Klinische Studien optimieren kontinuierlich den Behandlungsstandard in der onkologischen Versorgung, verbessern das Nebenwirkungsprofil, stellen für Patient:innen konkrete Behandlungsmöglichkeiten und einen Zugang zu innovativen Ansätzen dar und eröffnen teilweise die Chance auf ein Langzeitüberleben. Die Entwicklung der Immuntherapie (Checkpointblockade) in der Melanomtherapie macht dies besonders deutlich, da durch diese neue Therapieform erstmalig ein relevantes Langzeitüberleben erzielt werden kann. Viele der Patient:innen erhielten Zugang zu diesen Substanzen über klinische Studien, Early-Access-Programme oder Off-label-Verschreibungen. Der Zugang zu experimentellen Therapieformen im Rahmen von klinischen Studien ist deswegen hochgradig patientenrelevant und aktuelle Strukturen der Gesundheitsversorgung sollten diesen möglichst niederschwellig ermöglichen.

Die Qualität klinischer Studien konnte sich in den letzten Dekaden stetig verbessern. Mit diesem Fortschritt sind die Harmonisierung und Regulierung der studienspezifischen Prozesse untrennbar verbunden, diese tragen aber auch wesentlich zur zunehmenden Komplexität klinischer Studien bei. Der Wissenszugewinn der letzten Forschungsdekade hat zu einer raschen Entwicklung onkologischer Therapiemöglichkeiten geführt, gleichzeitig werden aber auch die Grenzen des aktuellen Systems immer deutlicher. Die Verkürzung der Rekrutierungszeiten und die Zunahme der Neuentwicklungen schaffen ein Studienkontinuum, das optimierte Prozesse benötigt, um Patient:innen einen raschen Zugang zur Studienmedizin zu ermöglichen. Während wir eine Hochphase der onkologischen Substanzentwicklung erleben, konnten sich bisher weder die regulatorischen noch die strukturellen Voraussetzungen ausreichend an diese neuen Verhältnisse anpassen. Hierdurch kommt es zu Verzögerungen von Abläufen sowie zum Verschleppen der Einführung von Innovationen und damit auch des potenziellen Nutzens für Patient:innen. Dies trifft insbesondere für Patientenrandgruppen zu, wie Schwangere, Kinder und Jugendliche sowie Patienten des höheren Lebensalters. Um den modernen Bedürfnissen in klinischer Forschung gerecht zu werden, müssen Schwachstellen identifiziert werden, die eine Optimierung des Prozesses verhindern. Hierzu erfolgte während der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) eine Expert:innendiskussion von Stakeholdern, die typische Hürden in der Umsetzung von klinischen Studien identifizieren konnte: insbesondere eine unzureichende Digitalisierung, fehlende Dokumentations- und Datenverarbeitungsstandards und fehlende Automatisierungsprozesse. Vorschläge zum Abbau dieser Hürden wurden erarbeitet und sind Gegenstand dieses Positionspapiers.

Nicht zuletzt durch die Coronapandemie wurde deutlich, wie wichtig klinische, an Patient:innen orientierte Forschung ist. Dabei ergänzten sich wissenschaftliche und kommerzielle Interessen, wodurch thematisch sehr unterschiedlich ausgerichtete klinische Studien initiiert wurden. Diese müssen zügig, zielgerichtet auf die Studienhypothese und verantwortungsvoll durchgeführt werden können. Die Ergebnisse demonstrieren höchst eindrucksvoll, welchen grundlegenden Einfluss Koordination und Harmonisierung auf klinische Studien haben können und welche Lösungsansätze hier bei alten Problemen helfen.

Studienergebnisse, basierend auf einer Stichprobe, können weitreichende Auswirkungen haben auf zukünftige Therapieentscheidungen in der breiten Versorgung. Dementsprechend muss sichergestellt bleiben, dass die Daten unvoreingenommen, vollständig und transparent erhoben, ausgewertet und berichtet werden. Die an Studien teilnehmenden Patient:innen, die häufig für sich selbst keinen eigenen, unmittelbaren Vorteil erwarten können, gilt es zusätzlich in besonderem Maße zu schützen.

Die Organisation klinischer Studien ist aus gutem Grund mit hohen regulativen Vorgaben verknüpft, die jedoch zunehmend in nicht immer zielführende, bürokratische Anforderungen münden. So werden schriftliche Patientenaufklärungen mit Informationen überfrachtet, entsprechende Vorlagen sehen mittlerweile sogar ein Inhaltsverzeichnis vor. Dabei wird der effektive Informationstransfer zu Patient:innen durch derart umfangreiche Schriften schon lange infrage gestellt. Die behördliche Initiative für risikobasiertes Qualitätsmanagement verfolgte ursprünglich das Ziel, Aufwand zu reduzieren, um z. B. das Monitoring fokussiert auf die wirklich relevanten Aspekte einer Studie richten zu können. Die konkrete Umsetzung der guten Idee droht auch in diesem Fall in einem Auswuchs an Handlungen und Dokumentation zu münden.

