Seit Beginn des letzten Jahres mehren sich die Fälle eines Kawasaki-ähnlichen Krankheitsbildes, das mit der „coronavirus disease 2019“ (COVID-19-Erkrankung) in Verbindung gebracht wird. Die WHO definiert dieses als eigenständiges Krankheitsbild, das „multisystem inflammatory syndrome in children (MIS-C) associated with coronavirus disease 2019“. Im europäischen Raum wird analog dazu der vom Royal College of Paediatrics and Child Health etwas weiter gefasste Begriff des „pediatric inflammatory multisystem syndrome temporally associated with SARS-CoV‑2 infection“ (PIMS-TS) genutzt. Die Symptome können dabei die Kriterien eines klassischen Kawasaki-Syndroms erfüllen oder aber auch von dem klassischen Bild abweichen.

Es wird von einem 9-jährigen Jungen mit klassischem Kawasaki-Syndrom und positivem SARS-CoV-2-Antikörper-Status berichtet.

Falldarstellung

Anamnese

Die Vorstellung des Patienten erfolgt bei seit 6 Tagen bestehendem Fieber bis 40 °C und Husten sowie seit 3 Tagen bestehendem Durchfall und Erbrechen. Zudem zeigen sich seit wenigen Tagen ein juckender Hautausschlag sowie eine Rötung der Augen. COVID-19-Fälle in der Umgebung der Familie seien nicht bekannt. Ein ambulant durchgeführter SARS-CoV-2-Abstrich (PCR, Rachen) fiel negativ aus.

Befund

Ein 8 9/12 Jahre alter Junge rumänischer Abstammung in reduziertem, aber insbesondere kardiorespiratorisch stabilem AZ und schlankem EZ, halonierte Augen, beidseitige nichteitrige Konjunktivitis, blass-rosiges Hautkolorit, stammbetontes polymorphes, teilweise urtikariell imponierendes, nichtjuckendes Exanthem, Rachenring gerötet, Tonsillen geschwollen, keine Beläge, Zunge initial noch reizlos, zervikale Lymphknoten leicht vergrößert tastbar, Pulmo/Cor/Abdomen unauffällig, Blutdruck normoton, Temperatur: 40,0 °C.

Diagnose

V. a. fieberhaften Infekt.

Diagnostik

Die Laborbefunde finden sich in Tab. 1.

Tab. 1 Laborparameter

SARS-CoV-2-PCR aus tiefem Rachenabstrich vom Aufnahmetag: negativ.

Sonographie des Abdomens: minimale Pleuraergüsse beidseits (3–6 mm), milde Hepatosplenomegalie.

Thoraxröntgen:

  1. 1.

    dezente Verschattung des linken Lungenunterlappens, minimaler basaler Pleuraerguss links,

  2. 2.

    Verbreiterung und Verdichtung der zervikalen Weichteile, links mehr als rechts,

  3. 3.

    regelrechter kardialer Befund. Zentral kräftige Gefäßkaliber mit geringen Zeichen der Bronchitis.

Ruhe-EKG: altersentsprechender Normalbefund.

Echokardiographie:

  1. 1.

    Erstuntersuchung: Nachweis einer kardialen Mitbeteiligung in Form einer höhergradigen Koronardilatation der linken Koronararterie (LCA) über eine Strecke von 1,5 cm auf eine Breite von 3,8–4,6 mm (maximaler Z‑Score (bei BSA 0,91 m2) 4,13 ≙ leichtes Aneurysma) ([5]; Abb. 1). Kein Hinweis auf eine Myokarditis, kein Perikarderguss;

  2. 2.

    Kontrolle nach 3 Tagen: Befundverbesserung an der dilatierten LCA, maximale Dilatation noch 3,8 mm (maximaler Z‑Score 2,84 bei BSA 0,91 m2);

  3. 3.

    ambulante echokardiographische Kontrollen nach 11, 18 und 36 Tagen: weitere Befundstabilisierung (Abb. 2) und im weiteren Verlauf deutliche Befundbesserung, keine verbliebene aneurysmatische Aussackung erkennbar (Abb. 3).

Abb. 1
figure 1

Initiale Echokardiographie – Dilatation der LCA auf 4,6 mm (grüne Linie) (Samsung Medison HS 50, Schalkopf PE2-4, Seoul, Südkorea)

Abb. 2
figure 2

Ambulante Echokardiographiekontrolle nach 18 Tagen – Stabilisierung des Befundes mit LCA-Dilatation auf maximal 4,4 mm (blaue Linien 13) (GE Vivid9, Schallkopf M5S)

Abb. 3
figure 3

Ambulante Echokardiographiekontrolle nach 36 Tagen – Besserung des Befundes mit LCA-Dilatation auf maximal 2,6 mm (blaue Linien 1 und 2) (GE Vivid9, Schallkopf M5S)

SARS-CoV-2-IgG (S/P) (ELISA) bei Entlassung: 5,8 (Referenzwert <0,8).

