Das Motto zur Jahrestagung 2012 der „Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin“ in Berlin ist Ausdruck einer Entwicklung jenseits (oder in Ergänzung) der etablierten prästationären Notfallmedizin, die sich seit einigen Jahren nun auch in Deutschland vollzieht: nämlich das zunehmende Interesse an einem Fachgebiet, welches sich in seiner Eigenständigkeit und gleichzeitig bestehender enger Beziehung zu allen klinischen Fächern auch hierzulande weiterentwickelt. Aber „Faszination“ist mehr als nur „Interesse“. Sucht man nach Synonymen zum Wort „Faszination“, so findet man z. B. im Duden Alternativbegriffe wie „anziehende Wirkung, Anziehungskraft, Attraktivität, bezaubernde Ausstrahlung, Charme, fesselnde Wirkung, Reiz, Verzauberung, Zauber, Zugkraft, Attraktion“ (zitiert nach duden.de, 2012). Und in der Tat, jeder dieser Begriffe spiegelt einzelne Facetten wider, die jeder von uns Notfallmedizinern bereits erlebt hat und die uns immer wieder motivieren, auf diesem Gebiet weiterzuarbeiten.

Gleichzeitig ist uns aber bewusst, dass diese „Faszination“ immer wieder auf das Neue geweckt werden muss. Dies wird nur möglich sein, wenn wir uns kontinuierlich mit den Inhalten, Strukturen und Prozessen der notfallmedizinischen Versorgung befassen und diese immer wieder kritisch hinterfragen. All das mit dem Ziel, die Qualität der rund 20 Mio. Patienten, die in deutschen Notaufnahmen jährlich versorgt werden, auf hohem Niveau zu halten.

Die Beiträge des vorliegenden Leitthemenheftes sollen genau zu einer solchen Diskussion bzw. kritischen Auseinandersetzung anregen. Christ et al. gehen auf die Entwicklung der Chest Pain Units (CPU)in Deutschland ein. In dieser kritischen Bestandsaufnahme werden die positiven Effekte eines standardisierten Vorgehens bei „Brustschmerz“ hervorgehoben. Gleichzeitig werden aber auch die Problematik und Fehleranfälligkeit einer fachspezifischen Zuweisung nur aufgrund eines Leitsymptoms und einer damit verbundenen separierten notfallmedizinischen Versorgungsstruktur in Form einer CPU angesprochen und die vorliegende Datenlage hierzu dargestellt.

Im Beitrag „Intensivtherapie in der Notaufnahme – überflüssiger Luxus oder sinnvolle Kompetenz?“ kommen Behringer et al. zu dem Schluss, dass intensivmedizinische Kompetenz in einer Notaufnahme bzw. Notfallabteilung eine grundsätzliche Notwendigkeit darstellt, ja Vorraussetzung ist, um die Ergebnisqualität bei der Erstversorgung der Patienten zu verbessern. Dies legen sie plausibel dar. Gleichzeitig wird beim Lesen dieses Beitrags aber auch klar, dass die Grenzen zwischen einer intensivmedizinischen „Erstversorgung“ und einer längerfristigen intensivmedizinischen Therapie fließend sind. Schon aus strukturellen und personellen Gründen dürften wohl nur wenige Notaufnahmen in der Lage sein, eine intensivmedizinische Versorgung über einige Stunden hinaus zu gewährleisten. Eine länger andauernde Intensivtherapie ist im individuellen Krankenhauskontext mit speziell verteilten Ressourcen vielleicht auch nicht immer zielführend. Schließlich haben trotz großer Schnittmengen Notfallmedizin und Intensivmedizin letztlich doch einen jeweils anderen Schwerpunktbei der Versorgung schwerkranker Patienten.

Stewig-Nitschke adressiert mit ihrem Beitrag „Instrumente der Personalentwicklung am Beispiel der ZNA’‘ ein zentrales strukturelles Problem, nämlich den Einsatz von qualifiziertem Pflegepersonal in zentralen Notaufnahmen. In ihrem wichtigen Beitrag stellt sie die notwendigen Schritte zur strategischen Personalentwicklung für Pflegekräfte in Notaufnahmen dar, die als Grundlage für gezielte Personalentwicklung diskutiert werden können. Diese Diskussion gewinnt umso mehr Bedeutung, als doch aktuell der Wissenschaftsrat die Notwendigkeit einer weiteren Akademisierung der Pflege in den Fokus gerückt hat.

Insgesamt soll dieses Leitthemenheft die „Faszination“ der Notfallmedizin aus aktuellen Perspektiven beleuchten und zu ihrer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Und wie immer will und wird Notfall + Rettungsmedizin diesen Prozess auch weiter begleiten und kommentieren.

Ihre

Hans-Richard Arntz

Rajan Somasundaram