden, so dass eine gewisse Messungenauigkeit im Hinblick auf die tatsächliche Schulterbeweglichkeit und auch die Rupturmorphologie postuliert werden muss. Die Messungenauigkeit wird zudem auch durch die Vielzahl an unterschiedlichen Observern verstärkt. Außerdem ist auch die klinische Bestimmung der Schulterbeweglichkeit mit einer erheblichen Varianz assoziiert.

Weiterführende Studien mit einheitlicher Auswertungsgrundlage und auch mit Einbezug von weiteren möglichen Einflüssen auf die aktive Schulterbeweglichkeit, wie beispielsweise der Skapulaanatomie, sind daher zukünftig durchzuführen, um die aktive Schulterbeweglichkeit bei RMM-Rupturen besser verstehen und dann auch therapeutisch adressieren zu können.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass insbesondere 3‑Sehnen-Rupturen einen Einfluss auf die aktive Schulterfunktion haben und in diesem Zusammenhang insbesondere eine Beteiligung des TM mit einer signifikant reduzierten Abduktions- aber auch Anteversionsfähigkeit einhergeht. Die RM-Qualität der betroffenen muskulotendinösen Einheiten zeigte sich in diesem Kollektiv von Massenrupturen dagegen weniger relevant für die aktive Schulterbeweglichkeit.

Fazit für die Praxis

  • Die Bewertung der Rupturmorphologie erfolgte durch die jeweiligen beteiligten Zentren auf Basis eines MRT.

  • Bezüglich der ausgewerteten Rotatorenmanschettenmassen-(RMM-)Rupturen zeigten sich die Supraspinatussehne (SSP) in allen Fällen sowie die Infraspinatussehne (ISP) in nahezu 93 % der Patientenfälle betroffen.

  • Bezüglich der Abduktionsfähigkeit bei RMM-Rupturen scheint insbesondere eine Beteiligung der Teres-minor-Sehne (postero-superiore 3-Sehnenrupturen) von Bedeutung zu sein.

  • Insgesamt wiesen knapp ein Viertel (24,2 %) der untersuchten Population eine Pseudoparese und ungefähr die Hälfte (51,1 %) eine Pseudoparalyse auf.

  • Die Innenrotationsfähigkeit ist vor allem bei antero-superioren RMM-Verletzungen beeinträchtigt.