SARS-CoV‑2, Total-AK (Index) 15 Tage nach Entlassung: reaktiv ++.

Therapie und Verlauf

Die stationäre Aufnahme des Kindes erfolgte unter dem klinischen Verdacht auf einen Virusinfekt. Laborchemisch fanden sich leicht erhöhte Entzündungszeichen sowie eine Hyponatriämie (Tab. 1). Initial sahen wir eine Thrombozytopenie. Am 8. stationären Tag entwickelte sich eine Thrombozytose mit einer maximalen Thrombozytenzahl am 9. Tag von 831•103/µl (Tab. 1). Die übrigen Laborwerte (inkl. Leber- und Nierenwerte) zeigten keine wesentlichen Auffälligkeiten. Der Rachenabstrich auf SARS-CoV‑2 bei Aufnahme fiel negativ aus.

Am zweiten stationären Tag zeigte sich eine ausgeprägte einseitige dorsal-zervikale nichteitrige Lymphadenopathie >1,5 cm. Am dritten stationären Tag entwickelte der Junge eine Erdbeerzunge, sodass wir bei zugleich bestehendem persistierenden hohen Fieber, beidseitiger nichteitriger Konjunktivitis sowie polymorphem Exanthem klinisch die Diagnose eines Kawasaki-Syndroms stellen konnten.

Vor Beginn der spezifischen Therapie führten wir, zum Ausschluss einer Infektion als Ursache der Beschwerden, eine Urinuntersuchung, ein Thoraxröntgen, eine Diagnostik bezüglich respiratorischer Viren, eine EBV-, Parvovirus-B19- und CMV-Serologie sowie eine Sonographie des Abdomens durch. Es zeigten sich durchweg unauffällige Befunde. Die im Thoraxröntgen beschriebenen Befunde werteten wir bei fehlender pulmonaler Klinik nicht als Pneumonie, sondern, ebenso wie die milde Hepatosplenomegalie, als unspezifischen entzündlichen Nebenbefund bei Kawasaki-Syndrom. Ein Fokus konnte nicht eruiert werden.

Differenzialdiagnostisch ergaben sich weder klinisch noch laborchemisch Hinweise für ein streptokokken-induziertes toxisches Schocksyndrom (STSS), ein Stevens-Johnson-Syndrom, eine thrombotische Mikroangiopathie oder ein Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS).

Am 3. stationären Aufenthaltstag verabreichten wir einmalig 2 g/kgKG intravenöse Immunglobuline (IVIG) und begannen nach der Leitlinie der American Heart Association (AHA) [3] eine hochdosierte Therapie mit 80 mg/kgKG ASS p.o., das wir im weiteren Verlauf nach der DGPK-Leitlinie [5] erst auf 40 mg/kgKG und nach 72-stündiger Entfieberung auf 4 mg/kgKG reduzierten. Darunter besserte sich der klinische Zustand des Patienten langsam; die Entfieberung trat am Abend nach der IVIG-Gabe (nach insgesamt 10 Tagen) ein.

In der Echokardiographie am Tag nach der IVIG-Gabe zeigte sich eine kardiale Beteiligung in Form einer höhergradigen Dilatation der linken Koronararterie (LCA). Wir begannen leitliniengerecht eine Therapie mit einem Glukokortikoid. Der Patient erhielt, entgegen der gängigen Leitlinie und bei schon eingetretener Entfieberung, aufgrund der schnelleren Verfügbarkeit 2 mg/kgKG Prednisolon p.o., welches im weiteren Verlauf nach Leitlinie reduziert werden konnte.

Bei einer Kontrolle des Koronarbefundes 3 Tage nach der initialen Echokardiographie zeigte sich eine rückläufige Dilatation der LCA. In den ambulanten kinderkardiologischen Nachkontrollen konnten eine weitere Stabilisierung dokumentiert und ein manifestes Aneurysma ausgeschlossen werden.

Vor Entlassung des Patienten bestimmten wir die SARS-CoV-2-Antikörper, die positiv ausfielen. In einer Verlaufskontrolle 15 Tage nach Entlassung zeigten sich weiterhin hochreaktive Antikörper. Wir gehen daher in Zusammenschau der Befunde von einem Kawasaki-Syndrom bei bzw. infolge einer COVID-19-Erkrankung aus.

Diskussion

Das Kawasaki-Syndrom ist durch eine Vaskulitis der kleinen und mittelgroßen Blutgefäße gekennzeichnet. Die genaue Ätiologie des Kawasaki-Syndroms ist bis heute unklar. Der Erkrankung geht meist ein mikrobieller Infekt voraus, darunter sind auch Infektionen mit Coronaviren, wie z. B. Corona NL64 oder Corona 229E beschrieben [4]. Die akute Infektion scheint bei Manifestation des Kawasaki-Syndroms allerdings bereits abgelaufen zu sein. Vielmehr fungiert der Infekt als Trigger-Faktor einer überschießenden Immunantwort [2].