Zukünftige Interpretationen und Umsetzungen der (quasi) rechtlichen Vorgaben für klinische Studien sollten die o. g. Aspekte differenziert berücksichtigen, dabei aber auch pragmatische, dennoch verantwortungsvolle und zielführende Vorgehensweisen zulassen. Um mit einer Initiative zum Bürokratieabbau in klinischen Studien Erfolg zu haben, bedarf es von Beginn an der Beteiligung aller relevanten Akteure, inkl. Patient:innen, Vertretern von erfahrenen Studienzentren, Koordinierungszentren für klinische Studien (KKS), Contract-Research-Organisationen (CRO) sowie Ethikkommissionen und Behörden.

Aktivierungszeit klinischer Studien

Europaweite Harmonisierung verkürzt das Bewertungsverfahren

Im Zuge der neuen Clinical Trial Regulation, der VO (EU) Nr. 536/2014, wird das Genehmigungsverfahren in allen Mitgliedsländern der EU vereinheitlicht und verkürzt. Die Verordnung wird zum 31.01.2022 in Kraft treten. Jede Einreichung/Kommunikation erfolgt über das EU-Portal ausschließlich elektronisch. Es gibt stark verkürzte Bearbeitungsfristen (initiales Assessment innerhalb von 26 Tagen/12 Tage Frist für den Sponsor zur Mängelbeseitigung) und eine zweiteilige wissenschaftliche Bewertung des Antrags durch die Ethikkommission und jeweilige Bundesoberbehörde (BOB), BfArM oder PEI. Das Antragsverfahren wird somit wesentlich schneller und effizienter werden. Das bereits 2019 eigeführte neue Strahlenschutzgesetz ist hier ein gutes Beispiel, die Fristsetzung zur Bearbeitung von Anträgen konnte wesentlich zur Beschleunigung klinischer Studien mit Strahlenexposition beitragen. Wesentliche Vorteile des europaweiten Prozesses sind die Harmonisierung innerhalb der EU (ein Antrag für alle Mitgliedsländer) und die simultane Bewertung der Studien durch die Behörden und die Ethikkommissionen. Allerdings kann die 12-Tage-Frist, die dem Sponsor zur Mängelbeseitigung eingeräumt wird, gerade akademische Einrichtungen im Rahmen von akademischen Studien vor Herausforderungen stellen. Das Angebot der BOB zur wissenschaftlichen Beratung der Antragstellenden vor Antragseinreichung ist hier ein wichtiges Element für eine zeitgerechte Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben und damit zur Beschleunigung der Verfahren. Die BOB bietet bereits Beratungsgespräche zu geplanten klinischen Studien oder Änderungen von klinischen Studien an. Diese sollten prinzipiell für akademisch initiierte Studien möglichst kostenfrei und unbürokratisch sowie zeitnah von den BOB angeboten werden. Dadurch können im Vorfeld viele bürokratische Hürden genommen werden. Weiteres wichtiges Element ist in Deutschland eine Vereinfachung und Harmonisierung des Beratungsverfahrens bei Ethikkommissionen.

Verbesserung der Vertragsumlaufzeiten

Zur guten Durchführung einer klinischen Studie bedarf es einerseits Zeit, um die richtigen Patient:innen auszuwählen und sie dann protokollgemäß zu behandeln. Zugleich ist es wichtig, dass Studien so schnell wie möglich durchgeführt werden, um die gewonnenen Erkenntnisse rasch in die klinische Praxis umzusetzen.

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dauert es in Deutschland zu lange, bis eine klinische Studie gestartet werden kann. Da die meisten durch die Pharmaindustrie beauftragten Studien global durchgeführt werden und die Rekrutierung in der Regel kompetitiv erfolgt, bedeutet dies nicht, dass die Studien länger dauern, sondern dass den deutschen Prüfärzt:innen weniger Zeit für die Rekrutierung von Patient:innen bleibt als ihren Kolleg:innen in anderen Ländern und damit auch weniger Patient:innen die Möglichkeit erhalten, an einer klinischen Prüfung teilzunehmen. Deutsche Studienstandorte müssen sich gegenüber anderen europäischen und weltweiten Zentren als kompetente Partner behaupten, um so innovative klinische Studien national anbieten zu können. Neben Datenqualität und Rekrutierungsleistung sind Kennzahlen zur Zentrumsaktivierung wichtige Instrumente in diesem Wettbewerb. Genau hier führen bürokratische Hürden zu Verzögerungen und schwächen so den Studienstandort Deutschland. Andere europäische Länder wie Frankreich, Spanien, Italien sowie die Niederlande bieten einfachere Lösungen und sind damit präferierte Partner in diesem Kontext. Diese bekannten Hürden führen in Studien auch zu einer strategischen Entscheidung gegen den Studienstandort Deutschland.

Da die lange Set-up-Zeit maßgeblich durch einen erhöhten bürokratischen Aufwand entsteht, sollen die nachfolgenden Vorschläge zu einer schnelleren Studieninitiierung und damit zu besseren Studienbedingungen in Deutschland beitragen:

  • Die Vertragsverhandlungen dauern zum Teil sehr lange und sind deutlich länger als im benachbarten europäischen Ausland. Der Einsatz von Mustervertragsklauseln sowie die Priorisierung solcher Verträge an den jeweiligen Studienzentren kann zur Beschleunigung des Prozesses beitragen.

  • Einreichungsverfahren bei Ethikkommissionen und Bundesoberbehörden verzögern sich oft, da wiederkehrende zentrale Dokumente, wie Lebenslauf der Prüfärzt:innen oder Prüfstellenbeschreibung, nicht zeitgerecht eingereicht werden. Die repetitive und händische Einreichung dieser Dokumente für jede Studie ist fehleranfällig, bindet Kapazitäten und führt damit zu Prozessverzögerungen. Ein nationales Register für zentrale Studiendokumente, mit bedarfsgerechtem Zugang für Ethikkommissionen oder qualifizierte Anfragende, optimiert den Einreichungsprozess. Die Verknüpfung von Studienunterlagen und registrierten Zentrumsdaten verkürzt die Zeit bis zum Studienstart und entlastet das Studienteam von redundanten Meldungen.

  • Unterschriften werden häufig immer noch auf Papier geleistet. Eine Umstellung auf digitale Unterschriften bei klinischen Prüfungen schafft einen transparenten und skalierbaren Prozess, der zur Reduktion der Umlaufzeiten führt (Tab. 1).

Tab. 1 Maßnahmen zur Verbesserung der Aktivierungszeiten klinischer Studien

Patient:innenzentrierte Studienaufklärung

Die Harmonisierung des Ethikverfahrens für nationale Studien, in Analogie zur EU-Direktive Nr. 536/2014, durch Benennung einer zentralen Ethikkommission und Fristsetzung soll zukünftig den Aufwand in der Interaktion und damit die Bearbeitungszeiten verkürzen.

Die Überfrachtung der Patient:innen mit klinischen Informationen während der Patientenaufklärung ist aktuell ein relevantes Problem im Rahmen der klinischen Forschung. Die Entwicklung eines Kerngerüsts eines patientenverständlichen Aufklärungsbogens mit patientenrelevanten Inhalten führt zur Reduktion von Hürden zur Studienteilnahme. Hierzu ist insbesondere der Umfang der schriftlichen Patienteninformation inkl. Datenschutzinformation auf wenige Seiten zu begrenzen und es sollte der Verweis auf Gesetzestexte, Paragraphen und Regularien minimiert werden. Hierzu kann auch eine verbindliche Vorlage für eine strukturierte und stichpunktartig aufgebaute Patienteninformation dienen. Regionale Unterschiede in der Handhabung von Studien, z. B. durch verschiedene lokale Ethikkommissionen innerhalb eines Protokolls, erschweren zusätzlich den Prozess und erzeugen Ungerechtigkeiten. Ein charakteristisches Problem ist zum Beispiel die Diskrepanz in der Anerkennung von fremdsprachigen Einverständniserklärungen und dem damit verbunden Zugang zu experimentellen Therapien in verschiedenen Bevölkerungsgruppen.

Strukturierte Berichte zur Pharmakovigilanz in Studien

Die Menge an Meldungen von unerwarteten Ereignissen im Rahmen von Studientherapien unterstreicht die Relevanz des aktuellen pharmakologischen Meldesystems. Gleichzeit zeigt das Verfahren aber auch die Grenzen der Machbarkeit auf. Die Fülle der Einzelmeldungen führt zu einer Flut an Eingängen am Zentrum, die an jedem Zentrum einzeln bewertet und in der Studiengruppe disseminiert werden müssen. Hierdurch kommt es zur Multiplikation der Bewertungsaufgabe auf nationaler Ebene, was die Effizienz der Überwachungsmaßnahme limitiert. Durch Erschöpfung der Bewertungskapazität am Studienzentrum kommt es zur Minderung der Bearbeitungsqualität und gegenteilige Effekte treten auf. Die Berichterstattung mittels aggregierter Berichte durch den Sponsor, unter Herausstellung relevanter Ereignisse („key message“) statt Einzelmeldungen, schafft durch den zentralen Charakter der Maßnahme Valenzen an den Zentren und ermöglicht so den Prüfärzten die Fokussierung auf deren originäre Aufgabe zur Wahrung der Patientensicherheit. Die Legitimierung eines einheitlichen und strukturierten pharmakologischen Berichtswesens ist notwendig, um mit dem aktuellen Wachstum klinischer Forschung mithalten zu können.