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie werden vermehrt Fälle eines multisystemischen inflammatorischen Syndroms beobachtet. Das hier dargestellte Fallbeispiel zeigt, dass eine PCR-Untersuchung aus dem tiefen Rachen bei Aufnahme ein solches COVID-19-assoziiertes Syndrom nicht ausschließen kann. Dies passt zu den bereits veröffentlichten Fallserien aus Bergamo, London und New York City [1, 7, 8] sowie zu der oben genannten Hypothese, dass dem Kawaski-Syndrom nicht direkt eine Infektion, sondern viel mehr eine fehlgesteuerte Immunantwort zugrunde liegt.

Bei dem seltenen Vorkommen des Kawaski-Syndroms im hiesigen Raum macht es daher, aus Sicht der Autoren, Sinn, dem Zusammenhang des multisystemischen inflammatorischen Syndroms mit COVID-19 durch einen Antikörpertest weiternachzugehen. Bei Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion sollte eine Meldung des Falls an die WHO erfolgen. Sämtliche Fälle eines multisystemischen inflammatorischen Syndroms, auch ohne Nachweis einer COVID-19-Assoziation, sollten zudem an die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) gemeldet werden. Die zentrale Sammlung der Fallberichte ermöglicht es, bei diesem insgesamt seltenen Krankheitsbild, zeitnah Daten für weitergehende Studien zu erheben. Hierdurch kann ein kausaler Zusammenhang zwischen COVID-19 und Kawasaki-Syndrom zuverlässiger untersucht werden.

Interessant ist, dass, im Gegensatz zu dem klassischen Kawasaki-Syndrom, bei dem MIS‑C in SARS-CoV-2-Assoziation v. a. ältere Kinder im Alter um die 8 bis 9 Jahre betroffen sind. Zudem findet man eine Häufung nicht nur bei asiatischer, sondern auch bei aschkenasisch-jüdischer und hispanischer Abstammung [1, 8]. Es sollte daher auch bei älteren Kindern an die Möglichkeit eines MIS‑C gedacht werden.

Bezüglich des Antikörpernachweises ist zu beachten, dass i.v.-verabreichte, gepoolte Immunglobulinpräparate mit zunehmender Dauer der Pandemie auch Antikörper gegen SARS-CoV‑2 enthalten können und damit zu falsch-positiven Ergebnissen bei den Patienten führen können. Es kann daher sinnvoll sein, die entsprechende AK-Diagnostik vor einer IVIG-Gabe durchzuführen bzw. das Herstellungsdatum der IVIG zu berücksichtigen. Das bei unserem Patienten eingesetzte Präparat wurde am 29.01.2020 hergestellt, sodass eine Übertragung von SARS-CoV-2-spezifischen Antikörpern sehr unwahrscheinlich ist.

Neben dem vermuteten gehäuften Vorkommen des Kawasaki-Syndroms im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung bei Kindern, fällt auch bei Erwachsenen mit COVID-19 ein gehäuftes Vorkommen einer Entzündung des Endothels auf [6]. Eine weitere Forschung bezüglich der Pathogenese der vaskulären Komplikationen durch SARS-CoV‑2 könnte somit auch zur Klärung der Pathogenese des Kawasaki-Syndroms beitragen.

Die WHO hat die Kawasaki-ähnliche Erkrankung bei COVID-19 als eigenständiges „multisystem inflammatory syndrome in children (MIS-C) associated with coronavirus disease 2019“ definiert. Verlässliche Aussagen zu einer spezifischen Therapie dieses neuartigen Krankheitsbildes gibt es bislang aufgrund der geringen Datenlage nicht. In dem geschilderten Fallbeispiel haben sich klinisch und echokardiographisch die bereits etablierten therapeutischen Maßnahmen bewährt. Eine aggressive antiinflammatorische Therapie scheint daher essenziell zu sein.

Fazit für die Praxis

  • Im Rahmen von COVID-19 kann es im Kindesalter zu einem multisystemischen inflammatorischen Syndrom kommen.

  • Jedes multisystemische inflammatorische Syndrom sollte an die DGPI gemeldet werden (https://dgpi.de/schweres-inflammatorisches-krankheitsbild-COVID-19/).

  • Bei einem multisystemischen inflammatorischen Syndrom sollte differenzialdiagnostisch auch an COVID-19 gedacht werden. Bei negativer SARS-CoV-2-PCR sollte zur weiteren Abklärung eine Antikörperdiagnostik eingeleitet werden.

  • Differenzialdiagnostisch sollten klinisch sowie laborchemisch eine Infektion sowie andere Systemerkrankungen, wie beispielsweise ein MAS oder ein STSS, ausgeschlossen werden.

  • Die bei Kawasaki-Syndrom etablierten Therapiemaßnahmen können sich auch bei COVID-19-assoziiertem Kawasaki-Syndrom positiv auswirken.