Etablierung von Remote-Monitoring

Die aktuelle COVID-19-Pandemie zeigt eindrücklich, dass wir mit unseren bisherigen Strukturen an die Grenzen des Machbaren stoßen können. Während die qualitätskontrollierte Überprüfung der Dateneingabe in Studien durch das Monitoring erfolgt, ist momentan der Zugang zu vielen Zentren im Sinne des Infektionsschutzgesetzes limitiert. Aber auch praktische Gesichtspunkte und Erwägungen des sparenden Umgangs mit Personal- und Sachressourcen sowie ökologischen Ressourcen lassen ein Remote-Monitoring zeitgemäß erscheinen. Einheitliche Vorgaben zur externen, digitalen Datenüberprüfung sind aber derzeit nicht etabliert und machen damit ein Remote-Monitoring quasi unmöglich. Bei zunehmender Verbreitung von digitalen Quelldateien besteht prinzipiell die Voraussetzung für ein Remote-Monitoring und es bedarf der weiteren Standardisierung, die die schnelle und zeitnahe Qualitätssicherung in klinischen Studien ermöglicht. Aktuell fehlen etwaige Gesetzesvorgaben, die ein solches Vorgehen stützen.

Automatisierung in der Erfassung von Studiendaten

Studienakten sollen ausschließlich digital geführt werden. Der Zugang zu Studiendaten erfolgt dann durch Freigabe am Zentrum anhand eines standardisierten Datensatzes mittels digitaler Schnittstellen. Klinische Daten, Laborwerte sowie Befunde der bildgebenden oder histopathologischen Diagnostik sollten aus dem medizinischen Informationssystem auch zentrumsübergreifend übermittelt werden. Der Wegfall der händischen Übertragung spart Zeit, schont Personalressourcen und minimiert die Fehlerquote. Die Etablierung von entsprechenden Schnittstellen und die Definition standardisierter Datensätze sind notwendig, um diese Entwicklung zu ermöglichen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Durchführung klinischer Studien ist komplex und ein Abbau von bürokratischen Hürden ist für die Verbesserung der Effizienz und der Qualität notwendig. Eine große Chance besteht in einer Digitalisierungsoffensive zum Abbau von Bürokratie in Studien, deren Umsetzung durch entsprechende Förderprogramme unterstützt werden sollte. In unserem interdisziplinären Diskurs konnten wir folgende Optimierungsansätze identifizieren:

  • Verkürzung der Aktivierungszeiten der Studienzentren

  • Patient:innenzentrierte Aufklärungsprozesse mit Verschlankung der Aufklärungsdokumente

  • Aggregierte Berichterstattung der Pharmakovigilanz durch den Sponsor

  • Etablierung eines Remote-Monitorings und Förderung von Maßnahmen zum standardisierten Datenexport von Quelldaten in Studien

  • Homogenisierung der länderspezifischen Ausführungsvorschriften der DSGVO und Verringerung der nationalen deutschen Vorschriften und Bürokratisierung auf das forschungsfreundlichere europäische Niveau

Der immense Wissenszuwachs der letzten Jahre und die damit verbundene Welle klinischer Studien zeigt aber auch klar, dass neue Strukturen zur Wissensgenerierung gedacht werden müssen. Der Zuwachs an therapeutischen Möglichkeiten verbessert die Patientenversorgung und schafft eine Therapielandschaft mit neuen Bedürfnissen. Damit ergeben sich klinisch relevante Fragen, die wir nicht alle in kontrollierten, randomisierten Studien testen werden können. Wir benötigen neue Formate der klinischen Prüfung, und entsprechende Studienstrukturen, die schnell und zukunftsorientiert klinische Fragen beantworten können. Beispielhaft sind in diesem Kontext die Plattformstudien der DKG zu nennen, die mittels ihrer Netzwerkstruktur patientenrelevante Versorgungsfragen adaptiv untersuchen. Die Integration relevanter Akteure der Tumortherapie in das interdisziplinäre Netzwerk der DKG erlaubt es, komplexe klinische Fragen zu beantworten. Plattformstudien sowie die Verschlankung der Studienprozesse sind zukunftsorientierte Elemente der akademischen Wissensgenerierung.